Stanislaw Przybyszewski
Satans Kinder
Stanislaw Przybyszewski

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VI.

Als Ostap aufwachte, sah er Gordon an dem Tisch sitzen. Er war mit dem Samowar beschäftigt.

Ostap schloß sofort die Augen, setzte sich aber bald im Bett auf.

»Hat man mich oben bei ihr gefunden?«

Gordon sah ihn aufmerksam an.

»Ich habe ja gleich gesagt, daß das nichts zu bedeuten hat. Alle waren so ängstlich um dich. Wenn ich nicht irre, hast du schon öfters diese Anfälle gehabt.«

Ostap sah Gordon mißtrauisch an. Er pflegte sonst nicht so redselig zu sein.

»Du weißt, damals bei der Abiturientenkneipe fielst du auch so plötzlich um. In zwei Tagen warst du wieder auf den Beinen. Du fühlst dich doch wohl? Was? So eine Art Nervenfieber war das, nicht wahr?«

»Hat man mich dort oben bei ihr gefunden?« fragte Ostap fast drohend.

»Ja, natürlich. Es entstand eine große Aufregung. Ich war zufällig in der Stadt, und ich kam gleich hierher ... Du faseltest übrigens viel ...«

»Faselte ich?«

In Ostaps Augen zuckte Angst auf.

»Ja. Du sprachst so ein unzusammenhängendes Zeug, wie man es im Fieber zu tun pflegt.«

»Worüber denn? Worüber?« Ostaps Angst wurde immer größer.

»Nun natürlich über die verlorene Liebe und dergleichen Gefühle.«

Ostap drehte sich nach der Wand um, es ließ ihm aber keine Ruhe.

»Du hast wohl Angst gehabt, daß ich im Fieber deine famosen Verschwörerpläne verrate?« fragte er ironisch.

»Ja, natürlich. Einem Besoffenen und einem, der im Fieber liegt, kann man alles zutrauen.«

»Ha ha ha ... Deine kindischen Verschwörerpläne ...«

Ostap lachte immer gereizter.

»Glaubst du denn wirklich, daß du die Welt zerstören wirst, wenn du ein paar Tausend Mark stiehlst?«

»Nein, das habe ich nie geglaubt.«

»Wozu willst du sie denn haben?«

»Um Menschen zu bilden.«

Ostap gähnte affektiert.

»Meinetwegen kannst du machen, was du willst. Aber ich werde keinen Finger rühren. Ich werde übrigens morgen wegfahren.«

Gordon lächelte.

Ostap suchte möglichst ruhig zu erscheinen.

»Diese Geschichte mit Hela hat mich sehr gequält. Jetzt ist es mir, als wäre mir ein Mühlstein vom Herzen gefallen. Das war ja auch nur eine Suggestion von dir ...«

Aber mit einem Male brach er ab und verfiel in ein tiefes Nachdenken. Er war ganz zusammengesunken und stierte mit weit aufgerissenen Augen ins Zimmer hinein.

»Mein Vater weiß nichts davon?« fragte er plötzlich.

»Nein! dein Vater ist auf ein paar Tage verreist.«

Eine Weile verging. Ostap schien zu schlafen. Aber plötzlich sah er mißtrauisch zu Gordon auf und wieder flog Angst über sein Gesicht.

»Worüber du sprachst?« sagte Gordon und sah ihn nachdenklich an.

Ostap sprang erschreckt auf.

»Hab ich dich jetzt gefragt, worüber ich sprach?«

Er zitterte.

»Nein! Aber ich habe die Frage auf deinem Gesicht gelesen.«

Ostap sank erschöpft ins Bett zurück.

Es dämmerte. Der Mond warf das Bild des Fensters auf den Boden. Gordon starrte auf die breiten, schwarzen Rahmenstreifen, die das Mondlicht in weite Quadrate einteilten.

»Es freut mich«, sagte Gordon plötzlich, »daß dein Anfall so schnell vorüberging. Wir haben nicht viel Zeit vor uns. Wenn der Vollmond verschwindet, müssen wir anfangen.«

Ostap schlug rasend mit der Faust auf den Tisch.

»Ich will nicht! Ich rühre nicht einen Finger! Ich verfluche dich, du Satan, du Henker! Du hast jetzt mein Leben zerstört und nun willst du mich ins Zuchthaus bringen.«

Gordon schien gar nicht darauf zu achten. Er sprach wie in tiefem Nachdenken.

»Ich hoffe, daß du dir über das, was du zu tun hast, klar bist. In einer Woche wird es losgehen.«

Er sah Ostap ruhig an.

Das Mondlicht verschob sich inzwischen. Er konnte Ostaps angst- und qualverzerrtes Gesicht sehen. Sein Mund bebte und bewegte sich, schließlich vermochte er ein paar Worte herauszustoßen.

»Was meinst du? Was? Was? ...«

Gordon antwortete nicht gleich.

»Sonderbar«, sagte er endlich, »sehr sonderbar, daß die Menschen in höchster Aufregung sich alle gleich werden. Du bist jetzt zum Verwechseln dem kleinen Stefan ähnlich, der an Schwindsucht stirbt.«

»Willst du mich wirklich zwingen?« flüsterte Ostap.

»Ich will dich nicht zwingen.«

»Du willst mich zwingen!«

»Nein! Du sollst es nur wollen.«

Langes Schweigen.

Als Ostap dann wieder zu sprechen begann, schien er ganz ruhig zu sein. Er sprach auch fließend, als hätte er sich lange überlegt, was er zu sagen hatte.

»Glaubst du«, – er flüsterte – »glaubst du, daß ich mich durch dich einschüchtern lasse? Glaubst du, daß du mich durch die Drohung eines Meuchelmordes zwingen kannst? Glaubst du es wirklich? He he ... Jetzt, wo du mir alles, alles zerstört hast ...«

Er brach ab und sah Gordon mit dem Ausdruck tiefsten Hasses an.

»Du hast es also gemacht!« brachte er mühsam hervor.

»Ja, ich!« Gordon schien über alle Maßen gleichgültig zu sein. – »Ich konnte es nicht mit ansehen, daß ein dummes Weib einen Menschen, wie dich, an der Nase herumziehen sollte ... Hela ist wohl nicht dumm, aber hysterisch ... Sei doch ein wenig vernünftig ... Diese lächerliche Aufregung! Ich habe dich nie anders als aufgeregt gesehen ... Übrigens muß ich jetzt gehen. Überlege es dir also nur gut, in einer Woche müssen wir beginnen.«

»Du kannst zum Teufel gehen!«

Er kam mit einemmal in eine furchtbare Aufregung.

»Oh, wie ich dich hasse! Du kannst dir nicht vorstellen, wie ich dich verabscheue! Jeder Muskel von mir, das Haar auf meinem Kopfe verabscheut und haßt dich! Du hast mich verdorben und sie, ja sie hast du zerstört. Sie! Sie! Ich glaube nicht, daß du an ihr gelitten hast. Das ist Lüge. Du wolltest sie nur zerstören. Durch die gespielte Qual, die du gar nicht empfandest, hast du sie gereizt und an dich gekettet und jeden Nerv an ihr zerstört. Jetzt endlich hab ich dich durchschaut. Du hast ihr das Gift, das sie jetzt zersetzt, ins Blut geimpft. Das ist dein Werk, daß ihre Seele jetzt verdirbt und verfault ... Jetzt kannst du sie ruhig wegwerfen, du hast dein Ziel erreicht.«

Er schwieg eine Weile.

»Ich bin jetzt mit dem Leben fertig. Ich will alles tun, selbst auf die Gefahr hin, daß ich dabei umkomme. Aber – ich will nicht im Zuchthaus sterben.«

»Zuchthaus? Warum solltest du im Zuchthaus sterben?«

»Höhn mich nicht! Hast du nicht ...«

Ostap stutzte plötzlich.

»Nun«, er lächelte, »haben wir nicht oft genug das Zuchthaus gestreift? Du und ich? Heh?«

Gordon lächelte geheimnisvoll.

»Warum lachst du?«

»Es ist nicht das, weswegen du das Zuchthaus fürchtest. Nicht das, was wir zusammen verbrochen haben.«

Einen Augenblick schien es, als wollte Ostap sich auf ihn stürzen. Aber mit einem Ruck spannte sich sein Gehirn ab, er legte sich aufs Bett.

Gordon goß sich von neuem Tee ein.

»Es ist ganz fatal mit dir«, sagte er sehr traurig. »Man weiß nie, wo man dich hat.«

»Spotte nicht«, sagte Ostap müde, »du weißt ja gut, daß ich zu allem bereit bin.«

»Grade dasselbe hast du vor ein paar Tagen gesagt.«

»Jetzt kannst du sicher sein. Du hast mir das letzte, du hast mir Hela entrissen. Übrigens mußt du jetzt gehen. Ich will dich jetzt nicht sehen.«

Gordon sah ihn traurig an.

»Es tut mir sehr leid, Ostap, daß du mich so wenig kennst. Ich bin erstaunt, daß keiner von euch mich kennt. Ihr vermutet wohl zu viel hinter mir. Anders kann ich mir euer Mißtrauen nicht erklären. Entweder bin ich euer König und Herrscher, oder der infamste Schurke.«

Ostap winkte müde mit der Hand ab.

»Geh nur, geh! Ich werde alles machen, was ich kann. Du weißt es von früher her, daß man sich auf mich verlassen kann. Schick mir nur den Menschen zu, mit dem zusammen ich es machen soll ... Aber ich will nicht, daß du mich ins Zuchthaus bringst ...«

Gordon sah ihn lange an.

»Übrigens glaube ich gar nicht an deine Ideen. Das ist alles doktrinäres Zeug ...«

Er spuckte aus.

»Ja, du, du, so wie du da stehst, bist nur ein Haufen von doktrinären Lumpen, die du auf allen Dunghaufen europäischer Hauptstädte zusammengesammelt hast.«

Gordon lachte laut auf.

»Donnerwetter! Hast du eine Wut im Leibe!«

»Farceur bist du! Snob! Blagueur!« schrie Ostap außer sich.

Aber Gordon hörte nicht auf ihn. Er blieb an der Tür stehen, und sagte sehr ernst ohne eine Spur von Gereiztheit:

»Ich möchte dich nie wieder sehen. Ich verachte dich. Du bist eigentlich noch ein Knabe. Du bist wütend auf mich, weil ich etwas von dir fordre, wovor du Angst hast und du bist zu feig, um mich nicht zu fürchten. Leider gebrauche ich dich. Ich möchte dich nicht gern verwenden, aber du mußt es nun einmal tun. Du mußt! Verstehst du? Ich werde dir bald den Menschen zuschicken, mit dem zusammen du es machen mußt ... Leb wohl.«

Ostap hielt den Kopf mit beiden Händen fest, er schien nichts zu hören.

»Auf Wiedersehen! Ruhe dich aus, morgen sehen wir uns wieder.«

Als er an der Tür war, sprang Ostap plötzlich aus dem Bett und stürzte sich vor die Tür.

»Du wirst nicht gehen! Was, was weißt du? Was habe ich im Fieber gesagt?«

Seine Stimme brach, er keuchte.

»Hast du noch nicht bemerkt, daß ich alles weiß?« flüsterte Gordon. »Ich wußte es längst, daß du auch ein Kind des Satans bist. Man darf ihm nur nicht abtrünnig werden ... Das rächt sich.«


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