Stanislaw Przybyszewski
Satans Kinder
Stanislaw Przybyszewski

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VI.

Pola ließ alles mit sich geschehen. Sie ließ sich von Gordon in den Schlitten tragen, sie fühlte, wie er sie in seinen Pelz einwickelte, sie sah mit einer apathischen Neugierde den Schlitten blitzschnell fortstürmen, sie sah, daß er sie aus der Stadt hinausfuhr, aber sie war erschlafft und willenlos. Schon der Gedanke, daß sie ein Wort sagen sollte, bereitete ihr Schmerzen.

Gordon hieb in rastloser Nervosität auf die Pferde ein. Er wußte nicht, warum er sie in sein Haus bringen wollte, es war nur ein dumpfer Zwang in ihm, dem er willenlos gehorchte. Er ließ sich durch die erste beste Eingebung bestimmen.

Die kurze Strecke kam ihm unerhört lang vor, er zitterte vor Ungeduld, endlich auf den Hof zu kommen.

Seine Gedanken waren verwirrt, es kam ihm vor, als wäre er das erste Mal in seinem Leben nicht imstande, sie zu ordnen.

Als er endlich in den großen Hof kam, nahm er sie unter den Arm und führte oder vielmehr trug sie in sein Arbeitszimmer.

Pola sah sich erschreckt um. Jetzt erst kam sie zur Besinnung.

Sie schnellte auf, warf sich dann auf das Sofa und fing an zu schluchzen.

Gordon ging mit großen Schritten auf und ab, blieb dann vor ihr stehen, sah sie lange an und lächelte verlegen.

»Beruhige dich, Pola, tue es um meinetwillen, beruhige dich! Beruhige dich! Du weißt nicht, wie ich leide. Du weißt es gar nicht. Weine nicht. Ich kann es nicht anhören ...«

Sie setzte sich auf und sah ihn abwesend an.

»Warum hast du mich hergeführt?«

»Warum? Du sollst mein Weib werden, Pola. Du kannst immer bei mir bleiben. Alles, was mein ist, gehört dir. Ich will dich zu meinem Weibe machen.«

Sie sah ihn an, als hätte sie kein Wort verstanden.

»Willst du, Pola, willst du mein Weib werden? Ich werde dich auf meinen Händen tragen. Du sollst es gut bei mir haben. Du und Stefan. Willst du? Ich fahre gleich zu Stefan und hole ihn. Hier wollen wir alle zusammen leben. Wir werden es gut haben.«

Sie starrte ihn an. Um seine Mundwinkel zuckte es beständig. Es war wie ein unendlich verzweifeltes Lächeln.

»Ist es wahr, was Hela von dir erzählt?« Sie fuhr auf und blieb drohend vor ihm stehen.

Er schien ihre Frage zu überhören.

»Ich werde für dich alles tun, was du willst. Ich schaffe Geld, dann fahren wir hin, wo es warm ist, vielleicht wird Stefan noch gesund werden.«

»Ist es wahr?«

Sie stampfte mit dem Fuß.

Er sah sie traurig an. Nie hatte sie ihn so traurig gesehen. Eine grenzenlose Verzweiflung wühlte in ihrer Seele. Aber er antwortete nicht, ließ nur den Kopf sinken und setzte sich hin.

»Sag doch! Sag doch, daß sie gelogen hat!«

Ihre Stimme brach in einem Weinkrampf.

»Willst du mein Weib werden?« fragte er stumpf.

»Nein! Nein! Du liebst sie, nur sie! Ich soll dir das Mittel sein, das dich Hela vergessen läßt. Ich will nicht!« – Sie schrie es laut. – »Du hast mich belogen. Du liebst mich nicht ... Du – du spieltest mit mir, um sie krank vor Raserei und Eifersucht zu machen. Ich will dich nicht sehen, und sie auch nicht! – Geh doch zu ihr! Das ist das Weib für dich! Was willst du mit mir?«

Sie beruhigte sich, wurde müde, sie sprach leise halb schluchzend vor sich hin.

»Nein, nein ... Ich habe es nie so deutlich gesehen, wie gerade jetzt, daß du nur sie liebst. Ihr beide spielt mit mir, ich bin nur die spanische Wand für euch. Nein! laß mich in Ruh, ich gehe jetzt zu Stefan. Ich will jetzt bei Stefan Tag und Nacht sein. – Ich habe ihn zu viel vernachlässigt ... Und wenn ich dich um etwas bitten darf, so komm hin und wieder zu ihm. Er liebt dich über alles.«

Sie sah ihn hart an.

Gordon hörte mit steigender Verwunderung. Das war ein ganz neues Weib, das er jetzt vor sich hatte. Das war nicht seine alte, willenlose Pola. Er fühlte in ihr ein großes Stück von Helas Seele krampfhaft zucken. Er wollte ihr etwas sagen, er fühlte, daß er etwas sagen mußte, aber die Worte erstarben ihm auf der Zunge.

»Sei mein Weib«, sagte er endlich.

»Nein! Ich will nicht! Niemals, niemals ... Ich habe Angst vor dir. Ich ... ich fürchte mich vor dir. Ich habe Angst vor allem, was mit dir in Berührung steht ... Oh, sie hat mir so viel erzählt, sie hat mir die Seele mit tausend Nadeln gepeinigt ... Ich habe Angst vor euch beiden ... Und dieser Schmutz, dieser Ekel im Leben! Alles, alles hat sie mir gesagt ... Nein, nein – laß mich gehen ... Ich muß zu Stefan, Stefan ist krank ...«

Sie kam in eine unbeschreibliche Unruhe.

»Nein, nein ... Ich will nichts hören, laß mich! Ich habe Angst ... Oh, geh zu ihr – sie ist so verzweifelt, so zerrissen ...«

»Pola!«

Aber sie hörte nicht auf ihn. Sie lief rastlos im Zimmer auf und ab.

»Jetzt geh ich! Jetzt geh ich!«

Sie fing von neuem an zu schluchzen, und lief plötzlich zur Tür hinaus.

Er ermannte sich, lief ihr nach und packte sie am Arm.

»Wart doch, Pola, ich werde dich zurückfahren, wenn du willst ...«

»Nein, nein! Ich will gehen! Ich muß gehen! Ich quäle mich so entsetzlich in deiner Nähe ... Oh, oh – sie hat dich geohrfeigt, und du wagtest nicht ein Wort zu sagen ... Du warst mein Stolz, mein König, und ein Weib hat dich geschlagen. Vor meinen Augen hat sie mit der Peitsche nach dir geschlagen ...«

Gordon hörte nicht, er rief wütend nach dem Schlitten.

Sie standen vor der Tür.

Es regnete.

»Laß mich gehen! Ganz allein ... Ich muß jetzt allein sein ... Ich werde dir so dankbar sein, wenn du mich allein gehen läßt ... Ich werde dir die Hände küssen, aber laß mich nur, laß ...«

Im selben Nu entwand sie sich seinem Arm und rannte über den Hof aufs Feld.

Gordon setzte ihr nach, glitt aus, fiel, raffte sich auf und erreichte sie schließlich, als sie vor Erschöpfung zusammenbrach.

Sie leistete keinen Widerstand mehr. Er trug sie zurück. Er fühlte, daß sie ganz durchnäßt war und im Fieberfrost zitterte.

»Laß mich! Ich werde allein gehen, es quält mich, daß du mich trägst ...«

Sie ging neben ihm.

Als sie wieder auf den Hof kamen, stand der Diener bei den Pferden ...

»Geh! hol den Pelz!« schrie ihn Gordon an.

Er wickelte sie in den Pelz ein.

»Schließ das Haus, komm in die Stadt und hol die Pferde bei Paetzel!« ...

Den ganzen Weg sprachen sie kein Wort.

Vor Stefans Haus blieb er stehen.

»Pola!« sagte er traurig.

»Nein, laß mich ...« Sie verschwand in der Haustür.

Gordon lächelte, aber es würgte ihn im Hals, er fühlte eine unausstehliche Qual ...


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