Wilhelm von Polenz
Thekla Lüdekind. Erster Band
Wilhelm von Polenz

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VIII.

Frau von Wernberg hatte geschrieben, daß sie ihren Sohn mit seiner Braut am nächsten Mittwoch erwarte. Ein unglückliches Zusammentreffen wollte es, daß für denselben Mittwoch bereits Theklas Mutter das Brautpaar zum Familiendiner eingeladen hatte. Wernberg bat, Thekla müsse dafür sorgen, daß die Sängersche Einladung wieder rückgängig gemacht werde; er könne seiner Mutter nicht zumuten, einen anderen Tag zu wählen. Thekla erklärte sich dazu bereit, obgleich es ihr leid that, daß Arthurs und Seeheims, die schon zugesagt hatten, nun wieder ausgeladen werden mußten.

Viel Kopfzerbrechen machte es dem jungen Bräutigam auch, wie man reisen solle. Zu Zweien allein? – Das würde die alte Dame sicher nicht billigen! Jemand müsse schon dabei sein! Er wollte die Wallamber bitten, das Amt zu übernehmen. »Tante Sidonie als Dame d'honneur, was meinst du, Thekla? Ich glaube, sie wird sich noch am ersten ertragen lassen; und meine Mutter kann dann nichts mehr sagen.«

Er suchte Thekla auf die Eigentümlichkeiten seiner Mutter vorzubereiten; erzählte ihr, was sie gerne habe 354 und was sie verabscheue. Die alte Dame sei sehr konservativ, lege großen Wert auf Respekt, und halte an allen hergebrachten Autoritäten fest. Jede Art von Emancipation sei ihr ein Gräuel.

Thekla merkte sehr wohl, daß er ihr nahe legen wolle, ihr Benehmen dem Geschmack der Mutter gemäß einzurichten. Sie fand die Sorge sehr unnötig. Sie war der festen Überzeugung, daß sie ausgezeichnet mit der alten Dame auskommen werde. Gerade das, was Leo ihr von der Mutter erzählt hatte, über ihre Ansichten und ihren Geschmack, vervollständigte für Thekla nur das Bild, welches sie sich selbst schon von dieser Frau gemacht hatte. Natürlich, solche Grundsätze gehörten zu solchem Gesicht! Gerade mit charaktervollen Frauen war Thekla immer gut ausgekommen. Sie dachte an die alte Herzogin, sie dachte an Tante Wanda. Ohne Bangen sah sie dieser neuen Bekanntschaft entgegen.

Über die äußere Lebenslage und die Geschichte ihrer Schwiegermutter war Thekla durch Leo unterrichtet worden. Frau von Wernberg stammte aus gräflichem Hause. Sie hatte sehr jung einen bedeutend älteren Mann geheiratet. Außer Leo, dem jüngsten Kinde, stammten drei Töchter aus dieser Ehe.

Herr von Wernberg war in einem Kleinstaat Minister gewesen und hatte den Titel Excellenz geführt. Seine Witwe lebte seit dem Tode des Gatten in einer mittelgroßen Provinzialstadt, die ihrer angenehmen Lage und ihrer geringen Kommunalsteuern wegen von pensionierten Offizieren und Beamten als Alterssitz bevorzugt wurde. Eine Tochter der Excellenz wohnte am selben Orte mit ihrem Manne, einem verabschiedeten Rittmeister. Dieses Paar war kinderlos. Die beiden andern Töchter lebten zur Zeit in Berlin, die eine an einen Offizier von der 355 Garde, die andere an einen Rat im auswärtigen Amt verheiratet.

Man reiste also zu dreien, und zwar mit einem frühen Zuge, am selben Abende noch wollte man zurückkehren. Frau von Wernbergs Räumlichkeiten waren beschränkte; sie konnte das Brautpaar nicht für die Nacht unterbringen.

Wernberg hatte mit dem Schaffner ein Wort gesprochen; infolgedessen war man sicher, keinen weiteren Fahrgast in das Koupee zu bekommen. Die Wallamber setzte sich sofort in eine Ecke und blickte unausgesetzt in die vorüberfliegende Landschaft hinaus. Sie fürchte sonst, »blind zu werden«, behauptete sie. Aber es gelang den beiden, ihr diese Furcht zu nehmen; außerdem war sie auch viel zu redselig, um es lange in der Abgeschiedenheit auszuhalten. Wernberg hatte eine Bonbonnière mit verführerischem Inhalt den Damen zu Ehren mitgebracht.

Sidonie Wallamber versuchte es, Thekla klar zu machen, was für einen ausgezeichneten Mann sie bekomme. Seit er die ersten Höschen trage, kenne sie Leo. Schon als Primaner habe er Herzen gebrochen, und von seiner Studentenzeit wolle sie gar nicht sprechen, um Thekla nicht eifersüchtig zu machen. Einen zweiten wie ihn gäbe es nicht. Arger und Nöte, wie andere Frauen, werde Thekla überhaupt nicht kennen lernen. Denn Leo verstehe sich ja auch auf Küche und Einrichtung und auf Toilette, kurz auf alles. Nein, sie sei ein beneidenswertes Geschöpf!

Man hörte ihr lachend zu, wie sie sich immer mehr ereiferte über ihr Thema. Thekla beugte sich dabei ein wenig vor, eine ihrer blonden Flechten löste sich. Leos Blick entging das nicht; er half seiner Braut beim Aufstecken der widerspenstigen kleinen Haarlocke und benutzte die Gelegenheit geschickt, einen Kuß anzubringen. »Tante, du brauchst deshalb nicht wieder 356 Landschaftsstudien zu treiben. Übrigens giebt es einen Tunnel; darauf wollte ich die Damen vorbereitet haben.«

»Einen Tunnel!« rief die Wallamber. »Gott, in einem Tunnel hätte ich mich ja beinahe einmal verlobt!«

Ihr Geständnis rief große Heiterkeit hervor, und Wernberg verlangte durchaus zu wissen, wo und wann das gewesen sei. Aber das alte Fräulein weigerte sich standhaft, näheres zu erzählen.

Man befand sich in bester Stimmung. Das Wetter war auch gut gelaunt. Ein glücklicher Stern schien über diesem Ausfluge zu schweben.

Thekla war nun seit acht Tagen Braut, aber es kam ihr selbst vor, als trenne sie ein viel längerer Zeitraum von dem Tage, wo sie jenes entscheidende »ja« gesprochen hatte. Sidonie Wallamber hatte recht, wenn sie sagte, daß Leo ihr alles Schwere abnehmen werde; das fing jetzt schon an. Er verwöhnte sie durch reizende Geschenke. Sofort hatte er auch die Ordnung aller ihrer Angelegenheiten in die Hand genommen.

Von Reppiner hatte Thekla noch am Nachmittage seines letzten Besuches ein Verzeichnis ihrer sämtlichen Papiere zugeschickt erhalten, mit einem Rechenschaftsbericht über die bisherige Verwaltung. Gleichzeitig hatte der Advokat geschrieben, er bitte, ihn nunmehr seines Amtes zu entbinden, da er auf ungewisse Zeit zu verreisen gedenke. Thekla schrieb ihm darauf einen Brief, in welchem sie aller Freundschaft und Dankbarkeit, die sie für ihn empfand, Ausdruck zu verleihen suchte; erhielt aber keine Antwort.

An der Hand des Reppinerschen Verzeichnisses wurde es für Leo Wernberg nicht schwer, sich in den Vermögensverhältnissen seiner Braut zurecht zu finden. Er mußte anerkennen, daß Theklas Geschäfte bisher tadellos geführt 357 worden seien, und erklärte offen, daß er »einem Juden« so etwas eigentlich nicht zugetraut habe.

Thekla überließ ihrem Bräutigam nur zu gerne die Sorge um die Geldangelegenheiten. Ihr Vermögen würde ja doch einmal das seine werden. Den Bemühungen Reppiners zum Trotze, ihr etwas Geschäftskenntnisse beizubringen, hatte sie an allem, was Geld und Geldeswert war, noch immer kein Interesse gewinnen können.

Sie stand ihrem Bräutigam nicht gänzlich kritiklos gegenüber. Es störte sie oft, daß er so sehr viel Wert auf das Äußere zu legen schien. Mehr Herzlichkeit hätte sie von ihm gewünscht und mehr Offenheit; dafür hätte sie seine Zärtlichkeiten gern in den Kauf gegeben. Sie fand, er pochte ein wenig stark auf die Thatsache, daß sie verlobt seien. Und dabei war man sich doch eigentlich nicht näher gekommen, wenigstens nicht so, wie sie sich vorstellte, daß Menschen, die sich liebten, einander nahe kommen müßten, mit den Herzen. Man war ja vertrauter geworden, nannte sich ›du‹, sie wußte eine Menge von ihm – denn er erzählte ihr gern von seinen Erlebnissen und Erfolgen – aber, hatte sie in sein Innerstes Einblick gewonnen?

Mangel an Gemüt konnte das nicht sein! Er besaß doch ein gutes Herz! Man brauchte ihn nur im Verkehr mit Tante Sidonie zu sehen! Was konnte er denn davon haben, gegen die alte Jungfer nett zu sein? Und ein guter Sohn war er auch. Jemandem, der so von seiner Mutter sprach, dürfe man nicht Gemütlosigkeit vorwerfen. Vielleicht wollte er sein innerstes Empfinden nicht zeigen; Männer thaten das wohl überhaupt nicht gern?

Man konnte nicht alles verlangen auf einmal, das wußte sie. Vieles würde noch kommen; man mußte nur vertrauen. Und vertrauen wollte sie! Soviel Beglückung 358 hatte er ihr ja schon geschenkt, daß es Vermessenheit gewesen wäre, unzufrieden zu sein.

Sie hegte immer noch eine gewisse Scheu vor ihm. Wenn er sich Vertraulichkeiten erlaubte, fühlte sie recht, daß er ihr ein Fremder sei. Seine Liebkosungen zu erwidern, trieb sie nichts.

Auch jetzt wieder hielt er ihre Hand in der seinen, streichelte und drückte sie heimlich. Ihre Hand wollte sie ihm noch am ersten lassen, die schien so weit von ihr entfernt, wie ein fremdes Glied beinahe. Aber vor seinem leidenschaftlichen Kusse zog sie sich mit geheimem Grauen zurück. Und heute war es ihr lieb, daß die Alte da mit ihrem harmlosen Geplauder bei ihnen saß.

Man näherte sich dem Reifeziele.

»Tante, jetzt kommt der Tunnel!« sagte Wernberg.

»Ich halte mir die Ohren zu!« rief Sidonie Wallamber. »Kinder, sagt mir nur, wenn's vorüber ist!«

Wernberg schloß das Fenster, sowie durch den Pfiff der Lokomotive das Einfahren in den Tunnel angezeigt wurde, und setzte sich dicht neben Thekla. Sowie es völlig dunkel war und das Getöse des Zuges jeden Ton verschlang, zog er seine Braut mit einem Rucke an sich. Sie fühlte seinen Mund auf dem ihren in einem Kusse, wie sie noch keinen empfangen hatte. Ein Widerstreben gab es nicht; wie erstarrt war sie, konnte kein Glied rühren. Alles ließ sie mit sich geschehen.

Also das war es, was sie Liebe nannten! Das hieß: einem Manne angehören! Das war ihre Zukunft! – – –

Als weißliche Rauchwolken hinter den Fenstern ankündeten, daß man sich dem Ende des Tunnels nähere, gab er sie frei. Gleich darauf sah sie ihn am Fenster stehen, beschäftigt, es herabzulassen.

359 Sidonie Wallamber schlug die Augen auf und nahm die Hände von den Ohren. Sie begann zu erzählen: es sei schrecklich gewesen. Im Geiste habe sie fürchterliche Gesichte gehabt.

»Und wie ist es euch beiden denn ergangen?« Die gramvoll leidenden Züge des jungen Mädchens fielen ihr auf. »Kind, du brauchtest doch keine Angst zu haben; du hattest doch Leo zum Schutz!«

Thekla lächelte; aber es sah fast nach Weinenwollen aus.

Das alte Fräulein machte große Augen.

»Ach Gott, diese Tunnels! Und heute abend müssen wir wieder hindurch. Puuh!« . . . .

»Beruhige dich, Tantchen!« erwiderte ihr Leo scherzenden Tones. »Abends brennt ja die Lampe!«

* * *

Am Bahnhof nahm Wernberg einen Wagen. Die Excellenz wohnte am jenseitigen Ende der Stadt. Das Rattern der Mietkutsche auf dem Pflaster machte jede Unterhaltung unmöglich. Thekla empfand auch gar kein Bedürfnis, jetzt zu sprechen. Sie vermied Leos Blick, der sie geheimnisvoll vertraulich anlächelte, so oft sich die Augen doch mal trafen. Zum Fenster sah sie hinaus, als interessierten sie die Baulichkeiten, Menschen und Läden dieser fremden Stadt.

Die beiden Damen wurden bei der Ankunft zunächst von der Jungfer in ein Fremdenzimmer geleitet. Leo begab sich sofort zu seiner Mutter. Theklas Frisur war in Unordnung geraten, sie löste das Haar vor dem Spiegel 360 und steckte es von neuem auf. Sidonie Wallamber stand hinter ihr und half.

»Nimm dich nur recht in Acht hier, Theklachen, mit allem, was du sagst und thust!« flüsterte das alte Fräulein und sah sich dabei scheu um. »Meine Cousine Irmgard legt jedes Wort auf die Goldwage.«

Thekla ärgerte sich über die Alte. Was wollten sie nur alle mit solchen Ratschlägen! Sie wußte doch am Ende selbst, was sich schicke!

Als die Jungfer wieder erschien, nahm Thekla bestimmt an, sie werde nun zu der Dame des Hauses geführt werden; aber sie wurden erst in's Eßzimmer gebeten, wo ein Imbiß für sie bereit stand. Es werde erst um vier Uhr gespeist, sagte das Mädchen.

Als sie einen Augenblick allein waren, raunte Sidonie Wallamber Thekla zu: »Ganz meine gute Cousine Irmgard! Immer grande dame. Daß sie uns nicht mal hier schlafen läßt, finde ich sehr wenig nett von ihr. Platz hat sie genug in ihrem Hause, aber in ihrem Herzen ist keiner, daran liegt's!«

Die Jungfer kam und meldete: Excellenz lasse nunmehr bitten.

Thekla fühlte wohl, daß sie in ein Zimmer trete, aber ihre Augen sahen nur eines: Leos Mutter. Die Frau war eher noch imposanter, als sie sie sich vorgestellt hatte. Es fiel dem jungen Mädchen nicht schwer, beim Handkuß sich vor ihr zu verbeugen, wie vor einer Fürstin. Die alte Dame richtete Thekla auf und ließ aus kühlem Auge einen forschenden Blick über ihre Gestalt gleiten, doch verrieten ihre Züge nichts von dem Eindruck. »Es freut mich, Sie bei mir zu sehen, Fräulein von Lüdekind!« sagte sie in ruhigem Tone. Dann begrüßte sie ihre Cousine. »Ich danke dir, Sidonie, daß du das Brautpaar begleitet hast!«

361 Auf einen Wink der Hausfrau setzte man sich. Leo hatte während des Empfanges hinter der Mutter gestanden und nickte jetzt seiner Braut befriedigt zu, als wolle er sagen: Du hast deine Sache gut gemacht!

Die Unterhaltung betraf ziemlich alltägliche Dinge. Frau von Wernberg richtete das Wort auch an Thekla, mehr aus Höflichkeit für den Gast, der zum ersten Male im Hause war. Thekla begriff das. Zum Aussprechen war jetzt noch nicht die Zeit, das mußte doch alles erst kommen! Es war ihr lieb, daß man sie nicht gleich mit tausend vertraulichen Fragen bestürmte. Zu vieles gab es hier, was sie erst in sich aufnehmen mußte.

Das Zimmer war nicht groß und dabei mit Möbeln ziemlich voll gestellt. Luxuriös war nichts, aber alles gediegen. Die Einrichtung schien Thekla der passende Rahmen für die Gestalt dieser Frau, für diese wie aus Stein gemeißelten Züge, die aufrechte, stolze Haltung und das gewellte Silberhaar des rassigen Hauptes. Pracht hatte so jemand nicht nötig, aber Gewöhnliches konnte man sich auch nicht gut zu ihrer Umgebung denken.

Am interessantesten war für Thekla ein großes Ölgemälde, das den verstorbenen Staatsminister von Wernberg darstellte. Er saß da in ganzer, dem Beschauer zugewandter Figur, im Gesellschaftsanzug, angethan mit allen Dekorationen. Ein alter, vornehmer, müder Mann. Es lag in diesen schmalen Händen, der welken Haut, dem klugen, ein wenig blasierten Ausdruck mehr Überfeinerung als Kraft. Leo sah ihm nur wenig ähnlich; er war das Ebenbild seiner Mutter in's Männliche übersetzt.

Je länger Thekla diese Frau betrachtete, desto mehr Züge fand sie heraus, in denen sich Mutter und Sohn glichen. Es war nur zu begreiflich, daß Leo die Mutter verehrte, von der er das Beste, was er besaß, empfangen 362 hatte. Übrigens konnte man leicht erkennen, daß auch sie nicht wenig stolz war auf den Sohn. Nur im Verkehr mit ihm belebten sich ihre Züge zu Freundlichkeit und Milde.

Nach einiger Zeit erschien Leos Schwester, Frau von Erbmann, mit ihrem Gatten. Sie war der Mutter nicht zu vergleichen; die Züge kleinlicher, vor allem fehlte die Haltung. Erbmann stellte den Typus des abgehalfterten Kavalleristen dar. Platte, langer, sorgsam gepflegter Schnurrbart, Offiziers-Civil. Er lahmte übrigens, was von einem Beinbruche herrührte.

Frau von Erbmann machte kein Hehl daraus, daß sie neugierig sei auf Leos Braut. Ohne weiteres setzte sie sich neben Thekla und verwickelte sie in ein Gespräch. Sie war kinderlos und ohne rechte Beschäftigung, und darum froh über jede neue Person, an die sie ihr Interesse hängen konnte.

Am Eßtisch herrschte dieselbe einfache Gediegenheit, welche schon im Salon auf Thekla Eindruck gemacht hatte. Zwei Mädchen bedienten. Champagnergläser waren nicht aufgesetzt.

Die Excellenz beherrschte durch das, was sie einzuwerfen für gut befand, die Tischunterhaltung. Es fiel Thekla auf, wie grundverschieden sie jeden einzelnen nahm. Was von Leo kam, fand ohne weiteres Beachtung. Das Geschwätz der Wallamber begegnete höchstens einem mitleidig spöttischen Lächeln bei der Cousine. Ihre eigene Tochter wurde von ihr geduldet wie jemand Gleichgiltiges. Ihren Schwiegersohn aber behandelte sie geradezu schlecht.

Thekla entsann sich, von Leo gehört zu haben, daß seine Mutter die beiden anderen Töchter, die vornehmer geheiratet hatten, bevorzuge. Erbmann sei ihr immer zu unbedeutend gewesen, und vollends habe er es mit ihr verschüttet, seit er hatte müssen den Abschied nehmen. Seine 363 Mutter könne Leute nicht vertragen, die Mißgeschick hätten, und Erbmann sei ein ausgesprochener Pechvogel.

Beim Braten, zu dem alter Rheinwein in geschliffenen Gläsern gereicht wurde, machte die Hausfrau ihrem Schwiegersohne ein Zeichen, welches dieser nicht verstand. Leo flüsterte ihm zu: »Mama wünscht, daß du uns leben läßt!« Der unglückliche Rittmeister, der sich darauf nicht vorbereitet hatte, geriet in jene qualvolle Erregung, die bei Leuten, deren starke Seite das Sprechen nicht ist, einer Tischrede vorauszugehen pflegt. Alles blickte ihn an. Man schwieg erwartungsvoll, nur Frau von Erbmann suchte durch krampfhaftes Reden über seine Verlegenheit und ihre Angst hinwegzutäuschen. Die Excellenz aber schien sich an den Qualen ihres Schwiegersohnes zu weiden.

Endlich erhob sich Herr von Erbmann und stoppelte eine Rede zusammen, die nicht einmal den Vorzug der Kürze hatte. Er sprach von der Überraschung, die Leo der Familie bereitet habe, behauptete, daß jede Ehe schließlich ein »Blindekuhspiel« sei, – da er für diesen burschikosen Ausdruck einen strafenden Blick von seiner Schwiegermutter auffing, korrigierte er sich, er habe »Hazard« sagen wollen. Schließlich ging er zur Braut über, die hoffentlich allen in sie gesetzten Hoffnungen entsprechen werde. Übrigens könne man darüber beruhigt sein, Leo sei ja klug und habe stets gewußt, was er thue. Darum heiße er Fräulein von Lüdekind in der Familie willkommen, und das Brautpaar solle leben.

Nachdem die Gläser aneinander geklungen, sagte Leo so laut, daß es die gesamte Tischrunde hören konnte: man verlange wohl keine Antwort von ihm darauf. Er sei kein Freund von Toasten in der Familie; es komme selten etwas Gescheites heraus. Halblaut aber meinte er zu Thekla: »Verzeih! Der arme Erbmann scheint bei seinem 364 Sturze nicht bloß auf's Bein gefallen zu sein. Ich dachte mir gleich, was gemeint sei, als es damals hieß: Kein edlerer Teil verletzt!« –

Nach Tisch zog sich die Frau des Hauses zurück. Zu Theklas Leidwesen. Der Abend kam heran und das Tete-a-Tete, das sie im stillen erhofft hatte mit der alten Dame, wurde immer zweifelhafter. »Mama hat bestimmte Gewohnheiten, von denen sie unter keinen Umständen eine Ausnahme macht!« sagte Leo zur Erklärung.

Was hatte Thekla davon, sich mit Frau von Erbmann, die ihr bereits des schwesterliche ›du‹ angeboten hatte, über Ausstattung zu unterhalten, wo man kaufen müsse und wo nicht! Wenn sie dafür nur lieber ein paar vertraute Worte hätte mit Leos Mutter sprechen können!

Etwas wie Enttäuschung wollte das Mädchen beschleichen. Wie ganz anders, als sie ihn sich vorgestellt hatte, war der Empfang! Aber sie wollte sich das Bild, das sie von Leos Mutter im Herzen trug, darum noch nicht verunglimpfen lassen. Zu einer so abgeschlossenen Persönlichkeit gehörte wohl auch eine gewisse Zurückhaltung, die leicht wie Schroffheit aussah. Aber hätte sie nicht der Braut des Sohnes gegenüber aus ihrer königlichen Unnahbarkeit herabsteigen können? – Wenigstens hätte es Thekla doch gestattet sein müssen, ihr zu zeigen, wie sie sie verehre. Wie es jetzt war, fühlte sie sich wohl äußerlich in die Familie aufgenommen, aber von der Stätte, die ihr am wichtigsten war: dem Herzen der Mutter ausgeschlossen.

Wernberg bemerkte Theklas Nachdenklichkeit, er kam zu ihr geeilt: »Mama hat mir vorhin gesagt, sie würde nächstens auf einige Tage zu uns kommen. Dann wird es Gelegenheit geben, sich kennen zu lernen. Das hier war ja nur eine Anstandsvisite, die wir ihr schuldig sind, weißt du!«

365 Bald darauf trat die Excellenz in's Zimmer. Sie winkte Thekla zu sich heran, während Leo, der ihre Absicht verstand, dafür Sorge trug, daß die anderen sich in's Nebenzimmer zurückzogen.

»Wir wollen uns ›du‹ nennen, Thekla, da du Leos Braut bist!« begann sie. Statt aller Antwort küßte ihr das Mädchen die Hand. »Ich will dir nicht vorenthalten, Thekla, daß mich Leos Verlobung in der That überrascht hat. Ich hatte ihm das bereits geschrieben und habe es ihm heute selbst gesagt. Ich konnte von ihm verlangen, daß er mich über seine Absichten vorher benachrichtigte. Er ist großjährig, ich weiß es! Aber schließlich hat eine Mutter noch andere Erfahrungen und Gesichtspunkte, als ein junger Mann. In einer solchen für das ganze Leben wichtigen Frage hätte es sich gehört, mein Urteil zu hören. Das schrieb der kindliche Gehorsam vor und auch die Klugheit. Aber genug davon! Eure Verlobung ist Thatsache! Und daß ich mich darein gefunden habe, siehst du daraus, daß du hier bist. – Weiteres haben wir, soviel ich sehen kann, heute nicht zu besprechen. Nächstens werde ich Gelegenheit nehmen, dich zu besuchen. Ich höre, daß du ein eigenes Haus hast. Dann hoffe ich auch, die Deinen kennen zu lernen.«

Damit erhob sie sich und rief ihren Sohn herbei, wohl um Thekla anzudeuten, daß sie eine Erwiderung auf das Gesagte nicht wünsche.

Eine Viertelstunde darauf schon saß man im Wagen und fuhr zur Bahn. Thekla schwieg während der ganzen Fahrt.

Auf dem Bahnhofe benutzte sie die Gelegenheit, wo Sidonie Wallamber ein Plakat studierte, ihren Bräutigam zu fragen: »Leo, sage mir eines! Ist deine Mutter gegen unsere Verbindung?«

366 »Unsinn!« rief Wernberg. »Meine gute Thekla, was hast du dir da in den Kopf setzen lassen! Eifersüchtig ist sie; das ist das ganze Geheimnis!«

 


 


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