Wilhelm von Polenz
Thekla Lüdekind. Erster Band
Wilhelm von Polenz

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VII.

Als Thekla abermals einen Brief von Leo Wernberg erhielt, erkannte sie seine Handschrift bereits.

Ihre Hand zitterte, während sie den Umschlag erbrach; sie glaubte zu wissen, was der Brief enthalte. Sie atmete daher beruhigt auf, als sie las:

»Verehrtes, gnädiges Fräulein! Ich sitze am Schreibtisch meiner guten Tante Sidonie. Wir haben soeben von Ihnen gesprochen. – Klangen Ihnen die Ohren nicht? – Meine Tante ist betrübt, daß sie neuerdings so wenig von Ihnen sieht, und läßt Ihnen sagen, daß sie ernstlich böse sei auf Sie. Aber unter uns gesagt, die Sache ist nicht so gefährlich! Tante Sidonie konnte niemals böse sein; das habe ich schon als Junge gewußt und gründlich ausgenutzt. Als Beweis, wie ungehalten sie ist, mag Ihnen dienen, gnädiges Fräulein: sie läßt Sie hierdurch feierlichst bitten, morgen um fünf Uhr nachmittags hierher zu kommen, zum Kaffee (mit Anisplätzchen natürlich), um die neue Wohnung kennen zu lernen. Ich bin auch dazu eingeladen. Also auf baldiges, hoffentlich recht vergnügtes Wiedersehen!

Ihr gehorsamster

Leo Wernberg.«

»Nachschrift: Absagen werden nicht angenommen, sagt mir die Tante.«

Gott sei Dank, das war ein Aufschub! Der Brief klang harmlos; jedenfalls nicht wie der eines drängenden Freiers.

338 Thekla schrieb ein paar Zeilen an Fräulein von Wallamber, in denen sie für die freundliche Einladung dankte und sagte, sie werde mit größtem Vergnügen kommen. Nicht ganz gleichgiltig, aber doch ohne tiefere Beunruhigung sah sie der Zusammenkunft entgegen. Was seine Absichten auch sein mochten, das sah sie wieder aus diesem Briefe, vor einem konnte man sich sicher fühlen bei ihm: er würde niemals taktlos oder schroff vorgehen. Alles, was er that, zeugte von Erziehung und Lebensart. Und gerade darin war sie von den Männern bisher nicht verwöhnt worden.

Als Thekla bei dem alten Fräulein ankam, fand sie Herrn von Wernberg bereits vor. Die Wallamber brach jeder Schwierigkeit die Spitze ab durch die lebhafte und herzliche Art, wie sie Thekla begrüßte. Sie wohnte jetzt viel schöner als früher. Mit Stolz zeigte sie alles, und berichtete: das verdanke sie dem »guten Leo«. Er habe für sie die Wohnung ausgesucht, und die Hauptsache: er habe ihr die Pensions-Zulage erwirkt, ohne die sie niemals an solchen »Luxus« hätte denken können. Der Luxus war nicht so sehr groß, denn das ganze Quartier bestand aus drei Zimmerchen, von denen das eine, ihr Schlafzimmer, nicht betreten werden durfte. Nachdem alles genugsam bewundert war, setzte man sich zu dritt an den bereits zurecht gemachten Kaffeetisch.

Die Wallamber plapperte die ganze Zeit, während die jungen Leute schwiegen. Als die zweite Tasse eingeschenkt war, rief sie: »Aber was ist mit dir, Leo? Du verachtest meinen Kaffee! Du ißt nicht mal Anisplätzchen! Du sagst auch nicht ein Sterbenswörtchen! Dir geht was im Kopfe herum!«

»Du kannst recht haben, Tante,« erwiderte er. »Mir geht was im Kopfe herum!«

339 Bald darauf stand das alte Fräulein auf und erklärte mit dem harmlosesten Gesichte der Welt: »Kinder, ich bin alt. Ich muß jetzt ein Nickerchen machen. Entschuldigt mich! Nichtwahr, Fräulein von Lüdekind, Sie verzeihen? Und du, Leo, mach mir hübsch die Honneurs! Es ist sonst niemand in der ganzen Etage.« – Damit nickte sie den beiden mit vielsagendem Lächeln zu und verschwand. Man hörte die jenseitige Thür gehen, die zu ihrem Schlafzimmer führte.

Thekla ahnte, daß nun das Entscheidende kommen werde. Eine sinnbethörende Angst überfiel sie plötzlich, da sie sich mit ihm allein gelassen sah. Es war ihr zu Mute, als sei dieser kleine Raum ein Käfig, in dem sie gefangen gehalten wurde, als solle ihr hier Gewalt angethan werden. Dabei hatte sie das Bestreben, ihre Furcht nicht merken zu lassen. Aber ihr Zittern verriet sie. Sie rang nach Fassung.

Er fragte sie, ob er das Fenster ein wenig öffnen dürfe; es komme ihm schwül vor im Zimmer. »Ja, öffnen Sie das Fenster!« rief Thekla gepreßt. Die halbe Minute, die er dazu brauchte, bedeutete ihr eine Erleichterung. Sie versuchte zu sich zu kommen, zu überlegen, wie sie sich verhalten solle.

Er kehrte zu ihr zurück und setzte sich neben sie. Sein Gesicht trug das gewohnte verbindliche Lächeln. »Ist Ihnen jetzt besser?« fragte er. »Ich sah es Ihnen an, daß Sie einen frischen Durchzug brauchten.« Er wartete auf eine Antwort. Sie lächelte nur nervös.

Man schwieg. Was für ein lastendes beredtes Schweigen. Ihr war es, als vergingen Stunden. Sie hätte ihn bitten mögen, jetzt etwas zu sagen, sei es, was es sei, denn dieser Zustand war unerträglich.

Thekla sah nicht die Veränderung, die in seinen 340 Zügen vorging, merkte nur, daß er sich ein wenig nach ihrer Richtung vorbeugte. Plötzlich hörte sie seine Stimme gänzlich verändert, nahe ihrem Ohre: »Fräulein von Lüdekind« . . . Sie blickte scheu zu ihm auf, sein Auge leuchtete, glühte. Schnell sah sie weg. Das Gesicht hatte sie erschreckt in seinem Ausdruck. Sie fürchtete sich.

»Fräulein von Lüdekind, hören Sie mich bitte an!« sagte er mit einschmeichelnder Stimme. »Ich will es nur gestehen, daß ich Sie hierher gebeten habe, um endlich ungestört mit Ihnen sprechen zu können. Worüber, wird Ihnen kaum zweifelhaft sein! Vielleicht verargen Sie es mir, daß ich mich mit meinem Antrage nicht zunächst an eine andere Stelle gewendet habe, an Ihre Frau Mutter oder an Ihren Stiefvater. Aber es ist doch schließlich eine Sache, die zwischen uns ausgemacht werden muß, zwischen uns beiden allein. Von Ihnen will ich mir die Antwort holen, die über mein künftiges Glück entscheiden soll.«

Er schwieg und sah sie eindringlich an. Seine Hand war bereit, sich nach der ihren auszustrecken. Sein Blick suchte ihren Blick. Es war ihr, als werde sie von ihm an beiden Händen gehalten und auf ein Ziel losgeschleppt, gegen das sie sich sträubte.

Sie zog sich zurück vor ihm. Etwas Unbekanntes, Unheimliches kam über sie, machte sie erstarren, legte die Kräfte ihres Willens lahm. Daß einem Menschen solche Gewalt gegeben war über einen anderen! Eine fremde Macht umklammerte sie, verwickelte sie in unsichtbare Fesseln. Schrecklich war es zu fühlen, wie die eigene Kraft nachließ, zu wissen, daß man nicht würde entrinnen können.

Er fuhr fort, begann jetzt von sich zu sprechen, ihr seine Verhältnisse auseinanderzusetzen. Sie war wie versunken, hörte kaum darauf.

341 »Entschuldigen Sie, gnädiges Fräulein, diese Dinge, so prosaisch sie klingen, gehören nun mal dazu! Ich halte es für meine Pflicht, die materielle Seite der Frage auch zu berühren.«

Er mochte erkennen, daß er damit kein Glück mache. Schnell wechselte er das Thema, sprach von der wunderbaren Art, wie man sich kennen gelernt habe, die er als »Fügung« bezeichnete. Thekla habe ihm schon vor Jahren tiefen Eindruck gemacht, und er könne den Gedanken nicht los werden, daß sie von Anfang an für einander bestimmt gewesen seien.

Thekla war es, als spräche er das alles nicht zu ihr. Sie sah ihn kaum noch, obgleich sie die Augen jetzt fest auf ihn gerichtet hielt. ›Wer ist das? – Wo befindest du dich?‹ fragte sie sich.

Der erste Ton, der sie packte, war, als er von seiner Mutter zu sprechen begann. In allem bisherigen hatte sie gerade das vermißt, was für sie den Ausschlag geben sollte: das Herz. Hier kam es endlich zum Durchbruch, als er sagte: »Meine Mutter ist alt. Sie hat nur den einen Sohn. Es ist ihr Herzenswunsch, mich verheiratet zu sehen. Wer weiß, ob sie noch sehr viel Zeit hat, zum Warten. Darf ich nun nicht der alten Dame schreiben, daß ich ihr eine liebe Schwiegertochter gewonnen habe?« –

Er schwieg und sah sie erwartungsvoll an. Thekla blickte zu Boden. Ihre Zaghaftigkeit war noch nicht überwunden. Zu groß schien, was er von ihr verlangte.

Sie fragte leise, ob er ihr denn nicht etwas Zeit gewähren wolle, sie könne sich heute noch nicht entscheiden.

Voll Lebhaftigkeit erwiderte er: Aufschieben sei so gut wie ablehnen! Unbedingt verlange er jetzt eine Antwort. Seit Wochen befinde er sich in einem Zustande des Harrens, der kaum zu ertragen sei. Zeit habe er ihr ja genug 342 gelassen. Sie müsse sich doch längst etwas gedacht haben. Was solle sich denn noch ändern? Was noch kommen, das auf ihre Entschließungen Einfluß haben könne? Die Zeit zum Bedenken sei nun vorbei.

Er hatte ja ganz recht. Thekla mußte sich das selbst sagen. Es war auch für sie besser, wenn die Entscheidung heute fiel, besser sicherlich als diese qualvolle Unentschiedenheit! Schon wieder fühlte sie sich ein Stück weiter gezogen, tiefer verstrickt, geschwächt in ihrem Widerstand.

Verzweifelt sah sie sich um. Gab es denn keinen Fingerzeig, keinen Wink für sie? Der innere Kampf malte sich in ihren Zügen. Ohne zu wissen, daß sie es that, seufzte sie tief.

»Ich sehe, daß Sie sich quälen, gnädiges Fräulein!« sagte er. »Ich glaube fast, Sie hegen eine vorgefaßte Meinung. Haben Sie irgend etwas Ungünstiges gehört über mich?«

Thekla schüttelte den Kopf.

»Was bedrückt Sie? Was ist denn so schlimm? Sie ängstigen sich! Ich sehe es Ihnen an! Was ist es? Sagen Sie mir's! Vielleicht etwas aus – aus Ihrer Vergangenheit – verzeihen Sie! – – Vielleicht sind Sie nicht so frei, wie ich angenommen habe?«

Es kam Thekla wie Erlösung vor, als er das sagte. Jetzt wollte sie sprechen. Wie er sich zu dem stellen würde, was sie ihm zu gestehen hatte, sollte ihr das ersehnte Zeichen sein, das alles entscheiden mußte.

Sie antwortete, er habe recht; in gewissem Sinne sei sie nicht frei. »Sind Sie verlobt?« fragte Wernberg hastig. Es war das erste Mal, daß er Unruhe an den Tag legte. Thekla mußte unwillkürlich über dieses Mißverständnis lächeln.

»Oder – ist es eine unerwiderte Neigung?« – 343 Thekla erwiderte, es falle ihr sehr schwer, davon zu sprechen.

»Ich will keinen Namen wissen,« meinte er. »Überhaupt, wenn es Ihnen allzupeinlich ist, davon zu sprechen, dann bescheide ich mich. Es hat sich gewiß nur um eine Mädchenschwärmerei gehandelt – nicht wahr?«

Thekla schüttelte den Kopf. »Es ist weder von einer Verlobung noch von einer Schwärmerei die Rede, Herr von Wernberg!«

»Sie haben einen Antrag zurückgewiesen – ist es das?«

Thekla nickte.

»Nun dann ist ja alles gut!« rief Wernberg erleichtert. »Solche Erfahrung ist nur gut! Übrigens war das zu erwarten. Eine junge Dame wie Sie kann dem kaum entgehen. Andere Männer haben doch auch Augen im Kopfe! Sie sind also frei! Gott sei Dank, Sie sind frei!«

Er hatte ja recht, gewiß, er hatte recht! Sie war frei; Gabriel Bartusch konnte ihr nichts mehr bedeuten. Es wäre Thorheit gewesen, sich durch Rücksicht auf ihn in der wichtigsten Entscheidung des Lebens beeinflussen zu lassen. Der Gedanke an ihn war ein Gespenst, das den hellen Tag scheute. Hier vor ihr stand die Wirklichkeit, in der sie leben sollte. Das Erlebnis mit Gabriel lag hinter ihr, tot in der Vergangenheit.

Und wie eine Antwort auf diese geheimen Erwägungen lauteten jetzt Wernbergs Worte: »Wissen Sie, gnädiges Fräulein, darf ich Ihnen mal offen etwas sagen? Ich glaube, Sie sind nicht glücklich! Ich habe mich schon immer gefragt, wie Sie das einsame Leben aushalten können? Hat es nicht etwas Unnatürliches geradezu? Wenn man Sie ansieht, man versteht es nicht! Viel zu gut sind Sie dafür! Fühlen Sie das nicht selbst? 344 Machen Sie dem ein Ende! Wahrhaftig, ich gebe Ihnen da keinen schlechten Rat. – Haben Sie Angst? – Jedes Mädchen ist ein wenig scheu vor dem Manne. Sie werden mal sehen, wie glücklich wir werden, wir beide! Ich will Ihnen alles abnehmen, alle Schwierigkeiten, alle Sorgen, alles Unangenehme. Ich werde Sie auf Händen tragen. Glauben Sie mir's! Wollen Sie denn nicht glücklich sein? Es kostet ja nur ein einziges, kleines Wort! Sagen Sie's doch!« –

Er hatte mit Wärme gesprochen, mit einer gewissen, herzlichen Dringlichkeit. Thekla sah ihn groß an, wie träumend, und sagte langsam: »Ja!«

Er sprang auf und rief: »Nun sind wir verlobt!«

Im selben Augenblicke, wo sie das Wort ausgesprochen hatte, erbebte sie auch schon in innerster Seele. Was hatte sie gethan? Er sagte: sie seien verlobt! –

Wernberg aber ging im Zimmer auf und ab und rief: »Das ist der schönste Tag meines Lebens!«

Thekla griff sich an die Stirn. Verlobt! Sie war verlobt? –

Er kam zu ihr geeilt, neigte sich über sie und fragte:

»Darf ich jetzt die Tante rufen? Die wird sich freuen!«

Ohne die Antwort abzuwarten, lief er hinaus und kam gleich darauf mit der Wallamber zurück, die gar nicht danach aussah, als habe sie in der Zwischenzeit geschlafen.

»Tante, du bist die erste, die es erfahren soll; hier stelle ich dir meine Braut vor!«

»Ach Gott, Kinder, das habe ich ja gewußt! Wie reizend von dir, Leo, daß du das bei mir abgemacht hast!« Damit kam sie auf Thekla zugeflogen, umarmte und küßte sie ausgiebig.

Nun setzte man sich wieder an den Kaffeetisch. Das 345 alte Fräulein trug abermals die Kosten der Unterhaltung allein. Sie besprach alles, von den Anzeigen angefangen, die man nun verschicken würde. Was der Hof dazu sagen werde. Wo sie wohnen würden, ob in Theklas Hause oder wo anders. Wann und wo die Hochzeit stattfinden solle. Wernberg versuchte ihren Redefluß zu dämmen, denn er vermutete mit Recht, daß Thekla darunter leide.

»Das alles werden wir später besprechen, Tante! Vor allem wird es darauf ankommen, was Fräulein von Lüdekind will.«

»Kinder!« rief die Wallamber. »Nennt ihr euch denn noch nicht ›du‹? Habt ihr euch auch schon ordentlich geküßt?« –

»Tante, das Temperament geht wieder mal mit dir durch!«

»Ach Gott, verzeihe nur, Leo! Ich weiß nicht, wie es modern ist; aber zu meiner Zeit küßten sich Brautpaare.«

»Nun, das soll auch heute noch vorkommen! Aber jetzt haben wir an manches andere zu denken.«

Thekla fühlte ihm Dank für seine Zurückhaltung. Von Herzen froh war sie, daß er ihr in diesem Augenblicke Zärtlichkeit ersparte. Am liebsten wäre sie ganz allein gewesen, um nachdenken zu können.

»Sie sehen übrigens recht abgespannt aus, mein Kind!« sagte die Wallamber. »Fehlt Ihnen etwas?«

Thekla bat, daß man sie nach Haus lassen möge. Wernberg stand sofort auf und bat um Entschuldigung, daß er nicht zeitiger daran gedacht habe; sie werde doch wahrscheinlich mit ihrer Mutter sprechen wollen.

An ihre Mutter hatte sie noch keinen Augenblick gedacht. Sie sehnte sich nach ihrem Zimmer, nach dem Bilde ihres Vaters. In ihrer eigensten Umgebung würde sie zu 346 sich kommen, dort würde sie ihr Gleichgewicht wiederfinden, einen Standpunkt gewinnen vielleicht zu dem, was sie gethan hatte.

Wernberg brachte sie zu einem Wagen.

»Ich komme morgen früh gegen zehn zu Ihnen! Ist Ihnen die Zeit recht?«

Thekla nickte.

»Auf Wiedersehen also morgen früh!«

Er hob sie in den Wagen und drückte ihr die Hand.

Im Abfahren sah sie durch das Fenster ihn stehen und ihr zuwinken. Sie wunderte sich, daß dieser große, elegante Herr ihr Bräutigam sei.

* * *

Thekla erwachte erst, als der volle Tag in ihr kleines Schlafzimmer leuchtete.

›Was ist eigentlich? Ist heute dein Geburtstag? Irgend etwas Besonderes hat sich mit dir zugetragen!‹ – So gingen ihre ersten, noch vom Halbschlummer umfangenen Gedanken. Dann fiel ihr mit einemmale ein, daß sie Braut sei.

Braut! Es klang so schön. Das bloße Wort war Musik. Sie entsann sich, daß es sie mit geheimem Entzücken erfüllt hatte, früher, so oft sie es vernommen. Was hatte man sich nicht alles dabei gedacht! Und nun war sie es selbst!

Sie schloß die Augen, um ganz ungestört ihrem Glücke nachsinnen zu können. Großes war ihr wiederfahren. Nun gab es kein Zagen mehr und Zweifeln. Alles vorausgegangene Trübe und Bittere war ausgewischt, gut 347 gemacht, nun das Glück in reichster Fülle über sie gekommen. Alles mußte ja gut werden! Ihre scheuen Mädchenhoffnungen blühten mit einemmale auf, als sei winterlicher Schnee durch einen warmen Sonnenblick von ihren zarten Kelchen genommen. Endlich, endlich durfte sie ihr Herz sprechen lassen! Jetzt war es nicht mehr unpassend, zu lieben. Vorüber die schreckliche Zeit des scheuen Verbergens der Gefühle, des ängstlichen Lugens nach dem, was sich schickt. Sie war Braut, und die Liebe ihr gutes Recht.

Sich hingeben dürfen! Lieben um der Liebe willen, rückhaltlos, kritiklos! Konnte das Leben noch Schöneres in Bereitschaft haben? War es nicht die irdische Seligkeit? Die Erfüllung des schönsten aller Träume! Hatte sich nicht alles in ihr danach gesehnt, unbewußt darauf sich vorbereitet, ihre ganze Mädchenzeit hindurch?

Wie thöricht war sie gewesen, sich so lange zu sträuben, wie kindisch und dumm ihre Angst vor ihm! Hatte sie nicht noch gestern abend gezagt und sich gequält mit Bedenken? War sie nicht unter Thränen eingeschlafen? –

Wie ganz anders sich alles ansah, heute beim hellen Scheine der Morgensonne. Sie dankte Gott für ihr großes Glück. Ihr Dasein war ja nun entschieden. Wie gut es that, zu wissen, wo man hingehörte, einen Menschen zu besitzen, dem man sein Leben weihen konnte. Sie wollte ihm eine gute Frau werden.

Ihre Gedanken eilten zu ihm, dem sie alles das verdankte. Im Geiste sah sie ihn vor sich: eine Idealgestalt, männlich schön, Kavalier durch und durch. Vielleicht dachte er jetzt auch gerade an sie, sehnte sich nach ihr. Sie schloß die Augen fest und breitete mit geöffneten Lippen die Arme aus. O, daß er doch bald käme!

348 Als ihre Gedanken nüchterner gingen, sah sie nach der Uhr. Noch zwei Stunden! Sie war im Grunde froh, soviel Zeit zu haben; denn sie wollte sich vorbereiten auf sein Kommen. Er betrat zum ersten Male ihr Haus. Es würde bald ja auch sein Haus sein; denn für sie gab es keinen Zweifel, daß sie hier gemeinsam wohnen würden.

Sie wollte sich eben erheben, ihre Anordnungen zu treffen, als es an der Hausthüre klingelte. Jetzt schon Besuch? – Gleich darauf erschien Hedwig im Schlafzimmer ihrer Herrin, vor sich her ein Bouquet tragend von lose gebundenen Rosen, das in seiner Größe Hedwigs Oberkörper fast verbarg. Dabei befand sich seine Karte, auf die mit Bleistift geschrieben war: »Als einen Morgengruß!«

»Das hat eben ein Bote gebracht!« sagte Hedwig, die Miene voll Neugier.

Thekla ließ sich die Blumen geben, hielt sie vor sich hin und blieb in ihrem Anblick versunken ganz still. Wirklich, etwas Reizenderes hätte er sich nicht ausdenken können! Niemals hatte man ihr Schöneres geschenkt!

Hedwig machte sich inzwischen im Zimmer zu schaffen, als erwarte sie irgend einen Auftrag. Thekla aber war das Herz so voll, daß sie fühlte, irgend einer Menschenseele müsse sie sich mitteilen.

»Hedwig!« fragte sie, »was denkst du wohl, was das vorstellt?«

Hedwig errötete und blickte ungemein verschmitzt drein.

»Nun so sprich doch!«

»Daß gnädiges Fräulein sich verlobt haben!«

»Woher weißt du das?«

»Darf ich was fragen, gnädiges Fräulein: ist er alt?« –

349 »Alt? – Nein! Wie kommst du darauf?«

»Auf der Karte steht doch: Regierungsrat!« –

Thekla lachte hell auf. »Es giebt auch junge Räte! Wie alt er ist, weiß ich noch gar nicht mal genau. Aber über Mitte dreißig kann's nicht sein.«

Nun erhob sie sich und beriet mit Hedwig, was sie anziehen solle. Gegen den Wunsch ihrer Zofe, die durchaus eines der besten Kleider haben wollte, wählte sie schließlich ein ganz schlichtes, dessen Farbe gut zu den Rosen stand.

Gefrühstückt wurde in Hast. Wer hätte in solcher Stimmung Appetit gehabt; Essen und Trinken erschien so profan. Die Zeit verging mit Schmücken, Räumen, Abstäuben und Decken. Hedwig war in viel größerer Erregung, als ihre Herrin, sie fieberte ordentlich.

Thekla hatte sich etwas ganz Besonderes ausgedacht, womit sie ihn überraschen wollte. Heute sollte er erfahren, daß er ihre Liebe gewesen war, schon vor Jahren. Wozu jetzt noch ein Geheimnis daraus machen, jetzt, wo der Erfolg ihrem Herzen recht gab? Leo sollte das erste Liebesgeständnis hören, das ihre Lippen jemals abgelegt.

Man war knapp fertig geworden mit den Vorbereitungen, als Wernberg erschien. Hedwig verließ sofort den Salon, nicht ohne einen bewundernden Blick auf den Bräutigam ihrer Dame geworfen zu haben, der sagen zu wollen schien: ›Ja, so einen Regierungsrat lasse ich mir freilich gefallen!‹ –

Thekla flog ihm entgegen und dankte ihm für die Blumen. Er benutzte die Gelegenheit, wo er sie so freudig erregt sah, ihr den ersten Kuß zu rauben. Sie war überrumpelt und nun doch ein wenig verwirrt. »Wollen Sie nicht Platz nehmen?« sagte sie befangen. Er that es lächelnd.

350 »Also so wohnen Sie!« meinte er, sich umsehend. »Nettes kleines Häuschen!« Das war aber auch alles, was er über Haus und Einrichtung verlor.

Am liebsten hätte ihm Thekla jetzt gleich alles gezeigt: die Stuben, die Möbel, ihre ganzen Schätze. Denn auf nichts war sie so stolz, als auf ihre Sachen. Aber ihr Bräutigam schien andere Dinge im Kopfe zu haben; er meinte: jetzt müsse man das »Notwendigste« besprechen.

Er ließ sich die vollen Namen ihrer Eltern sagen, die er sich aufschrieb. Ferner bat er, daß sie die Adressen ihrer Verwandten und Freunde für ihn aufschreiben möge, damit bei der Versendung der Verlobungsanzeigen niemand vergessen werde.

Thekla kam alles das äußerst unwichtig vor, aber er erklärte ihr: man müsse gerade bei solcher Gelegenheit zeigen, daß man wisse, was sich gehört. Dann sprach er von dem Besuche, den sie nun bei seiner Mutter machen würden. Er habe bereits gestern abend einen Brief an die alte Dame geschrieben, worin er ihr alles mitgeteilt und sie gebeten habe, einen Tag festzusetzen, an welchem er ihr Thekla vorstellen dürfe. Denn das müsse er hier gleich sagen: seine Mutter sei eine Dame mit sehr ausgesprochenen Ansichten, bei ihrem Alter und ihren Erfahrungen habe sie dazu auch volles Recht. Jedenfalls müsse man ihren Brief abwarten und sehen, was sie vorschlagen werde, um sich danach mit seinen Plänen einzurichten.

Thekla sah das ein. Es war ja ihr eigener lebhafter Wunsch, mit dieser Frau, von der sie das anziehendste Bild in der Seele trug, von vorn herein in das beste Einvernehmen zu kommen. Wernberg erzählte, daß er im Laufe des Vormittags noch vieles vorhabe. Unter anderem wollte 351 er dem Minister seine Verlobung mündlich anzeigen. Deshalb müsse sie entschuldigen, wenn er jetzt bereits wieder aufbreche. Nachmittags gedenke er ihrer Mutter seine Aufwartung zu machen, er hoffe, Thekla dort wiederzusehen.

Dann einen Kuß, von der Thür aus eine Kußhand, und er war verschwunden.

Thekla blieb in keiner glücklichen Stimmung zurück. Ganz anders war dieses Zusammensein gewesen, als sie es sich gedacht. Wie konnte man in einem solchen Augenblicke so offiziell sein! Geküßt war sie worden, aber um ihre Gefühle hatte er sich nicht gekümmert.

Sie war enttäuscht. Das Bild ihres Vaters schien er nicht bemerkt zu haben, dafür aber hatte er sich seinen Namen und Titel genau aufgeschrieben. Sie seufzte, fühlte sich geneigt, zu weinen. Die sonnige Stimmung des Morgens war ihr gründlich verdorben, das, was sie ihm hatte anvertrauen wollen, ihr Geständniß, war sie auch nicht los geworden. Und alle diese ungesprochenen Worte lasteten nun auf ihrem Herzen und machten es schwer.

Es war gut, daß sie mancherlei naheliegende Geschäfte und Pflichten hatte, die sie von ihrem Kummer abzogen. Es war nun höchste Zeit, die Ihren zu benachrichtigen. Er sprach schon vom Drucken der Verlobungsanzeigen, und sie hatte noch nicht mal ihrer eigenen Mutter ein Wort davon gesagt.

Wie würden die Ihren staunen! Wie würden sich Agnes und Ella freuen! So eine Verlobung in der Familie war immer etwas Aufregendes! Jede Frau geriet darüber in Extase; Thekla wußte das von früher her. Und diesmal betraf es sie; diesmal war sie die Braut! –

Sie beschloß, sich zu den Ihren zu begeben. Von Leos Rosenstrauß, der jetzt auf dem Klaviere stand, nahm sie sich eine Blüte und steckte sie an ihr Kleid.

352 Indessen trat Hedwig in's Zimmer und berichtete in hastigen Worten: soeben komme Herr Reppiner auf's Haus zu, ob sie ihn vorlassen solle?

Thekla verstand Hedwigs Aufregung. Sie war selbst bestürzt. Was sollte man thun? Inzwischen klingelte es bereits vorn.

»Laß ihn ein!« befahl Thekla nach kurzem Überlegen. Er mußte es ja doch erfahren! Es kam ihr so feige vor, den Augenblick hinauszuschieben.

Reppiner trat, wie er öfters pflegte, ohne abzulegen, in's Zimmer. Ein Zeichen, daß er nur kurz vorsprechen, sich vielleicht nur erkundigen wolle, wie's gehe. Außer Hut und Stock hielt er noch etwas in Seidenpapier Gewickeltes in der Hand. Es gab Thekla einen Stich durch's Herz, als sie sah, daß er Blumen bringe.

Er wollte ihr eben seinen Morgengruß sagen, als ihm ihre Verwirrung auffiel. Er verstummte und blickte sie mißtrauisch an. Wie er ihr leid that in diesem Augenblicke! – Der Rosenstrauß auf dem Klavier entging seinem Auge ebensowenig, wie die Knospe an ihrem Busen.

»Reppiner!« sagte Thekla und streckte ihm beide Hände entgegen. Mehr brachte sie nicht vor.

Er zuckte zusammen. Seine Miene verdüsterte sich zusehends. So stand man einander gegenüber, sie mit gesenktem Scheitel. Etwas wie Spott flog um seinen Mund. Er betrachtete die Blumen in seiner Hand. »Meine sind bloß Maiblümchen, aber die hatte Tante Wanda gern!«

»Reppiner!« rief Thekla. Weiter konnte sie nicht.

»Nun, mögen Sie glücklich werden, Fräulein von Lüdekind!« Damit wandte er sich und schritt langsam zur Thür. Von da aus warf er einen Blick in das Zimmer zurück, als wolle er das Ganze noch einmal in sich aufnehmen, und ging.

353 Thekla stand wie angewurzelt. Dann stürzte sie ihm nach. Eben schloß sich die Hausthür hinter ihm. Vom Fenster aus konnte sie ihn sehen, wie er über den Vorplatz schritt, mit müden Schritten, das Haupt tief gesenkt. Die Maiblümchen hielt er noch immer in der Hand.

 


 


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