Wilhelm von Polenz
Thekla Lüdekind. Erster Band
Wilhelm von Polenz

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III.

Kurze Zeit, nachdem die Hochzeit vorüber war, zog Thekla in ihr eigenes, von Tante Wanda ererbtes Haus. Es hatte nicht an Stimmen gefehlt, die sie davor warnten. Vor allem ihre Mutter meinte, sie sei zu jung dazu, sie werde sich in der Einsamkeit Schrullen angewöhnen, ja es sei der Anfang zur Altjungfernschaft.

Solchen Bedenken zum Trotze führte Thekla ihren Entschluß aus. Der Gedanke, eine alte Jungfer zu werden, schreckte sie nicht im mindesten. Wenn sie nur eine solche würde, wie Tante Wanda, dann wäre ihr Ideal erreicht gewesen!

Sie dachte nun ernstlich daran, sich gänzlich von allem Verkehr zurückzuziehen. Was hatte man davon? Wie zerfahren war dieses letzte Jahr gewesen! Wenn sie an die Entschlüsse dachte, die sie nach Tante Wandas Tode gefaßt hatte – so gut wie nichts war davon zur Ausführung gekommen. Die Worte, welche die Sterbende an sie gerichtet, klangen nur noch undeutlich wie aus weiter Ferne in ihr nach. Das Leben mit seinen verwirrenden Ansprüchen hatte sich dazwischen gedrängt.

Es war wieder so vieles geschehen, womit sie sich innerlich erst abfinden mußte. Wo konnte sie das besser, als in den Räumen, wo noch jedes Stück der Einrichtung gleichsam von der sprach, die hier ein thätiges und 272 beglückendes Dasein geführt hatte. Und dann besaß sie ja auch das, was Wanda Lüdekind ihr als kostbarstes Vermächtnis hinterlassen hatte: die Sorge um ihre Verlassenen. Wozu war sie denn volljährig und im Besitze eines Vermögens? Im Wohlthun durfte ihr niemand Fesseln anlegen. Wenigstens darin müßte man doch seinem Herzen folgen dürfen!

Freilich, einer war, der wie eine Art Schildwache vor dem Geldschranke stand und drohend den Finger erhob, wenn sie es zu arg trieb mit dem Wegschenken: Reppiner. Von ihm mußte man sich Einspruch gefallen lassen. Sie hatte ihn ja übernommen, gewissermaßen wie ein Stück der Erbschaft, wie das Häuschen, die Möbel, die Porträts.

Reppiner war ein sonderbarer Kauz. Die anfängliche Scheu, welche Thekla vor ihm gehabt hatte, war allmählich ganz gewichen, hatte einem vertraulichen Freundschaftsverhältnisse Platz gemacht. Er kam oft und zu den verschiedensten Tageszeiten, ungerufen, »mal nachsehen!« wie er es nannte. Sie fragte ihn in vielen Dingen um Rat, oft auch über solche, die er im Augenblick nicht zu beantworten wußte. Dann machte er sich einen Knoten in's Taschentuch und binnen heute und morgen, dessen konnte sie sicher sein, hatte Thekla die Antwort.

Er nannte sie nicht mehr wie früher: »gnädiges Fräulein«, sondern »Thekla«, und sie rief ihn bei seinem Familiennamen, ohne ein »Herr« davor zu setzen. Er brachte ihr Bücher, die er mit großer Sorgfalt daraufhin auswählte, ob sie passend seien für ein junges Mädchen. Dann und wann schickte er ihr auch Zeitungen, was sie darin lesen sollte mit starkem Bleistift angestrichen: Wirtschaftliches, Juristisches oder auch Geldsachen. Vom Gesellschaftsklatsch brauche sie nichts zu hören und von Politik nichts 273 zu verstehen, aber es sei notwendig, daß sie die Welt kennen lerne, in der sie lebe, mit ihren Gesetzen und Einrichtungen, damit sie nicht wie die meisten Frauen sich betrügen lasse.

Es war überhaupt Reppiners fixe Idee, daß Thekla ausgebeutet werde. Er traute an sich einem Menschen nicht so leicht über den Weg; Theklas Bekanntschaften aber sah er sich mit doppelt mißtrauischen Augen an. Sie mußte ihm genau Bericht erstatten, wen sie besuche und wen sie bei sich empfange. Am liebsten würde er es gesehen haben, daß Thekla sich ganz abgeschlossen hätte von der Welt. War er zufälligerweise anwesend, wenn von ihren Verwandten oder Freunden jemand kam, dann entfernte er sich schleunigst, als könne er es nicht ertragen, Thekla mit anderen Menschen zusammenzusehen. Die Laune war ihm danach für Tage verdorben.

Gelegentlich einmal verdroß sie seine Pedanterie. So verlangte er von ihr, daß sie sich an geordnete Buchführung gewöhne. Auch behauptete er, es sei unrecht, mehr als die Zinsen seines Kapitals zu verbrauchen. Darin mochte er ja recht haben, nicht aber konnte ihm Thekla beipflichten, wenn er sie einschränken wollte in ihren Ausgaben für wohlthätige Zwecke. Wie oft, wenn sie ihm von Elend und Kummer berichtete, die ein Unglücklicher ihr anvertraut hatte, blieb er nicht bloß völlig ungerührt, nein, er behauptete sogar in spöttischem Tone, sie habe sich wiedermal was aufbinden lassen, ihr Geld sei zum Fenster hinausgeworfen. Thekla war fest davon überzeugt, daß er unrecht habe. So wurde man wohl als Advokat, wenn man soviel Unrecht und Verbrechen tagtäglich aus nächster Nähe zu sehen bekam!

Eine andere von der Tante aus Thekla übergegangene Persönlichkeit war die alte Kathinka. Von der 274 Verstorbenen war ihr eine kleine Leibrente ausgesetzt worden, die Thekla ihr zu zahlen hatte. Sie hätte ja nun die Hände in den Schoß legen und sich pflegen können, aber Kathinka hatte die Ansicht, daß es ohne sie nicht gehe. Die neue Herrin war in ihren Augen ein Kind, das bemuttert werden mußte. Unter Wanda Lüdekinds Regiment hatte Kathinka scharf herangemußt. Nun kam sie doch auch mal an die Reihe im Wirtschaften, wonach sie sich zeitlebens gesehnt hatte. Thekla ließ sie gewähren, denn sie sagte sich, daß Kathinka, die bei Tante Wanda eine gute Schule durchgemacht hatte, es doch wahrscheinlich besser verstehe als sie. Und wenn Thekla ja einmal die Herrin herausstecken wollte, dann war Kathinka sofort mit der Bemerkung zur Hand, daß es bei dem »seligen gnädigen Fräulein« so gewesen sei; ein Grund, vor dem Thekla stets die Segel strich.

Für gewisse gröbere Arbeiten war Kathinka zu alt und auch zu fein. Erst half man sich mit einer Scheuerfrau, die jeden Morgen kam. Aber von dieser Gattung Weibern behauptete die erfahrene Wirtschafterin, sie äßen zu viel und schleppten alles aus dem Hause; man solle doch ein Stubenmädchen engagieren. Thekla fand das eigentlich überflüssig. Wozu brauchte sie als einzelne Dame mehr als einen Dienstboten im Hause? Aber Kathinka wußte es ihr klar zu machen, daß mit den Aufwaschweibern der Staub zunähme und die Vorräte ab. Dann stellte sie ein junges, niedliches Ding vor mit klugen Augen, ihre Nichte. Eigentlich sei das Mädchen zu gut zur Zofe, aber sie wolle für ihren eigenen zukünftigen Haushalt etwas lernen. Hedwigs Bräutigam sei nämlich bei der Post angestellt und ein sehr feiner Mann. Er gestatte nur, daß seine Braut in Stellung gehe, wenn sie mit »Fräulein« angeredet würde, und wenn sie nicht gezwungen sei, eine Haube zu tragen. Thekla gefiel das 275 Gesicht des Mädchens. Die Bedingungen des Bräutigams schienen ihr außerdem so leicht zu erfüllen, daß sie »Fräulein Hedwig« sofort engagierte.

Es zeigte sich sehr bald, daß man einen guten Griff gethan habe. Hedwig war flink, aufmerksam und lernbeflissen. Thekla konnte sich nicht entsinnen, je ein so nettes und sauberes Mädchen im dienenden Stande gesehen zu haben. Sie hatte bisher stets Scheu gehegt, sich bei der Toilette bedienen zu lassen, aber von Hedwig ließ sie sich das Haar gern machen und beim An- und Auskleiden helfen. Sie hatte das Gefühl, daß Hedwig bescheiden sei und diskret, Eigenschaften, die man ihrer Tante nicht gerade nachrühmen konnte. Mit dem »Fräulein« war es nicht so gefährlich. Hedwig bat sehr bald selbst darum, daß man sich diese Titulatur ersparen möge. Der Postgehilfe kam hin und wieder des Abends, um im Hinterzimmer bei seiner Braut zu sitzen. Thekla sah ihn immer nur im Halbdunkel und fand, daß Kathinkas Behauptung: er sei ein »feiner Mann«, nicht unbegründet sei. Er zeigte stets unter seiner Uniform leuchtend weiße Wäsche, trat überhaupt auf, daß man ihn von weitem mit einem Leutnant hätte verwechseln können. Übrigens war der feine Mann immer so herablassend, von Kathinka ein Abendbrot anzunehmen. Reppiner, der ihm gelegentlich begegnete, hielt sich darüber auf und meinte, es gehöre eben eine Gutmütigkeit dazu wie die Theklas, um so etwas zu dulden. Selbst Hedwig schien das zu empfinden. Sie bat einmal förmlich um Entschuldigung, daß ihr Bräutigam so oft komme. Aber Thekla meinte, wenn sie dabei glücklich wären, freue es sie nur. Das warme Abendessen gönnte sie dem jungen Mann gern, denn sie wußte, daß er trotz seiner stattlichen Uniform eben nicht glänzend gestellt sei. Jedenfalls langte es zum Heiraten noch nicht. Inzwischen 276 hatte Hedwig Zeit, da sie durch den Dienst bei Thekla nicht voll in Anspruch genommen wurde, an der Ausstattung zu nähen. Ihre junge Herrin nahm ein Interesse an dem Fortschritte dieses Werkes, als ob es sich um ihre eigene Aussteuer gehandelt hätte.

Was solche Mädchen für eine Passion hatten, unter die Haube zu kommen! War es denn wirklich so ein Glück, wie es sich jede Braut vorzustellen schien? –

In zwei jungen Ehen hatte sie nun dieses Glück aus nächster Nähe vor Augen. Die beiden Paare, die man im Herbst zusammengegeben hatte, waren über die Flitterwochen hinweg. Beide junge Frauen sahen sich übrigens bereits guter Hoffnung.

Sowohl Agnes wie Ella wußten keinen besseren Weg, als zu Theklas Häuschen, um sich hier ihre Sorgen und Nöte – sie hatten deren bereits – vom Herzen herunter zu plaudern. Ihre Klagen ähnelten sich sehr: zuerst natürlich die Köchin, der man hatte kündigen müssen; dann der Dienst, der ihnen die Männer vom Hause fern hielt und sie oft müde und mißgestimmt machte. An der Ausstattung fing man auch bereits an zu entdecken, daß nicht alles Gold ist, was glänzt. Abgesehen aber davon, behaupteten die beiden jungen Frauen immer noch, sich »glücklich« zu fühlen, und daß Arthur und Egon die besten Männer der Welt seien.

Thekla hatte sich früher immer vorgestellt, daß die Ehe einen Menschen von Grund aus verändern müsse. Zu ihrem Staunen sah sie nun, daß diese Frauen eigentlich ganz dieselben geblieben waren, wie sie sie als Mädchen gekannt hatte, nur ein wenig nüchterner beide. Zu denken, wie Ella geschwärmt hatte, und wie sich Agnes angestellt, als Seeheim in's Manöver auszog! Und nun, dieser Alltagston, als ob ihnen die Liebe schon ein 277 abgetragenes Gewand geworden sei. Und das nach halbjährigem Zusammenleben!

Sie sah dann als Gegenstück dazu die Männer. Auch denen merkte man von einer besonderen Weihe durch das ersehnte Glück nichts an. Der Geist der Nüchternheit herrschte in beiden Häusern. Arthur fing an, bedenklich in sein altes Phlegma zurückzufallen, und kümmerte sich, wenn zu Haus, vor allem um Essen, Trinken und Bequemlichkeit. Ella aber, statt ihn aufzurütteln, bestärkte ihn darin, um ihn, wie sie selbst ganz offen gestand, bei Laune zu erhalten.

Etwas anders lag der Fall bei den Seeheims. Er war eben zum Hauptmann befördert worden und hatte eine Kompagnie übernommen. Der Feuereifer des jungen Abteilungsführers beseelte ihn. Agnes behauptete, er sei mit seiner Kompagnie verheiratet und nicht mit ihr. Er war nach wie vor der Mann von guter Erziehung, aber die Berufsarbeit schien doch auch auf seine Nerven zu wirken. Er kam oft abgespannt vom Dienst nach Haus, war dann scharf gegen die Dienstboten und nicht immer mit allem zufrieden, was seine junge Frau anstellte. Dann gab es strafende Blicke von seiner Seite und ein schiefes Mäulchen auf ihrer.

Jedenfalls hatte bei diesen beiden Paaren der Sommer der Ehe nicht das gehalten, was der Frühling des Brautstandes versprochen. Sie waren ja nicht unglücklich, bewahre! Ella wie Agnes würden sich ganz energisch gegen diese Annahme verwahrt haben. Aber das Ideal, das Thekla für die Schwester und die Freundin geträumt hatte, war nicht erreicht. Dieses Ideal gab es wahrscheinlich überhaupt nicht! –

Es war das eine neue Enttäuschung für das junge Mädchen, wenn auch nicht so groß wie die, welche sie an ihrer eigenen Mutter erlebt hatte.

278 Man that jedenfalls gut, sein Herz zu verwahren! Sie wollte auf ihrer Hut sein!

Aber wenn etwa doch der Rechte käme? Ja, dann mußte es eben der Rechte sein; und den gab es wohl nicht für sie! –

* * *

Eines Tages bekam Thekla unerwartet Besuch von Lilly Ziegrist. Sie hatte es zwar in der Zeitung gelesen, daß Lillys Fürstenpaar in der Stadt sei, aber nicht erwartet, daß die Hofdame im Trubel der Festlichkeiten, die gerade jetzt im vollen Gange waren, Zeit finden würde, sich um sie zu kümmern.

Seit ihre alte Gönnerin, die Herzogin-Witwe, vorm Jahre einem Schlaganfall erlegen war, hatte Thekla vollends alle Fühlung mit diesen Kreisen verloren. An dem Hofe des Landesherrn war sie nicht vorgestellt. Früher hatte ja zwischen diesen beiden Hofhaltungen eine Art von Rivalität geherrscht, die nun auch erledigt war. Mit fliegenden Fahnen waren die Anhänger des alten Regimes, an der Spitze die Ziegrists, in das Lager der Jungen übergegangen, wo man sie gnädigst aufgenommen hatte.

Lilly also kam eines Vormittags vorgefahren in einer Hofequipage. Es traf sich gerade, daß Thekla Besuch hatte von Fräulein Zuckmann, die es für richtig hielt, Thekla von Zeit zu Zeit über die Reorganisation ihres Instituts Bericht zu erstatten, da Thekla doch nun mal das Geld dazu vorgeschossen hatte. Heute war sie hier, um Fräulein von Lüdekind, die »gütige Protektorin der Schule«, zum demnächst bevorstehenden Osterexamen-Aktus einzuladen.

279 Lilly, eleganter denn je, schüttelte dem alten Fräulein vertraulich die Hand und überhäufte sie mit jenen honigsüßen Schmeicheleien, die dem echten Hofmenschen so leicht von den Lippen fließen. Die Zuckmann nahm alles das für bare Münze und that dieser liebenswürdigen Dame im Innersten Abbitte, daß sie sie früher für eine ihrer schlechtesten Schülerinnen gehalten hatte. Sie wäre vielleicht aus ihrem Entzücken zu der früheren Ansicht zurückgekehrt, wenn sie die Gassenjungen-Grimasse gesehen hätte, welche Lilly hinter ihr drein schnitt, als sie den Rücken gewandt hatte.

»Und was machst du, reizendes Geschöpf?« damit stürzte sich Lilly auf Thekla. »Du bist reich geworden inzwischen, hast deine alte Tante beerbt! Habe schon alles gehört! Nein, so ein Glückspilz! Wenn mir doch auch mal sowas passieren wollte! Ich weiß, was ich machte! Und du giebst alles den Armen, lebst wie eine Nonne. Ein Herr, ein sehr netter noch dazu, hat mir das nämlich erzählt. – Jetzt bist du neugierig, möchtest wissen, wer? Ja, du hast Verehrer, Thekla, die dich von weitem bewundern – platonisch! Oder hast du auch wirkliche? – Was machst du nur, dich so zu konservieren, Frauenzimmer? Nach meiner Rechnung mußt du jetzt im Dreiundzwanzigsten sein. Es ist wirklich was um das solide Leben! Aber es muß doch höllisch langweilig sein! Sage mir um himmelswillen, was treibst du den ganzen Tag? Denn das mit den Armenbesuchen ist doch hoffentlich nicht dein Lebenszweck. Singst du noch? Liest du viel? Gehst du ins Theater? Alles das ist ja ganz nett, und riesig nett denke ich mir's auch, Koupons abschneiden, so mit der Schere. Aber trotzdem, trotzdem, das genügt nicht! Man ist doch von Fleisch und Blut, man hat noch andere Bedürfnisse! – Nun errötet sie! Gott, was für ein Lämmchen! Gerade noch 280 wie damals, weißt du, wie ich bei euch zu Besuch war? Wir schliefen zusammen. Deine Mutter war Witwe. Ich weiß noch wie wütend du wurdest, als ich dir prophezeite, deine Mutter würde diesen Herrn Sänger heiraten. Nun sind sie längst ein Paar und haben sich wahrscheinlich längst recht gründlich satt. Du kannst dich mir ruhig anvertrauen; ich klatsche nicht. Außerdem gehe ich in ein paar Tagen mit meiner Fürstin über alle Berge; bin also ungefährlich. Hast du Lust zum Heiraten? – Nicht! Na, du kannst's ja an dich herankommen lassen, da du eine Partie bist. Übrigens traue ich dir nicht, Theklachen! Stille Wasser! – – Du hast immer mächtigen Ankratz gehabt, schon als Schulmädel. Und später sollst du Körbe ausgeteilt haben. Und dann und dann – höre mal, da fallen mir großartige Geschichten ein. Weißt du noch die historischen Porträts bei der Herzogin-Witwe und das Theaterspiel! Leo Wernberg, beau Leo, wie ich ihn nannte! Ich habe ihn wiedergesehen hier am Hofe. Er ist ja nun Regierungsrat geworden. Wie, das weißt du nicht? In was für einer Welt lebst du denn, Kind? Dann weißt du vielleicht auch nicht, daß Leo Wernberg bijou ist bei der Landesmutter! Er hält sich ja natürlich seitdem noch für viel begehrenswerter. Übrigens bin ich ganz froh, daß ich ihn damals nicht geheiratet habe. Was hätte ich jetzt davon? Frau von Wernberg! – Offengestanden, ich will höher hinaus. Wenn's mal sein muß, dann wenigstens Gräfin. Und Geld muß er haben, mächtiges Geld. Wernberg hat nichts. Was kaufe ich mir für seine Schönheit! Übrigens bekommt er schon graues Haar, nicht viel, aber doch etwas an den Schläfen. Ich habe ihn geneckt damit. Aber nett ist er doch noch immer, das muß man sagen! Und ich bin jetzt, was Herren anbelangt, verwöhnt. Aber heiraten? Nur mit höchster Vorsicht! Man kann sich 281 auch unverheiratet amüsieren. Dieses Dasein zu zweien muß doch manchmal eine große Gêne sein, besonders bei uns in Deutschland, wo es so sehr au pied de la lettre genommen wird. Ich möchte dich mal sehen an meiner Stelle, Theklachen! Was du wohl für ein Gesicht machen würdest zu manchen Dingen? Meine Fürstin ist eine Frau von ganz großem Stile. Der Fürst sehr liebenswürdig – manchmal fast zu liebenswürdig! Ich halte ihn mir vom Leibe; denn wozu könnte das führen? – Bei ihm ist eben der Flirt Grundsatz. Wir fahren immerwährend in der Welt herum, denn wir sind verwandt mit den Höfen Halb-Europas. Ein Land zu regieren haben wir nicht, wofür der Fürst dem lieben Gott jeden Tag besonders dankt. Aber Geld haben wir, großes Geld von Seiten der Fürstin. Sie ist älter als er und Russin. Er ist römisch, sie griechisch. Wenn wir unter uns sind, sprechen wir natürlich nur französisch, und sehr frei, das kannst du mir glauben! So, nun weißt du das Äußere. Die intimeren Angelegenheiten kann ich dir beim besten Willen nicht erzählen, weil man als Hofdame nicht indiskret sein soll. Das ist aber auch wirklich das Einzige, was man nicht darf. Übrigens würdest du vieles nicht verstehen oder wenigstens nicht richtig auffassen.«

Thekla hatte sich den Vortrag, den Lilly zum besten gab, ruhig mit angehört. Sie erkannte Lilly wieder in jedem Worte. Es belustigte sie im Grunde, zu sehen, wie gleich sich die Jugendfreundin geblieben. Sie war der gamin, der sie immer gewesen, trotz Hofdame. Richtig böse konnte man ihr nicht sein; Lilly war eine von den Personen, denen das Temperament einen Freibrief giebt.

Sie sah sich in der Wohnung um, bewunderte einiges und fand anderes »lächerlich altmodisch«. In einem Atem behauptete sie. Thekla mache schon ganz den 282 Eindruck einer alten Jungfer, und gleich darauf: die Männer müßten dümmer sein, als sie sie kenne, wenn Thekla nicht heirate. Einen ganzen Haufen kleiner Kinder prophezeite sie ihr; das läge so in einem undefinierbaren Zuge um ihre Augen. –

»Lilly, du bist unglaublich!« rief Thekla.

»Das sagen sie hier alle zu mir. Ihr seid unglaublich zurück in den Anschauungen! Ich möchte wirklich bloß mal auf ein paar Wochen herkommen, um die Gesellschaft aufzumischen. Der einzige Mensch, der mit der Zeit fortschreitet hier zu Lande, ist Leo Wernberg. Übrigens, er läßt sich dir empfehlen, Thekla!«

»Wie komme ich zu der Ehre?« fragte Thekla ehrlich erstaunt.

»Wir sprachen gestern abend von den tableaux vivants, wo du die belle chasseresse darstelltest. Und als ich ihm sagte, ich wollte dich besuchen, bat er mich, ihn bei dir in Erinnerung zu bringen. Denkst du noch manchmal an ihn?«

»Laß doch die alten Geschichten, Lilly!« sagte Thekla. Sie hatte das deutliche Gefühl, daß sie sondiert werden solle. Lilly wäre die letzte gewesen, der sie etwas anvertraut hätte von ihren Geheimnissen.

»Also du denkst noch an ihn!«

»Ich habe ja Zeit, an allerhand zu denken. Man wird nachdenklich mit den Jahren, und wundert sich, was man sich früher alles in seiner Unerfahrenheit gewünscht hat.«

»Thue doch nicht so, Thekla! Ich glaube dir das einfach nicht, trotz deines sittsamen Augenniederschlags. Er hat dir damals Eindruck gemacht, willst du das leugnen?«

»Ich habe seitdem ziemlich viel erlebt, Lilly. Dieser ganze Winter am Hofe ist mir wie ein Traum!«

283 »Aber ein netter Traum – was? So was vergißt sich nicht! – Übrigens von wem ist denn der Nelkenstock da mit der rosa Manschette?«

Thekla überlegte einen Augenblick, ob sie Lilly eine Unwahrheit zur Antwort geben solle. Aber dann fand sie es doch nicht der Mühe für wert.

»Von Herrn Reppiner, meinem Rechtsbeistand,« erwiderte sie.

»Em jüdischer Advokat, der Blumenstöcke schenkt! – – Thekla, begehe mir nur um Gotteswillen keine Geschmacklosigkeit! Alles würde ich dir verzeihen – – aber . . . .«

Thekla lachte aus vollem Herzen.

»Diesmal bist du auf falscher Fährte, Lilly! Trotz aller –« Sie wollte eigentlich sagen: »Neugier«, sagte aber: »Klugheit«. – »Mein Freund Reppiner ist eingefleischter Frauenverächter!«

»Das sollen die Schlimmsten sein, wenn einmal bekehrt! Die Sache ist mir jedenfalls verdächtig! Du hattest immer solch unterirdische Neigungen. Ich denke an den kleinen Gabriel Bartusch! Du siehst, mein Gedächtnis ist nicht schlecht. Acht Jahre wird's jetzt bald, daß wir konfirmiert sind. – – Übrigens muß ich nun fort. Noch einen Haufen Visiten zu machen. Leb wohl! Wenn wir uns wiedersehen, ist eine von uns verheiratet, aber ich hoffentlich nicht!« –

Damit umarmte sie Thekla, und eilte zu der Equipage, die auf sie wartete. 284

 


 


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