Wilhelm von Polenz
Liebe ist ewig
Wilhelm von Polenz

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XXVIII

In Xaver Pangors Leben war inzwischen eine bedeutsame Änderung eingetreten. Kurz nachdem er im Herbst die Heimat verlassen hatte, war sein Vater plötzlich gestorben. Der Hansl hatte den Hof übernommen, und eingedenk des Bauern-Grundsatzes, daß zu einem Gute auch eine Frau gehört, war er auf die Brautschau gegangen und hatte auch ein Mädchen gefunden, welches bereit war, seine Bäuerin zu werden. Die Witwe räumte der jungen Frau den Platz, zog zum Xaver in die Stadt, der zu ihrem Leidwesen immer noch nicht heiraten zu wollen schien. Die alte Frau wollte versuchen, für die paar Jahre, die sie im besten Falle noch vor sich hatte, ihm die fehlende Ehehälfte zu ersetzen.

Mit erstaunlichem Anpassungsvermögen fand sich die Alte, die ihr ganzes Leben in einem kleinen Gebirgsdorfe zugebracht hatte, in die städtischen Verhältnisse. Ihrer äußeren Erscheinung nach war sie ganz Bauernfrau geblieben, trug Haube, Brusttuch, Mieder, Schürze, wie daheim. Im übrigen trat sie schon nach wenigen Wochen wie eine auf, die jahrelang Großstadtluft geatmet hat. Nichts schien sie zu verwundern, nichts ihr zu imponieren. Das einzige, was sie zunächst befremdete, war das Ein- und Ausgehen merkwürdiger Frauen und Männer im Atelier ihres Sohnes. Aber selbst das erstaunte sie von dem Augenblicke ab nicht mehr, wo sie begriffen hatte, daß zum Berufe des Künstlers auch Modelle gehören.

Jung, wie diese Greisin war, vermochte sie sich in Dinge hineinzufinden, die von allem, was sie bisher gesehen und erlebt, durch eine tiefe Kluft getrennt waren. Die Liebe zu ihrem Sohne war die Brücke, auf welcher sie sich leicht in die ihr fremde Welt hinüberfand.

Die beiden, Mutter und Sohn, kamen wundervoll miteinander aus. Die Alte hatte damit angefangen, in den vernachlässigten Räumen Ordnung zu stiften. Nur im Atelier durfte sie nicht ganz so frei schalten, wie sie es gern getan hätte; und es dauerte einige Zeit, bis sie sich darein gefunden hatte, Gipsstaub, Haufen von nassem Ton, Abfälle von Stein und Metall, Rückstände von Farbe und Ölen nicht als gewöhnlichen Schmutz anzusehen, dem man mit Besen, Seife und Scheuerbürste rücksichtslos auf den Leib gehen durfte.

Auch in Xavers Tageleben brachte die Mutter einige Veränderung. Sie wußte ihn dahin zu bringen, daß er das Gasthausleben aufgab und regelmäßige Mahlzeiten innehielt. Es war ihre innigste Freude, für ihn kochen zu dürfen, ihn zu beflicken und zu bestricken.

Dabei hütete sie sich, gescheit wie sie war, ihm irgendwie zur Last zu fallen mit Ratschlägen, oder gar mit kleinlicher Nörgelei. Ihr Xaver war Künstler, sie begriff, daß ein solcher anders behandelt sein wolle als gewöhnliche Menschenkinder. Nie störte sie ihn bei der Arbeit, dunkel ahnend, daß die Kunst ein Zustand ist des ganzen Menschen, welcher der Umgebung Schonung zur Aufgabe macht.

Manchmal freilich wurde es der alten Frau sehr schwer, nicht hineinzulaufen in das Atelier, wo Xaver lange Stunden einsam zubrachte. Wie gern hätte sie ihm hin und wieder bei der Arbeit etwas über die Schulter geblickt, ihm diese oder jene Frage vorgelegt, die ihren lebhaften Sinn gerade beschäftigte. Es schien ein wenig hart, mit ihm zusammen zu sein und doch so wenig von ihm zu haben.

Mit der Zeit fand sie ein Auskunftsmittel. Das Atelier ging durch zwei Stockwerke. An der Seite, die dem großen Fenster gegenüber lag, lief oben eine hölzerne Galerie hin, auf welcher der Bildhauer allerhand Modelle, Formen, Abgüsse und Handwerkszeuge, die er gerade nicht brauchte, abstellte.

Von dort aus – das hatte die Alte eines Tages durch Zufall herausgefunden – konnte sie sich an seinem Anblick weiden, ohne ihn im geringsten zu stören. Dort oben stand sie denn in der Folge öfters mal ein Viertelstündchen zwischen ihren häuslichen Arbeiten und blickte auf ihn herab, wie er modellierte, meißelte, bosselte, maß und zeichnete, wohl auch sann und träumte.

Wie fleißig er war! Die Werke von seiner Hand mehrten sich zusehends. Er verdiente ja jetzt auch Geld! Die Menschen fingen an, ihn zu überlaufen, sein Atelier wie eine Sehenswürdigkeit aufzusuchen. Oft genug mußte die Mutter Leute abweisen, die sie nur zu gern eingelassen hätte, denn sie war ja natürlich stolz auf den Buben und seine Leistungen; alle Welt sollte ihn bewundern. Aber er war darin streng. Oft genug bekam sie Vorwürfe zu hören, daß sie mal wieder einen »schrecklichen Banausen« eingelassen habe, der ihn um eine Viertelstunde Zeit gebracht hätte.

Gern würde es die Mutter gesehen haben, wenn Xaver mehr Umgang gepflegt hatte. Er hatte so gut wie gar keinen Verkehr. Des Abends ging er nur aus, um einsame Spaziergänge oder weite Fahrten auf dem Rade zu unternehmen.

Die alte Frau verstand ja nicht viel von den Sitten der Stadtmenschen und der Künstler besonders. Aber sie sagte sich, daß es bei denen wohl auch nicht viel anders sein werde als anderwärts in Welt und Natur; der Mensch brauchte den Menschen, und wenn ein Mann so einsam lebte wie ihr Xaver, so war das nicht gut.

Ob der Kummer, von dem er ihr erzählt hatte, noch immer an seinem Herzen nagte? –

Gewiß war's ja schön, wenn ein Mann in Treue an dem Gedächtnis der Geliebten festhielt; aber einmal muß alle Trauer ein Ende haben, sonst tut man sich Schaden und denen Unrecht, die man beklagt. Denn die Toten sollen keine Macht behalten über die Lebendigen. Die Toten haben das ihre gehabt zu ihren Zeiten, die Lebenden aber haben das Recht zu genießen.

So philosophierte die alte Frau. Sie hatte ein gut Stück Leben mit offenen Augen angesehen und sich dabei das Herz warm und den Kopf kühl bewahrt.

Für ihren Xaver aber hegte sie noch allerhand Hoffnungen. Der war jetzt gerade in dem Alter, wo die Männer am besten werden, wenn überhaupt etwas an ihnen ist. Sein Kopf fing an, am Wirbel einen ganz leichten hellen Schimmer zu zeigen; vielleicht wußte er's selbst nicht mal, daß sein Haar dünner werde. Sie hatte es auch nur bemerkt von ihrer erhöhten Warte aus. Wenn sie auf der Holzgalerie stand, dann sah sie ihren Buben ja ausnahmsweise mal von oben, während sie für gewöhnlich an ihm emporschauen mußte.

*

Es klingelte an der Entreetür des Bildhauers. Die Mutter kam heraus, sie war ziemlich ärgerlich. Kunsthändler hatten vorher geklingelt, die der alten Frau so viel vorgeschwatzt, bis sie sich erweichen ließ, sie vorzulassen. Dafür war sie gescholten worden. Aber jetzt wollte sie festbleiben.

Eine junge Dame stand draußen. Die Mutter wußte, daß Xaver augenblicklich keine Modelle brauchte. Außerdem sagte ihr ein genaueres Hinschauen, daß diese Person wohl kein Modell sei. In ihrer Haltung lag etwas Stolzes und Schlichtes zugleich. Die Alte hatte schon beobachten gelernt und kannte sich einigermaßen aus mit dem Publikum.

»Ist Herr Pangor zuhause?« fragte die Dame.

Der alten Frau entging die Hast nicht, mit der das gefragt wurde. Dabei schien der Ausdruck des blassen Gesichtes sagen zu sollen: »Es ist mir im Grunde gleichgültig, ob er da ist oder nicht!«

Die verstellt sich! dachte die alte Frau und antwortete: »Zuhause wär' er schon, aber i glaub' nit, daß er annehme tut.«

»Könnte ich nicht ein paar Worte mit ihm sprechen?« fragte Jutta. – Die Mutter sah sie die Farbe wechseln. Die Sache wurde ihr immer verdächtiger.

»Er is beim Arbeiten. Da will er niemand sehen; außer wann's ganz was Pressants wär'. Was wollen 's denn vom Herrn Pangor?«

»Ich – ich habe mit ihm zu sprechen!« – Wieder die stolze Miene. Der Kopf wurde zurückgeworfen.

»Se wern halt unverrichter Dinge gehen müssen, Fräulein! Mein Sohn is nit für a jeds zu sprechen.«

»Sie sind die Mutter?« rief mit plötzlichem Verstehen Jutta und trat leuchtenden Auges auf die Alte zu. »Von Ihnen hat er mir soviel Liebes erzählt.« Sie griff nach der Hand der Alten.

»Ja, du mei! Wer sein denn Sie?«

Jetzt öffnete sich die Tür des Ateliers. Xavers Silhouette erschien in der lichten Öffnung.

»Hier is wer!« rief die Mutter. Ihr war angst, daß sie wieder gescholten werden möchte. »I hab' ihr schon gesagt, du wärst nit zu Haus. Aber se hat's ka Einsehn nit!«

Xaver tat einen Schritt vorwärts mit weitgeöffneten Augen. »Jutta!« rief er. Sie sagte kein Wort, streckte ihm nur beide Hände entgegen.

»Ich hörte Ihre Stimme, glaubte, es müsse ein Traum sein. – Sind Sie's denn wirklich?« rief Xaver.

Er behielt des Mädchens Hand in der seinen, führte sie in das Atelier, machte die Tür hinter sich zu, ließ die Mutter im dunklen Gange, ohne Erklärung.

Die Alte stand verdutzt. Was gingen hier für Dinge vor? – Wie hatte er sie doch gleich genannt? »Jutta!« Ja, so war's gewesen. Niemals hatte er ihr gegenüber den Namen erwähnt. Kopfschüttelnd zog sie sich in ihr Stübchen zurück.

Unwillkürlich lauschte die Mutter, ob der Besuch das Atelier bald wieder verlasse. Aber keine Tür ging, kein Schritt erklang. Ruhe herrschte in der ganzen Behausung.

Die alte Frau war in Unruhe. Wunderliche Gedanken stiegen in ihr auf. Sie wußte nicht mehr: sollte sie sich freuen oder sollte sie sich ängstigen. Irgendetwas Großes, Wichtiges ging heute vor. Sie hatte es gleich gewußt frühmorgens. Denn sie war in der letzten Nacht von einem bedeutsamen Traume heimgesucht worden. Es war das kein gewöhnlicher Traum gewesen, mehr ein angstvolles Wiedererleben von etwas, das sich wirklich ereignet hatte. Und wenn einem das passierte, daß man bereits Erlebtes im Traume noch mal durchmachte, das hatte immer was zu bedeuten, was Gutes oder was Arges.

Ihr Traum bestand in folgendem: Es war zu der Zeit, da Xaver noch nicht geboren war. Sie hatte hintereinander drei Mädchen gehabt; jetzt war sie wieder guter Hoffnung. Sie wünschte sich einen Sohn. Vielleicht, wenn sie der Mutter Gottes ein Geschenk darbrachte, würde die sich herbeilassen, ihr einen Buben zu bescheren. Oder ob man sich mit der Bitte an den Schutzpatron des heimischen Kirchleins wendete? – Oder auch an den heiligen Mann, an dessen Tage sie geboren war und nach dem sie benamst war? – Aber schließlich hatte sie doch am meisten Zutrauen zur heiligen Jungfrau, die war ja auch Mutter gewesen und verstand wahrscheinlich mehr von diesen Dingen als die heiligsten Männer. Die Frage war nur: was man darbringen solle? Denn die Gabe mußte doch Beziehung haben zum Erbetenen; sonst verstand die Fürbitterin sie am Ende gar nicht mal.

Sie ging in der Stadt zu einem Händler, bei dem man Weihgeschenke kaufte. Dort suchte sie unter den vorgelegten Gegenständen lange. Arme, Beine, Augen, Herzen aus Wachs paßten doch nicht für ihren Fall. Sie wollte ja nicht Heilung erflehen von irgendeinem Gebrechen, etwas viel Größeres wollte sie: einen Sohn. Aber wie das ausdrücken? Fragen konnte man auch niemanden, nicht mal den Herrn Pfarrer. Sie schämte sich nämlich ihrer Absichten.

Schließlich fiel ihr ein, daß ihr eigener Bruder, der Schreiner, wenn's verlangt wurde, auch Heiligenbilder schnitzte. Bei dem bestellte sie sich eine Geburt Jesu mit allem, was dazu gehört: Maria und Joseph, der Gottessohn, Engel, Hirten, Ochs und Esel, Krippe, auch die Windeln durften nicht fehlen. Nachdem der Bruder das Bild kunstvoll geschnitzt hatte, wurde es von einem Malkundigen des Dorfes bunt angestrichen.

Nun ängstigte sie ihr Traum mit der Sorge: ob das Weihgeschenk fertig werden würde. Die Farben wollten nicht trocknen, und es war doch die höchste Zeit. Schon meldete sich das Kindlein ganz energisch. Wenn das Bild nicht rechtzeitig an seinen Platz kam, würde es wieder ein Mädchen werden; denn woher sollte die heilige Jungfrau denn wissen, daß ein Knabe von ihr erbeten würde! Schrecklich war die Angst! Sie sah die ganze schöne Schnitzerei vor sich: die liebliche Gestalt Maria, wie sie das Neugeborene beglückt anlächelte, die knienden Hirten, den erstaunten Joseph, das Vieh, alles, alles so naturgetreu gemalt, daß man es für lebendig hätte halten mögen. Aber die Farben, die Farben, die nicht trocknen wollten! Und wenn man bedachte, was davon abhing: Ihr Glück, das Schicksal ihres Xaver, ob sie überhaupt einen Sohn haben werde! –

In diesem schrecklichen Moment war sie aufgewacht, an allen Gliedern zitternd. Gott sei Dank, es war ja nur ein Traum gewesen. Die Mutter Gottes hatte sie erhört; ihr Sohn lebte, war längst ein erwachsener Mann. Und zum Dank für das schöne Votivbild hatte die Himmelskönigin ihm ein besonderes Patengeschenk in die Wiege gelegt. Für die Mutter war es nämlich niemals zweifelhaft gewesen, woher Xavers Begabung stamme, wodurch er so ein großer berühmter Künstler geworden sei; das hing ganz natürlich zusammen mit den absonderlichen Umständen seiner Entstehung.

Die alte Frau holte ihren alten, abgegriffenen Rosenkranz hervor und betete, auf der Gewandtruhe sitzend, abwechselnd ein Vaterunser und ein Ave-Maria. Darüber wurde sie ruhiger. Nachdem sie alle Perlen abgebetet hatte, schloß sie den Rosenkranz wieder ein und ging in die Küche, denn das Essen wollte versorgt sein.

Ob sie es wagen sollte, mal hineinzugehen? Ihn fragen, was er heute essen wolle? Nur zu gern hätte sie's getan! Blind würde man schon nicht gleich werden. Aber stören wollte sie auch nicht. Wer weiß, man verdarb vielleicht was Gutes, etwas, das sie sich im geheimen so innig wünschte.

Wenn man nur ein Mäuschen hätte sein können, um da zuzugucken! Oder auch ein Schwälbchen auf dem Dachbalken! –

Endlich konnte sie der Versuchung nicht länger widerstehen. Sie schlich die Stiege hinauf, die zu der hölzernen Galerie führte, ihrem heimlichen Lugaus. Vorsichtig öffnete sie die kleine Tür und blickte hinab.

Da unten saßen sie. Das Mädchen auf dem Diwan, Xaver auf einem Hocker ihr gegenüber. Er hielt den gesenkten Kopf in der Hand aufgestützt. Sie hatte den Hut abgelegt; scharf hob sich ihr Profil gegen die Scheibe ab. Die Mutter konnte sie genau betrachten.

Also das war sie, die er »Jutta« genannt und die ihm beide Hände entgegengestreckt hatte. Sauber war sie, das mußte man sagen! Es lag etwas Besonderes in ihrer Erscheinung. Für sie, die Mutter, war dieses Fräulein mit dem wohlgepflegten Haar, der zarten weißen Haut, den schmalen Händen, wohl eigentlich zu fein! Aber wahrscheinlich gefiel sie darum gerade dem Xaver. Der hatte von Jugend auf stets das Rare bevorzugt. Und schließlich auf Xaver kam's hier doch an! –

Wie weit sie wohl sein mochten miteinander, die beiden! Sonderbar, sie schwiegen beharrlich! Xaver starrte den Boden an, das Mädchen aber saß regungslos und blickte in die Ferne, als studiere sie den Zug der Wolken. Närrisch! So hatte sie junge Menschen verschiedenen Geschlechts noch nie einander gegenüber sitzen sehen.

Jetzt sagte er etwas, mit einer Stimme, wie sie die Mutter gar nicht an ihrem Sohne kannte. Und das Mädchen erwiderte halblaut ein paar Worte. Dann erhob sich Xaver, ging mit verschränkten Armen im Atelier umher.

Die alte Frau besorgte, daß er zufällig einen Blick nach oben werfen könne; dann wäre sie entdeckt gewesen. Vorsichtig zog sie sich zurück. Außerdem wollte sie auch das Essen nicht einkochen lassen.

Als die Mutter eine halbe Stunde später noch einmal die Stiege hinaufging und einen neugierigen Blick hinunter wagte, zeigte sich ihr ein ganz anderes Bild.

Xaver und Jutta dicht aneinander geschmiegt. Sie hatte das Haupt zurückgelehnt in seinen Arm, die Augen waren geschlossen. Er strich ihr mit der Hand über Stirn und Haar. Sie sprachen auch jetzt noch nicht viel da unten. Einmal wurde ein tiefer Seufzer gehört; gleich darauf sank des Mädchens Haupt an seine Brust.

Auf einmal war es wie Rosenduft in der Luft; als erklängen die Glocken von selbst und Engel sängen dazu. Die Greisin faltete die Hände. In die Knie sinken, anbeten! –

Da unten, das war das Wunder der Wunder! Daß sie das noch sehen durfte! Voll Ehrfurcht stand sie, in ihrem einfachen Sinne ergriffen, vor dem größten aller Mysterien. Ihre alten Augen schwammen in Tränen. Die Knie zitterten. Sie griff sich an der Wand hin die Stiege hinab.

In ihrem Zimmerchen setzte sie sich wieder auf die Gewandtruhe, den Kopf in den Händen. Sie konnte nur noch eines denken: ihr Sohn hatte einen Schatz! Und sie, sie war jung, war wieder eine junge Dirn geworden.

Xaver und Jutta standen ein paar Stunden darauf an Lieschens Grabe. Hier war die Stätte, wo sie sich den Segen zu holen hatten, der mehr war als Priesters Segen. Sie sprachen kein Wort, aber jedes fühlte des anderen Gedanken.

Die hier unter dem efeuumsponnenen Hügel war nicht tot. Wie konnte ein guter Mensch überhaupt tot sein?! –

Der Stein am Kopfende des Grabes war lebendig geworden. Die Gestalt atmete, lächelte. Nicht wie eine war sie, die dem Grabe zuschreitet, sondern wie eine, die aufersteht, dem Geliebten und seiner Braut entgegengeht und zu ihnen spricht: Wir Menschenkinder sind vergänglich, die Liebe allein ist ewig. Darum liebet euch! Liebt euch tief und stark! Dann kann ich bei euch bleiben. In der Liebe haben wir das ewige Leben.

 


 


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