Wilhelm von Polenz
Liebe ist ewig
Wilhelm von Polenz

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IX

In der nächsten Zeit sollte Jutta nicht viel zum Arbeiten kommen. Den größten Teil des Sommers brachte sie mit dem Vater und Kurt auf Reisen zu. Da es mit Kurt Reimers sichtlich bergab ging, hatte der Arzt die Verantwortung von sich auf das verkehrte Leben geschoben, das der Patient zu Hause führe. Unbedingte Ruhe, nervenstärkende Luft, Bäder würden ihn herstellen, hieß es. Herr Reimers, der für seinen Ältesten nichts unversucht lassen wollte, ging also mit ihm an die See, in die Alpen, ins Solbad. Und Jutta, die man doch nicht gut allein das Haus hüten lassen konnte, mußte die Fahrt mitmachen.

Es war eine wenig erquickliche Zeit. Der Kranke tyrannisierte den Vater und benahm sich gegen die Schwester durchaus nicht zuvorkommend. Sie sollte beständig um ihn sein, ihn unterhalten, und doch machte er durch sein launisches, mißvergnügtes Wesen jede Unterhaltung von vornherein unmöglich.

Die schöne Landschaft, in der man sich aufhielt, die Berge, das Meer, forderten heraus, zum Skizzenbuch zu greifen und Aufnahmen zu machen. Aber Kurt gestattete nicht, daß Jutta male: es verdroß ihn, er langweilte sich dabei. Und so mußte es unterbleiben. An irgendwelchen Vergnügungen, an Geselligkeit und Sport durfte die Schwester auch nicht teilnehmen, obgleich es dazu in den Bädern und vor allem an der Seeküste die schönste Gelegenheit gegeben hätte. Kurt hielt mit dem eigensinnigen Egoismus des Kranken darauf, daß sie sich ihm ausschließlich widme: lehnte sich aber Jutta ja einmal gegen diese unvernünftige Tyrannei auf, dann steckte er sich hinter sein Leiden, behauptete, man sei herzlos und grausam, und der Ärger über die Schwester werde noch der Nagel werden zu seinem Sarge. Da Kurt den Vater von vornherein auf seiner Seite hatte, so konnte Jutta nichts ausrichten, mußte sich seufzend in ihr Schicksal finden, Sklavin des kranken Bruders zu sein.

Der Erfolg der Reise war, daß Kurt im Herbst siecher nach Haus zurückkehrte, als er im Frühjahr ausgezogen war. Nun hieß es: nur noch südliches Klima könne ihn retten. Herr Reimers, der seine Geschäfte daheim nicht gänzlich vernachlässigen konnte, mußte sich wohl oder übel zu einer Trennung von seinem Ältesten entschließen. Es wurde ein Krankenpfleger angenommen und Kurt mit diesem nach Algier geschickt.

Jutta suchte jetzt nachzuholen, was sie den Sommer über versäumt hatte. Sie besuchte von neuem Professor Wälzers Malklasse. Dort gehörte sie jetzt unbedingt zu den tonangebenden Schülerinnen, wurde auch von den anderen Damen als die begabteste anerkannt.

Von Lieschen Blümer hatte sie mehr als einen Brief aus Paris erhalten. Es war Lieschens aufopfernder Fürsorge gelungen, ihren dort zum Tode erkrankten Freund gesundzupflegen. Vorläufig, so schrieb sie an Jutta, wolle sie noch bei ihm in Paris bleiben, weil Xaver solch ein »großes Kind« sei, das man ungefährdet in der Fremde nicht allein lassen könne. Lieschens Brief war der Abdruck ihrer Persönlichkeit: lieb, herzlich, ein wenig melancholisch, Regen und Sonnenschein in einem.

Einen Verlust hatte für Jutta der Sommer gebracht, den sie schwer empfand: Mucki war verschwunden. Sie hatte, als sie auf Reisen ging, die Katze Frau Hölzl zur Pflege übergeben. Aber das Tier, Sonderling, der es immer gewesen, hatte die Abreise der Herrin offenbar als persönliche Beleidigung aufgefaßt. Mißmutig und scheu war sie eine Zeitlang noch im Hause umhergeschlichen, Liebkosungen von fremder Hand verächtlich abwehrend: bis sie eines Tages ganz wegblieb. Welches Ende Mucki genommen habe, sollte niemals aufgeklärt werden.

Damit war für Jutta der letzte Zeuge von der Bildfläche verschwunden aus einer Zeit, die sich nun schon mit dem Nebel des halben Vergessens zu verschleiern begann.

Herr von Weischach! Ihr alter Freund! Würde sie jemals wieder einem Manne begegnen, der es so treu mit ihr meinte? –

Einer war da, der nur zu gern die Rolle des Freundes bei Jutta Reimers übernommen hätte: ihr Vetter Luitpold Habelmayer.

Seiner Fürsprache bei Herrn Reimers verdankte es Jutta ja, daß ihr der Besuch der Malklasse gestattet worden war. Der Vetter stellte das freilich so dar, als habe er Jutta überhaupt entdeckt. Er gefiel sich darin, das Talent der kleinen Cousine auch weiterhin zu protegieren.

Jutta fand, daß Vetter Luitpold sich auf den Dienst, den er ihr einstmals geleistet hatte, reichlich viel zugute tue. Sie war überhaupt neuerdings nicht mehr so sehr von ihm eingenommen, sah seine Liebenswürdigkeit in verändertem Lichte.

Einen Nutzen hatte der vergangene Sommer mit seinem scheinbar zwecklosen Hin- und Herreisen doch für das junge Mädchen gehabt: sie hatte ein Stück Welt gesehen und dabei unbewußt Erfahrung und Menschenkenntnis bereichert. Nicht ganz so harmlos, wie sie gegangen, war sie aus den eleganten Badeorten, in denen sie sich mit Vater und Bruder aufgehalten hatte, nach Hause zurückgekehrt.

Sie ahnte jetzt etwas davon, in welch verschiedenen Verkleidungen männliche Zudringlichkeit auftritt. Daß sie schön sei, hatte sie früher schon gewußt: das lehrte sie ein Blick in den Spiegel. Aber neuerdings wußte sie auch, daß sie begehrenswert sei. Durch die Blicke fremder Männer, mit denen sie nie ein Wort gewechselt hatte, war ihr dieses Geheimnis verraten worden.

Luitpolds Verhalten gegen sie erschien ihr nicht mehr wie früher als harmlos verwandtschaftliche Vertraulichkeit. Vielleicht hatte der Vetter auch erst in letzter Zeit ein anderes Benehmen angenommen. Kurz, Jutta traute seiner Biedermannsmiene nicht recht.

War es wirklich nur Interesse für die Kunst, was ihn veranlaßte, sie so oft aufzusuchen und sich nach ihren Malfortschritten zu erkundigen? – Wozu bedurfte es der schmachtenden Blicke, der besonderen Betonung mancher Worte, der sentimentalen Seufzer in ihrer Gegenwart?

Jeden anderen Mann, der sich dergleichen Freiheiten herausgenommen hätte, wäre man leichter losgeworden als ihn, den die Stellung des Blutsverwandten schützte. Was wollte man machen gegen einen Menschen, der jederzeit freien Zutritt zum Hause hatte? Der sie »du« nennen, ihr die Hand drücken, sie an tausend kleine Vertraulichkeiten erinnern durfte, die er sich früher als großer Vetter gegen die kleine Cousine hatte herausnehmen können? Er nutzte seine Stellung mit der harmlosesten Miene der Welt aus. Was wollte man machen? Gegen Andeutungen, daß er lästig falle, schützte ihn seine Dickfelligkeit.

Wem hätte Jutta etwas sagen können und wollen von diesen Dingen? Ihrem Vater etwa? Er würde ihr einfach die Anklage nicht geglaubt haben, selbst wenn sie sie über die Lippen gebracht hätte. Und Luitpold nahm sich in acht in Gegenwart dritter. Erstaunlich war, wie er sich in der Hand hatte! Während er vielleicht eben mit seinen dunklen Augen dem Mädchen einen heißen, nicht mißzuverstehenden Blick zugesandt hatte, sprach er gleich darauf im gleichgültigsten Plaudertone mit Herrn Reimers von Pferderennen oder Börsenkursen.

Noch schlimmer war die Komödie, die er seiner Frau vorspielte. Frau Elwire war durch Kränklichkeit jahraus, jahrein ans Zimmer gefesselt, konnte ihm nicht folgen auf seine Fahrten. Sie wußte, daß sein Leben nicht rein sei. Ihre Augen lagen beständig auf der Lauer, sie spannte darauf, daß er sich einmal verraten solle.

Jutta liebte die Cousine nicht: Elwirens grilliges Wesen, ihre Nörgelsucht waren ihr immer zuwider gewesen. Aber neuerdings tat die Arme ihr leid. Das Mädchen begann nun doch die Tragik dieser um Geldes willen geheirateten Frau zu verstehen, die ihren Mann liebte und sich von ihm hintergangen fühlte.

Jutta vermied es fortan, dieses Haus aufzusuchen. Dort kam ihr jetzt alles so trostlos vor, so unfein und ordinär, trotz der geschmackvollen, stilgerechten Einrichtung, mit der Luitpold Habelmayer sich umgeben hatte.

Widerwärtige Lage! Dieser Mensch mit seiner schwülen Sinnlichkeit, von der sie sich umlauert, betastet fühlte wie von unsichtbaren Händen! Das Schlimmste war, ganz gleichgültig konnte man doch nicht bleiben; man war schließlich von Fleisch und Blut!

Wenn sie früh beim Erwachen an das dachte, was sie des Nachts geträumt hatte, dann erschrak sie. Woher kamen einem solche Bilder, die man im Wachen niemals gesehen hatte? Konnte eines anderen Menschen Verlangen, das man verabscheute, einen zu Fall bringen? – Wessen hatte sie sich denn schuldig gemacht vor ihrer Seele? –

War sie kokett gewesen? Vielleicht war sie ihm zu weit entgegengekommen, hatte ihm scheinbares Recht gegeben zu den Freiheiten, die er sich jetzt herausnahm.

Er war eitel, hielt sich für verführerisch. Sie nannten ihn ja den »schönen Habelmayer«. Wer konnte denn wissen, was sich solch ein Mann einbildete!

Ihr Benehmen gegen Luitpold war nicht konsequent. Manchmal behandelte sie ihn mit einer Schroffheit, die keinen Sinn hatte und ihm einen Schein des Rechtes gab, wenn er über ungerechte Härte klagte. Dann wieder zeigte sie sich ängstlich, befangen, unsicher und verschaffte ihm dadurch einen billigen Triumph. Sie fand nicht den Ton ruhiger Überlegenheit, die seiner Zudringlichkeit gegenüber allein als sicheres Bollwerk hätte dienen können.

Dieser stille Kampf, den sie mit einem zähen, abgefeimten Gegner zu führen hatte, bedeutete eine stete, peinvolle Nervenaufregung für das junge Mädchen.

*

Herr Reimers fand, daß es für seine Tochter nunmehr Zeit sei, in Gesellschaft zu gehen. Sie hatte ja bereits im Kreise ihrer Verwandten verkehrt, aber die spießbürgerlich beschränkte Enge der Familie war nicht das, was sich dieser Vater für seine Tochter wünschte. Jutta hatte das Zeug dazu, in der großen Welt Aufsehen zu erregen.

Reimers fing nachgerade an, sich auf dieses Kind etwas einzubilden. Es kitzelte seine Eitelkeit, wenn die Freunde am Stammtisch oder im Klub ihm ihre Bewunderung zu erkennen gaben über Juttas Erscheinung. Er rechnete sich ihre Schönheit gewissermaßen als persönliches Verdienst an.

Er ließ sich neuerdings gern mit Jutta im Theater, in Ausstellungen, im Konzert, kurz, an all den Orten blicken, wo elegantes Publikum verkehrte. Und als der Winter gekommen war und die Faschingsfreude begonnen, zog er in ernsthafte Erwägung, welche Feste man besuchen solle.

Durch die Maler, welche in seinem Klub verkehrten, stand er mit der Künstlerwelt in Verbindung. Dort sprach man jetzt lebhaft von einem großen Kostümball, der die Saison eröffnen sollte. Als Grundgedanken des Festes, als das zu behandelnde Thema, hatte man diesmal »Renaissance« gewählt.

Dieser Ball, der einen auserlesen großartigen Charakter zu tragen bestimmt war, erschien Reimers als die passendste Gelegenheit, seine Tochter in Gesellschaft zu führen.

Die erste Frage war natürlich die nach dem Kostüm. Reimers wollte dem Mädchen vom Theaterschneider ein pompöses Kleid anfertigen lassen: aber Jutta hatte darüber ihre eigenen Gedanken.

Wäre es nicht viel reizvoller, selbst etwas zu komponieren, als in einer von fremden Köpfen erdachten Tracht aufzutreten? Wozu hatte man denn bei Professor Wälzer Kostümstudien getrieben? Zudem wußte man doch selbst am besten, was einem stand.

Der Vater verhielt sich etwas skeptisch dieser Idee gegenüber. Seine kleine Tochter kannte ja den Karneval noch gar nicht, welche Pracht zur Schau getragen, welches Raffinement da aufgeboten wurde.

Als sich ihm Jutta aber einige Tage vor dem Feste in ihrem Kostüm zeigte, zu dem sie die Stoffe selbst ausgewählt und dann mit der Schneiderin zusammengenäht hatte, sah er ein, daß er ihren Geschmack unterschätzt hatte.

Jutta präsentierte sich in einem Gewande von mattschillernd silbergrauem, schwerem Atlas. Der Hals war frei, die Büste durch zarte Cremespitze verhüllt, die gepufften Ärmel halblang, ebenfalls in Spitzen endend. Ein prächtiger, goldstrotzender Gürtel schloß das steife Mieder nach unten ab.

»Zu sehr junge Frau, kaum noch Mädchen!«, das war das einzige, was der Vater auszusetzen hatte: im übrigen fand er das Kostüm »großartig«. In der Freude darüber ging Reimers sofort zum Juwelier und kaufte dem schönen Töchterchen einen Perlenschmuck, den sie bei dem Feste einweihen sollte.

Reimers wollte nicht Kostüm anlegen. Er behauptete, dazu sei er zu alt. In Wahrheit war es ihm unbequem. Durch einen entsprechenden Geldbetrag konnte man sich ja vom Kostümzwang loskaufen. Er übergab seine Tochter einem seiner Malerfreunde, der mit seiner würdigen Erscheinung sehr gut als Beschützer ihrer Jugend gelten konnte. Er selbst wollte sich im Frack unter die Zuschauer mischen, wobei er besser auf seine Rechnung zu kommen glaubte.

Jutta ängstigte sich nicht, wie es manche andere Debütantin getan haben würde. Sie war ihres Erfolges sicher. Wenn sie trotzdem eine gewisse Aufregung empfand, so war das mehr Spannung, Neugier auf das, was sie sehen und erleben würde. Ihre Erwartungen gingen hoch. Jetzt sollte sie endlich erfahren, was leben hieß: bisher hatte sie davon nur gehört und gelesen.

Der einleitende feierliche Umzug war vorüber, den sie am Arme des ihr vom Vater zuerteilten Beschützers mitgemacht hatte.

Ein Mitglied des königlichen Hauses war anwesend, vor ihm defilierte man, eine kurze Ansprache und Huldigung der Kostümierten hatte stattgefunden. Nach diesem offiziellen Teile sollte der eigentliche Mummenschanz beginnen.

Die Gesellschaft fing an, sich in den reichgeschmückten Räumen zu verteilen. In einem der Säle wurde Platz geschafft zum Tanz, in den Nebenräumen waren für die, welche sich daran nicht zu beteiligen gedachten, Tische aufgestellt und lauschige Winkel eingerichtet zu größeren Gelagen und intimerem Beisammensein, je nach Hang und Bedürfnis.

Juttas Begleiter hatte sich verabschiedet, da er mit der Ordnung des Festes zu tun habe. Sie war nicht ungehalten darüber. An einen der mächtigen, mit Girlanden umwundenen Pfeiler des Saales gelehnt, bewunderte sie das herrliche, farbenreiche Bild: die Zuschauerlogen gegenüber, in denen mit den schwarzen Fracks der Herren die glänzenden Gesellschaftstoiletten der Damen abwechselten. Und um sie her im Saale das Drängen und Fluten der buntscheckigen Menge. Phantastische Kostüme von auserlesenen Stoffen, Farbenzusammenstellungen der bizarrsten und der dezentesten Art. Erscheinungen, die zum Lachen reizten, daneben würdevolle Physiognomien; Burleske und Grandezza bunt durcheinander.

Das Mädchen war ganz in Schauen versunken, sättigte sich am Anblicke dieses Bildes voll Geschmack, Eigenart und Stil.

Da löste sich von der Menge, die sie an sich vorüberfluten ließ, ein Mann in prächtigem karmoisinroten Samtkleide. Im ersten Augenblicke erkannte sie ihren Vetter Luitpold gar nicht. Keine Ahnung hatte sie davon, daß auch er hier wäre.

Er trug das Gewand eines italienischen Großen, kopiert nach einem bekannten Porträt in der alten Pinakothek. Auch Haar und Bart hatte er sich nach diesem Vorbilde zurechtstutzen lassen.

»Unsere Farben passen zusammen, sieh mal!« rief er und hielt seinen Ärmel an ihre Taille. »Warum hast du denn so geheimnisvoll getan mit deinem Kostüm, schöne Cousine? Ich hab's ja doch herausbekommen! Wohlan, hier bin ich! Dein Vetter, dein Ritter, oder dein Sklave, je nachdem du befehlen wirst!«

Jutta wußte, daß es auf einem Karnevalfeste freier hergeht als sonstwo, und daß man da fünf gerade sein lassen muß. Sie war mit der Absicht hergekommen, sich zu unterhalten. Zudem lag es nicht in ihrer Natur, sich leicht zu entrüsten.

Aber daß es gerade Luitpold sein mußte, der sie den Faschingston lehren sollte! –

Er wich nicht von ihrer Seite, schien ihr Kavalier bleiben zu wollen für den ganzen Abend. Als das Tanzen begann, führte er sie in den Saal und begann mit ihr zu walzen. Übrigens verstand er sich darauf. Es war ja nicht das erstemal, daß sie miteinander tanzten: Luitpold hatte als älterer Vetter ein wenig den Tanzmeister bei seiner Cousine gespielt, als sie noch halblange Kleider trug und man sie ungestraft in die Wange kneifen durfte. Er erinnerte sie heute auch daran, füllte überhaupt ihr Ohr mit allerhand Schabernack und Schmeicheleien. Wenn er sagte: »Wir sind das schönste Paar im Saale!«, so konnte er damit wohl recht haben. Sein Kostüm war eines der reichsten und originellsten und paßte vortrefflich zu seiner stattlichen Erscheinung.

Jutta fühlte sich heute in der Laune, sich mit Luitpold auszusöhnen. Er verstand es, einem die Zeit zu vertreiben, und es tanzte sich herrlich mit ihm. Was wollte man mehr bei einer Gelegenheit wie dieser! Prüderie konnte gar nicht aufkommen, hier, wo alles ein Rausch war von Farbe, Glanz, Freude und Schönheit. Sie ging also auf den übermütigen Ton ein, den er anschlug.

»Wollen mal sehen, wer von uns beiden zuerst müde wird!« rief er und riß sie von neuem zum Tanze mit fort. Aber nach einigen Runden schon machte er halt und erklärte sich für besiegt. »Das Tanzen hat eigentlich keinen Sinn, noch dazu im Kostüm. Viel schöner wäre es, sitzen und dich anblicken dürfen, Jutta! Weißt du, daß du berauschend schön bist?« –

Unter solchen Reden führte er das Mädchen in eine Nische, wo zwischen Lorbeergebüsch ein Tisch für zwei gedeckt war.

Man aß ein paar Bissen, dazu wurde Champagner getrunken. Von der Freiheit, seine Dame anzustarren, machte Luitpold Habelmayer reichlich Gebrauch. Dabei schwatzte er allerhand verliebten Unsinn. Jutta tat, als verstände sie ihn nicht recht; sie spielte die Rolle der Naiven gar nicht schlecht.

Bis Luitpold anfing, sentimental zu werden. Sie fand, daß ihm das sehr schlecht stehe: so aus der Rolle hätte er nicht fallen sollen! Und mit einem Male begann er von seiner Frau zu reden, gestand, er sei unglücklich verheiratet.

Da wurde es Jutta zuviel. Sie erhob sich jählings und erklärte, daß sie zu ihrem Vater wolle.

Luitpold beschwor sie, zu bleiben: kein Wort weiter wolle er sagen hiervon, wenn es ihr unangenehm sei. Aber Jutta blieb fest bei ihrem Entschlusse.

Nach einigem Suchen fand man Herrn Reimers. Auch er hatte eine jener lauschigen Nischen aufgesucht, und, wie es sich herausstellte, war er nicht allein. Eine niedliche junge Dame im Gewand einer Florentiner Patriziertochter, für gewöhnlich Soubrette am Theater – wie Luitpold der Cousine zuraunte – saß neben ihm. Das Paar war so in seine Unterhaltung vertieft, daß Jutta erst den Vater am Arme berühren mußte, um ihn zum Aufschauen zu bewegen.

Reimers war nicht gerade angenehm berührt durch Juttas unerwartetes Auftreten. »Ich dachte, ihr tanztet!« sagte er und warf dem Neffen einen Blick zu, als wollte er sagen: »Das hättest du mir auch ersparen können!«

Luitpold zuckte die Achseln und lächelte schadenfroh. Jutta stand ziemlich ratlos, denn sie merkte nun auch, daß sie dem Vater ungelegen komme.

In diesem Augenblicke erschien eine neue Person auf der Bildfläche: Bruno Knorrig. Ohne zu ahnen, was sich hier abspiele, kam er auf Jutta und Herrn Reimers zu und begrüßte sie lebhaft als die ersten Bekannten, die er heut abend treffe.

Bruno war erst seit kurzem wieder in München, nachdem er ziemlich drei Jahre in Südamerika zugebracht hatte.

Sein Kostüm, das der Kenner sofort für ein aus einem Maskenverleihinstitut stammendes erkannte, stand ihm ausnehmend schlecht zu Gesicht. Das viel zu weite Trikot verriet die Magerkeit seiner Gliedmaßen in bedenklicher Weise. Auf seinem rötlichen Haarschopf wiegte sich verwegen ein blaßbläuliches Samtbarett mit einer verschossenen Straußenfeder.

Jutta entging die Komik seiner Erscheinung nicht: trotzdem erschien ihr Bruno in diesem Augenblicke wie ein rettender Engel. Sie erwiderte seine Begrüßung auf das herzlichste, gab deutlich ihre Freude zu erkennen, ihn hier zu sehen.

Bruno Knorrig wußte gar nicht, wie ihm geschah. Er hatte kurz nach seiner Rückkehr aus der Fremde im Hause seines Chefs Besuch gemacht und dabei auch Jutta wiedergesehen. Er war von ihr mit einer Kälte aufgenommen worden, die ihn tief geschmerzt hatte; war er doch Eberhards intimster Freund, und hatte er doch ehemals auch zu Jutta in vertrautestem Verhältnis gestanden.

Und heute diese warme Begrüßung! –

Herr Reimers sah in Brunos Auftreten die erwünschte Gelegenheit, seine Tochter auf gute Art loszuwerden. »Haben Sie denn schon mit Jutta getanzt, Bruno?« fragte er. Und als der junge Mann verneinte: »Nun, dann engagieren Sie sie sofort! Es ist die allerhöchste Zeit!«

Bruno ließ sich das nicht zweimal sagen, errötend bot er Jutta den Arm: und man sah das ungleichartige Paar im Nebensaale verschwinden.

Der schöne Habelmayer folgte zähneknirschend. War es denn zu glauben! Dieser Mensch in dem schäbigen Kostüm, mit den dünnen Beinen wollte ihn ausstechen!

Er machte an diesem Abend mehrere verzweifelte Versuche, das Paar zu trennen: aber vergeblich! Jutta selbst war es, die in unbegreiflicher Laune den dürftigen Kavalier immer wieder aufforderte, mit ihr zu tanzen, und ihm nicht gestattete, von ihr zu weichen.

 


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