Alfons Petzold
Der stählerne Schrei
Alfons Petzold

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Die Stunde der Mütter.

                          Mitternachtstunde schreitet die Länder entlang,
Mir ist, als wenn von tausenden Türen der Riegel sprang.
Von allen Weltgegenden kommen Frauen einhergewallt,
Mütter, denen der Krieg und sein Marschall der Tod die Söhne genommen.
Ihre Herzen sind von den Fängen des Schmerzes umkrallt,
Bäume und Sträucher schweigen im Rauschen schmerzhaft beklommen.

Die schluchzenden Frauen knien
Von Unendlichkeit zu Unendlichkeit
Hüfte schmerzhaft an Hüfte gereiht
Und halten die wehvollen Herzen hin:
»Mutter Gottes, du gebenedeite Frau,
Siehe her aus deiner himmlischen Schau,
Siehe her aus dem Raum deiner seligen Gnaden:
Wir haben dich heute hier her geladen,
Wir Heere der Mütter, die dieses verfluchte Jahr
Erntearm machte und unfruchtbar,
Wir Heere der Mütter, die des Krieges Gebot
Züchtete mit unsagbarer Qual und Not.
Draußen in Acker, Wald und Steppe
Unter zermalmender Wand, zertrümmerter Treppe,
Auf dem Boden der Flüsse, eingescharrt im Sande der See,
Neben ihren Schiffen und Rossen
Liegen unsere Söhne erschlagen, erschossen.
Hast du ertragen ein wilderes Weh,
Mutter Maria mit deinem Leibe,
Dann bleibe
In deinem Himmel voll Glanz und Pracht
Und späh nicht hinab in unsre doppelte Nacht«.

Da öffnete sich das strahlende Tor
Und ganz in die Schwärze der Demut gekleidet,
Tritt die Mutter Gottes hervor,
Kniet nieder und ihre Seele leidet
Mit all den zahllosen weinenden Frauen
Und will nur das Elend der blutenden Erde schauen.
Mit der Mutter Maria im Kreise
Schreien die einen Frauen wild, seufzen die anderen leise:
»Jesus Christus, der du hängst an allen Kreuzen der Welt,
Höre, was aus uns jammert und gellt.
Du, der die Erde erbebend gemacht,
In jener wahnsinndurchschauerten Nacht,
In dein zermartertes Gottesgebein
Schrein wir unseren rasenden Schmerz hinein.
Wenn du ärgere Qual, wie wir Mütter erlebt,
Von ärgeren Grausen wurdest durchbebt,
Dann bleibe in deiner Gloria,
Den hymnenden Engeln und betenden Heiligen nah!«

Da fließt ein glühender Harm aus allen Strömen und Bächen,
Dunkel stürzt über die sanfteste Helligkeit
Und es ist so, als wenn alle Dinge und Wesen sprächen
Einen Fluch über die gräßliche Zeit.
In der östlichen Ferne schieben sich Wolken zur Seite,
Fauchende Flammen schießen herauf in die Höhe und Breite
Und heraus schreitet Christus, die Stiege der erloschenen Sterne herab.
Es brennt sein Kleid, sein Mantel und Wanderstab.
Dick tropft sein Blut aus den klaffenden Wunden
In die Stirne, von schimmerndem Haar umwunden,
Drückt sich der dornige Kronenreif
Und der zuckende Mund ist des bittersten Schmerzes reif.
Und hinter ihm, im gewaltigen Zuge
Schreitet alles, was je für den Geist in sich gestritten,
In Kerkern, auf Marterhölzern, Brandstößen, dafür gelitten,
Huß, Savonarola, die Helden der Barrikadenstürme,
Alles, was je durch die Tat eigne Vernichtung gezeugt,
Sprengte die Kerker, Gräber und Hungertürme
Und kniet sich unter die Mütter, demütig die Häupter gebeugt.
Ich schlage, von Grauen erfaßt, die Hände zusammen,
Würge an feurigen Tränen und greife in fressende Flammen.


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