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Backstein kam spät nachts nach Hause zurück. Er hatte sich in der Stadt herumgetrieben und war dann in die Allotria gegangen. Das Gefühl zorniger Bitterkeit, das ihn beherrschte, war in das einer Beängstigung übergegangen, die ihm die Einsamkeit unerträglich machte. Julie aber wollte er heute nicht mehr sprechen. Sie war die Ursache seiner Angst, daß noch Schlimmeres dem schon Erlebten folgen würde. Da wollte er wenigstens noch die Frist einer Nacht gewinnen. Es sprach gar keine rechte Wahrscheinlichkeit dafür, daß der Schwiegervater einmal allein im Atelier herumgestöbert haben sollte, denn er saß, von der Mittagsmahlzeit und zufälligen Ausgängen abgesehen, den ganzen Tag bis zur Dämmerung darin, und beim Verlassen schloß er es immer ab. Freilich hing er den Schlüssel zu anderen auf den Flur. Das mochte Rottenau wohl einmal gesehen haben, aber er mußte dann den Schlüssel heimlich wegnehmen, dabei gleich den richtigen fassen oder erst verschiedene probieren. So schnell waren die Studien auch nicht ausgewählt unter den vielen, die er im Atelier liegen hatte. Es waren aber wohlausgewählte, die da bei Weitzenheim hingen, und er hatte sich gar nicht die Zeit genommen, zu erkunden, ob das die einzigen wären, die Rottenau geliefert hatte. Der saubere Handel konnte ja schon länger bestehen. Immer dringlicher hatte sich ihm der Schluß aufgedrängt, daß Julie die Hand dabei im Spiele haben müsse. Er frühstückte stets allein, da Julie länger liegenblieb, wenn man nicht gerade ausritt. So gab er dem Mädchen den Auftrag, der gnädigen Frau zu melden, daß er sie in das Atelier bitten lasse. Er tat dies heute aus einem besonderen Drange heraus, obwohl es überflüssig war, denn Julie hatte nach ihrem Frühstück immer irgendeinen Anlaß, ihn dort aufzusuchen.
Indes besann er sich auf einige Studien von geradeso bildmäßig fertiger Art wie die bei Weitzenheim befindlichen und suchte nach ihnen in den krausen Haufen, die teils in Mappen gestopft waren, teils gerollt hinter den Staffeleien herumlagen. Verschiedene fand er bald, dann fehlte ihm eine, die er mit immer nervöserem Eifer vergebens suchte, und bald darauf machte er dieselbe Erfahrung bei einer zweiten. Ganz heiß war ihm geworden. Studien können leicht verkramt werden, ein Beweis war das noch nicht, aber doch eine starke Unterstützung des Verdachtes, die böse Sache wachse sich immer schlimmer aus. Er besah sich jetzt mit grimmigem Interesse die Fülle der Blätter, die er auf dieser und jener Studienreise im Freien gemalt und dann beiseite geworfen hatte, ohne sie zur Ausführung zu bringen. Es war wirklich genug darunter, was die zweihundert Mark des Herrn Weitzenheim wert gewesen wäre. Er vergeudete seine schöpferische Kraft. So hatten wohl auch Rottenau – und Julie gedacht.
Er war noch mit dieser Rückschau seines Schaffens bemüht, da hörte er hinter seinem Rücken Julies Stimme:
»Guten Morgen! Du hast mich eigens hierherzitiert. Was ist denn los?«
Backstein, der sich umgedreht hatte, wies auf den mit einem orientalischen Teppich bedeckten Diwan und sagte ruhig:
»Setze dich mal.«
Julie gehorchte, ihn verwundert ansehend.
»Du siehst mich da mit einer Revision meiner Studien beschäftigt,« fuhr er fort. »Ich vermisse einige, an denen mir gelegen ist.«
»Du läßt das alles so herumfahren. Stücke, auf die du Wert legst, würde ich besser aufbewahren,« sagte Julie ganz unbefangen, aber Backstein glaubte doch eine erhöhte Röte ihrer Wangen wahrzunehmen.
Sie fuhr fort:
»Hast du mich deshalb rufen lassen? Da kann ich auch nichts machen, wenn vielleicht die Putzfrau etwas mitgenommen hat, weil sie glaubte, so weggeworfenes Zeug habe für uns keinen Wert, und ihr macht so ein Bildchen Spaß.«
»Die Putzfrau kenne ich,« sagte jetzt Backstein ganz anderen Tones. »Zwei solche Studien hat sie verkauft. Und weißt du, wer die Putzfrau ist? Dein Herr Papa!«
Jetzt wurde Julie ganz blaß. Sie stand auf, ging auf den Gatten zu, und seine Arme berührend, sagte sie mit einem bittenden Blick der Augen:
»Das – das – hat er für mich getan. Ich habe ihn darum gebeten.«
»Du hast ihn darum gebeten?« fragte Backstein, sie scharf ansehend.
»Ich war in Geldverlegenheit – – die Modistin hatte eine dringliche Rechnung geschickt – – ich habe mich nicht zu dir getraut – – –«
»Als ob ich dir schon so oft derlei abgeschlagen hätte! Und Papa hat ohne weiteres eingewilligt, ja sogar selber meinen Namenszug nachgemacht?«
»Er hat mir helfen wollen. Es war ja doch schade um die hübschen Sachen.«
»Darum stiehlt man sie lieber und verschleppt sie in eine Winkelbude zur Schande meines Künstlernamens,« knirschte jetzt Backstein und schob seine Frau unsanft von sich.
»Das ist nicht gestohlen,« wehrte sich Julie. »Ich bin doch deine Frau, und wenn ich verkaufe, was du weggeworfen hast – – –«
»Dann«, unterbrach sie Backstein mit bitterem Hohn, »ist das wohl gar Sparsamkeit, Häuslichkeit? Ich soll dich wohl noch loben darum?«
»Du hast doch keinen Schaden davon,« verteidigte sich Julie weiter.
Backstein lachte bitter auf. Dann nahm er einen kalten, strengen Ton an, mit dem er sagte:
»Ich will jetzt die genaue Wahrheit wissen, hörst du? Hat dein Vater dir alles Geld gegeben, das ihm Weitzenheim bezahlt hat, oder habt ihr das Geschäft auf Teilung gemacht?«
»Er hat mir alles gegeben,« stieß Julie hervor und sah den Gatten dabei ängstlich an.
»Du lügst ja,« sagte dieser. »Dein Vater hat die Gemeinheit angezettelt, und du hast vielleicht gar nichts bekommen, hast dich nur zur Beihilfe beschwatzen lassen. He, war's nicht so?«
Julie machte erst ein scheu unschlüssiges Gesicht, dann sagte sie halblaut:
»Er hat mir freilich etwas gegeben.«
»Etwas! Ich sehe ganz klar. Und jetzt noch eine Frage. Zwei Bilder habe ich bei Weitzenheim gesehen, zwei fehlen mir. Sind die auch zu Weitzenheim gekommen?«
Julie sah den Gatten wieder scheu an, dann sagte sie leise:
»Das weiß ich nicht, wohin sie Papa gebracht hat.«
»Da hätte sich also ein ganz netter heimlicher Handel eingerichtet, wenn ich mich nicht ein bißchen nach dem Treiben des Herrn Papas umgesehen hätte. Und du begreifst wohl nicht, was du getan hast?«
»Nun ja, es war nicht ganz korrekt – – –«
»So, nicht ganz korrekt? Na, dem Herrn Papa werde ich es sagen, wie sein Benehmen unter anständigen Leuten heißt.«
»Du darfst Papa nicht beleidigen, das leide ich nicht!« rief jetzt Julie heftig.
»Beleidigen? Er wird sich wohl gefallen lassen müssen, was ich ihm zu sagen habe.«
»Er wird sich bei dir entschuldigen. Dafür sorge ich.«
»Er wird sich entschuldigen! Köstlich! Welch ein Schmutz, welch ein Schmutz! Das geht nicht mehr so weiter, es geht nicht mehr. Hätte ich doch nie etwas von dieser Familie gesehen und gehört. Sie wird mir zum Verderben, ich gehe zugrunde daran, wenn ich mich jetzt nicht losmache. Raus muß ich aus München, irgendwohin, nur raus. Wohin bin ich denn geraten, ich Narr, ich blöder Narr!«
Im Atelier hin und her rennend, hatte Backstein, ohne Julie weiter zu beachten, so seiner Erregung Luft gemacht, und Gedanken waren da auf einmal in seinem Gehirn geboren, die ihm erst gar nicht gekommen waren.
Jetzt blieb er vor seiner Frau stehen und schrie:
»Da steht sie und weiß noch nicht, was sie angerichtet hat! Glaubst du vielleicht, ich lasse mich von dir zugrunde richten, ich soll als Künstler verludern deiner schönen Haut wegen? Scheiden lasse ich mich, ein Ende mache ich!«
»Schrei' mich nicht so an,« wehrte sich Julie mit blassen Lippen.
Sie fürchtete sich vor dem maßlosen Mann mit dem verzerrten Gesicht.
»Schäm' dich doch vor den Dienstboten,« fügte sie in der Absicht zu beschwichtigen bei.
»Wer soll sich schämen?« lobte er wieder los. »Ja, ich habe mich geschämt bei dem Kerl, dem Weitzenheim, der meinen Schwiegervater, den Rottenau, wie er sich ausdrückte, die Treppe hinunterschmeißen will, weil er sich hat erwischen lassen. Ich schäme mich, weil ich mit einer solchen Familie etwas zu tun habe. Aber das hat jetzt ein Ende. Auch bei mir fliegen die Rottenaus die Treppe hinunter.«
Julie eilte aus dem Atelier.
Als er allein war, kam Backstein schnell wieder zur Besinnung. Er sank auf den Diwan, und tiefe Beschämung übermannte ihn. Er hatte sich zu einer heftigen Maßlosigkeit hinreißen lassen, die er gerade um deswillen bereute, weil da etwas als unbestimmte Regung aus seinem Innern hervorgesprudelt war, was nun, da es schon seinen Weg über die Zunge genommen hatte, vor ihm als ernste Lebensfrage stand, deren Erwägung ihm jetzt erst ganz nahe trat, zugleich mit der Einsicht, daß solche Schritte mit Würde getan werden müssen.
Julie kam zum Mittagessen nicht nach Hause. Sie telephonierte an die Köchin, daß sie bei ihren Eltern sei.
Am Nachmittag erschien Herr von Rottenau bei Backstein in feierlicher Haltung, eine deutliche Aufregung mühsam bemeisternd.
Backstein empfing ihn sehr kühl. Eine Einladung, sich zu setzen, ignorierte der Schwiegervater. Er war blaß und begann unter Begleitung nervöser Fingerbewegungen zu sprechen:
»Julie ist bei uns. Du hast eine heftige Szene mit ihr gehabt, für die ich verantwortlich bin. Was ich gefehlt habe, bitte ich nicht meine Tochter, deine Frau, entgelten zu lassen. Sie hat das nicht so schlimm aufgefaßt, Damen haben keine so strengen Begriffe in bezug auf kleine Heimlichkeiten gegen den Gatten – – –«
»Und du?« warf Backstein kühl mit einem geringschätzigen Blick ein.
»Ich sagte schon, daß ich mir meines Unrechtes durchaus bewußt bin,« antwortete Herr von Rottenau ganz demütig. »Dieser Mensch, der Weitzenheim, hat mich dazu verleitet. Du weißt ja doch, wie meine Verhältnisse liegen – – –«
»Deine Verhältnisse«, unterbrach ihn Backstein barsch, »liegen durchaus nicht schlecht. Es dürfte sehr viel Leute geben, die mit deinem Einkommen ein ganz zufriedenes Dasein führen.«
»Du hast das Recht, mir Vorwürfe zu machen. Aber es waren auch besondere Umstände – – –«
»Diese besonderen Umstände glaube ich zu kennen.«
Herr von Rottenau sah seinen Schwiegersohn betroffen an. Dann zuckte er mit den Achseln und sagte mit einem leisen Lächeln:
»Wir sind eben alle Sünder, und München ist ein leichtsinniges Pflaster.«
Backsteins unbeweglich starre Miene veranlaßte ihn aber sogleich, wieder eine geknirschte Haltung anzunehmen.
»Um mich handelt es sich auch weiter nicht,« sagte er. »Ich bin ganz Nebensache und muß es mir gefallen lassen, wenn du mir die Tür weist. Aber du hast geäußert, du wolltest dich von Julie scheiden lassen. Da bin ich doch als Vater verpflichtet zu sagen: dazu hat sie keinen Anlaß gegeben, wenn sie sich auch gegen dich verfehlt hat. Diese Verfehlung hat sie aus Kindesliebe, aus Unbedacht begangen, und, wie gesagt, ich bin dafür verantwortlich. Ich möchte dich also bitten, solche Schritte, die deine Frau bloßstellen würden, nicht weiter in Betracht zu ziehen.«
Erbärmlich stand der Mann vor ihm da, aber Backstein hatte keine Lust zum Erbarmen. Hart sagte er:
»Das sind Dinge, die Eheleute untereinander auszumachen haben.«
»Willst du Julie wenigstens wieder in dein Haus aufnehmen, daß ihr euch aussprechen könnt?« fragte Rottenau in bittendem Ton.
»Ich habe sie nicht fortgeschickt,« antwortete Backstein.
»So werde ich ihr sagen, sie soll wieder zu dir gehen, und du wirst sie gut behandeln. Nicht wahr?«
»Ich bin heftig gegen sie gewesen,« sagte jetzt Backstein immer noch mit rauhem Klang. »Das tut mir leid.«
»In jeder Ehe kommt etwas vor,« entgegnete Rottenau. »Das läßt sich wieder ins Geleise bringen, wenn man sich ausspricht. Ich werde dir Julie also wieder schicken, und wegen des anderen – – ich lasse mich nicht mehr ein mit dem Kerl, dem Weitzenheim. Geb' dir mein Ehrenwort!«
Backstein machte eine unwillige Kopfbewegung und schien nicht zu bemerken, daß ihm der Schwiegervater die Hand reichen wollte.
»Dann will ich gleich nach Hause gehen und es Julie mitteilen,« sagte dieser mit angenommener Harmlosigkeit. »Guten Tag einstweilen, Richard.«
»Guten Tag!« kam es klanglos zurück.
Gegen Abend kam Julie wieder heim. Die Gatten sprachen nicht miteinander und verzehrten stumm ihr Abendessen. Julie machte eine trotzige Miene. Richard blickte finster nachdenklich vor sich hin. Der Gedanke der Scheidung, der ursprünglich doch nur gewissermaßen ohne seinen bewußten Willen im erregten Augenblick in Erscheinung getreten war, hatte durch die Dazwischenkunft des Schwiegervaters festere Form gewonnen, er war jetzt Gegenstand klar überlegender Nachdenklichkeit geworden. Es schien die Stunde gekommen zu sein, die über seine Zukunft entschied. Ein Stern leuchtete lockend, mahnend, der Stern seines Künstlertums, und ein großes Sehnen, ein großes Wollen gingen in ihm auf. Julie hatte sich schon lange zurückgezogen. Als er in das Schlafzimmer trat und sie liegen sah, erschrak er über das Gefühl, das in ihm aufstieg. Wer es ließ sich die Stimme nicht unterdrücken, die da sagte:
»Sie muß fort aus meinem Leben!«
Am anderen Morgen stand er vor der Staffelei mit einem wilden Arbeitsdrang, mit einem heißen Kraftbewußtsein. Er war noch ein Künstler und er wollte erst recht wieder einer werden. Er fühlte ihn ganz deutlich, den Reichtum, der doch in ihm steckte, und der herauskommen sollte, quellend, unbändig wie ein Wildbach im Frühling. Frühling mußte es werden, frische Luft witterte er. Heraus der Schwüle, fort von dem weichlichen Dufte, weg mit den vergifteten Süßigkeiten! Er klopfte. Auf seinen Ruf betrat Aga das Atelier. Backsteins Gefühl der jähen Überraschung hatte mit dem des Erschreckens große Ähnlichkeit. Der Grund ihres Erscheinens war ihm sofort klar, aber diese Klarheit wurde getrübt durch verworren in seinem Gehirn auftauchende Ahnungen einer in dem nächsten Augenblick an ihn herantretenden verhängnisschweren Lage.
»Du?« sagte er nur und vergaß ganz, ihr entgegenzugehen.
»Du kannst dir wohl denken, weshalb ich komme,« sagte Aga, nach ein paar Schritten stehenbleibend.
Jetzt legte er das Malzeug weg, schob ihr einen Rohrsessel entgegen und, einen anderen für sich fassend, warf er leise unter einer Verbeugung hin:
»Ich stehe dir zur Verfügung.«
Als sie sich setzte, bemerkte er, daß sie weder einen Schirm noch einen Muff bei sich hatte. Sie war also erst bei Julie gewesen.
Aga streckte ihm die Hand entgegen, die er warm drückte, und sagte:
»Du mußt ganz offen mit mir sein, sonst kann ich dir nicht helfen. Das will ich, und das muß mir auch gelingen.«
»Das ist sehr gütig von dir, Aga,« sagte Backstein mit gesenktem Blick und Falten über der Nasenwurzel.
»Ich bin über alles genau unterrichtet«, fuhr Aga fort, »und verstehe deine Entrüstung. Über Papa können wir ein andermal sprechen. Jetzt handelt es sich um Julie, die sich verleiten ließ. Es war ein dummer Streich, eine unüberlegte Handlung. Sie ist sich gar nicht darüber klar gewesen, was sie getan hat. Du trägst aber selbst Schuld daran, du hast sie nicht erzogen, sondern nur verwöhnt. Sie braucht aber Erziehung. Wir haben keine ordentliche gehabt. Ich auch nicht.«
»Du, Aga?« sagte Backstein zu ihr aufblickend.
»Nein, ich auch nicht,« versetzte sie, »ich hatte nur ein anderes Temperament. Scheiden willst du dich nun gleich lassen? Ja, hast du sie denn nicht mehr lieb?«
Mit gequälter Miene antwortete Backstein:
»Irgend etwas mußte einmal die Dinge zur Krisis bringen. Und eine Kleinigkeit ist das doch auch nicht. Da geht doch jedes Vertrauen verloren, das man zu einer Frau haben muß.«
»Richard, sei ehrlich!« sagte jetzt Aga mit Nachdruck und sah ihn voll an. »Was hast du gegen Julie? Sie ist zu vergnügungssüchtig, sie braucht zu viel Geld? Sprich dich aus. Wir zwei verstehen uns ja ganz gut, meine ich.«
Backstein sah sie schmerzlich an und sprang von seinem Sitze auf.
Er holte tief Atem und sagte, den Kopf zurückwerfend und die beiden Fäuste an die Brust drückend:
»Es geht nicht mehr! Ich kann nicht mehr!«
»Und das kommt so plötzlich, nur infolge dieses törichten Streiches? Jetzt verlange ich von deiner Ehrenhaftigkeit, daß du mir irgendwelche Tatsachen angibst, die dieses Gebaren rechtfertigen.«
Aga hatte sich auch erhoben.
Mit unwirschen Bewegungen der Arme antwortete Backstein:
»Na also, sie braucht zuviel, ich gehe künstlerisch zugrunde, weil ich immer daraufhin arbeiten muß, zu verkaufen, Geld zu verschaffen.«
»Und du hast so wenig Gewalt über sie? Du hast es nur nie versucht, ernstlich mit ihr zu reden, warst erst zu verliebt in sie. Das kannst du ja ändern. Ihr seid jetzt fünf Jahre miteinander verheiratet, da muß sie doch begreifen, daß die Flitterwochen zu Ende sind.«
Backstein stellte sich vor sie hin und sprach mühsam, seine Mienen beherrschend, in einem fast flüsternden Tone:
»Ich muß raus aus allem, verstehst du, Aga, aus allem – fort muß ich in ein ganz neues Leben.«
Betroffen sah sie ihn an und sagte:
»Da liegen doch ganz andere Dinge vor.«
»Merkst du das jetzt, Aga?« versetzte er mit durchdringendem Blick.
»Ich verstehe dich nicht,« entgegnete Aga zaghaft. »Liebst du am Ende eine andere?«
»Am Ende?« wiederholte Backstein mit bitterem Auflachen.
Dann sagte er mit weitausgreifender Gebärde der Hand hastig:
»Geh, geh, Aga! Ich danke dir für deine guten Absichten, aber jetzt weiß ich erst recht, was ich tun muß.«
Aga faßte seine beiden Hände und sprach liebevoll:
»Schicke mich nicht so fort, Richard. Ich will's nicht glauben, daß du dich selbst verloren hast. Aber du bist unglücklich, und die Unglücklichen müssen einander helfen.«
»Geh, geh!« hauchte Backstein heiser.
»Beruhige dich!« mahnte Aga wieder, und ihre sonst unheimlich brennenden Augen hatten einen ganz weichen, bittenden Ausdruck angenommen.
Backstein starrte sie an. Dann sagte er:
»Du bist auch falsch. Ich weiß, was der junge Tiroler soll. Hab dir's doch selbst gesagt, daß der andere in Innsbruck wohnt.«
Aga prallte zurück, und mit ganz veränderter Miene rief sie:
»Was heißt das? Was willst du von mir?«
Backstein fuhr fort:
»Er soll mit dem da in Innsbruck anbinden und an ihm vergelten – – und dann? Aga, das darfst du nicht. Hörst du, ich leid' es nicht. Aga, du darfst nicht schlecht werden, du nicht!«
Aga fühlte sich umschlungen und wehrte sich gegen Richards heiße Küsse.
Da trat Julie ein. Sie hatte gehorcht.
Richard ließ von Aga ab, die sinnlos gegen die Tür stürzte.
Julie legte den Arm über ihre Schultern und sagte sanft:
»Komm, Aga!«
Dann war Backstein allein. So hatte es kommen müssen. Nach der ersten Minute, da Agas Nähe auf ihn wirkte, war er zu dem nicht mehr imstande, was man unter einer Unterredung begriff; denn gerade bei ihrem Anblick wurden die Dinge viel schlimmer, jedes Wort ihrer überredenden Güte war eine Versuchung, gegen die er sich kaum wehren konnte. Dann kam dieser Blick – um seinetwillen hatten ihre Augen eine neue Sprache gefunden, ihre Seele war wieder milder geworden um seinetwillen und neigte sich zu ihm. Sie hätte nicht kommen sollen, sie nicht. Jetzt war alles hin, auf den Kopf gestellt, zur Grimasse verzerrt, und aus allen Ecken grinsten ihn hohnlachende Gesichter an. Er war der Schuldige geworden, hinter all dem Lärm des gekränkten Künstlers steckte die sündige Begierde nach der Schwägerin. Das würden sie jetzt weidlich ausbeuten. Gut, er wollte bezahlen, bezahlen, was sie verlangten, und Aga heiratete den Herrn von Kornberg, wenn er den Baron in Innsbruck erschossen hatte. Er aber war fertig mit dieser Familie von Rottenau und fertig mit seinem Münchener Künstlerleben. Nicht nach Berlin, auch nicht nach Düsseldorf zurück, in Süddeutschland wollte er bleiben. Karlsruhe, das lag so richtig, weit herum schönes deutsches Land, für seine Art.
Man konnte es im Atelier leicht hören, wenn jemand ins Haus kam oder fortging. Backstein wurde es gewahr, als Julie sich sehr laut von Aga verabschiedete. Gleich darauf trat er vor sie hin.
»Laß mich meiner Wege gehen,« sagte er. »Ich bin zu jedem Entgegenkommen bereit.«
»Das Haus ist dein,« antwortete Julie in einem ganz glatten, unbefangenen Ton. »Wenn es darauf ankäme, müßte ich weichen, aber so wollen wir die Sache gar nicht behandeln, denke ich. Wenn ich gefehlt habe, so sind wir jetzt quitt. Ich habe mit Aga gesprochen, die Eltern sollen von deinem Streich gar nichts hören. Es bleibt unter uns. Ich habe ja schon lange gemerkt, daß du in sie verliebt bist. Auf derlei war ich allerdings nicht gefaßt. Die Schwägerin, die zu einer ernsten Unterredung kommt, kurzweg überfallen – aber so seid ihr Herren aus dem hochgelobten Norden: furchtbar korrekt, voll von Grundsätzen, aber wenn euch einmal das Blut zu Kopf steigt, brutal, geradewegs brutal.«
»Laß mich gehen,« wiederholte Backstein mit bebender Stimme. »Ich bitte dich. Ich reise heute noch ab und ordne alles von auswärts.«
Im selben ruhigen Ton eines gleichgültigen Gespräches erwiderte Julie:
»Der Gedanke ist so weit ganz gut. Mache eine Studienreise von einigen Wochen. Kannst ja einmal nach Oberitalien gehen, wenn dir die Jahreszeit in Deutschland nicht paßt. Aber das sage ich dir gleich. Die Situation einer geschiedenen Frau paßt mir nicht. Wenn du von der Reise zurückkommst, haben wir beide uns unseren Standpunkt zurechtgelegt, und man arrangiert sich nebeneinander. Das scheint mir eine bessere Auffassung der Lage als der Skandal eines Scheidungsprozesses.«
»Aber, Julie, ein Zusammenleben ist doch nicht mehr denkbar,« sagte Backstein. »Ich wenigstens vermag das nicht. Es kann doch kein Vertrauen, keine innere Gemeinschaft mehr zwischen uns sein.«
»Das sind Redensarten, lieber Richard, die jetzt doch etwas komisch aus deinem Munde klingen,« versetzte Julie. »Im übrigen ist gar nicht so Ungeheuerliches geschehen. Deine namenlose Geschmacklosigkeit ärgert mich, weil ich mich vor meiner Schwester schäme, aber du brauchst nicht zu fürchten, daß ich dich weiterhin mit Vorwürfen oder mit Eifersüchteleien quäle. Fällt mir nicht ein. Doch los wirst du mich nicht. Das hast du verpaßt. Du kannst mich auch brauchen. Ich bin eine ganz gute Künstlerfrau. Also reise! Der Luftwechsel wird dir gut tun. Und jetzt ist Essenszeit.«
»Wir verstehen uns wirklich nicht,« stieß Backstein bitter hervor.
»Wenn du unartig sein willst,« sagte Julie jetzt etwas schärfer, »kann ich's nicht verhindern. Ich habe dir keine Szene gemacht. Das möchte ich feststellen.«
Am selben Abend reiste Backstein südwärts.