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Man wollte finden, die Gräfin Hove zeige in diesem Jahre noch bessere Haltung als in der vorigen Saison, wo ihr doch trotz aller Grazie immer eine anfängliche Befangenheit angemerkt wurde, die sie erst nach einer gewissen Frist abstreifte. Das Sensationelle ihrer Erscheinung war vorbei, aber man sprach doch wieder von ihr als einem leuchtenden Stern der Gesellschaft. Ihr war gar nicht wohl dabei. Diese Karnevalstouren, zu denen der Vater Paul verleitet hatte, widerstrebten ihr schon nach den ersten Eindrücken. Die Redensarten, mit denen sich Paul immer am anderen Morgen rechtfertigte, als bedeutete dies Umhertreiben bis zum frühen Morgen eine Erfrischung am Jungbrunnen des Volkslebens, die Neigung, solchen Maskenballhumor ihr aufzudrängen, indem er seine Zärtlichkeiten damit würzte, ließen in ihr die Überzeugung reifen, daß er ein unselbständiger Charakter sei, der zu leicht fremden Einflüssen zugänglich war. Die Großstadt tat ihm nicht gut, sie vergrößerte sein sonst so feinsinniges Wesen. Aber sie schwieg, denn ein Einspruch wäre wohl auf eine Kritik des eigenen Vaters hinausgelaufen, die sie vermeiden wollte.
Auch die Spannung, die zwischen Paul und Richard Backstein entstanden war, verstimmte sie, um so mehr, als ihr des Schwagers Einfluß auf den Gatten viel lieber gewesen wäre als der des Vaters.
Da kam nun eines Morgens Paul, der sich bisher immer durchaus korrekt verhalten hatte, in einem Zustand heim, den er trotz allen Bemühungen nicht verbergen konnte. Aga graute vor dem Gatten, und sein weinerliches Schuldbekenntnis verbesserte die Lage nicht. Sie floh vor ihm in einen Winkel des Zimmers und wehrte seine Annäherung mit weit vorgestreckten Armen ab. Da half nichts anderes. Richard mußte zu Hilfe kommen und den Gatten vor dem sicheren Abgrund retten. Julie lachte aus vollem Hals, als Aga, Tränen in den Augen, das Geschehene zaghaft andeutete.
Auch Richard hatte ein Lächeln auf den Lippen und suchte die Schwägerin damit zu trösten, daß ein solches Karnevalabenteuer manch wackerem Mann schon begegnet sei.
Damit ließ sich Aga aber nicht abfertigen. Der Vater würde die Sache erst recht spaßhaft behandeln und Paul wieder verleiten. Das würde aber sicher zu den schlimmsten Folgen führen.
»Sein Vater war auch ein leichtsinniger Mann,« sagte sie. »Das liegt im Blute und würde jetzt bei Paul, der bisher brav geblieben ist, zum Durchbruch kommen. Ich will nicht mehr zu Hof gehen. Das war das letztemal. Andere bleiben auch im Winter auf ihren Gütern.«
Richard sollte bei der nächsten Gelegenheit teilnehmen, den Gatten zurückhalten und womöglich auf ihn einwirken, daß er derartige Vergnügungen überhaupt fahren lasse.
Der Schwager wurde darauf kühler und bemerkte, er könne diesen Wunsch nur erfüllen, wenn er von den Herren dazu eingeladen würde. Dies zu besorgen, machte sich Aga anheischig. Sie begab sich sofort zu ihrem Vater, der über ihre Vorwürfe und Besorgnisse lachte, aber sich doch ihrem bestimmten Willen fügte, Richard als »norddeutschen Wahrer von Gottesfurcht und frommer Sitte« mitzunehmen. Der reumütige Hove sträubte sich erst, wieder auf ein Maskenfest in den Räumen des Deutschen Theaters zu gehen, aber der Schwiegervater stellte ihm vor, daß er wenigstens dies eine Mal noch gegen die kindischen Einbildungen seiner Frau standhalten müsse, und er fand vor dem eigenen Gewissen einen willkommenen Vorwand, daß eine günstige Gelegenheit gegeben war, mit dem Schwager wieder auf guten Fuß zu kommen.
Die drei Herren hatten einen Platz gefunden, von dem aus das prunkvolle festliche Bild, das diese Maskenbälle des Deutschen Theaters zu den glänzendsten Darbietungen des Münchener Karnevals machte, in seinem bunten Gewoge weithin zu übersehen war und wo man zugleich ziemlich geschützt vor unerwünschter Gesellschaft saß.
Beim Sekt kam zwischen den beiden Schwägern bald ein Einverständnis zustande, ohne daß der Gegenstand der Spannung in Worten berührt wurde. Ein Austausch von Blicken beim Anstoß mit den Gläsern hatte genügt.
Im Laufe des Abends wurden sie in ihrem Winkel doch von einem Bekannten Hoves entdeckt, dem Baron Dolgiano, einem der unter dem bayerischen Adel gar nicht seltenen Abkömmlinge eines im achtzehnten Jahrhundert aus Italien eingewanderten Geschlechts. Der Baron war Beamter im Ministerium des Auswärtigen. Es war, wie man feststellte, überhaupt so ziemlich die ganze jüngere Aristokratie im Saal vertreten, und auch einige ältere Semester tauchten im heiteren Gewühle auf. Hove hatte schon mehrmals Hottenbach bemerkt, der zwischen zwei Pierretten in gelber Seide mit schwarzen Pompons promenierte. Diese Pierretten standen auf einmal ohne Hottenbach vor dem Tische, und die eine – sie hatte Halbmaske vor dem Gesicht – sagte mit erkünstelt heller Maskenstimme zu Hove:
»Wo hast du denn deine schöne Frau versetzt, Burggraf von Reitershausen?«
Hove sah unangenehm betroffen auf. Herr von Rottenau antwortete statt seiner:
»Sie war ihm zu schade für das Lokal.«
Da gab die Maske eine höchst freche Gegenrede und lief dann mit der Gefährtin lachend davon. Alle vier Herren waren peinlich berührt, denn des Mädchens dreiste Äußerung beleidigte die Frauenwürde der Gräfin Hove.
Baron Dolgiano löste das peinliche Schweigen, indem er zu Rottenau bemerkte:
»Sie hätten das nicht sagen sollen, Herr von Rottenau. Die Mädchen sind hier sonst gar nicht so ausfällig, aber das Persönchen fühlte sich beleidigt und da hat es die Krallen gezeigt.«
»Das sind die Konsequenzen,« bemerkte Backstein achselzuckend.
Hove sagte mit düsterer Miene:
»Das hat einen ganz anderen Zusammenhang. Laßt euch aber dadurch nicht weiter stören.«
Baron Dolgiano fand bald einen Vorwand, sich zurückzuziehen. Jetzt offenbarte Hove seine Meinung, daß Hottenbach die Mädchen veranlaßt habe, mit ihm anzubinden.
Rottenau und Backstein nahmen das mit Kopfschütteln auf, und man blieb verstimmt. Als der Schwiegervater meinte, man solle ins Luitpold gehen, um sich dort wieder in bessere Laune zu bringen, lehnten Backstein und Hove entschieden ab. Sie ließen ihn den Weg allein machen und fuhren nach Hause, wobei Backstein zunächst den Schwager nach seiner Wohnung geleitete. Unterwegs erklärte Hove, er werde nie wieder in seinem Leben ein Maskenfest besuchen, einstweilen wisse er nicht, wie er vor Aga treten solle, die er habe besudeln lassen. Er war völlig zerknirscht.
Backstein nahm keine Veranlassung, ihn zu beruhigen, sagte vielmehr:
»Dem Zartgefühle einer Frau wie Aga hättest du es nie antun sollen, dich in diesen Trubel zu mischen. Ein süddeutscher Standesgenosse ist es gewesen, und nicht so ein steifer norddeutscher Spießbürger wie ich, der dir diesen Wink in seiner besonderen Art gab.«
»Du stellst dich also auf Hottenbachs Seite?« fragte Hove in einem klagenden Ton.
»Sein Verfahren ist nicht nach meinem Geschmack,« antwortete Backstein. »Aber es kann wohl sein, daß die feindselige Form mit einer richtigen Empfindung verbunden war.«
»So müßte ich also vor dem Herrn Baron von Hottenbach die Segel streichen?« sagte Hove bitter. »Na meinetwegen. Mir ist ohnehin das ganze München verekelt.«
Um diese Zeit ging in den Hofkreisen das Gerede, man habe an höchster Stelle den Wunsch, den Grafen und seine schöne Frau in der Residenz festzuhalten und ihn möglichst bald in irgendeine höhere Würde zu schieben. Diese fränkischen Adeligen hatten die Gewohnheit, mit ihren Frauen ein- oder zweimal bei Hof zu erscheinen und dann sich nicht mehr sehen zu lassen, sondern ihre Wintersaison in Aschaffenburg, Würzburg oder Bamberg, wie es gerade dem Gute am nächsten lag, abzumachen. Das sollte hier hintertrieben werden. Der Grundbesitz Hoves konnte nicht ins Gewicht fallen, der ließ sich wohl ohne seine ständige Anwesenheit verwalten. Man hatte schon öfter Würdenträger gehabt, die zugleich Großgrundbesitz hatten. Das war an höchster Stelle viel sympathischer als diese armen Edelleute, die des Gehalts wegen auf jede Vakanz lauerten und brotneidisch gegeneinander intrigierten.
Hottenbach erfuhr sehr bald von diesem Gerüchte. Dieser Hove machte es aus dem Vollen. Fideikommißherr, Gatte einer schönen Frau, künftige Exzellenz! Er aber lief herum als eine Null, konnte bei Adel und Bürgerschaft nach einer reichen Frau herumschnüffeln und sich zum ersten noch einen zweiten Korb holen. Es war gerade, als ob dieser Mensch durch das ganze Leben hochatmend vor ihm hertanzen sollte. Er aber hatte nichts dagegen aufzubieten als solche kümmerliche Nadelstiche wie den Unfug mit dem Maskenmädel. Immer wieder, wenn er ihn sah, kitzelte ihn die Lust, auf solche Weise mit ihm zu spielen. Das war eine ganz dumme Manier, dem Hasse Luft zu machen, eine Manier, die dem Maße des Hasses so wenig gewachsen war wie das Kläffen eines Zwergpinschers, wo der Biß einer Dogge hingehörte.
Aga konnte sich nicht mehr in der Weise wie in vorigen Jahren allen geselligen Nebenbeziehungen entziehen. Da und dort erschien sie doch zu einem intimen Damentee. Bei einem solchen traf sie gelegentlich auch die Baronin Hottenbach, die dem großen Hofleben fernblieb, doch mit vielen älteren Damen der Aristokratie in freundschaftlichem Verkehr stand.
Die Baronin knüpfte gleich an die flüchtige, in Bozen gemachte Bekanntschaft an, bei der sie Aga im Gespräche eingeladen hatte, sie einmal in München zu besuchen.
»Es hätte mich sehr gefreut, Sie wiederzusehen,« sagte sie. »Aber natürlich, wie konnten Sie mitten in Ihren Triumphen an eine einsame alte Frau denken.«
Allen anwesenden Damen war das Gerücht, das über den Grafen Hove umging, bekannt, auch der Baronin Hottenbach.
Als man nun Aga zu erzählen wußte, wie diese und jene Prinzessin sich schmeichelhaft über sie ausgesprochen habe, ja daß sogar einer der jüngeren Prinzen ernstlich in sie verliebt sei, da sagte sie lächelnd, sie wisse die hohe Ehre wohl zu schätzen, die ihr aus der Gunst der höchsten Herrschaften erwachse, aber sie freue sich doch wieder darauf, in ihrem Reitershausen zu sitzen. Sie sei gar keine Frau des großen Gesellschaftsstiles, sondern gehorche mit ihrem Hiersein nur einem Wunsche ihres Gatten. Man lächelte ungläubig zu dieser Koketterie, und eine der Damen meinte launig:
»Dabei sagt man, daß keine unserer Prinzessinnen mit solcher Eleganz über das Parkett geht wie diese schlichte Frau vom Lande.«
Jetzt erzählte Aga von dem stillen Hause an der Mauergasse zu Garnheim, von der guten Tante und vom Onkel Sporn und von dem reinen Leben dieser beiden vornehmen Menschen.
»Sie erzählen uns da einen Roman für junge Mädchen,« sagte eine Dame. »In dieses Bild passen Sie selber doch gar nicht hinein.«
Man nickte beifällig.
Aga entgegnete ganz ärgerlich:
»Aber, meine Damen, Sie kennen mich ja gar nicht. Auf dem Hofball zeigt man doch nicht sein gewöhnliches Wesen.«
Die alte Baronin Hottenbach hatte sie indessen aufmerksam beobachtet.
Am nächsten Morgen beim Frühstück berichtete Aga dem Gatten:
»Die Baronin Hottenbach war auch da. Sie hat mich schließlich für einen der nächsten Tage zu sich eingeladen, obwohl ich doch gar keinen Besuch bei ihr gemacht habe. Sie machte dabei eine so merkwürdige Miene, sah mich fast flehentlich an, daß ich gar nicht anders konnte, als ihr eine Zusage geben. Ich glaube, sie hat irgend etwas vor. Vielleicht soll ich ihr helfen, das Verhältnis zwischen euch Herren ins Geleise zu bringen. Ich habe die Absicht, nächstens bei mir einen kleinen Tee zu veranstalten. Da muß ich sie natürlich auch einladen und in weiterer Folge wirst du einen Besuch bei ihr nicht vermeiden können. Sei mir nicht böse, aber es war unmöglich, ihr auszuweichen. Vielleicht führt es ja auch zu etwas Gutem.«
Der Graf machte zuerst eine Miene verdrießlichen Nachdenkens. Dann sagte er:
»Erfreulich ist mir die Sache gerade nicht; es ist wie ein Schicksal, als ob ich von dem Menschen nicht loskommen sollte. Aber gehe nur hin. Besondere Folgen wird es nicht haben, denn es ist sehr zweifelhaft, ob wir noch eine Saison hier mitmachen – falls du nicht das Verlangen danach hast,« fügte er bei.
Ganz vergnügt versetzte Aga darauf:
»Ich? Mit dem nächsten Zuge fahre ich heim, wenn du willst. Erst gestern habe ich mich darüber geärgert, daß sie etwas aus mir machen, was ich gar nicht sein will. Die Frau des Grafen Hove auf Reitershausen bin ich, aber kein Schaustück für diese Hofgesellschaft. Wenn du meinst, sie hätten mich jetzt genug besehen, soll's mir nur recht sein.«
»Aber nichts davon sprechen!« sagte Hove. »Sonst muß man allen möglichen Leuten darüber Rechenschaft ablegen, warum man von seiner Unabhängigkeit Gebrauch macht.«
Die Morgenpost brachte gerade heute einen Brief aus Garnheim von Frau von Falk. Lustig, mit gutmütigem Humor, schilderte sie den Ball der Honoratioren im Schwan, der eben abgehalten war. Sie fügte bei:
»Wir fuhren in unserer Bataillonskarre, dem Krümperwagen, heim, der den Wind so schön durchläßt, daß ich mir einen gründlichen Schnupfen geholt habe.«
»Da sind wir das nächste Jahr auch dabei,« sagte Aga, als sie den Brief dem Gatten vorgelesen hatte, und fuhr dann fort:
»Vielleicht arrangieren wir auch etwas in Reitershausen.«
»Ja, arrangieren wir was?« fragte der Graf mit einem zärtlich heitern Blick.
»Bösewicht!« sagte Aga und küßte ihn. »Das wär' das beste!« fügte sie leise bei.
Die Baronin Hottenbach hatte schon lange darauf gehofft, die Bekanntschaft mit Gräfin Hove erneuern zu können. Es sollte dann der Weg gefunden werden, dieses ihr unheimliche Verhältnis zwischen Max und dem Grafen zu wandeln. Die Vergangenheit mußte endlich zur Ruhe kommen, ihre Stellung zum geliebten Sohn durfte nicht bis zu ihrem Ende unter diesem Unausgesprochenen und doch immer wieder in seinem Gebaren lauernd Auftauchenden leiden. Max sollte der jungen Frau, gegen deren Schönheit er offenbar nicht blind war, näherkommen, ihr den Hof machen, sich womöglich in sie verlieben, dann dachte er nicht mehr daran, Dingen nachzugrübeln, auf deren Spur er irgendwie gekommen war, ohne daß er Näheres wissen konnte. Nun kam auch noch dieses Gerücht über den Grafen Hove. Da hatte ja Max so gut wie gar keine Chancen mehr.
Eine köstliche Botschaft war es der Baronin gewesen, als Gräfin Hove in jener Teegesellschaft so überraschend unbefangen – man konnte es auch beschränkt nennen – all ihre Triumphe der Begeisterung für eine alte Tante und einen käfersammelnden Onkel opferte. Da mußte eingehakt werden. Man mußte diesem Provinzblütchen bange machen vor dem Hofleben, das es ja noch nicht hinter den Kulissen kennengelernt hatte, vielleicht auch den Stolz des landsässigen Adels in ihr rege machen. Es bestand da ja ein alter Antagonismus. Draußen auf den Schlössern sprach man von »Hofgeschmeiß« und rühmte sich vielhundertjährigen Besitzes, in München bezeichnete man solchen Landadel, wenn zufällig die Rede darauf kam, mit einer leichten Geste als »auch adelig«.
Aga traf bei der Baronin nur noch zwei alte Damen und eine jüngere, die ihr aber auch an Jahren erheblich voraus war. Die Unterhaltung drehte sich wesentlich um Hof- und Gesellschaftsklatsch aus älterer und neuerer Zeit, und man äußerte sich in sehr freimütiger Sprache öfter mit belustigtem Gekicher über Dinge, deren Erörterung Aga höchst peinlich berührte. Dazwischen wurde von Launen und Besonderheiten der höchsten Herrschaften gesprochen, die deren Umgebung mehr oder minder schwere Verpflichtungen auferlegten, und von diesen und jenen Lasten und Beschränkungen der freien Bewegung, die der Hofdienst mit sich bringe. Baronin Hottenbach war es, die das Gespräch, wenn es auf eine Weile von diesem Thema abgeglitten war, immer wieder dahin zurücklenkte.
Aga war das Gerede im Grunde höchst uninteressant, und sie erkannte auch recht wohl, daß nicht alles, was da gesprochen wurde, als beurkundete Wahrheit zu nehmen war. Sie wurde aber doch in der Empfindung bestärkt, daß Paul recht daran tat, wenn er sie nicht wieder nach München brachte.
Max Hottenbach hatte die Gewohnheit, sich bei solchen Damenbesuchen seiner Mutter auf einige Minuten zur Begrüßung einzustellen, weil er, auch wenn die Mutter allein war, bei ihr um diese Zeit eine Tasse Tee zu nehmen pflegte.
So erschien er auch diesmal und konnte nur schlecht seine Verwunderung verhehlen, als er die Gräfin Hove sah. Er begrüßte sie aber mit großer Artigkeit und ließ sich neben ihr zu einer Unterhaltung nieder.
Als sich die Damen frühzeitig entfernt hatten, wendete er sich an seine Mutter:
»Wie kommst du denn dazu, die Gräfin Hove einzuladen? Meines Wissens hat sie dir gar keinen Besuch gemacht.«
»Ich hatte meine besonderen Gründe,« antwortete die alte Baronin.
»Du hast damit freundschaftliche Beziehungen eröffnet, die mir, aufrichtig gesagt, nichts weniger als angenehm sind.«
Die Baronin faßte den Entschluß, es nun einmal zu wagen, ob Max deutlicher ans Vergangene tasten würde.
»Du mußt deiner Mutter schon gestatten,« sagte sie, »daß sie sich ihren Verkehr nach ihrem Geschmack einrichtet. Überdies wüßte ich wahrhaftig nicht, was gegen die Gräfin einzuwenden wäre.«
»Ich behaupte auch gar nichts Derartiges. Du hast sie aber gegen den alten Brauch sozusagen gewaltsam herangezogen. Jetzt fühlt sie sich wahrscheinlich verpflichtet, dich wieder einzuladen, du triffst ihren Mann, es machen dann beide offiziellen Besuch. Das paßt mir nicht, Mama!«
Schroff hatte er die letzten Worte hervorgestoßen.
»Ich verbitte mir diesen Ton!« wehrte die Baronin ab.
Hottenbach kaute, mit gesenktem Kopf vor sich hinstarrend, an der Unterlippe. Dann sagte er:
»Dieser Hove kommt mir nicht ins Haus, ich leide es nicht!«
Es wurde der Baronin nicht leicht, und ihre Stimme klang trotz dem lauten Ton, als drücke etwas auf ihre Kehle, als sie sagte:
»Du wirst es leiden müssen!«
»Dann weiß ich, was ich zu tun habe,« knurrte Max und verließ mit hastigen Schritten das Zimmer.
Einige Tage darauf fand ein Fest beim preußischen Gesandten statt. Sowohl das gräfliche Ehepaar wie auch Max Hottenbach waren dazu geladen.
Es war gleich zu Beginn. Prinzregent Luitpold und mehrere königliche Prinzen waren eben erschienen. Hottenbach stand mit einigen Herren beisammen und beobachtete, wie der Prinzregent nach der Begrüßung durch den Gesandten und dessen Gattin, ohne eigentlich Cercle zu machen, sich frei im Saale bewegte und da und dort einen Herrn oder Dame ansprach. Auch vor dem Grafen und der Gräfin Hove blieb er stehen und es war deutlich zu sehen, daß er der letzteren mit heiterem Kopfnicken eine Artigkeit sagte, dann dem Grafen mit dem Zeigefinger leicht an die Brust tippte, wobei die Gräfin errötend lächelte.
Bald darauf stand Prinz Ludwig, der Thronfolger, vor den Hoves. Es entstand eine längere Unterhaltung, bei der der Prinz zeitweilig aufmerksamer Zuhörer des sprechenden Grafen war. Als er sich schließlich von ihm entfernte, schüttelte er ihm lebhaft die Hand. Aus der Herrengruppe, in der Hottenbach stand, äußerte jemand:
»Dieser Hove wird nachgerade Favorit.«
Man kam auf das umlaufende Gerücht.
»Was braucht sich der mit einer Hofcharge herumzuquälen?« sagte ein anderer darauf. »Sein politisches Debüt ist freilich schlecht ausgefallen, aber einen Sitz in der Ersten Kammer kann er deshalb doch früher oder später erhalten und das bedeutet ihm wohl mehr als eine Hofcharge.«
»Letzten Endes läuft es auf die Weisheit hinaus: Nimm dir eine schöne Frau!« sagte ein Dritter lachend.
»Merk' dir's, Hottenbach!« scherzte ein junger Kavalier. »Du warst übrigens mit Hove in der Pagerie. Ich kenne ihn nicht näher. Was ist eigentlich an ihm?«
Hottenbach zuckte die Achseln und erwiderte mit trockener Derbheit:
»Damals war er ein gutes Schaf.«
»Mir macht er einen sehr sympathischen Eindruck.«
»Er ist ein liebenswürdiger Mensch,« klang es jetzt aus der Gruppe.
Seit jener kurzen Unterredung mit seiner Mutter trug sich Hottenbach mit dem Entschlusse, nun endlich einmal dem Herrn Grafen Hove in einem anderen Ton zu kommen. Wie sollte er denn der Mutter Vorgehen verstehen? Das war gar nichts anderes als ein empfindsames Spiel mit alten Erinnerungen. Sie wollte den Sohn jenes Elenden, der seine Kindesliebe vergiftet hatte, an sich locken und er, der eigene Sohn, konnte zusehen, wie ihre Augen ihn liebkosten, wie mütterliche Gefühle für ihn in ihrem Gemüte auftauchten. Er sollte mit diesem Erben des Verfluchten die unter Schmerzen zäh festgehaltene Mutterliebe teilen, aufs neue sollte sich dieses unselige Geschlecht wie ein seuchebringender Wurm in die Familie Hottenbach einfressen. Das war das letzte, da war nicht mehr weiter mit Spielpfeilen zu schießen. Das Gerede der Herren hatte ihn in die richtige Stimmung versetzt, seinem Haß, sooft ihm Hove nur von weitem zu Gesicht kam, eine neue Steigerung gegeben, so daß er schließlich den Drang mit ihm anzubinden kaum noch beherrschen konnte. Da geschah es, daß sie in einem Zwischenraum, der nur als Durchgang zwischen zwei größeren Sälen diente und wenig von Gästen belebt war, aufeinanderstießen. Hove kam vom Rauchzimmer und wollte nach dem Hauptsaale, wo er seine Frau wußte. Hottenbach ging den umgekehrten Weg.
Den Augenblick jäh erfassend, sagte Hottenbach, vor Hove stehenbleibend:
»Könnt' ich dich einen Augenblick sprechen?«
»Ich stehe zur Verfügung,« antwortete Hove höflich mit leichter Verwunderung.
»Deine verehrte Gattin«, sagte jetzt Hottenbach, »hat kürzlich meiner Mutter das Vergnügen gemacht, bei ihr den Tee zu nehmen. Ich möchte dich nun darauf aufmerksam machen, daß mir nähere Beziehungen unserer Familien nicht wünschenswert erscheinen.«
Er hatte seine Rede korrekt höflich begonnen, war aber dann in ein erregtes Hasten der Worte geraten, und sein Gesicht hatte sich lebhaft gerötet
Mit herausforderndem Blick erwartete er die Antwort Hoves, der eine straffere Haltung angenommen hatte, aber ruhig erwiderte:
»Möchtest du dich näher erklären. Ich müßte sonst in deinen Worten eine Beleidigung meiner Frau erkennen und um Angabe der Veranlassung bitten.«
»Deine Gattin«, antwortete Hottenbach, »kommt nur insoweit in Betracht, als sie – eben leider eine Gräfin Hove ist. Eine Beleidigung dieser Dame liegt mir durchaus fern. Darum geht es mir, daß du nicht in der Folge unser Haus betrittst.«
»Auch darüber muß ich um eine Erklärung bitten,« sagte jetzt Hove. »Ich erfahre dann auch vielleicht, weshalb ich mich seit unserer Jugendzeit deiner deutlichen Abneigung erfreue.«
Hottenbachs Kopf neigte sich gegen Hove, seine Augen waren weit aufgerissen, und seine Lippen bebten erst, wie nach der Sprache tastend, ehe er mit einer Bewegung, als wolle er den Gegner körperlich angreifen, halblaut hervorstieß:
»Weil der Sohn eines Schuftes bei uns nichts zu suchen hat.«
Hove drückte in seiner Miene aus, daß er eine Ahnung bestätigt sehe, und sagte dann:
»Ich kann das Andenken meines toten Vaters nicht beschimpfen lassen. Sie werden von mir hören, Baron Hottenbach.«
»Endlich,« sprach dieser halblaut vor sich hin, und mit knapper Verbeugung gingen sie auseinander.