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Richard Backstein war in den letzten Jahren ein sehr gesuchter Name auf dem deutschen Kunstmarkt geworden, nicht bloß in München, sondern auch in Berlin, Hamburg, in den zahlungsfähigen Städten am Rhein. Er war bei den Kunstliebhabern in Mode gekommen und ein Name, der auf den größten Ausstellungen nicht in der Menge der Erscheinungen verschwand, sondern von den Kunstkritikern herausgehoben wurde. Gerade unter diesen begannen aber Stimmen laut zu werden, die behaupteten, daß er nichts Neues mehr zu sagen habe, sich selbst kopiere und bei einem engen Spezialistentum angelangt sei. Das Bittere war, daß Backstein solche Kritiken, wenn er sie las, nicht als müßiges Gerede geringschätzig beiseite legen konnte, sondern daß sein künstlerisches Gewissen ihnen recht geben mußte. Er bekam hohe Preise, aber nur für solche Bilder, die ganz bestimmte Motive boten. Alte Stadtmauern, Wachttürme, dunkle Tore, durch die man auf eine enge Gasse und Häuser mit überhängenden Giebeln sah, mußten darauf sein. Allenfalls nahm man noch den malerischen Winkel eines altertümlich anmutenden kleinen Kirchplatzes als »echten Backstein« an. Wenn er aber mit hell leuchtenden blumigen Wiesen, mit wuchtig umrissenen Baumgruppen kam, dann seufzten die Kunsthändler und sagten:
»Das ist ja prachtvoll, hervorragend, aber das will das Publikum von Ihnen nicht. Das ist für die Herrschaften kein richtiger Backstein und verkauft sich unter Ihrem Namen schwerer, als wenn ein ganz unbekannter darunter stände.«
Und immer wieder, wenn er eine Weile diesem Zwange Trotz geboten und sich einem freien Umgang mit der Natur hingegeben hatte, mußte er wieder in das Joch seines Rufes zurückkriechen, um das Geld einzuheimsen, das er brauchte, dringend brauchte. Da wurde er denn doch immer nachdenklicher, und immer quälender wurden die Gewissensstimmen, die ihm zuraunten, er habe seinen Künstlerwert dem Sinnenreize eines Weibes geopfert. Er fing an, sich gegen den Zauber, den Julie auf ihn ausübte, zu wehren, und er glaubte allmählich, es könnte ihm gelingen, das lockende Spiel als Gewöhnung gelassen hinzunehmen und seine höhere Mannheit vom schwülen Pfuhle seines Ehelebens loszureißen. Sooft er Agas düstere Schmerzensgestalt gesehen und den vergeblich suchenden Drang ihr Hilfe zu bringen empfunden hatte, kam es wie Scham über ihn, und es geschah denn auch ein und das andere Mal, daß er Julies stete Heiterkeit, ihr gurrendes Lachen und den dunkeln Schelmenblick ihrer Augen verdrießlich übersah. Das prächtige Haus gefiel ihm zu mancher Stunde nicht mehr. Seine Herkunft fiel ihm ein aus der gediegenen Bremer Kaufherrnfamilie mit der steif altmodischen Vornehmheit ihrer Umgebung und der gemessenen Würde ihrer Lebensart. Mochte im ganzen Hause alles echtes Material sein, mochte Julie nur gediegenste Stoffe am Leibe tragen, es roch ihm doch alles nach einer kranken Kultur, und so lustig es bei ihm zuging, das rechte, tiefatemholende Freiheitsgefühl war es doch nicht; es fehlte die frische Luft.
Julie lernte reiten. Sie wollte durchaus nicht dicker werden. Als der Reitunterricht im Tattersall so weit gediehen war, daß sie Ritte im Freien unternehmen konnte, schloß sie sich dem bekannten Sportmaler Salvenburg und seiner Gattin an zu häufigen Morgenritten.
Salvenburg war ein sehr flotter Lebemann, im Schuldenmachen unterstützte ihn seine schöne Frau, die kurze Zeit Schauspielerin gewesen war, dann einen Vicomte geheiratet, sich bald von diesem hatte scheiden lassen und nach mehrjährigem unsteten Herumreisen an Salvenburg geraten war. Man wußte nichts Nachteiliges von ihr, aber sie war eine Dame von sehr freiem Wesen, das stark an Halbwelt anklang.
Unter diesen Umständen sah sich Backstein veranlaßt, diese Morgenritte mitzumachen. Er war Reserveleutnant der Düsseldorfer Ulanen und obwohl er seit Jahren nicht mehr zu Pferde gesessen hatte, gewann er doch schnell wieder die Übung. Während des Rittes gesellten sich immer noch Offiziere und Zivilisten dazu, und es gab sehr lustige Kavalkaden. Es konnte im weiteren nicht ausbleiben, daß man mit Salvenburgs, die man bisher nur oberflächlich gekannt hatte, in nähere Beziehungen von Haus zu Haus kam. Zwischen Julie und Frau Salvenburg entstand eine sehr innige Freundschaft, und Julie ahmte bei Beginn der Wintersaison die in München sonst sehr seltene Gewohnheit der Freundin nach, an einem Tage der Woche offenen Empfang zu halten. Der Salvenburgsche Kreis kam auch in das viel eleganter gehaltene Backsteinsche Haus, dessen Räume an einem solchen Tage von Besuchern überfüllt waren.
Zu diesen Empfängen erschien auch Aga mit Frau von Rottenau. Das war es, was Backstein veranlaßte, wieder den Dingen ihren Lauf zu lassen. Von Julies Listen hätte er es sich nicht mehr abschmeicheln lassen. Aga besuchte sonst keine größeren Gesellschaften, das wußte er und das gab ihm auch die Möglichkeit, sie im Auge zu behalten und zu – behüten. Sie saß da mit dem Leidenszug und dem düsteren Blick, als gehorche sie widerwillig einem Zwange, sprach wie müde und mit ihren Gedanken weit entfernt ganz leise in kurzen Sätzen, zuweilen glitt ein spöttisch-geringschätziges Lächeln über ihre Lippen.
Manchmal aber sah sie einen Herrn mit großen, fragenden Augen an, die seine ganze Gestalt prüfend streiften. Wie hilfesuchend waren diese Blicke und dringlich forschend, ob dies wohl ein des Vertrauens würdiger Mann sei. Ihr ganzes Wesen wurde dadurch plötzlich, ohne jeden Übergang, so völlig verändert, daß die Herren, denen derartiges begegnete, verwirrt davon wurden und auch andere Zeugen neugierig befremdete Mienen machten. Da kam es denn auch vor, daß sie nach einem so seltsamen Mienenspiel lebhaft wurde und mit einem solchen Herrn ein längeres Gespräch begann, wobei aber immer noch der Blick etwas an ihm zu suchen schien. Man umdrängte sie und las mit Spannung in ihren Mienen. Backstein aber stand zur Seite mit bitteren Empfindungen. »Die Frau gibt zu Mißdeutungen Anlaß,« dachte er. »Diese Männer finden einen Kitzel in ihrem Wesen, lauern auf Überraschungen und abenteuerliche Geheimnisse. Sie will Betäubung finden, über sich selbst wegkommen und hastet nach einem Vertrauten, einem Freund, dem sie sich offenbaren kann. Das findet sie hier nicht, da stürzt sie sich in neue Verwirrungen. Was will sie denn? Ich bin ja da, und einen besseren Vertrauten kann sie nicht finden als mich.«
Aber, obwohl sie gegen den Schwager immer redelustiger war als sonst und sich über mancherlei mit ihm besprach, zum Seelenvertrauten machte sie ihn nach wie vor nicht; es waren immer nur allgemeine Worte der Bitterkeit oder der Wehmut, mit denen sie seine Versuche beantwortete. Zuweilen brach sie auch das Gespräch durch eine andere Wendung ab. So fragte sie ihn eines Tages plötzlich:
»Sag' mir doch, Richard, weißt du denn nicht, wohin Papa seine Bilder immer so schnell verkauft? Wenn er eines fertig hat, bringt er es gleich weg und behauptet, eine sehr gute Absatzquelle zu haben. Ich begreife nur nicht, wo er dann das Geld läßt.«
Backstein antwortete:
»Mir sagte er einmal, er habe viele gute Freunde, die ihm Abnehmer besorgten.«
»Welche Freunde denn?« versetzte Aga. »Ich fürchte eben, er kompromittiert sich mit seinen Geschäften. Es scheint mir überhaupt, als sei es nicht mehr recht in Ordnung mit ihm. Kannst du nicht ein bißchen zusehen, was er eigentlich treibt?«
Backstein »korrigierte« zwar noch immer von Zeit zu Zeit die Malereien seines Schwiegervaters, den er gelegentlich besuchte, um dann auch Aga zu begrüßen, oder die ihm dieser selber »zur Ansicht«, wie er sich ausdrückte, zubrachte. Es waren ja in der Regel nicht sehr große, leicht in der Hand tragbare Bildchen. Aber seit Hoves Tod kümmerte er sich nicht mehr um dessen Lebensgewohnheiten außer dem Hause. Er entlockte ihm nun gelegentlich den Namen des Kaffeehauses, in dem er nachmittags zu verkehren pflegte, und erfuhr dort, daß der »Herr Baron« jeden Tag den landesüblichen Tarock spiele, und zwar mit ziemlich hohen Einsätzen. Das war allerdings keine sehr löbliche Gewohnheit und zeigte, daß Rottenau sich nie und nimmer an Sparsamkeit gewöhnen würde. Ihm weiter nachzuspüren war mit Unbequemlichkeit und Zeitverlust verbunden. Vor allem aber wurde sein Interesse daran durch Aga selbst abgelenkt.
Eines Tages führten die Salvenburgs auf Julies offenem Empfang einen jungen Künstler ein, einen Herrn von Kornberg. Er galt als ein sehr begabter Stuck-Schüler und war vor kurzem mit einigen in Künstlerkreisen lebhaft besprochenen Bildern öffentlich aufgetreten. Mit dichter Mähne schwarzer, leichtgelockter Haare, brünett, eine scharf gebogene Adlernase zwischen feurigen braunen Augen, war er ein hübscher Bursche, von ganz italienischem Typus. Im Laufe des Abends sprach Frau Salvenburg den jungen Maler laut an:
»Nazi, sagen Sie – – –«
Man lächelte und sah die Dame etwas verwundert an. Diese bemerkte heiter:
»Auf der Akademie haben sie ihn so genannt, und mein Mann und ich sagen auch so. Mit einem ›Nazi‹ von Ignaz abgeleitet hat das nichts zu tun. Er heißt nämlich Coronazzi Edler von Kornberg. Gelt, Nazi?«
Dieser nickte bejahend und fügte hinzu:
»Wir stammen aus Welschtirol, aus Rovereto. Mein Onkel wohnt noch dort. Für den jüngeren Sohn, meinen Vater, hat mein Großvater das Schloßgut gekauft, das wir bei Innsbruck haben, und weil das ein altes adeliges Gut war, sind wir halt auch geadelt worden.«
In dem gemütlich österreichischen Hochdeutsch mit dem gurgelnden Einschlag des Tiroler Dialektes hatte Herr von Kornberg das ganz schlicht gesagt. Die Gräfin Hove richtete sich auf ihrem Sitze auf und fragte lebhaft, mit großen Augen:
»Ihre Eltern wohnen in der Nähe von Innsbruck?«
»Zwei Bahnstationen sind's noch und dann ein Stünderl im Wagen.«
»Sie kommen also öfter nach Innsbruck?« fragte die Gräfin weiter.
»Freilich. Ich fahr' öfter nach Haus. Von hier aus ist ja nur ein Rutsch hin,« antwortete der Maler. »Interessieren sich Frau Gräfin für Innsbruck? Ist ein schönes Städtel, nicht wahr?«.
»Ich kenne es gar nicht,« versetzte Aga auf einmal ganz kühl. »Es war nur eine Frage.«
Dabei behielt sie aber den Maler fest im Auge.
Dieser war etwas verblüfft, sagte aber gutmütig:
»Da müssen's einmal hinfahren, das lohnt sich.«
Backstein hatte das Gespräch mit angehört und Agas erregte Spannung beobachtet. Sofort fiel ihm auch ein, daß ja jener unselige Baron Hottenbach jetzt in Innsbruck wohne. Schon an diesem Abend, noch deutlicher bei folgenden Gelegenheiten wußte Aga den dunkellockigen Tiroler fast ständig an ihrer Seite zu halten, und eines Tages erschien sie auch bei einer Festlichkeit, die Salvenburgs gaben, obwohl sie sich bisher Frau Salvenburg gegenüber sehr kühl verhalten hatte. Sie trug ein leicht fließendes hellgraues Seidenkleid mit Silberstickereien und hohem Gürtel, und ihr schlanker, edler Gliederbau kam darin zu bestrickender Geltung. Auf ihren Zügen lag die gewohnte schmerzliche Herbheit. Die Melancholie ihres Blickes lockte mehr als je die Männer, vor allem aber Kornberg, der ganz in ihrem Bann war und zu jedermann flüsterte:
»Ich muß sie malen. So was gibt's nicht mehr. Da liegt was drin!«
Er kam auch mit dieser Redensart zu Backstein, der beinahe unfreundlich sagte:
»Darauf werden Sie verzichten müssen. Meine Schwägerin läßt sich nicht malen.«
»Ich stehe in der Gnad' bei der Frau Gräfin. Das kriegen wir schon,« antwortete Herr von Kornberg.
Backstein hatte Mühe sich zurückzuhalten. Es war kein Zweifel, sie kokettierte mit dem schwarzgelockten Jüngling, kokettierte auf eine ganz eigentümliche Art mit förmlich gebietenden Blicken.
Julie sagte auch schon in ihrer Weise:
»Du, mit der Aga ist was los. Die bändelt mit dem Tiroler an. Es sind ja schon bald drei Jahre, aber gerade den – –«
»Gerade der«, besann sich Backstein wieder, »ist aus der Gegend von Innsbruck und gerade dort wohnt Baron Hottenbach.«
Und er kam auf Gedanken, die ihm selber allzu romantisch schienen und die ihn doch nicht losließen.
Ein wilder Schmerz packte ihn. Aga verkaufte sich, um den toten Gatten zu rächen, wurde des Rächers Weib und ging damit in namenloses Elend.
Das waren ja Fieberträume, nein, nicht Fieberträume, Eifersucht war es. Er selber war verliebt in die Schwägerin. Er konnte es nicht mehr leugnen, es war so und es half nichts mehr dagegen, denn so war dieses Friesenblut, so hatte es sich für Julie auf den ersten Blick entflammt. Klar ist man im Kopf, starr in seinen Grundsätzen, abgeneigt dem leichten Spiel mit den Leidenschaften, das die Männlichkeit entnervt, aber zündet es einmal, dann gibt es keine jähe Flamme, die rasch wieder in sich selbst zusammensinkt, dann brennt ein Feuer, das nicht mit einem Wasserguß gelöscht wird.
Ein Zustand der Unruhe, der nervösen Mißlaune kam über ihn, der Julie ebensowenig entging wie die andere Tatsache, daß Aga eine besondere Art liebenswürdiger Bestimmtheit gegen den Schwager anwandte, wenn er sich mit schlecht verhehltem Eifer zwischen sie und ihren jungen Ritter zu drängen suchte, den man nach einiger Zeit regelmäßig antraf, wenn man Aga um die Teestunde besuchte. Mama Rottenau nahm dies nicht allzu ernst. Nach ihrer Meinung war der junge Mensch willkommen zu heißen als eine ganz brauchbare Mittelsperson, um in Aga wieder die Lust am Leben zu wecken, die ihrem Alter zukam und für ihre gedeihliche Zukunft notwendig war.
Oft geschah es jetzt, daß Backstein beim Anbruch des Winterabends das Haus verließ, sich von der Elektrischen bis ans Ende der Maximilianstraße bringen ließ und dann planlos durch die beleuchteten, reichbelebten Verkehrsstraßen der Altstadt bis zum Karlsplatz und wieder zurück schlenderte, wobei er sich zuweilen auch in andere Stadtteile verlor. Auf solchem Gange sah er im Gewirr der meist hastig schreitenden Menschen seinen Schwiegervater und eine weibliche Gestalt an seiner Seite. Er hätte sie vielleicht gar nicht bemerkt, wenn sie im Zuge der anderen Leute schnell an ihm vorübergegangen wären. Sie erregten aber seine Aufmerksamkeit, weil sie wenige Schritte vor ihm in eines der engen, finsteren Seitengäßchen einbogen, wie deren gerade in dieser Gegend noch einige aus alter Zeit erhalten geblieben waren. Jetzt beschloß er, dem Wunsche Agas doch mit größerer Energie Folge zu leisten als bisher und allen Fäden nachzugehen, die zu Einblicken in Papa Rottenaus Lebenswandel führen könnten. Zunächst war da nachzuspüren, ob er den früheren Umgang mit der jungen Künstlerbohème fortsetze. In gewissen, allgemein bekannten Lokalen, die Backstein mehrmals besuchte, war er nicht zu finden gewesen. Es gab aber in München noch viele Kneipen, in denen das Künstlervolk sein Wesen trieb. Das wußte er recht wohl, aber er war in dieser Richtung nicht ortskundig genug. Da fiel es ihm gelegentlich ein, Herrn von Kornberg zu fragen, der ja noch jung genug war, um Kenner dieser Örtlichkeiten zu sein.
Der junge Kunstgenosse nannte ihm auch einige Wirtschaften mit dem Bemerken:
»Ich selber verkehre da nicht. Nach der Arbeit höre ich gern was anderes als Kunstsimpelei, habe da allerlei kleine Gesellschaften, in denen sich die Interessen mischen. Vor allem gehe ich natürlich dem Tiroler Wein nach. In der Torkelstube neben dem Hofbräuhaus können Sie mich oft finden –«
Dann setzte er mit einem kleinen Lächeln hinzu:
»Nichts für ungut – aber Sie möchten wohl dem Herrn Schwiegerpapa ein bisserl auf die Fährte gehen? Gut wär's schon.«
Backstein war höchst peinlich davon berührt, daß gerade dieser Herr von Kornberg über Rottenaus Führung näher unterrichtet zu sein schien.
»Wie soll ich das verstehen?« fragte er.
»Ich verkehre ja doch im Hause,« sagte jetzt Kornberg. »Und die Frau Gräfin ist mir so wohlgesinnt, die Frau Mama ja auch. Da tut es mir wirklich leid, daß der alte Herr so dumme Sachen macht. Aber den Damen kann man das natürlich nicht sagen. Da ist ein bekanntes Modellmädel, noch eine ganz junge Person, aber ein ausgemachtes Luder. Die deutsche Kathi heißt sie bei den Künstlern, weil ihre Mutter eine Berlinerin ist und sie ein ganz drolliges Gemisch von Münchnerisch und Berlinerisch spricht. Die hat sich nun an den alten Herrn gemacht und zieht ihm, glaub' ich, ein ordentliches Stück Geld aus der Tasche.«
»Sonst täte ich doch so was nicht sagen,« versetzte Kornberg fast entrüstet.
»Ich danke Ihnen, Herr von Kornberg,« sagte Backstein. »Ich darf auch wohl um eine diskrete Verwertung Ihrer Kenntnis bitten?«
»Gewiß,« erwiderte Kornberg. »Aber bei den jungen Leuten ist das so bekannt, daß es sehr leicht auch in weitere Kreise kommen kann. Da könnt' ich also nicht dafür verantwortlich gemacht werden. Schauen S' nur, daß S' der Sach' ein End' machen.«
»Das soll geschehen!« antwortete Backstein zornig.
»Da ist noch was anderes,« fuhr Kornberg fort. »Ich weiß ja nicht, wie Sie die Kunst Ihres Herrn Schwiegervaters bewerten, und ich will auch gar nicht darüber urteilen. Aber für einen Herrn von Rottenau schickt es sich doch wirklich nicht, daß er mit einem Kerl wie diesem Weitzenheim Geschäfte macht, der ein Ramschgeschäft betreibt und mit einem Wanderlager billiger Ölgemälde im Deutschen Reiche herumzieht, die die Münchener Kunst in Unehre bringen. Ich rede zu Ihnen davon, weil ich die Ehre habe, in der Familie zu verkehren.«
Auch das noch mußte man sich ausgerechnet von dem Tiroler Jüngling sagen lassen, der sich dabei als Familienfreund aufspielte.
Mit dem Herrn Schwiegervater mußte jetzt gründlich ins Gericht gegangen werden. Um ihm aber ganz gerüstet entgegentreten zu können, wollte er auch über die Geschäfte mit diesem Herrn Weitzenheim näher unterrichtet sein. Dieser besaß keine Kunsthandlung in der Art eines Ladengeschäftes, sondern arbeitete im ersten Stockwerk eines nahe dem Hauptbahnhof gelegenen Hauses. Ein ganz junger Kommis öffnete Backstein und berichtete, Weitzenheim sei in einem nahen Kaffeehause, werde aber bald erscheinen. Dann führte er ihn durch ein kleines Kontorzimmerchen in einen größeren Raum, in dem die goldgerahmten Bilder nicht nur dichtgereiht an den Wänden hingen, sondern auch noch diese Wände entlang übereinandergestapelt am Fußboden standen. Die Mitte des Zimmers nahmen zwei Staffeleien ein, die dem Eintretenden ihre Rückseite zukehrten. Backstein warf einen flüchtigen Rundblick über die Wände und erkannte unter der ausgesprochenen Kitschware auch zwei Bildchen Rottenaus. Übrigens bemerkte er auch einige bessere Arbeiten, die wohl Künstler in Geldnot hierhergebracht hatten und die dann beim Wanderhandel als Lockvögel dienen sollten.
Der Kunsthandel dieser Art war ja, wie er wohl wußte, zugleich schlimmster Wucher, der notleidende Künstler durch Vorschußzahlungen in sklavische Abhängigkeit brachte.
Er näherte sich den Staffeleien, die wohl besondere Paradestücke zur Schau boten.
Ein kurzer Ausruf kam von seinen Lippen, dann wendete er sich in schroffem Tone an den jungen Mann, der ihm in einiger Entfernung gefolgt war:
»Woher haben Sie diese Bilder?«
Es waren zwei Studien seiner eigenen Hand. Der verblüffte Mensch antwortete nähertretend und einen Blick auf die Staffelei werfend:
»Herr Weitzenheim wird sie wohl vom Maler selbst gekauft haben. Wir machen selten Geschäfte unter der Hand.«
Dabei sah er Backstein doch mißtrauisch fragend an.
Dieser hatte unterdessen auch noch gesehen, daß auf beiden Bildern sein Signum täuschend nachgemacht war. Solche Studien signierte er selbst ebensowenig wie andere Maler die ihren.
»Die Bilder sind von mir, und ich habe sie nicht verkauft, weder Herrn Weitzenheim noch jemand anderem,« herrschte er voll Zorn den Kommis an, der jetzt ganz ängstlich stammelte:
»Ich weiß von nichts. Ich kann ja Herrn Weitzenheim holen.«
»Tun Sie das,« rief Backstein, und der Jüngling stürzte eilig ab.
Der Kunsthändler ließ nicht lange auf sich warten. Ein kleiner dicker Mann mit grauem Bart über den wulstigen Lippen und einem Kneifer auf der großen Nase rief mit heller, fetter Stimme:
»Ergebenster Diener, Herr Professor! Was verschafft mir die Ehre? Haben Sie vielleicht ein Geschäft für mich? Sie haben ja schon die zwei Bilder gesehen, die ich bereits von Ihrer Meisterhand habe. Werd' die nicht lange behalten.«
»Die Bilder sind gestohlene Studien mit gefälschten Signierungen. Wissen Sie das, Herr?« wetterte Backstein.
Weitzenheim sah ihn dreist durch seinen Kneifer an und sagte:
»Ich hab' sie nicht gestohlen, ich hab' sie bezahlt, oder wenn wir genau sagen, ich hab' sie in Zahlung genommen.«
»Dürfte ich dann um den Namen des Verkäufers bitten?« fragte Backstein.
»Herr Professor – – –«
»Ich bin kein Professor,« wehrte Backstein unwirsch ab.
»Herr Backstein also, ich bin ein reeller Mann, und wenn da was Unreelles daran ist, da hat man eben Sie bestohlen und mich betrogen. Da können wir ja dann gemeinsam vorgehen gegen Herrn von Rottenau. Von dem hab' ich die Bilder.«
»Mein Schwiegervater!« sprach jetzt Backstein dumpf vor sich hin.
Weitzenheim legte ganz selbstbewußt den Kopf zurück und sprach bedächtig, geschäftsmäßig:
»Herr von Rottenau braucht immer Geld, er ist sehr stark bei mir im Vorschuß gewesen, und da habe ich ihm gesagt, um aufzuräumen soll er mir einmal ein paar Bildchen von Ihnen verschaffen, dann ist der Vorschuß gelöscht. Ich habe natürlich gedacht, er wird sich mit Ihnen darüber benehmen.«
»Sie haben gedacht, ich werde Bilder an Herrn Weitzenheim verkaufen?« sagte Backstein bitter höhnend. »Was haben Sie denn meinem Schwiegervater angerechnet?«
»Herr Backstein,« erwiderte Weitzenheim darauf, »zu mir haben schon sehr berühmte Herren den Weg gefunden. Ich darf nur keinen Namen nennen. Was ich dem Rottenau berechnet habe? Gerade genug für weggeworfene Studien mit falscher Unterschrift. Vierhundert Mark.«
»Ich werde Ihnen das Geld schicken, und Sie geben mir die Bilder zurück,« warf Backstein hin.
Weitzenheim lächelte und sagte:
»Wird sich wohl nicht machen lassen, ein Backstein hat auch bei mir seinen Preis. Unter tausend Mark kann ich die beiden Stücke nicht abgeben.«
»Sie sind – –«
Sehr laut unterbrach ihn Weitzenheim:
»Wenn Ihnen das nicht paßt, Herr Backstein, dann bedaure ich. Den Rottenau aber, den Schwindler, werfe ich die Treppe hinunter, wenn er sich wieder hier sehen läßt. Sagen Sie ihm das, bitte!«
»Sie sollen die tausend Mark haben,« stieß Backstein hervor und rannte davon.