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Aga hatte ihren Eltern sofort Mitteilung von Hoves Antrag gemacht und zugleich dessen Besuch angekündigt. Aber auch die Baronin Sporn hatte an Frau von Rottenau geschrieben, Aussteuer und Hochzeitsfeier zu ihren Lasten erbeten und des weiteren bemerkt:
»Mein Mann und ich hätten noch anderes mit euch zu besprechen. Kommt doch mit Julie hierher, wir wollen dann ein fröhliches Verlobungsfest feiern.«
Mama Rottenau war außer sich vor Freude über einen solchen Glücksfall und machte Aga jetzt zu ihrer Lieblingstochter, was bisher für sie wie für den Vater Julie gewesen war. Zu dieser sagte sie:
»Aga ist immer vornehmer gewesen als du, viel mehr Dame. Du hast so viel kokettiert, warst zu provozierend. Du wärst gar nichts für einen solchen Aristokraten gewesen.«
Julie machte dazu eine geringschätzige Miene und meinte, zur Frau eines Landjunkers hätte sie allerdings nie gepaßt. Von dem Getändel mit dem jungen Baron Zubruck wußte die Mutter ja nichts, und sie wollte sich auch selber dazu bereden, daß eine Künstlerehe etwas viel Schöneres sein müsse, denn die Zusammenstellung »Frau Backstein« und »Gräfin Hove« machte sie doch etwas nervös. Noch dazu kam die Mutter mit der Redensart:
»Es trifft sich gut, daß die Sporns Agas Hochzeit ausrichten wollen. Bei dem nahen Zusammentreffen eurer Verlobungen hättet ihr eigentlich gemeinsam getraut werden sollen. Aber das wäre doch keine angenehme Situation für dich geworden.«
Graf Hove kam und bat in feierlicher Weise um Fräulein Agathes Hand. Frau von Rottenau gab ebenso feierlich ihre Zusage. Der Vater spielte dagegen den burschikosen Künstler und erwähnte die Vermögenslosigkeit seiner Töchter lachend, in humoristischer Wendung. Hinterher ließ er eine sentimentale Rede anklingen und beklagte, daß ihm seine beiden Kinder weggenommen würden. Gelegentlich machte er mit deutlicher Selbstgefälligkeit die Bemerkung:
»Die Verlobungen meiner Töchter spiegeln in origineller Weise die beiden Qualitäten ihres Vaters wider, des Aristokraten und des Künstlers.«
Hove aber mußte seine Gedanken immer erst aufs neue wieder zur Erkenntnis der Tatsache zwingen, daß dies Agas eigentliche Familie sei, nicht das prächtige Ehepaar Sporn.
Die Rottenaus fuhren nach Garnheim. Mama überhäufte Aga mit Zärtlichkeiten und war nach einer kurzen Unterredung voll herzlicher Verwandtschaftlichkeit gegen die Baronin Sporn, der sie bisher sehr kühl gegenübergestanden hatte. Julie nannte die Schwester scherzend eine Duckmäuserin, bezeichnete Schloß Reitershausen als einen altmodischen Kasten und sagte, ihr Richard müsse ein Haus neuesten Stils in feinster Gegend Münchens kaufen. Der Vater hatte sofort allerlei Pläne zur Verschönerung des Schlosses bereit, versprach die Restaurierung verschiedener Ahnenbilder und wußte den künftigen Schwiegersohn zu bewegen, daß er sich und Aga möglichst bald malen lassen werde.
»Dir mache ich natürlich keinen Preis,« bemerkte er dazu. »Überlaß dir's, wie du die Sache als Kavalier behandeln wirst.«
Julies Hochzeit fand zuerst statt. Der Bruder des Bräutigams war mit seiner Frau aus Bremen gekommen. Er war der Inhaber der angestammten Kaffeefirma. Auch die Schwester und der Schwager hatten sich eingefunden. Dieser war Teilhaber einer Schiffsreederei in Bremerhaven. Sie fühlten sich fremd in dem Kreise, sahen kühl selbstbewußt drein und sprachen unter sich davon, daß Richard eben ein Künstler sei, den man seine besonderen Wege gehen lassen müsse.
»Sehr schön ist sie ja!« klang es durch die Unterhaltung, als entschuldigendes Zugeständnis.
Vater Rottenau ulkte während des im engen Kreise gehaltenen Hochzeitsessens hinter deren Rücken über die neue »steifgebügelte Verwandtschaft aus Norddeutschland«, die nach Bürgerstolz, Kaffeebohnen und Teer röche. Julie hatte sich die Hochzeitsreise nach Paris erbeten. Als das junge Ehepaar auf dem Umwege über Brüssel und die Rheinlande wieder zurückgekommen war, fand Agas Trauung mit dem Grafen Hove in Garnheim statt. Diese fuhren nach Oberitalien.
Auf der Rückreise hielten sie sich einen Tag in Bozen auf. Am Abend traten sie nach einem Spaziergange an ein Café, vor dem ein zahlreiches, meist aus Touristen, zwischen die sich Offiziere mengten, bestehendes Publikum saß. Hove erkannte eine kleine Gruppe von Herren und Damen der Münchener Adelsgesellschaft. Er wollte grüßend vorübergehen. Man lud ihn aber ein, sich der Gesellschaft beizugesellen. Als man dann erfuhr, daß er sich auf der Hochzeitsreise befinde, erhöhte dies die Stimmung um so mehr, als jedermann sich freute, die bildhübsche junge Gräfin noch länger im Auge behalten zu können. Aga kam auf einer Seite neben eine alte Dame mit schneeweißem Haar zu sitzen, die ihr vom Gatten als Baronin Hottenbach bezeichnet worden war. Diese brachte ihr eine außerordentliche Freundlichkeit entgegen, die durch einen Hauch mütterlicher Güte etwas höchst Anziehendes gewann. Ihr schräg gegenüber saß der Baron Hottenbach, der alten Dame Sohn. Er mochte im Alter des Grafen Hove stehen. In Touristenkleidung nach englischem Schnitt, das derbe Gesicht mit einem kurzen roten Schnurrbart und schmalen Wangenstreifen ausgestattet, klemmte er von Zeit zu Zeit ein Einglas ins Auge, um diese oder jene Beobachtung zu machen und es dann gleich wieder fallen zu lassen. Mit heller Stimme und gewissen Redensarten schien er das österreichische Armeedeutsch nachahmen zu wollen, wie dies beim Münchener Hofadel vielfach der Brauch war. Baronin Hottenbach sagte Aga, daß sie von Rom komme, wo ihr jüngerer Sohn Attaché bei der bayerischen Gesandtschaft am Vatikan war, und sich hier mit dem älteren getroffen habe, der im Karersee-Hotel oben wohne und als leidenschaftlicher Alpinist Bergtouren mache, die sie beängstigten. Sie sprach auch von ihrer Tochter, die an einen Ulanenrittmeister in Bamberg verheiratet war.
Nach einer Weile lenkte der Baron Agas Aufmerksamkeit auf sich und erzählte Geschichtchen aus der Zeit, die er mit Hove in der »Pagerie«, der Erziehungsanstalt für die königlichen Edelknaben, in München verbracht hatte. Es handelte sich um Schülererlebnisse und Knabenstreiche. Man mußte aus diesen Geschichtchen den Eindruck gewinnen, als sei Graf Hove damals ein ziemlich beschränkter oder wenigstens ungeschickter Bursche gewesen, der von seinen Kameraden gern zum besten gehalten wurde.
Der Ton, den der Erzähler dabei anschlug, dünkte Aga nicht harmlos spaßhaft, sondern sie hörte die Absicht heraus, den Gatten, der nur duldsam dazu lächelte, bloßzustellen. – Auch die anderen Zuhörer schienen keinen Gefallen an dieser Art von Humor zu finden und waren offensichtlich bemüht, der Unterhaltung eine andere Wendung zu geben, was denn auch gelang. Agas Laune war aber verdorben, und sie gab bald dem Gatten einen Wink, der zum Aufbruch mahnte.
»Das ist aber ein unangenehmer Mensch, dieser Baron Hottenbach,« sagte sie nach einigen Schritten.
»Ja, er hat eine sonderbare Art des Humors,« bemerkte Hove gelassen.
»Ich hätte ihm an deiner Stelle ganz anders gedient!« meinte Aga zornig.
»Du wirst diese faulen Witze doch nicht tragisch nehmen?« sagte der Graf beschwichtigend. »Sehr taktvoll war's ja gerade nicht, denn ich stehe heute gar nicht mehr auf einem so vertraulichen Fuße mit ihm. Man sieht sich zuweilen, hat natürlich das alte ›Du‹ beibehalten, aber die Beziehungen zwischen uns sind im Laufe der Zeit kühl geworden.«
Auf ihre Frage, was der Baron denn eigentlich sei, erhielt Aga die Antwort:
»Man möchte ihn in eine Hofstellung bringen. Seine Mutter hat gute Beziehungen. Er hat allerlei probiert. Erst war er Fähnrich, dann studierte er Jura und ging auf eine Weile nach Ostafrika in den Kolonialdienst. Jetzt hat er einen Posten im Zentralbureau des Landwirtschaftlichen Vereins. Früher besaß die Familie ein Gut in Niederbayern.«
»Und von so jemand läßt du dir das bieten?« sagte jetzt Aga in einem verweisenden Ton.
»Aber Liebling, es ist doch nicht der Mühe wert, sich darüber aufzuregen,« beruhigte Hove sie wiederum.
Der Zwischenfall hatte ihn jedoch selbst mehr verstimmt, als er sich anmerken lassen wollte. Es war die ärgerlichste Begrüßung des mit der jungen Frau zu neuen Lebenszielen Heimkehrenden, die ihm hatte werden können, gerade wie ein böses Omen von Widrigkeiten, die sein junges Glück bedrohen sollten.
Dieser Baron Hottenbach war ihm in den Knabenjahren ein ganz guter Kamerad gewesen. In den oberen Schulklassen war dann plötzlich eine Änderung eingetreten, für die Hove keine Ursache zu finden vermochte. Als er einmal seiner Mutter von der merkwürdigen Feindseligkeit des jungen Hottenbach sprach, hatte diese, die allerdings immer eine sehr schroffe, harte Art hatte, mit merkwürdiger Leidenschaft gesagt:
»Hau' ihm ins Gesicht!«
Später zeigte Hottenbach bei jeder Begegnung ein ironisch herausforderndes Wesen gegen ihn, das schon mehrmals Dritten aufgefallen war. Er war sonst gar nicht unbeliebt in der Gesellschaft, wenn er auch als sonderbarer Charakter galt, der durch seine Launenhaftigkeit da und dort Anstoß erregte. Er war ein guter Gesellschafter, und manche behaupteten sogar, er sei auch ein sehr dienstbereiter Freund. Als Hove dann später einmal nach dem Tode der Mutter aus einem neuen Anlaß den Vater fragte, ob vielleicht vor längerer Zeit mit der Familie Hottenbach irgendein Zerwürfnis vorgefallen sei, hatte dieser, allerdings ein schon kranker Mann, mit auffallender nervöser Bewegung derartiges bestritten. Hove bekam aber die Überzeugung, daß irgend etwas zwischen den Familien liegen müsse, was zwar ihm nicht bekannt sei, wovon aber der junge Hottenbach wisse.
Die Ehe der Eltern Hoves war so unglücklich wie nur möglich gewesen, und Paul hatte selber als Jüngling mit wachsender Erkenntnis schwer darunter gelitten. Ob der zweifellose Leichtsinn des Vaters in jüngeren Jahren durch die jähzornige und unfreundliche Art der Mutter veranlaßt oder ob die Entwicklung gerade umgekehrt vor sich gegangen war, wagte er nicht zu beurteilen. Aber er gewann allmählich die Mutmaßung, daß die Eifersucht eine erhebliche Rolle gespielt haben mochte. Dunkel blieb ihm jedoch, was dabei der junge Hottenbach zu tun haben sollte. Die Geschichtchen, die dieser zum besten gegeben hatte, entstellten die Wahrheit. Paul Hove war ein sehr gutmütiger Junge gewesen, dessen Güte oft von den Kameraden mißbraucht wurde, aber eine lächerliche Figur hatte er nie gespielt. Es war doch geradezu eine Roheit, vor eine junge Frau in den Flitterwochen das Zerrbild ihres Gatten hinzustellen. Hottenbach war zu weltgewandt, derlei nur aus Taktlosigkeit zu begehen. Es war bewußte Bosheit, die Hove auch aus dessen Miene gelesen hatte, und aus solcher war auf tiefen Haß zu schließen. Paul Hove haßte niemand, auch den Baron Hottenbach nicht.
Auf der Hochzeitsreise hat man Besseres zu tun, als verstimmenden Zwischenfällen lange nachzuhängen, und nach der Heimkehr nach Reitershausen galt es ein neues Leben mit frischer Lust anzupacken, das liebe Weib einzuführen und einzufügen in alte Überlieferung, es mit den Herren und Damen vertraut zu machen, die von den Wänden niederschauten auf die jüngste Gräfin Hove. Hove hatte gar keine wesentlichen Neuerungen im Schlosse getroffen. Der Garten war besser instandgesetzt, das Gestühl im Eßzimmer hatte neue grüne Lederbezüge bekommen, da und dort war frisch getüncht und gestrichen, auch eine und die andere Tapete ausgewechselt worden. Aga selbst hatte die niedliche Einrichtung eines boudoirartigen Kabinetts von Onkel und Tante Sporn mitbekommen.
Sie hatte wie den Eltern so auch Julie ihre Ankunft in Reitershausen angezeigt und dabei auch den feierlichen Empfang im festlich geschmückten Dorfe geschildert. Julie antwortete sehr vergnügt und beschrieb das prächtige Haus, das Backstein in der Nähe des Prinzregenten-Theaters gekauft und im neuesten Geschmack eingerichtet hatte. Was sie sonst schrieb, fand ganz und gar nicht das Gefallen Agas.
Diese empfand ihr junges Glück als etwas so Ernstes, so nachdenklich schaute sie in die Zukunft, daß ihr der Ton, den die Schwester in ihren Äußerungen über die Ehe anschlug, geradezu weh tat. Von eigener Liebe sprach sie gar nicht, sondern nur davon, wie der Gatte ihre Schönheit anbete und wie gut sie schon die Kunst verstehe, ihn in allen Dingen ihrem Willen gefügig zu machen.
Zu Paul sagte sie erst nur, Julie habe geschrieben. Auf dessen Frage: »Was schreibt sie denn? Wie geht es den beiden?« meinte sie dann:
»Sie scheint sehr vergnügt zu sein. Ihre leichte Lebensauffassung hat sie einstweilen noch nicht verloren.«
»Das soll sie auch gar nicht,« versetzte Hove. »So wie sie ist, bildet sie einen guten Gegensatz zu Richards etwas schwerfälliger Art.«
»Harmonie soll doch der Ehe zugrunde liegen, nicht Gegensatz,« meinte Aga.
»Harmonie der Gegensätze. So behaupten wenigstens weise Leute.«
»Wo sind denn die Gegensätze bei uns?« fragte Aga jetzt mit einem zärtlichen Lächeln.
»Bei uns ist es gerade umgekehrt wie bei den Münchenern,« antwortete Hove.
Den Namen »Backstein« vermied er immer und bezeichnete statt dessen Julie und Richard als die »Münchener«.
»Du bist so ernsthaft, sinnst über alle Eindrücke nach, wirst bald alles mit viel klügeren Augen ansehen als ich. Ich bin viel oberflächlicher als du. Wenn ich nicht zufällig Besitzer von Reitershausen wäre, wüßte ich nicht, zu was ich taugte.«
»Immer zu einem lieben, guten, braven Ehemann,« versetzte Aga, und das Gespräch löste sich in Liebesgetändel auf.
Hove hatte mit seiner scharfen Selbstkritik einem Gefühl Ausdruck gegeben, das seit der Rückkehr von der Hochzeitsreise in ihm gärte und wühlte. Er hatte das Bedürfnis, festen Boden unter den Füßen zu gewinnen, seinen Lebenszweck schärfer umrissen vor sich zu sehen. Erst mehrere Jahre immer an der Seite des kränkelnden Vaters, der sich mit ängstlicher Zärtlichkeit an ihn klammerte, als wollte er etwas in seinem ganzen Leben Entbehrtes und Ersehntes noch in letzter Stunde einheimsen, dann einsam im Schlosse seiner Väter hausend, war er, von Kindheit an auf Innenleben hingewiesen, so etwas wie ein verträumter Stimmungsmensch geworden, der zeitweilig von Realitäten unangenehm geweckt wurde. In den Stimmungen lebte aber als väterliches Erbe eine starke Lebenssehnsucht, die sich, wenn er unter Menschen war, ganz instinktiv in harmloser Heiterkeit Luft machte. Hätte des Vaters Zustand seiner Bewegungsfreiheit nicht Schranken auferlegt, wäre diese Mischung des Gefühlslebens wohl zur Gefahr geworden. So kannte er aber als Erbe der strengen mütterlichen Art aus allerlei Gewöhnungen auch ein immer wieder mahnendes Pflichtgefühl. Dieses wurde nun durch die Ehe noch besonders rege gemacht. Das junge Paar unterhielt die engsten Beziehungen zu Tante und Onkel Sporn. Hove kam zu ihnen, wie Aga, in eine Art kindlichen Verhältnisses. Das junge Paar brauchte allerlei Rat. Aga war ängstlich vor den neuen Verhältnissen als Schloßherrin, die ein so ganz anderes Gesicht hatten als die in der Etagenwohnung zu Würzburg, wo allerdings sie es gewesen war, die den Haushalt im wesentlichen geleitet hatte. Hove wiederum zeigte sich von allen möglichen Plänen und Absichten, Bedenken und Entschlüssen getrieben. Die beiden Alten mahnten immer nur lächelnd zum ruhigen Abwarten langsamer Entwicklung.
So sprach denn auch Hove eines Tages gegen den alten Baron den Gedanken aus, sich mehr als bisher mit dem politischen Leben befassen zu wollen, um sich in der Folge als Parlamentarier auch dem allgemeinen Wohle nützlich zu machen. Er sprach allerlei von den Pflichten des Staatsbürgers, von den Aufgaben der Zeit, von Deutschlands Zukunft. Baron Sporn hatte ihm aufmerksam zugehört. Erst als er geendet hatte, kam ein Lächeln auf seine Lippen, und er sagte:
»Da zeigst du ja ein ganz neues Gesicht. Bisher hast du mir nicht nach einem Volkstribunen ausgesehen, der mit gewaltiger Stimme gewaltige Worte den Wählern zuschleudert oder im Reichstag die Gegenpartei niederdonnert.«
»So ist's ja auch nicht gerade gemeint,« warf Hove bescheiden ein.
»Ach so!« sagte jetzt der Baron. »Du möchtest nur durch deine Abstimmung mitwirken an der Entwicklung des Vaterlandes, glaubst so dem Staate noch besser zu dienen als nur als Steuerzahler? Hältst du es nun wirklich für ein so erstrebenswertes Ziel, bei all dem Krimskrams von Wohnungszulagen für Briefträger und Eisenbahnen nach Dingskirchen deine Meinung einzumischen oder willst du dich von irgendeinem Dauerredner überzeugen lassen, daß Deutschland dem Untergange geweiht ist, wenn man eine andere Ansicht über die Lebenshaltung der Kavallerieleutnants hat als er?«
»Lieber Onkel,« unterbrach Hove den Baron, »dann nimmst du eben den Standpunkt des Gelehrten ein, dem alle bürgerlichen Angelegenheiten untergeordnete Dinge sind.«
Ziemlich gereizt antwortete Baron Sporn:
»Bitte sehr, ich bin nie ein Gelehrter gewesen, wie du ihn im Sinne hast, der mit auf den Strohhut aufgespießten Schmetterlingen und der Botanisierbüchse herumläuft, ohne etwas anderes von der Welt als Raupen und Käfer sehen zu wollen. Aber vom Parlamentarismus habe ich auch nie viel gehalten. Große Dinge entstehen nicht durch Stimmenmehrheit. Weltgeschichte macht ein Bismarck und nicht der Abgeordnete für den Wahlbezirk Garnheim. Zugegeben, die Parlamente sind eine nützliche Einrichtung für den Alltag und könnten noch nützlicher sein, wenn das Parteigezänke nicht immer zur Hauptsache gemacht würde. Aber einen gar so großen Dienst, wie du zu glauben scheinst, leistet ein Abgeordneter der Menschheit auch nicht. Sehr viele vertrödeln vielmehr eine Zeit, die sie besser anwenden könnten, mit ihrer parlamentarischen Tätigkeit. Besorge gewissenhaft das Deinige, zeuge gesunde Kinder und erziehe sie zu tüchtigen Menschen. Das ist Lebensaufgabe genug, und darauf kommt es für das Vaterland schließlich vor allem an. Daß ich selbst diesem Ideal in meinem Lebenslaufe nicht entsprochen habe – – na ja, das geht eben zuweilen so mit Idealen.«
»Aber wenn alle Leute so dächten – –,« wendete Graf Hove ein.
»Es können sich's nicht alle leisten,« antwortete der Baron. »Das ist's. Du aber kannst es.«
»So sprichst du zu mir,« sagte Hove mit leiser Bitterkeit. »Weil du eben in mir keine weitere Gabe findest.«
»Du bist ein ganz normal begabter Mensch,« antwortete Sporn. »Dazu bist du ein braver Kerl. Das genügt. Deine Aga wird auch nicht mehr verlangen. Sei doch froh, daß dich nichts zwingt, mitzutun bei all der Streberei, die nur den Charakter verdirbt. Du kannst dich zu einem Vollmenschen formen. Dazu haben die meisten andern keine Zeit. Es muß nur zu oft in den Besten Wertvolles verkümmern.«
Alle Zukunftsfragen verschwanden ins Wesenlose vor der einen, daß Gräfin Aga sich Mutter fühlte. Tante Sporns Bereitwilligkeit, die Erfahrung des Alters zur Verfügung zu stellen, wagte sich jetzt nur mehr geschämig schüchtern hervor und an ihre Stelle trat eine überängstliche Fürsorglichkeit, der gegenüber Aga eigene heimliche Angst unterdrückte und einen freudig stolzen Mut hervorkehrte. Mama Rottenau war sehr entzückt über die Nachricht und bemerkte dazu, daß bei Aga sich eben alles besser anlasse als bei Julie, die, obwohl mehrere Wochen länger verheiratet, noch immer keine Aussichten habe. Julie selbst schrieb darüber an die Schwester, daß sie es mit einem solchen Ereignis gar nicht eilig habe, und äußerte:
»Bei dir ist es ja etwas anderes. Der Stammhalter des Hochgräflichen Hauses muß möglichst bald seinen feierlichen Eintritt in die Welt bewerkstelligen. Einen kleinen Backstein gibt es schon in Bremen, und ich habe keinerlei Verpflichtungen für die Firma.«
Die Vorstellung Agas am Münchener Hofe mußte für diesen Winter unterbleiben. Das Ehepaar machte nur einen kurzen Besuch in Würzburg, weil sich damit die Konsultation eines Universitätsprofessors verbinden ließ, und verbrachte den Winter in Reitershausen.
Als dann eines Tages dem Grafen ein Töchterlein in den Arm gelegt wurde, sagte die junge Mutter aus ihren Kissen heraus mit ängstlich fragendem Augenaufschlag:
»Du bist doch nicht böse, lieber Paul?«
Er küßte sie und erwiderte:
»So schön und lieb soll das Kleine werden wie seine Mutter.«