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Aga empfing den Schwager im Morgenrock, ihm die Hand von weitem entgegenreichend.
»Was bringt denn dich so früh her?« sagte sie. »Du suchst wohl Paul? Der ist verreist und wird wahrscheinlich um Mittag wiederkommen.«
Mit etwas dunklerer Färbung der Stimme fuhr sie fort:
»Eine liebe Freundin von uns ist in Garnheim gestorben und da ist er zur Beerdigung gefahren. Ich wäre gern mit, aber er wollte es nicht.«
»Nach Garnheim ist er gefahren? Wann denn?« fragte Backstein, nach einem Übergang zu dem Schrecklichen, das er zu sagen hatte, tastend. Dabei vergaß er ganz die ihm entgegengestreckte Hand zu fassen.
»Vorgestern,« antwortete Aga und sah den Schwager befremdet an.
»Dann ist er – wohl – gestern abend zurückgekommen?« fragte Backstein zögernd vor sich hin.
»Aber wieso denn?« entgegnete Aga lebhaft. »Er ist nicht hier. Wahrhaftig nicht.«
»Liebe Aga,« begann der Schwager, »es ist nämlich etwas vorgefallen – – –«
»Ja um Himmels willen,« rief Aga erschrocken, »was hast du denn? Paul soll gestern abend zurück – – was heißt denn das?«
»Es hat heute früh ein Duell stattgefunden – – –«
Weit riß die erbleichende Frau die Augen auf und stürzte auf den Schwager los, seine Arme fassend.
»Hottenbach!« schrie sie auf, und ganz heiser folgte die Frage:
»Was – was ist mit Paul?«
»Liebe Aga – – –«
Durch das ganze Haus klang der wildkreischende Schrei, und in der nächsten Minute stand ein Haufe von Menschen im Zimmer.
Backstein konnte den Leuten nur hinwerfen:
»Eine schlimme Nachricht – – –«
Man half ihm die wie eine Tote in seinen Armen hängende Frau auf ein Sofa betten, schaffte Belebungsmittel herbei, und als sie nach einer längeren Weile die Augen aufschlug, drängte Backstein mit einer bittenden Gebärde die Pensionsinhaberin und die Dienstmädchen aus dem Zimmer. Er war mit der Schwägerin allein.
Sie kam zur Besinnung, ihre Augen gingen suchend im Zimmer umher, sie richtete sich auf, sah den Schwager starr an und, den Kopf weit zurückgebogen, die Hände vor dem Gesicht, brach sie in tierisch heulende Töne aus. Dann sprang sie auf und rannte, immer die gräßlichen Töne ausstoßend und dazu die Hände ringend, im Zimmer auf und nieder, bis sie endlich erschöpft auf einen Stuhl sank. Jetzt schüttelte sie stumm den Kopf hin und her, die Haare wirr in der Stirn.
»Aber das kann ja gar nicht sein!« rief sie auf einmal. »Das ist ja gar nicht möglich! Totgeschossen, totgeschossen hat er ihn, meinen Paul, meinen lieben, lieben Paul?«
Jetzt erst kam unter Schluchzen ein Strom von Tränen, und jetzt erst konnte Backstein auf sie mit sanften Worten einsprechen, daß die Eltern und Julie alsbald kommen würden und daß man alles tun wollte, ihr beizustehen in ihrem schweren Schicksal.
Endlich sprach sie unter schwächerem Schluchzen, die Rechte an die Stirn gepreßt:
»So sag' mir doch, lieber Richard, wie alles gekommen ist.«
Backstein erzählte, was er wußte.
Sie aber unterbrach ihn:
»Er hätte gefordert? Nein, nein! Das ist nicht wahr, das hat er nie getan. Er war so gut, er tat keinem Menschen was zuleid. Das glaube ich nicht.«
Sie sprach dann, immer die Hand an der Stirn, langsam, die Gedanken mühsam ordnend, davon, daß Hottenbachs alte Feindschaft dem Toten stets rätselhaft gewesen sei, daß aber jetzt dieses Rätsel aufgeklärt werden müsse.
Dabei kam sie allmählich in eine heftige Erregung, sprang auf und rannte wieder durch das Zimmer, den elenden Mörder verwünschend, der sich noch im letzten Augenblicke auf sein Opfer habe stürzen können.
Sie erwähnte dabei Hoves Absicht, im nächsten Jahre München fernzubleiben, und fuhr fort:
»Ich wollte schon in diesem Jahr nicht mehr hierher. Aber es hat so sein müssen. Immer graute mir vor dem Menschen, der uns schon auf der Hochzeitsreise in den Weg getreten ist, und dem die Hölle half, das Verbrechen zu vollbringen, das er schon lange geplant hatte. Dieses Scheusal, dieser Hund! Den Kopf sollen sie ihm abschlagen! Gerädert, gevierteilt möchte ich ihn sehen! Paul, meinen Paul, diesen engelguten Menschen, niederzuschießen wie ein wildes Tier! Ach, ach! Das ist doch eine Schandtat, ein Greuel, wie sie nicht erhört sind! Und dieser Mensch wird nicht geköpft, der ist kein Mörder? Duell! Duell! Mord! Mord! Gott wird ihn schon richten, nach dem Maß, das ihm gebührt. Ich aber weiß jetzt, was der Haß ist, und tausendmal mehr, als er meinen Paul gehaßt hat, werde ich ihn hassen, nur mehr diesem Haß will ich leben und wenn ich noch so alt werde. Sooft ich an Paul denke, werde ich an seinen Mörder denken, und jede Träne, die ich um Paul weine, begleite ich mit einer Verwünschung gegen diesen Verbrecher.«
Diese tobende Gestalt mit den verzerrten Zügen, den starren Augen, deren Umgebung vom Weinen gerötet war, den bebenden Nasenflügeln und der bald schrillen, bald überstürzt stammelnden Sprache – war das noch Aga?
Backstein besann sich darauf, daß er den Brief des Verstorbenen zu übergeben hatte. Dessen Inhalt, ahnte er, würde ihrem Schmerz eine andere Wendung geben.
Mit jäher Gebärde ergriff sie den Brief, brach ihn auf und las:
»Meine süße, einziggeliebte Aga!
Wenn dieser Brief in Deine Hände gelangt, hat sich mein Schicksal erfüllt. Ich mußte Dir dieses Herzeleid bereiten, ich mußte Hottenbach fordern, und das Weitere ist eben das dunkle Los, dem Du Dich mit mir unterwerfen mußt. Ich darf Dir nur sagen, die Ehre meines Namens hat es erfordert, nicht meine persönliche, die ich unbefleckt bewahrt habe, sondern die eines Toten, für den ich einstehen mußte. Jenes Gesetz der Ehre ist nun einmal für uns Männer geschaffen, dem wir die Liebe zu Weib und Kind opfern müssen. Sei heiß bedankt für das reine Glück, das Du mir – ach so kurze Zeit! – bereitet hast. Ich habe Dich bis zu meinem letzten Atemzuge geliebt als mein Teuerstes auf Erden, als das köstlichste Wunder meines Lebens. Süße Aga, wie warst Du lieb, schön und gütig! Fast versagt mir der Mut, den schicksalsschweren Gang zu gehen, wenn ich an die Seligkeiten gedenke, mit denen Du mich beglückt hast. Küsse für mich mein liebes kleines Töchterchen, das seines Vaters sich einst gar nicht mehr wird entsinnen können. Grüße Onkel und Tante Sporn. Sie werden Dich stützen, die lieben, guten Menschen. Noch eines, meine liebe Aga! Wenn ich sterben muß, habe ich kein Recht mehr an Dich. Du kannst nicht in Deiner blühenden Jugend und Schönheit gebunden bleiben an einen Toten. Du lebst, und Dein Leben gehört Dir, unser Bund ist zerrissen. Wenn sich Dir also in kommender Zeit ein braver Mann nähern sollte, so quäle Dich nicht lange mit der unnützen Frage, ob Du verpflichtet seiest, einem Toten die Treue zu bewahren. Beschwere Dich nicht mit einem solchen Gelübde. Tritt neues Glück an Dich heran, so ergreife es unbefangenen Herzens. Möge es dauernder sein als das, das ich Dir bereiten konnte. Jetzt lebe wohl, mein Lieb, und verzeihe die schweren Stunden, die ich Dir bereiten mußte.
Dein Dir innig dankender
Paul.«
Aga ließ den Brief zu Boden fallen und weinte eine Weile vor sich hin. Dann bückte sie sich wieder nach dem Briefe.
Backstein kam ihr zuvor.
»Lies nur,« sagte sie, »ich verstehe das nicht. Sein Vater ist offenbar mit dem Toten gemeint, dessen Ehre er verteidigte. Sechs oder sieben Jahre ist der Mann tot. Er hat ein leichtfertiges Leben geführt. Paul hat es mir selbst gesagt. Und darum hat er Weib und Kind verlassen müssen? Das war stärker als meines Kindes Recht? Ich will nicht an seiner Liebe zweifeln, nein, nein, ganz gewiß nicht! Aber das kann ich nicht verstehen.«
Wieder weinte sie vor sich hin.
Backstein las den Brief und sagte dann:
»Da ist über die Gründe des Duells nicht mehr gesagt als in den paar Zeilen, die er mir geschrieben hat. Wir müssen aber aus Pauls ganzem Wesen schließen, daß er nur aus zwingenden Gründen gehandelt hat. Wie sehr er dich liebte, das hat er mir erst vor ein paar Tagen in innigen Worten auseinandergesetzt – – – das war ja wohl am Tage, ehe er nach Garnheim abreiste – sein Benehmen fiel mir auf – es war also ein Abschiedsbesuch.«
»Ich verstehe es nicht!« wiederholte Aga.
Brütend sah sie eine Weile da.
»Du mußt doch zu Paul, den du so geliebt hast, Vertrauen haben,« drang Backstein in sie. »Also zweifle nicht länger daran, daß es eben etwas Unabwendbares war.«
Jählings richtete sich jetzt Aga auf und faßte den Schwager heftig am Arm:
»Jetzt weiß ich es!« rief sie. »Mit der Mutter Hottenbachs hängt es zusammen. Die und Pauls Vater – – so ist's gewesen. Einer alten Sünderin wegen, die ihn doch gar nichts anging, mußte er sterben! Das ist ja, um toll zu werden! Die alte Hexe hat mich noch angelockt. Weiß nicht, was sie von mir wollte. Sie aber ist meines Jammers Urheberin. Mutter und Sohn muß Gott strafen mit allen Qualen der Verdammnis.«
Agas Eltern kamen mit Julie.
»Mußt dich fassen, armes Kind,« sagte der Vater zu ihr. »Wie's gekommen sein mag, er hat gewiß nur seine Pflicht als Edelmann getan.«
»Pflicht war das?« schrie Aga auf. »Und wo bleibe ich, wo bleibt mein Kind? Redet nicht weiter davon. Es macht mich toll. Später fasse ich es vielleicht einmal, daß alles so geschehen sei, wie's geschehen mußte, in bester Ordnung, nach den Regeln unseres hochadeligen Standes.«
Man stimmte darin überein, daß sie nicht länger in der Pension bleiben könne, und da Rottenaus zu eng wohnten, bot Julie ihr und dem Kinde ein Asyl im Backsteinschen Hause an.
Sie sagte:
»Ich danke dir! Für den Augenblick nehme ich's an. Für länger wäre ich jetzt ein zu lästiger Gast. Du brauchst Freude um dich, Julie, und eine trauernde Witwe paßt nicht zum Schmucke deines Hauses. Ich muß ja doch morgen nach Reitershausen fahren.«
Dann bat sie Backstein, an das Ehepaar Sporn zu telegraphieren und alles zu besorgen, was nötig wäre zur Überführung des Toten nach Reitershausen.
»An Regierungsrat Graf Hove in Regensburg muß auch telegraphiert werden. Er ist ja der Erbe,« sagte sie nach einer Weile und brach dann schluchzend zusammen.
Herr von Rottenau zog Backstein beiseite. Es gab da noch einen sehr schlimmen Punkt zu erwähnen. Die katholische Kirche verweigert dem gefallenen Duellanten das kirchliche Begräbnis. Danach war eine Bestattung in der Ahnengruft zu Reitershausen ausgeschlossen. Der Landbevölkerung konnte man aber unmöglich das Schauspiel bieten, einen Grafen Hove ohne priesterliches Geleite zu Grabe zu bringen. Das hätte das Andenken des Toten dauernd auf das schwerste geschädigt. Der Tote mußte also in einem Münchener Friedhof bestattet werden.
Nach Rottenaus Meinung sollte noch ein telegraphischer Versuch beim Bischof von Eichstätt gemacht werden, der für Reitershausen zuständig war. Das alles besorgte Backstein, und auch die nötigen Wege, die Leiche in die Totenhalle eines der Friedhöfe zu bringen. Als er müde, mit abgespannten Nerven nach Hause kam und dort die ganze Familie vorfand, lag schon ein Telegramm aus Eichstätt für ihn bereit. Es war vom Generalvikar des Bischofs und teilte mit, daß eine kirchliche Bestattung unter keinen Umständen zulässig sei.
Rottenau übernahm es, Aga davon zu unterrichten, verschob aber die schwere Aufgabe einstweilen, da diese begehrt hatte, den Toten möglichst bald zu sehen und man ihr nicht schon vorher eine schwere Erregung auferlegen wollte.
Nach Münchener Sitte sollte die Leiche im Staatskleide, also in der Kammerherrenuniform, in der Totenhalle aufgebahrt werden, wozu diese Uniform erst wieder heimlich aus der Pensionswohnung nach dem Friedhof geschafft werden mußte, was wiederum Backstein anordnete.
Vor der Leiche hielt sich Aga eine Weile trotz heftigem Weinen ziemlich tapfer. Auf einmal brach sie aber zusammen.
Man brachte sie nach dem Wagen. Während der Fahrt kam sie wieder zu sich und dachte an verschiedene Dinge, die zu besorgen seien.
Gegen Abend faßte Rottenau den Mut, ihr zu sagen, daß die Beerdigung in der Gruft zu Reitershausen auf Schwierigkeiten stoße.
Verwundert sagte sie erst:
»Aber das geht doch gar nicht anders!«
Dann überkam sie eine Erinnerung an irgendwann, vielleicht beim Religionsunterricht, Gehörtes, und höchste Angst malte sich auf ihrem Gesicht.
Der Vater verwies sie auf die Vorschriften der Kirche und berichtete von dem Telegramm des bischöflichen Generalvikars.
»Das auch noch!« rief sie. »Seine Edelmannspflicht hat er erfüllt, sagtest du heute morgen, und dafür wird er eingescharrt wie ein Verbrecher! Er soll nicht in die Gruft, er, der sich seiner Familie geopfert hat! Nach Reitershausen gehört er, und dahin kommt er!«
Immer war sie eine treue Tochter der Kirche gewesen und hatte ihre religiösen Pflichten mit gewissenhafter Sorgfalt erfüllt. Jetzt stiegen in ihrem Kopf Gedanken auf, vor denen sie erschrak.
Im Vorbeigehen betrat sie eine Kirche und flehte inbrünstig um Erleuchtung ihres Geistes, daß der furchtbare Zwiespalt, der sich vor ihr auftat, sie nicht in unheilvolle Verwirrung stürze. Paul, der gute, liebe Paul, der konnte doch nicht zu den Bösen zählen, die die Kirche ausstößt?
Sie floh aus der Kirche, sie wollte am liebsten vor sich selber fliehen.
Da gab es nur einen Halt, das einzige, was sich klar und deutlich heraushob aus aller Wirrnis, der Haß gegen jene beiden, die an allem schuld waren. Den liebkoste sie jetzt, den trug sie heim wie einen Schatz, von dem sie jetzt zehren wollte, da ihr die Liebe genommen war, die ihr ganzes Leben erfüllt hatte.
Der Regierungsrat Graf Hove aus Regensburg kam mit seiner Frau. Er stand dem Kreise der Trauernden ohnehin fremd gegenüber, und seine Stellung als Fideikommißerbe machte seine Lage noch peinlicher. Es entstand zunächst eine Stimmung, als seien die beiden störende Elemente.
Namentlich die beiden alten Rottenaus konnten kaum verbergen, wie ungern sie die beiden sahen, die die Tochter jetzt aus ihrem Reiche verdrängten. Aga selbst sagte mit zitternder Erregung zum Grafen, ihm die Hand drückend:
»Sie sind jetzt der Herr von Reitershausen, Vetter. Es war die Stätte meines kurzen Glückes. Ich lege sie Ihnen ans Herz.«
Bewegt erwiderten der Graf und die Gräfin, daß sie nicht aufhören dürfe, was sie auch beschließen würde, in Reitershausen eine Heimstätte zu sehen.
Aga schüttelte den Kopf und sagte:
»Ich würde da nur immer suchen, was doch nicht mehr zu finden ist.«
Es ergab sich ganz natürlich, daß man auf die Beerdigungsfrage zu sprechen kam.
Der Regierungsrat sprach:
»Meines Erachtens ließe sich da ein Ausweg finden, der den peinlichen Charakter der traurigen Angelegenheit umgehen würde. Man mag ja sonst über die Feuerbestattung denken, wie man will; in diesem Falle scheint sie mir eine gute Lösung zu bieten. Man führt die Leiche nach Ulm zur Verbrennung, und die Aschenurne wird im Park von Reitershausen an geeigneter Stelle, in einem zu bauenden Tempelchen vielleicht, aufbewahrt. Das ist nach unseren bayrischen Verordnungen zulässig.«
Aga stürzte auf ihn zu.
»Im Park – – in einem Tempelchen – – das wollten Sie machen, lieber Vetter?« rief sie in einem fast vergnügt klingenden Ton.
Der Regierungsrat antwortete mit einer Verneigung:
»Auf Ihren Willen kommt es an, Kusine. Mir ist es dann eine Ehrenpflicht, für die würdige Ausführung des Weiteren zu sorgen.«
»Ich weiß einen Platz,« fuhr Aga in demselben Tone fort. »Dann darf ich zuweilen kommen, dort zu beten, nicht wahr? Wie danke ich Ihnen, lieber Vetter, daß Sie meiner bitteren Herzensnot diese Hilfe gebracht haben. Das werde ich Ihnen nie vergessen! Ein schöner Platz ist's, den ich im Sinne habe, und ganz abseits, wo er das Vergnügen der Lebenden nicht stört.«
Man besprach noch weiter die praktische Behandlung dieser neuen Anordnung der Bestattung, und schließlich wendete sich der Regierungsrat an Aga mit dem Bemerken:
»Was die Wahl einer Urne angeht, sowie einen Entwurf für ein kleines Mausoleum, so besorgen wir das natürlich am besten in der Kunststadt München, und Sie, Kusine, sollen nach Ihrem Geschmack und Gefühl die Formen bestimmen, die dabei in Frage kommen.«
Das fand man hübsch von dem Erben. Ritterlich benahm er sich wenigstens, und so fand sich auch Herr von Rottenau veranlaßt, seine kühle Reserve aufzugeben und sich dem Grafen und der Gräfin etwas zu nähern. Man war mit diesen Verhandlungen eben zu Ende, als das Ehepaar Sporn eintraf.
Bei dessen Anblick verlor Aga wieder ihre allmählich gewonnene Fassung und warf sich der Tante mit schluchzendem Aufschrei in die Arme.
Onkel Sporn konnte nichts anderes tun, als Aga umarmen und auf die Schultern klopfen. Er schien gealtert, und dieser Eindruck wurde noch vermehrt dadurch, daß er die Kinnlade lebhaft in Bewegung setzte, um schluckend die Tränen zu verbergen.
»Onkel!« rief Aga auf einmal, als der erste Sturm der Gefühlserregungen gewichen war, »du mußt deine Meinung sagen. Dein Urteil ist mir maßgebend!«
Dann erzählte sie bald hastend, bald die Worte in einem Aufschluchzen erstickend, schrille Töne ausstoßend und dazwischen wieder erschöpft innehaltend und die Hand an die Stirn pressend, den Verlauf der Dinge in ihrer eigenen Kombination, die auf die Baronin Hottenbach als des Unheils Urheberin hinwies.
»Jetzt sage mir, Onkel, auf dein Gewissen,« so schloß sie, »mußte Paul den Baron fordern, mußte er unbedingt, unabwendbar?«
Groß, in gieriger Spannung, hefteten sich ihre Augen auf den kleinen alten Mann, der ihre Hand faßte und, diese leise streichelnd, sagte:
»Liebes Kind, die Sache ist, wie du sie vorträgst, nicht ganz klar. Der erste Zusammenstoß zwischen den beiden Gegnern ist wohl ohne Zeugen vor sich gegangen. Da dürfte eben Baron Hottenbach eine Herausforderung absichtlich provoziert haben, und unser guter Paul konnte dann nach den herrschenden Ehrbegriffen nicht anders handeln. Aber sein Gegner dürfte auch nicht bloß von frevelhafter Händelsucht geleitet gewesen sein – – –«
»Das nicht, das nicht, Onkel!« unterbrach ihn Aga. »Davon will ich nichts hören. Den Mörder meines Paul muß ich hassen dürfen. Darin darf mich niemand stören, hörst du! Wenn ich nicht hassen soll, muß ich glauben, daß Paul mich weniger geliebt habe als ich ihn.«
»Aga!« rief die Baronin Sporn dazwischen.
»Nun gut!« sagte jetzt Aga. »Dein Bescheid genügt mir, Onkel. Zur Forderung hat man ihn gezwungen, um ihn nachher töten zu können. Das Verbrechen liegt klar zutage.«
Sporns erfuhren jetzt, daß sie die Reise eigentlich vergeblich gemacht hatten, da keine feierliche Beerdigung stattfand.
Die Mitteilung, daß des Verstorbenen Urne im Park von Reitershausen ihren Platz finden werde, veranlaßte dann den Baron, zu Aga zu sagen:
»Daß dir und deinem Kinde unter den veränderten Verhältnissen unser Haus offen steht und du bei uns alle Liebe findest, deren du bedarfst, ist selbstverständlich, liebe Aga.«
Jetzt trat Rottenau vor. Es hätte dazu gar nicht eines besonderen Winkes seiner Gattin bedurft. Die Geschäftigkeit Backsteins war ihm schon unangenehm, obwohl sie dringend erwünscht war. Daß sich jetzt auch Sporn vordrängte, ärgerte ihn. Er war jetzt wieder die natürliche Stütze seiner Tochter, und das mußte er doch vor diesem halbfremden Fideikommißerben geltend machen.
»Dein Angebot ist höchst liebenswürdig,« sagte er zu Sporn. »Aber es ist ja unter diesen höchst traurigen Umständen noch mancherlei im Interesse Agas zu erwägen. Ich glaube indessen jetzt schon die Meinung aussprechen zu sollen, daß der Aufenthalt in solcher Nähe von Reitershausen aus naheliegenden Gründen sich für Aga nicht empfehlen dürfte.«
Etwas verletzt antwortete Sporn:
»Aga wird meine Meinung gewiß richtig verstehen.«
»Es ist sehr liebenswürdig von dir gemeint, gewiß,« entgegnete Rottenau. »Wir kennen ja eure gütigen Gesinnungen für unsere Tochter.«
Als das Ehepaar Sporn in seinem Gasthofszimmer war, äußerte der Baron:
»Ich bin fast froh, daß es zu keiner feierlichen Beerdigung kommt, obwohl das die Bitterkeit der Dinge noch verschärft. Aber ich hätt's nicht ausgehalten. So geht es, wenn man so, wie wir, im glücklichen Alltag dahingelebt hat. Man hat gar nicht gelernt, einem Ungewitter standzuhalten, zumal wenn es so plötzlich hereinbricht wie dieses. Ich habe mich wohl recht töricht gegen Aga benommen, nicht wahr?«
Die Baronin verneinte das und fügte bei:
»Du hast ihr doch auf ihre sehr peinliche Frage offene Antwort gegeben, wo sich ein anderer vielleicht mit Redensarten gewunden hätte.«
»Ich wollte sie doch in diesem Augenblick nicht belügen, da offenbar die höchste Seelennot aus ihr sprach. Aber sie bedarf jetzt eines starken Haltes. Das sollte so ein alter Mann sein wie ich. Ich bin's aber nicht. Ich erkenne jetzt erst, wie mich das Glück verweichlicht hat. Ich kann's nicht ansehen, wie ein so liebliches Menschenkind leidet. Und es steckt eigentlich nur Egoismus hinter solcher Art von Mitleid. Man hat den Mut nicht, dem Unglück ins Antlitz zu sehen. Bei ihren Eltern findet sie freilich auch nicht, was sie braucht. Aber uns ist sie jetzt ganz verloren. Die halten sie fest. Warum? weiß ich nicht, denn viel wird sie nicht in den Haushalt zuschießen können. Ich wenigstens habe keine Lust, unter diesen Umständen Besonderes zu leisten.«
»Die Rottenaus denken an die Zukunft. Das Trauerjahr geht vorüber, Aga ist noch jung. In Garnheim hat sie zwar Paul kennen gelernt, aber so was wiederholt sich doch nicht. In München gibt es andere Gelegenheiten.«
»Aber ich bitte dich,« versetzte der Baron, »gestern ist doch erst das Schreckliche geschehen. Da sollten jetzt schon solche Spekulationen in ihren Gedanken Raum finden?«
»Meine Kusine ist eine kluge Frau,« entgegnete die Baronin. »Die behält den Kopf hoch im Unglück und verliert das Steuer nicht aus der Hand.«
Sporn stieg die Zornesröte ins Gesicht, und er stammelte voll Erregung:
»Das – das wäre ja ganz infam – ganz niederträchtig wäre es – wenn sie die Arme quälen wollten mit solchen – Spekulationen.«
Die Baronin sagte darauf:
»Es fragt sich erst, ob Aga so mit sich spielen ließe. Ich hörte Töne aus ihrem Schmerze klingen, die mir andeuten, als sollten wir jetzt eine ganz andere Aga bekommen, eine, die auch uns vielleicht weniger gefällt. Aber es kann sein, daß sie einmal an unsere Tür klopft.«
»Eine andere Aga – – ja, ja – – du könntest recht haben,« versetzte Sporn.