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Herr von Rottenau war mit Gattin nach München übergesiedelt, hatte sich ein großes Atelier eingerichtet und die bedeutendsten Maler Münchens aufgesucht. Diese sahen das Gemisch von Kavalier und Künstler, beides in altmodischer Kleinstadtfärbung, mit einigem Mißtrauen an. Das war wohl wieder einmal eine jener fragwürdigen Gestalten, wie sie in allerlei Marken auf dem Münchener Boden auftauchten, entweder um bald zu verschwinden oder aber um irgendwie durch ihre Bekanntschaft lästig zu werden.
Backstein bekam sehr bald die Wirkung davon zu spüren. Diese großen Meister der Kunst waren ja nicht gerade immer Meister des Taktgefühls.
Der eine fragte ihn gelegentlich:
»Da war ein Maler aus Würzburg, ein Herr von Rottenau, bei mir. Er sagte, er sei Ihr Schwiegervater. Stimmt das?«
Ein anderer scherzte:
»Ihr Herr Schwiegervater war bei mir. Der ist noch ganz von der alten Schule, mimt Rubens. Das müssen Sie ihm hier gleich abgewöhnen. Geht doch wirklich nur mehr in Würzburg und Umgegend.«
Backstein führte ihn auch in der »Allotria« ein, wo er nur allzu gesprächig auftrat. Zu des Schwiegersohnes Qual sprach er immer vom Fach und ließ sich durch die beharrliche Schweigsamkeit seiner Umgebung nicht beirren. Es möchte einige Schwierigkeiten kosten, den so ganz aus der Zeit gefallenen, zu früh gealterten Herrn noch hier in München zu akklimatisieren.
Herr von Rottenau begab sich alsbald daran, ein Modell zu nehmen und auf einer großen Leinwand eine Badende am Bachesrand zu malen. Damit wollte er sich im Kunstverein einführen.
»Die Leute sollen erst mal sehen, was ich eigentlich kann, ehe ich mich an das gewöhnliche Porträtieren mache,« sagte er. »Der Akt ist doch immer noch die Probe darauf, was einer gelernt hat.«
Immer wieder mußte Backstein zu ihm kommen, sein Urteil abzugeben. Das tat er zunächst in Form knapper Ratschläge. Eines Tages aber griff er selber zum Pinsel, fegte gründlich über den landschaftlichen Teil, daß der Schwiegervater ganz ängstlich um ihn herumtänzelte und immer wieder Einwände machte, die aber doch nicht zu ernster Abwehr wurden. An einem anderen Tage setzte er an dem Körper der nackten Schönen einige neue Töne auf, die in ihrem breiten Wurfe das blecherne Kolorit einigermaßen erwärmten. So konnte das Bild wenigstens ausgestellt werden.
»Eigentlich hast du meine Arbeit versaut,« sagte ihm schließlich der Schwiegervater zum Dank. »Aber du kennst den hiesigen Malergeschmack. So mag mir's recht sein. Den Schmiß kriege ich auch heraus, wenn's durchaus sein soll. Solide Kunst ist das freilich nicht.«
Backstein lächelte, denn gerade seine Kunstweise war überaus sorgfältig und vermied streng eine gewisse moderne Art genialischer Sudelei mit grober Pinselführung. Aber dieses Machwerk war nur noch durch eine freche Manier breiter Überpinselung gewisser Stellen zu retten gewesen.
Es kam auch zur Ausstellung, in der Gegend der Ausstellungsräume, die dem Publikum als der Winkel des Minderwertigen geläufig waren. Infolgedessen fand es trotz seiner Größe keine sonderliche Beachtung. In einer Zeitung war die Meinung zu lesen, es habe den Anschein, als hätte hier ein ganz leidlicher Landschaftsmaler auf ihm fremdem Gebiete gestümpert. Backstein las es mit Humor, aber die Beurteilung traf seiner Ansicht nach doch nicht das Richtige. Rottenau hatte etwas gelernt. Das war am Bilde zu erkennen. Aber das einstige Können war verlottert, verkümmert. Da sich die Porträtaufträge nicht so schnell einstellen wollten, obwohl er angefangen hatte, auch mit aristokratischen Kreisen Fühlung zu gewinnen, so mußte wie in früheren Zeiten zunächst Julie wieder herhalten, und zwar zu einem lebensgroßen Bilde in großer Toilette. Sie tat es ganz gern, denn sie konnte sich nicht oft genug ausgestellt sehen und sie hatte jetzt in Münchener Ateliers schon so viel gelernt, daß sie den Vater in bezug auf Pose und Arrangement beraten konnte. Schließlich mußte auch Richard wieder verbessernd eingreifen. Als dann Julie gelegentlich bemerkte:
»Du wirst den Papa schon noch weiter auf diese Weise über Wasser halten müssen, denn mit dem eigenen Allein kann er nicht bestehen,« nahm er, ohne sich auszusprechen, doch eine sehr ernste Miene an. Da eröffnete sich eine Perspektive, die ganz und gar nicht nach seinem Geschmacke war, weil etwas durchaus Unkünstlerisches, Unehrliches darin lag, denn mit allenfalls zulässigen kleinen Korrekturen wäre es nicht abgetan gewesen.
Rottenau hatte sein Atelier in einem für solche Zwecke eingerichteten Hinterbau eines Hauses in der Amalienstraße, und zwar gerade über der Werkstätte eines jungen Bildhauers. Da unten ging es manchmal, namentlich um die Zeit der anbrechenden Dämmerung, sehr lustig zu. Gesang zur Gitarre klang herauf, untermischt von Weibergekreisch und Gelächter. Wenn er das Haus verließ, begegnete er manchmal einer ganzen Gruppe junger Künstler und Mädchen, die den Bildhauer abgeholt hatten, sicherlich um irgendwo einen lustigen Abend zu verbringen. Er kam schließlich einmal ins Gespräch mit dem Bildhauer, besah sich dessen Arbeiten und nahm seine Einladung an, doch einmal herunterzukommen, wenn er wieder lustige Gesellschaft höre.
Rottenau hatte bisher noch gar nicht den ihm zusagenden gesellschaftlichen Anschluß gefunden. Bei den angesehenen älteren Künstlern war ihm nicht recht wohl. Sie waren sehr höflich, nannten ihn Herr »Baron«, aber er hatte ihnen gegenüber immer das Gefühl, als sähen sie absichtlich darüber hinweg, daß er ja ein Berufsgenosse war.
Er war dann auch an den Stammtisch einer bekannten Weinstube gekommen, dessen Mitglieder aus aktiven und inaktiven älteren Offizieren und höheren Beamten bestanden, darunter etliche Angehörige bekannter Münchener Adelsfamilien. Er hielt sich an diesen Kreis, weil er Aufträge daraus zu ziehen hoffte in der Art, wie es in Würzburg gegangen war. Aber die Art seines gesellschaftlichen Talentes fand bei diesen behäbigen Herren, die sich alle seit Jahren kannten, keinen rechten Anklang. Man lachte zwar über seine Witze und Schnurren, kehrte aber bald wieder zu den gewohnten Gesprächen zurück, die meist auf ihm ganz fremde Personen und Verhältnisse Bezug hatten. Es war eben eine Philistergesellschaft, die gar nicht lebhafter angeregt sein wollte, sondern ihre Schoppen trinkend und in gemessenen Zwischenräumen den Rauch aus der Zigarre stoßend, auch in der Unterhaltung ein langsames Tempo liebte. Er fühlte sich gelangweilt, vereinsamt.
Als er nun einmal bei diesem jungen Völkchen im Bildhaueratelier gewesen war, das sich sehr dankbar zeigte für die Beiträge, die der lustige alte Baron zur Heiterkeit beisteuerte, ließ er sich gelegentlich auch einmal in eine jener Kneipen mitschleppen, wo die künstlerische Jugend ihren genialischen Lebensdrang losließ. Er fand den Weg nach Schwabing, der klassischen Bohèmevorstadt, und begann schon dort ein neuer Typus unter den vielen andern zu werden, als Backstein von diesen Sonderwegen des Schwiegervaters erfuhr. Er ahnte die zweifelhafte Stellung, in die der alte Herr dort kommen müsse, und machte ihm Vorstellungen, daß eine solche Art des Künstlerlebens sich für ihn nicht zieme. Da wurde Herr von Rottenau aber bösartig, verbat sich jede Einmischung in seine Privatangelegenheiten und verhöhnte den Schwiegersohn als »steifen« Preußen, dem das echte Künstlertemperament fehle.
»Das brauche ich eben,« sagte er schließlich. »Bin in der Provinz vertrocknet.«
Nichts war Backstein unleidlicher als die Vorstellung mancher Laien von einer sogenannten Romantik des Künstlertums, die er Liederlichkeit nannte. Hier trieb ein Künstler in gereiften Jahren solchen Unfug mit genialisch tuender Gebärde. Er sprach zu Julie davon, die lachend sagte:
»Das Väterchen bummelt! So gar überraschend kommt mir das nicht. An übertriebener Solidität hat er nie gelitten.«
Gleich darauf setzte sie ernsthaft hinzu:
»Wenn er dich anpumpt – und das wird nicht ausbleiben – dann sei vorsichtig. Zeigst du dich gleich zu entgegenkommend, dann kannst du sehen, wie weit es führt. Früher oder später wirst du ohnedies mit Paul darüber reden müssen. Er kommt ja hier nicht auf mit seiner Malerei. Wir sind aber nicht dazu da, ihn und Mama allein aufrechtzuhalten, bloß deshalb, weil wir am nächsten zur Hand sind. Paul kann mehr leisten als wir.«
Bisher hatte Julie Geldangelegenheiten nur immer mit leichtsinnigem Lachen und schmeichelnder Koketterie berührt. Backstein wäre es lieber gewesen, sie hätte auch so für ihren alten Vater gesprochen.
Er entgegnete:
»Einstweilen hat sich Papa zu mir noch nicht in dieser Richtung geäußert, aber im Stich könnte ich ihn natürlich nicht lassen. Du hast dich etwas hart ausgesprochen, Liebste. Er ist nun mal dein Vater!«
Julie wurde etwas verlegen. Sie faßte sich aber rasch und sagte lebhaft:
»Das kannst du mir nicht verübeln. An mir ginge nämlich alles aus, denn du kämst auf den Gedanken, daß du dir mit mir eine Last aufgehalst hast, daß es eine Dummheit war, mich zu heiraten. Ich koste dir schon genug Geld. Das weiß ich recht gut. Aber dafür hast du auch etwas, es rentiert sich doch. Nicht?«
Dabei sah sie ihn wieder an mit den schönen Augen und dem köstlichen Lächeln, das zwischen korallenroten Lippen kleine weiße Zahnperlchen sehen ließ.
»Nur meinetwegen brauchst du das viele Geld?« sagte er lächelnd und legte den Arm um ihre Taille.
»Natürlich nur deinetwegen,« antwortete sie. »Damit du mich lieb behältst und damit die Leute immer etwas von dir zu reden haben.«
»Von mir?«
»Na ja, ich mache dir Reklame. ›Wer ist die schöne Frau?‹ ›Die Frau des Malers Backstein‹.«
Jetzt lachten alle beide.
»Du,« sagte dann Julie mit einer etwas zwanglosen Gebärde, »ich werde dick. Hast du das gern? Sonst muß ich etwas dagegen tun.«
Das war die Art, in der regelmäßig jeder Ernst aus ihrer Unterhaltung verjagt wurde, sooft auch Richard den ernsten Ton anschlug.
Um die Drei Könige trafen Hoves wieder in München ein. Aga hätte sehr gern auf die Karnevalsfreuden verzichtet, denen sie sogar mit einem dunklen Bangigkeitsgefühle entgegensah, als möchten ihr daraus nur wieder schmerzliche Verwirrungen des Gemütes entstehen. Hatte sich doch ohnehin ein Nebelschleier über das Paradies ihres Liebesglückes gebreitet in dem vergeblichen Harren auf die höchste, die notwendige Erfüllung des Ehesegens.
Freilich lächelte Tante Sporn über ihre ängstliche Ungeduld, und der Gatte selber verlor kein Wort zur ernsten Familienfrage. Ihr aber sollte der Erbe zum Unterpfande vertiefter Gattentreue werden. Sie hatte es auch ausgesprochen, daß ihr der neue Verkehr mit dem Ehepaar Falk vollkommen genügen würde, den Unfreundlichkeiten des Winters Trotz zu bieten. Paul aber hatte darauf beharrt, daß ihm die Zerstreuungen in der Großstadt diesmal besonders nötig seien, sich wieder in eine unbefangene Stimmung zu bringen.
Bei erster Gelegenheit, da die beiden Schwestern unter vier Augen waren, begann Julie die Lage des Vaters zu besprechen und stellte an Aga das Verlangen, daß sie mit ihrem Gatten darüber Rücksprache nähme.
Aga sah darin eine peinliche Angelegenheit, an die sie höchst ungern herantrat.
Julie warf aber in einem burschikos entschlossenen Ton hin:
»Du bist gerade wie Richard. Der wird auch zarte Bedenken haben. Da werde also ich mit deinem Manne ein Wörtchen reden müssen.«
»Du?« wendete Aga jetzt ein. »Das ist doch Sache der Herren.«
»Ich sagte doch eben,« fuhr Julie fort, »daß ich mich auf Richard nicht verlassen kann. Geteilt muß die Last aber werden. So schlimm ist's am Ende auch gar nicht. Für zwei Frauen, wie wir sind, können die beiden auch noch die paar Groschen für die Schwiegereltern in den Kauf nehmen. Gerade in unserer Lage muß man jeden Schein vermeiden, als fühle man sich zu demütiger Bescheidenheit veranlaßt. Wenn's dir zu peinlich ist, ich geniere mich nicht im geringsten, an deinen Paul heranzutreten. Er wird auch gar keine Schwierigkeiten machen, das weiß ich.«
Jetzt sagte Aga in hastender Redeweise:
»Wenn es nicht anders geht, muß ich natürlich mit Paul sprechen. Daß dein Mann nicht allein die Sache übernehmen kann, ist selbstverständlich. Das würde Paul auch gar nicht zulassen. Ich nehme mich ja auch gern der armen Eltern an und möchte dir darin nicht nachstehen. So sähe es aber aus, wenn du allein die Angelegenheit betriebst. Du brauchst also gar nicht weiter mit meinem Mann darüber zu reden. Heute noch werde ich es in Ordnung bringen.«
Noch nie hatte sie von dem Gatten irgend etwas von erheblichen Geldwerten erbeten, sondern immer nur auf aufmerksame Fragen mit dankbarer Freude geantwortet. Jetzt sollte sie ihm mit einer Forderung kommen, die, wie sie rechnete, einen nicht geringen Anspruch an ihn stellte.
Zaghaft und mit der Miene, als hätte sie eine Schuld zu gestehen, brachte sie ihr Anliegen vor.
Hove machte ein nachdenkliches Gesicht, sagte aber gelassen:
»Das war wohl früher oder später zu erwarten. Ich muß mir erst einmal einen Überschlag machen und werde dann mit Richard reden. Der darf jedenfalls nur einen kleinen Teil übernehmen, denn gar so reich ist er doch nicht, er muß es auch mit seiner Arbeit schaffen.«
Aga umarmte und küßte ihn.
Er wehrte ihre Zärtlichkeit sanft ab und meinte:
»Bequem kommt mir die Sache gerade nicht.«
Am nächsten Morgen kam er auf die Angelegenheit zurück und äußerte:
»Ich habe es überschlagen und werde heute Richard sagen, daß ich die Angelegenheit ganz auf meine Kappe nehme. Das gehört sich so. Ein Herr von Rottenau kann sich nicht von der Arbeit seines Schwiegersohnes ernähren lassen, und ich, als der andere Schwiegersohn, kann das auch nicht dulden. Man ist nun einmal Fideikommißbesitzer, die Eltern der Frau – es steckt ein nobile officium, eine Ehrenpflicht, darin.«
Aga wendete bescheiden ein, man müsse denn doch beachten, daß der Schwager ein ganz bedeutendes Vermögen habe.
Da sagte Hove:
»Ich schätze Richard hoch, aber über gewisse Dinge komme ich nicht hinaus. Daß ein Herr von Rottenau vom Maler Backstein unterstützt wird, geht mir gegen das Gefühl, und erst recht, da hinter dem Maler das Bremer Kaffeegeschäft steckt. So was muß vermieden werden, wenn man es vermeiden kann.«
Als er nun Backstein mitteilte, er wolle die Sorge für die Schwiegereltern ganz auf sich nehmen, mochte, ihm selber unbewußt, in seinem Ton etwas gelegen haben, woraus dieser hochmütige Überhebung heraushörte. Er entgegnete daher gereizt:
»Wie kommst du zu dieser unerbetenen Großmut? Ich habe dieselben Verpflichtungen wie du und werde ihnen ebenso gerecht werden.«
»Du mußt das richtig verstehen, lieber Richard,« sagte jetzt Hove begütigend. »Es ist freilich eine gemeinsame Familienangelegenheit, aber nach meiner Auffassung zugleich auch eine Standessache, die mich speziell angeht. Von einem Geschenk, das ich dir aufdrängen will, ist dabei gar keine Rede. Also, bitte, laß mich machen, und sei nicht beleidigt, daß du dein Geld für dich behalten kannst.«
Backstein antwortete noch viel erregter mit ganz gerötetem Kopf:
»Allerdings bin ich das, denn jetzt wird mir die Meinung deines seltsamen Ansinnens erst ganz klar. Der Schwiegervater des Grafen Hove darf kein Geld von einem simplen Herrn Backstein annehmen, wenn das auch sein anderer Schwiegersohn ist. Ich sage dir aber, da ich nun doch einmal zur Familie gehöre, verbitte ich mir ganz entschieden derartige hochadelige Schrullen, die mich zu einem Familienmitglied zweiter Klasse machen. Das hat Richard Backstein gar nicht nötig, Herr Graf!«
»Davon ist ja doch keine Rede,« wendete Hove ein. »Es gibt aber eben Gefühlssachen, die du recht wohl berücksichtigen könntest, ohne dir etwas zu vergeben.«
»Diese Gefühlssachen sind Taktlosigkeiten eures arroganten Hochmutes. Aber, mein lieber Junge, damit darfst du unsereinem nicht kommen. Das ist nicht Mode in der Gegend, wo ich zu Hause bin. Verstanden?«
Er hatte sich straff aufgerichtet und die Worte mit heller Stimme scharf herausgeschnarrt. Hove fühlte sich durch diese norddeutsche Art des Schwagers geärgert und warf bitter hin:
»Der Gelddünkel ist bei dir zu Hause Mode, das weiß man, und in dem glaubst du dich getroffen. Darum willst du meine Absichten nicht verstehen.«
»Wie soll dem Schwiegervater geholfen werden, das ist die Frage,« sagte jetzt Backstein in schroffer Knappheit. »Im übrigen kann keiner aus seiner Haut heraus, das sieht man wieder. Ich weiß mich aber der meinen zu wehren. Das mag man sich gesagt sein lassen.«
Hove war zwar durch diese schroffe Art sehr verstimmt, fand aber doch die geeignete Form zu einer friedlichen Verhandlung, die nach kurzer Zwischensprache zu dem Ergebnis führte, daß er mit dem Schwiegervater die näheren Vereinbarungen treffen sollte. Man ging in ganz verwandtschaftlicher Haltung auseinander, aber er nahm doch die Empfindung mit, daß in das beiderseitige Verhältnis ein Mißton gekommen sei.
»Sie sind nun mal eine andere Rasse, diese Norddeutschen,« sagte er zu Aga, die aber Backsteins Partei nahm und es als ein Zeichen vornehmer Gesinnung ansah, daß er sich nicht, wie es so mancher andere getan hätte, auf die bequeme Weise, die ihm geboten war, von einer Verpflichtung hatte drücken wollen.
Herr von Rottenau nahm, als ihm Hove den Beschluß der Schwiegersöhne mitteilte, erst eine erstaunte Miene an und meinte lächelnd:
»Wie kommt ihr denn eigentlich dazu? Ich habe doch weder dich noch Richard angepumpt.«
Hove bedeutete ihm darauf, man habe eben dem Übel zuvorkommen wollen, daß sich erst seine Verhältnisse allzusehr verwirrten und dann mit allerlei unliebsamen Erscheinungen zu rechnen wäre.
Herr von Rottenau lächelte wiederum und sagte:
»Ein bißchen schmeckt das ja nach Vormundschaft, und ich möchte wetten, daß solche Vorsorglichkeit von Richard ausgegangen ist.«
»Die erste Anregung stammt meines Wissens von Julie,« bemerkte Hove.
»So? Das wäre ja dann eine kindliche Fürsorge, die ich viel eher deiner Aga zugetraut hätte,« versetzte Rottenau. »Übrigens hängt meine allerdings nicht sehr glänzende Lage mit der Verheiratung zusammen. Die reichen Schwiegersöhne haben mir persönlich Schaden gebracht.«
Als Hove lachte, fuhr er lebhaft fort:
»Ja, ja, 's ist nicht anders. Euer Entgegenkommen hat daher, so dankenswert es ist, durchaus nicht den Charakter einer großmütigen Handlung.«
»So ist es auch nicht gemeint,« warf Hove ein.
»Jedenfalls«, sprach Rottenau wieder, »ist es mir lieb, daß du es in die Hand genommen hast. Ich weiß Richard zu schätzen, aber so, zwischen uns beiden, hat die Sache doch einen anderen Charakter, bleibt Kavaliersangelegenheit.«
Hove fühlte sich nicht ermächtigt, dem Schwiegervater etwas von der Zwiesprache mit Richard mitzuteilen. Dieser schlug jetzt einen heiteren Ton an, indem er sagte:
»Das bringt mich übrigens auf ein anderes Thema. Aga hat uns von deiner nervösen Verstimmung infolge der dummen Wahlaffäre erzählt. Die willst du hier loswerden? Das erreichst du aber in deinem Hofzirkel dein Lebtag nicht. Ins richtige Münchener Leben mußt du hinein. Das frischt dich auf. Da wird all der Kram, der dir die Galle verdorben hat, gründlich ausgetrieben, und viel Schönheit ist in dem Übermut. So was machen sie uns in Berlin nicht nach. Ich denke ganz egoistisch dabei. Mit Richard ist in dieser Richtung nichts anzufangen. Ich alter Knabe nehme mich ein bißchen zweifelhaft aus, wenn ich mich allein in das Treiben mische, und es kommt da auch leichter zu irgendeiner Dummheit. Heute abend ist in Schwabing Bauernball. Kostüm besorge ich dir, kannst dich hier ankleiden, dann ziehen wir los. Aga werd' ich's gelegentlich schon klarmachen, daß dies die einzig richtige Winterkur für Nervenleidende ist.«
»Aga wird mir keine Schwierigkeiten machen,« bemerkte Hove. »Sie weiß, daß ich mir nichts zuschulden kommen lasse.«
»Um so besser, und es geschieht ja auch nichts,« sagte Rottenau. »Wir spielen nicht mit, sondern lassen uns nur vorspielen.«
Der Schwiegervater war ein unermüdlicher Führer durch die Freuden des volkstümlichen Münchener Karnevals. Bis zur Neige kostete er wie die jüngsten Leute jedes derartige Fest aus. Wenn auf dem Maskenball sich das bunte Gedränge mehr und mehr lichtete, sagte er zu Hove:
»Wir wollen weiterschieben!« nahm seinen Arm, ging mit ihm nach einer Autodroschke und befahl: »Ins Luitpold!«
In der prunkvollen Säulenhalle des Cafés Luitpold tobte ausgelassener Lärm, der Sekt floß in Strömen, und bildschöne Weiber in prächtigen Kostümen standen jauchzend auf Tischen und Sofas, die schwarzgekleidete Herrenwelt durch ihren bacchantischen Übermut aufreizend und berauschend. Als dann die Ermüdung sich bemerkbar machte, die laute Fröhlichkeit nur noch stoßweise aus getrennten Ecken und nicht mehr in vollem Chorus erklang, da und dort ein Pärchen, sich umhalsend, schlief, kam der Aufbruch nach dem »Bauerngirgl«. In dieser unweit des Marienplatzes gelegenen Bierschenke vollzog sich der hergebrachte Schluß eines solchen Karnevalabends. Elegante Herren und seidenstarrende weibliche Masken saßen und standen da in drängender Enge umher. Mit Maßkrügen und Tellern, auf denen frischgesottene Weißwürste dampften. Das war das Frühstück des echten Münchener Karnevalisten. Hove besah sich mit heiterer Miene dieses bilderreiche, glühende Lebenslust atmende Getriebe, das übermütig keck die Schranken des nüchternen Alltags übersprang, doch nirgend verletzend wirkte. War da kein Platz für strenge Sittsamkeit, so fand doch auch das großstädtische Laster keine Gelegenheit sich vorzudrängen, und man brauchte nicht zu bereuen, daß man sich in solche Gesellschaft begeben hatte. Was Hove vorübergehend verstimmte, war nur der Umstand, daß er immer auf Hottenbach stieß.