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Graf Hove hatte mehrere Tage die Empfindung mit sich herumgetragen, daß Agas Rückkunft, so sehr er sie ersehnte, eine peinliche Situation schaffen werde. So diskret, in Anbetracht seiner Gefühle lächerlich diskret, seine Huldigungen gewesen waren, wollte es ihm doch scheinen, als habe er damit Erwartungen erweckt, die unter dem Eindruck der Verlobung ihrer Schwester sicherlich bei Aga besondere Gefühle ausgelöst hatten, so daß sie ihm wohl mit der Frage im Sinne entgegentreten würde:
»Wie steht es nun mit uns, lieber Freund?«
Diese verdammte Misere eines Fideikommißbesitzes! Hochherrschaftlich sah das alles aus, aber wenn er durch den Park, durch den Wald, über die Felder schritt und an die Liebste denken wollte, da raunten ihm Busch und Baum und jeder Halm im Acker zu: »Tu's nicht, es ist dem Hause Hove nicht gut!« Und diesem stolzen Hause war er doch etwas schuldig. Des Vaters Sünden waren gutzumachen, und statt dessen sollte er die Karre noch mehr verfahren? Da war zuletzt auch noch sein Rentmeister: ein vortrefflicher Mann, dieser Kriehuber, aber ein Angstmeier, ein Zahlenpedant, der, wenn man mit ihm über die allgemeine Lage sprach, um ein aufmunterndes Wort zu hören, mit Achselzucken und der Aufzählung aller ungünstigen Möglichkeiten antwortete.
Eine geschäftliche Notwendigkeit, nicht, wie meist, ein angenehmer, manchmal weither geholter Vorwand führte ihn in die Stadt. Im Schwan setzte sich Baron Sporn neben ihn. Der Forstmeister und der Bataillonskommandeur saßen am selben Tisch. Von Offiziers- und Beamtenverhältnissen sprachen die beiden, Vergleiche ziehend, an deren Ende jeder sich als den weniger günstig Gestellten bezeichnete. Der Major brachte die Zwiesprache damit zum Abschluß, daß er sich an Hove mit der Bemerkung wendete:
»Der Fideikommißherr von Reitershausen braucht sich über derlei freilich keine grauen Haare wachsen zu lassen. Wer's nur halb so schön hätte wie Sie, Herr Graf!''
Hove antwortete:
»Wenn Sie glauben, ich hätte keine Sorgen, dann irren Sie sich gewaltig, Herr Major!«
»Na ja,« meinte jetzt der Forstmeister, »das weiß man, was solche Herren Sorge nennen. Das läßt sich ertragen.«
Hove sah den Baron mit einem Blicke an, als suche er dessen Beistand.
Dieser antwortete darauf auch nur mit einem Blicke, der aber zu fragen schien:
»Ist's wirklich ernst mit deiner Redensart? Kann ich helfen?«
Es lag so viel Güte in diesem Blick, daß der Graf sich veranlaßt sah, zur Abwehr falscher Deutungen dem Forstmeister mit lachender Miene zu antworten:
»Ich danke für die gute Meinung, die Sie von Reitershausen haben. Sie sehen ja ein bißchen in meine Wirtschaft hinein.«
»Weiß Bescheid,« entgegnete der Forstmeister und fing gleich vom Holzgeschäft zu sprechen an.
Baron Sporn verriet etwas Ungeduld in seiner Miene. Die Unterhaltung, die der Major mit ihm über den Papagei seiner Frau führte, interessierte ihn auch nicht allzu sehr, obwohl dieser offenbar in der Meinung war, ihn durch ein naturwissenschaftliches Gespräch zu fesseln.
Der Forstmeister ging nach Hause, und der Major hatte in einem Oberleutnant den ihm genehmen Partner für seine Billardpartie gefunden.
Baron Sporn saß jetzt mit dem Grafen allein an dem kleinen Tische und hatte damit das Ziel erreicht, weshalb er sich heute länger, als es seine Gewohnheit war, im Café aufgehalten hatte.
»Aga hat geschrieben,« sagte er. »Sie wird übermorgen wieder eintreffen.«
»Sie wird sich gut amüsiert haben,« bemerkte Hove. »So eine Verlobung ist ja doch immer ein sehr vergnügliches Familienereignis.«
Der Baron antwortete:
»Darüber schreibt sie gar nicht, sondern nur, daß ihr der Bräutigam einen sehr guten Eindruck gemacht hat und daß sie sich freut, wieder hierher zu kommen.«
»Sie hängt sehr an Onkel und Tante, das habe ich schon bemerkt,« äußerte sich Hove.
»Wir haben uns auch sehr an das Kind gewöhnt,« sagte der Baron, »und behielten es am liebsten ganz bei uns. Dazu würden aber jetzt, wo sie zu Hause die Einzige wird, die Eltern kaum die Einwilligung geben. Freilich würden wir sie wahrscheinlich auch nicht lange behalten.«
Graf Hove hatte darauf nichts zu bemerken, und es entstand eine Pause im Gespräch.
»Wir können nicht verlangen, daß sie uns zuliebe eine alte Jungfer werden soll,« fing der Baron nach einer Weile wieder an.
Hove lächelte nur leise.
Der Baron fuhr fort:
»›Unser Sommerkind‹ hat sie meine Frau gelegentlich einmal genannt, und wir werden sie auch immer wie ein eigenes Kind behandeln. Wir haben ja weiter keine Verpflichtungen.«
»Die Rottenaus sind ursprünglich thüringischer Adel?« bemerkte Hove fragend, und Baron Sporn bejahte dies. Weiter sprach der Graf von Würzburg, wo Agas Eltern wohnten, als einer Stadt, die er nur flüchtig kenne, die er aber immer als angenehmen Aufenthalt habe rühmen hören.
Es kam dann eine höchst gezwungene Unterhaltung heraus, wie sie zwischen den beiden sonst nie üblich gewesen war. Gleichwohl schüttelte der Baron, als er aufstand, Hove sehr herzlich die Hand und, sich auf dem Weg zur Türe noch einmal umdrehend, nickte er ihm noch lebhaft zu.
Zu Hause berichtete er der Gattin alsbald mit befriedigt lächelnder Miene von seiner diplomatischen Aktion, zu der Hove selbst den Anstoß gegeben habe.
»Als er mit einer ganz anderen Betonung, als man sie bei einer Gelegenheitsphrase anwendet, von den Sorgen eines Fideikommißbesitzers sprach, da sah ich die ganze Situation wie von einem Scheinwerfer beleuchtet. »So liegen die Dinge in Reitershausen ja gar nicht, daß er als Junggeselle und bei seiner soliden Lebensweise ernstliche Sorgen hätte. Aber die Sache bekommt ein anderes Gesicht, wenn er ein Mädchen ohne Vermögen heiraten will. Das muß er sich allerdings reiflich überlegen. Wer anders sollte aber dieses Mädchen sein als Aga? Ein Stoßseufzer eines Verliebten war es, hervorgelockt durch die zufällige Wendung des Gespräches. Da schien es mir angebracht, der Herzbeklemmung durch eine kleine Pille Linderung zu schaffen.«
Die Baronin äußerte das Bedenken, Hove könnte diese pekuniären Andeutungen mißverstehen, als ob sie beide es darauf anlegten, ihm Aga aufzudrängen.
»Hab' ja gesagt, daß wir sie am liebsten für uns behielten,« versetzte der Baron ärgerlich. »Und wenn er jetzt mißversteht oder nicht versteht, dann kriegt er eine andere Pille versetzt«
»Das tust du ja doch nicht,« beschwichtigte ihn die Gattin. »Ich meinte auch nur – – –«
»Du hast mir den Spaß verdorben,« klagte der Baron. »Der Hove ist ein guter Kerl, und ich mag ihn wohl leiden, aber, weißt du, so was von Familiendünkel steckt doch in ihm. Die Grafen Hove sind nach seiner Meinung eine ganz besondere Blüte des deutschen Adels.«
»Mich hat er derlei nie merken lassen,« entgegnete die Baronin. »Sehr alt ist ja die Familie.«
»Die Rottenaus sind auch guter Adel,« fuhr der Baron, im Zimmer hin und her schreitend, fort, »und er sollte wissen, daß es nach keiner Richtung eine besondere Herablassung ist, wenn er die Aga nimmt.«
»Rede dir doch nicht selber etwas ein,« unterbrach ihn die Gattin. »Er denkt ja an derlei gar nicht. Du willst Aga zur Gräfin Hove machen, das will ich auch, Hove selber will es auch und Aga nicht zum wenigsten. Also ist alles gut.«
Als Hove Aga wiedersah, erfuhr er, daß die Eltern noch einen weiteren Urlaub von drei Wochen gewährt hatten.
»Ach, das ist schön!« rief er vergnügt. »Da sind Sie noch zum Reitershausener Schützenfest hier. Ich werde die Herrschaften mit dem Wagen abholen lassen, und wenn Ihnen das Büchsenknallen nicht allzusehr auf die Nerven geht, werden Sie sich hoffentlich amüsieren.«
Das Reitershausener Schützenfest war eine echt bayrisch-ländliche Veranstaltung, zu der sich auch die halbe Bevölkerung von Garnheim einzustellen pflegte. Auch die Honoratioren der Stadt fehlten dabei nicht. Das Ehepaar Sporn hatte sich freilich seit Jahren nicht mehr beteiligt. Aga zuliebe nahmen sie jetzt aber die Einladung sehr gern an. Hove war, da er des Festes gedachte, sogleich der Gedanke aufgestiegen, daß sich dabei die entscheidende Gelegenheit ergeben müsse. Es hatte ja vielleicht einen leise lächerlichen Anstrich, wenn er jetzt mit seinem Antrage der eben in Agas Familie stattgehabten Verlobung nachtrollte. Aber nicht dadurch war sein Entschluß zur Reife gekommen, sondern durch die Bemerkungen des Barons im Schwan, die ihn von dem einzigen Bedenken befreiten. Wurde Aga danach auch nicht gerade eine Erbin großen Stiles, so war das Ehepaar Sporn doch jedenfalls wohlhabend genug, daß zwei oder drei »Nachgeborene« dereinst anständig versorgt werden konnten. Damit konnte auch ein gewissenhafter Fideikommißbesitzer dem Zuge des Herzens folgen.
Aga fühlte deutlich, daß sie jetzt den Grafen mit anderen Augen ansah. Es war vergebens, sich dagegen zu sträuben, daß der Liebestraum die Gestalt banger Erwartung angenommen hatte, ja sogar, daß die Eitelkeit mit dem Gedanken eines Sieges über die Schwester tändelte. Und als sie am Tage des Schützenfestes auf dem Rücksitze der von zwei rassigen Füchsen gezogenen gräflichen Equipage dahinfuhr, da machte die Vorstellung das Herz lebhafter klopfen, sie würde in nicht zu ferner Zeit den Platz einnehmen, auf dem jetzt gerade die Tante saß, und zwar dann in ihrem, der Frau Gräfin Hove, Wagen. Das war doch nichts Böses, so zu denken? So hoffärtig wie Julie war sie ja nicht, aber sie war doch auch jung und schön und lebte gern. Und sie nahm den Grafen auch nicht so, wie Julie ihren Maler genommen hatte, sie hatte ihn lieb, sehr lieb und hätte ihn lieb gehabt auch ohne Equipage.
Von weitem schon hörte man die Schüsse krachen. Der Kutscher mußte die Zügel fester in die Hand nehmen, denn das eine Pferd wurde bei jedem Schusse unruhig, so daß die zahlreichen Fußgänger mehrmals ängstlich in den Straßengraben auswichen.
Auf einem schmalen Feldwege, der unmittelbar vor dem Dorfe abbog, kam man nach der Festwiese. Unter einer Gruppe hoher alter Tannen reihten sich roh gezimmerte Bänke und Tische, an denen Bier trinkende Landleute und Städter saßen. Auf einer Plattform spielte mit schriller Blechmusik eine Kapelle. Hinter einer Tischanordnung, an der von einer dicken Wirtin Würste, Rettiche, Käse und sehr viel Weißbrot ausgeboten wurden, zapfte der Wirt Bier aus einem Fasse, und eine stramme Kellnerin schleppte mit beiden mächtigen Händen Maßkrüge zu den Gästen. Vor den Bäumen auf freier Wiese reihten sich sechs laubenartige Schützenstände, der Zahl der Scheiben entsprechend, die schwarz-weiß aus der Ferne leuchteten. Ein schwefliger Pulvergeruch zog zwischen den Bäumen umher, denn die ländlichen Schützen bedienten sich vielfach nur alter Büchsen, die noch mit offenem Pulver und Papierstopfen mittels Ladestocks geladen wurden, Erbstücke der Familien. Zwischen den Schützenständen und den Bierbänken des Volkes führte der Weg über Rasen zu einem zurechtgestellten, mit bayrischen Fähnchen geschmückten Leinenzelt, das schlichtgezimmerte Bänke enthielt. Dieses war zu Ehrenplätzen für die Honoratioren bestimmt.
Graf Hove, der die Zeit, in der der Wagen mit den Garnheimer Gästen eintreffen konnte, bis auf wenige Minuten richtig abgeschätzt hatte, erwartete diese am Eingange des Schießplatzes. Er trug Jagdkleidung, den grauen Hut schmückten schwarzgrün schimmernde Spielhahnfedern, an der grauen, grün eingefaßten Jagdjoppe trug er das Zeichen des Ehrenpräsidenten der Schützengesellschaft, eine weiß-blaue Seidenschleife mit einem bleigegossenen Hirschkopf, den ein Eichenkranz umrahmte. Mit einem fröhlichen Hutschwenken begrüßte er seine anfahrenden Gäste und führte sie durch das lebhafte Treiben der Schützen und Landleute nach dem Ehrenzelte. Die alte Baronin machte bei dem Knallen der Schüsse eine heiter schmerzliche Miene und hielt sich die Ohren zu, Aga zuckte bald bei den Schüssen, bald bei den schritten Tönen der Musik, an der sie dicht vorbei mußten, ein bißchen mit den Augen. Der Baron scherzte:
»Habt ihr vergessen, Watte in die Ohren zu tun? Ja, dann muß es euer Trommelfell aushalten.«
»Ist's wirklich so schlimm?« fragte der Graf Aga.
Sie sah ihn zutraulich an und schüttelte lächelnd den Kopf. Da stieß ein junger Bursche dicht neben ihnen einen gellenden, langgedehnten Juhschrei aus.
»Der freut sich,« sagte der Graf. »Wir dürfen nicht Juchhe schreien, wenn uns was freut.«
»Wir machen das eben innerlich ab,« versetzte Aga launig.
»Haben Sie schon einmal innerlich Juchhe geschrien?« fragte der Graf dagegen.
»Ich hatte noch keinerlei Veranlassung dazu,« erwiderte Aga und wurde ganz ernst.
»Ich aber schon,« sagte Hove darauf. »Und wissen Sie wann? Eben jetzt, als Sie ankamen.«
Aga, die solchen Ton von ihm gar nicht gewohnt war, sah ihn ganz befremdet an.
Da neigte er sich näher zu ihr und sagte herzlich:
»Ich freue mich so, daß Sie da sind.«
Jetzt warf sie ihm einen scheuen Blick zu und lächelte vor sich hin.
Verschiedene Honoratioren waren schon im Ehrenzelte anwesend und begrüßten die Kommenden in heiterer Stimmung.
Ein Leutnant und ein Gerichtsreferendar, die Aga bisher noch nicht kennengelernt hatte, ließen sich ihr vorstellen. Diese wurde bald sehr munter. Es machte ihr Spaß, mit der Tante aus einem Maßkruge zu trinken, der Onkel machte allerlei Witzchen, und der Graf gab lustige Bauerngeschichten zum besten. Sie hörte ihn, der sonst nur eine leise Dialektfärbung in seine Redeweise brachte, zum ersten Male die echte Bauernsprache gebrauchen, was ihr sehr drollig vorkam. Nach einiger Zeit kam auch Zolldirektor Wegener mit seinen Damen in das Zelt. Lulu Wegener begrüßte Aga im Tone überschwenglichster Freude. Der Zolldirektor aber fragte gleich den Forstmeister:
»Wie ist denn das Bier? Hoffentlich nicht zu kalt. Das ist Gift für mich.«
Nach einer Minute begehrte er darüber auf, daß noch keine Kellnerin zu sehen war. Als eine solche nach einer Weile mit glühendroten Wangen und Schweiß auf der Stirne erschien und die Damen bei ihr Kaffee bestellten, sagte er:
»Will auch lieber Kaffee trinken, wenn's auch eine Zichorienbrühe sein wird. Nichts für ungut, Herr Graf, aber wenn meine Damen nicht partout dabei sein müßten, mich bekäme Ihr Schützenfest mein Lebtag nicht zu sehen. Ich finde gar keinen Gefallen an solchem Bauernlärm.«
Hove antwortete mit Humor:
»Es leidet aber keinen Garnheimer zu Hause, wenn wir Schützenfest haben. Der Bauernlärm von Reitershausen ist ein Hauptfesttag in Eurem Kalender.«
»In meinem nicht,« versetzte der Zolldirektor grimmig.
»Sind aber jedes Jahr dabei, seit Sie bei uns wohnen,« sagte jetzt der Bürgermeister von Garnheim, der auch am Tische saß.
Frau Wegener winkte dem Gatten sehr energisch ab, als er sich zu einer Gegenäußerung anschickte. Er machte eine ärgerliche Achselbewegung, schwieg aber.
Aga fühlte sich durch diese Störung der Gemütlichkeit verstimmt. Graf Hove bemerkte das und sagte:
»Ich schieße jetzt. Wollen Sie mir zusehen? Ich rechne, daß Sie mir Glück bringen.«
Aga sah sich erst unschlüssig um. Als sie wahrnahm, daß mehrere Paare junger Leute sich von ihren Plätzen erhoben und unter das ländliche Publikum mischten, stand sie auch auf. Hove zeigte ihr noch die neben dem Zelte stehende Stange, an die buntseidene Tücher als Preise für die gewinnenden Schützen fahnenartig geordnet waren. Ein Brettchen war in der Mitte der Stange festgemacht, auf dem der vom Grafen selber gestiftete Hauptpreis, ein Bierkrug mit silbernem Deckel, stand.
Ein gräflicher Jagdgehilfe, der unter den Bauern saß, stand auf einen kaum merklichen Wink seines Gebieters auf und sprang voraus nach dem Schießstand, die Büchse bereit zu machen.
»Bleiben Sie nur am Eingang stehen,« sagte der Graf zu Aga. »Das genügt zur Magie.«
Der Schuß krachte, der Zielweiser draußen auf der Scheibe beschrieb mehrmals mit dem Arm einen Kreis und jauchzte dazu. Aga hörte die nahestehenden Leute etwas Beifälliges rufen, Hove kam lächelnd auf sie zu und sagte:
»Ich wußte es ja, daß Sie mir Glück bringen würden, Fräulein Aga. Der beste Schuß, der vorläufig auf der Scheibe sitzt, dicht am Zentrum.«
Da lächelte sie mit vor Freude leuchtenden Augen. Wie war das Mädchen lieb und schön! Hove war es, als müßte er sie vor allen Menschen umfassen und an sich drücken. Die Bauern aber, an denen sie vorüberschritten, raunten sich zu, das Fräulein möchte wohl des Grafen Zukünftige sein, und sie stimmten darin überein, daß man in ihr eine bildsaubere Gräfin bekommen würde. Eine Gruppe junger Leute kam ihnen vom Ehrenzelte her entgegen.
»Wir wollen in den Schloßpark gehen. Dürfen wir das?« wurde Hove angerufen.
»Freilich dürfen Sie das,« lautete dessen Antwort. »Aber es ist nicht nahe, Sie müssen durch das ganze Dorf gehen.«
Da er stehengeblieben war, glaubte Aga, er habe die Absicht, sich dem Kreise anzuschließen, und sagte zaghaft:
»Ich muß zur Tante gehen, sie vermißt mich sonst.«
Die jungen Paare riefen dem Grafen die Antwort zu: »Das schadet nichts!« und zogen vergnügt weiter.
Hove wendete sich jetzt an Aga mit den Worten:
»Das eilt doch nicht gar so sehr. Nur einen kleinen Umweg lassen Sie uns machen. Man kann ja in dem Lärm von Büchsenknallen und Trompetenschmettern kein vernünftiges Wort sprechen.«
»Jetzt schelten Sie ja gerade wie Herr Wegener«, scherzte Aga, wobei ihre Stimme nicht ganz frei klang.
»Der alte Ekel!« warf Hove hin. Dann führte er auf die Wiese hinter dem Festplatze, und über diese schritten sie langsam einher.
»Bereuen Sie es nicht, zu dem Bauernlärm gekommen zu sein, wie sich Herr Wegener ausdrückte?« fragte Hove.
»O nein!« lautete die Antwort. »Ich finde es sehr nett.«
»Sie kennen das Landleben wohl wenig?« fragte der Graf weiter.
Aga erwiderte:
»Ich war gelegentlich auf Gütern von Bekannten zu Besuch. Da lernt eine Dame ja nicht viel vom Landleben kennen. Man geht oder fährt spazieren, aber man sieht Menschen und Dinge nur im Vorbeikommen.«
»Diese Menschen und Dinge haben manches Interessante, wenn man Sinn dafür besitzt,« führte Hove das Gespräch fort.
»Das bezweifle ich durchaus nicht,« antwortete Aga«, »Man lebt ja in der Stadt sehr einseitig und weiß von Natur so gut wie gar nichts und vom Volksleben auch sehr wenig.«
»Städtisches Volksleben ist auch eine sehr zweifelhafte Sache,« meinte der Graf.
Aga empfand immer deutlicher, daß dieses Gespräch eine Hülle war, die jeden Augenblick fallen mußte. Aber diese weite offene Wiese mit hügeligem Ackerland dahinter hatte etwas Unbehagliches. Ihr schwebte etwas ganz anderes vor, ein lauschiger Parkweg, ein traulicher Waldpfad. Krampfhaft pries der Graf die trefflichen Eigenschaften der Bauern und die Reize des Landlebens. Sie mußte jetzt wirklich bald zur Rückkehr ins Zelt mahnen. Da bog Hove von selber nach dieser Richtung ein. Es war die Hinterwand des Zeltes, auf die sie jetzt zuschritten. Das Gespräch stockte schon eine Weile.
Da, wenige Schritte vom Ziele, blieb Hove stehen. Aga tat mit fragendem Blick das gleiche. Nun begann er:
»'s ist der dümmste Platz, den man zu so etwas finden kann, aber ehe wir wieder zur Gesellschaft kommen, muß ich doch reden. Fräulein von Rottenau, wollen Sie meine Frau werden?«
Er hatte den Hut abgenommen. Aga blickte wie hilflos in der weiten Landschaft umher. Der Lärm des Schützenplatzes war aus nächster Nähe zu hören, aber weit und breit kein Mensch sichtbar. Ängstlich drängend sagte sie:
»Setzen Sie doch den Hut auf!«
Wieder suchte ihr Auge die ganze Landschaft ab. Dann reichte sie ihm hocherrötend mit gesenktem Kopf die Hand.
»Nicht, nicht!« wehrte sie leisen Tones ab, als er ihr diese küßte.
»Juhu, juhu!« rief er ganz nach der Art der Bauernburschen und schwenkte den Hut.
»Um Gottes willen!« mahnte Aga.
»So bringt's Zeit und Art mit sich,« entgegnete Hove, »Einen besseren Platz und eine bessere Zeit hätte ich finden sollen, meinst du wohl, mein süßer Schatz? Aber wenn ich noch lange gewartet hätte, wärst du mir ja davongeflogen. Heute, hier mußte es sein, und die Terrainschwierigkeiten durften kein Hindernis bilden. In meinen Park hättest du dich ja nicht entführen lassen, mußtest ja zur Tante zurück. Dort wüßte ich freilich andere Plätzchen. Jetzt fällt mir übrigens ein, ein deutliches ›Ja!‹ auf meine Frage habe ich eigentlich nicht gehört.«
Sie sah ihn voll Liebe an und suchte wieder seine Hand und sagte leise mit bebender Stimme: »Ja, du lieber Mensch!«
»Und 's ist wirklich der dümmste Platz, den ich finden konnte,« sagte Hove mit komischem Zorn, während seine Blicke sich mit heißer Glut auf das schöne Mädchen senkten.
Die beiden spielten ja ganz leidlich Komödie, aber Aga ließ es sich mehrmals beifallen, mitten aus einer lebhaften Unterhaltung heraus mit den Blicken ihrer schönen Augen in die Ferne zu schweifen und anscheinend ihre Umgebung ganz zu vergessen. Wenn sich dann aber der Graf nahte, machte sie eine jähe Bewegung und stand mit einem das ganze Gesicht verklärenden Lächeln Rede. Hove ging noch mehrmals nach dem Schützenstand, dann wendete Aga bis zur Rückkunft keinen Blick von der Richtung dieser Schützenstände, und wenn er wieder in den Gesichtskreis trat, stieg eine leise Röte in ihrem Gesichte auf. Das hatte nach der Meinung der alten Baronin doch alles etwas zu bedeuten.
Die Preisverteilung kam mit üblichem Tuschblasen, auf den gräflichen Ehrenpräsidenten wurde ein Hoch wieder mit schmetterndem Tusch ausgebracht, und dieser hielt eine kleine Ansprache, die den Schluß des Schießens bedeutete. Das war denn auch für die meisten Gäste das Zeichen zum Aufbruch. Die gräfliche Equipage fuhr vor. Während Hove seinen Gästen das Geleit an den Wagen gab, sagte er plötzlich:
»Wenn die Herrschaften mich in diesem Kostüm mitnähmen, begleitete ich Sie sehr gern nach der Stadt.«
»Das ist ja reizend,« sagte die Baronin, »und Sie essen natürlich Abendbrot mit uns.«
Sie schielte nach der Nichte. »Darauf habe ich auch ein bißchen gerechnet,« scherzte der Graf.
Es wurde eine sehr lustige Fahrt. Als man dann im gemütlichen Biedermeierzimmerchen der Baronin stand und diese aufforderte, bis Essenszeit sich noch ein wenig zum Plaudern niederzulassen, begann der Graf:
»Ich muß mich nochmals wegen meiner Toilette entschuldigen,« und da die Baronin Miene machte zu sprechen, ließ er sie nicht zu Wort kommen, sondern fuhr fort:
»Es hat seine ganz besondere Ursache, daß ich mich ein zweites Mal entschuldige. Ich habe mich nämlich mit Fräulein Aga verlobt und möchte bitten, daß Sie uns Ihren eigenen Segen geben und mir auch bei den Eltern ein gutes Zeugnis ausstellen.«
Voll sonniger Freude streckten ihm die beiden Alten die Hände entgegen, und der Baron umarmte ihn noch dazu. Aga hatte indessen lächelnd beiseite gestanden.
»Aber jetzt küßt euch einmal ordentlich, Kinder!« rief die Baronin.
»Deswegen bin ich ja mitgefahren!« sagte Hove darauf und trat zu Aga. Sie neigte ihm das Antlitz entgegen, sanft küßte er sie.
»Das mache ich anders!« rief der Baron und gab seiner schönen Nichte ein paar herzhafte Küsse. Aga glitt in die Arme der Tante, und beide hielten sich eine gute Weile zärtlich umschlungen.