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Neuntes Kapitel

Am nächsten Tage begab sich Hove um die Mittagszeit zu Baron Dolgiano, um dessen Beihilfe zur Erledigung seines Ehrenhandels mit Hottenbach zu erbitten. Als der Baron die Erklärung seiner Bereitwilligkeit mit einer fragenden Miene verband, sagte er:

»Es handelt sich um eine alte Familienaffäre, die endlich zum Austrag gebracht werden muß. Die Gegenseite durfte wohl auch ein Interesse, und zwar das größere, daran haben, daß Näheres diskret bleibt.«

»Es sind keine Aussichten vorhanden, daß die bedauerliche Angelegenheit auf anderem Wege beigelegt werden könnte?« fragte Dolgiano.

»Keine,« lautete Hoves von einer leisen Verbeugung begleitete Antwort.

Man besprach die näheren Bedingungen, die zwar nicht schwerster Art waren, dem Duell aber doch den Charakter einer Formspielerei nahmen.

Dolgiano sagte noch:

»Ich werde mich sofort auf den Weg zu Baron Hottenbach machen und bitte mir nur zu sagen, um welche Zeit und wo ich Sie wieder sprechen kann, Herr Graf.«

Hove bestimmte die Zusammenkunft auf drei Uhr und fügte hinzu:

»Ich werde in den Hofgartenarkaden promenieren. Die Kaffeehäuser sind um diese Zeit zu voll, man weiß nicht, ob man einen ungestörten Platz findet, und in meiner Wohnung könnte meiner Frau etwas auffallen.«

Als er wieder nach seiner Pension kam, fand er Aga in Tränen.

Ein Telegramm des Majors von Falk war aus Garnheim gekommen.

»Meine liebe Frau ist heute morgen fünf Uhr
infolge einer heftigen Influenza gestorben.«

Aga wollte sofort packen, um am nächsten Morgen mit dem Frühzuge abzureisen. Hove war verwirrt, denn er wußte nicht sofort zu dieser Verkettung der Umstände Stellung zu finden. Daß er selber zur Beerdigung fuhr, war nicht zu umgehen. Aga hätte ja eine Weigerung gar nicht begriffen. Er mußte also seinen Duellgegner um einen Aufschub von einigen Tagen bitten. Das war ihm peinlich. Zunächst redete er Aga die Reiseabsichten aus. Bei der Beerdigung war sie überflüssig und im weiteren hätte sie sich nur einer zwecklosen Aufregung hingegeben.

»Aber du fährst doch morgen hin?« fragte sie schließlich.

»Freilich!« sagte er rasch, und sie fuhr, während ihr wieder die Tränen kamen, fort:

»Du mußt heute nachmittag einen schönen Totenkranz bestellen und mitnehmen. In Reitershausen haben wir ja um diese Zeit nichts. Ich besorgte ihn selber, aber ich weiß, daß ich im Laden beim Bestellen heulen würde, und das geniert mich.«

Hove konnte die Empfindung starken Mißbehagens nicht unterdrücken. Es sollte ja nicht auf Leben und Tod gehen, aber eine ernste Sache wurde es immerhin, und da kommt einem ein solcher Kranz gerade nicht bequem in den Weg. Man wird auf gewisse Gedanken gestoßen, denen man bisher ausgewichen ist.

Wenige Minuten nach drei Uhr trat ihm Baron Dolgiano unter den Hofgartenarkaden mit dem Wesen mühsam beherrschter Aufregung entgegen. Hottenbach hatte von seinem Recht als Geforderter Gebrauch gemacht und verschärfte Bedingungen entgegengestellt. Die Sache war jetzt sehr ernst geworden.

Hove sagte:

»Wenn es sein soll, gut!«

Dann besprach er sich mit dem Baron wegen des Aufschubes und bestimmte, daß er bei seiner Rückkehr von Garnheim in einem Hotel am Bahnhof übernachten werde und dort abzuholen sei. In einem Blumengeschäft bestellte er den Totenkranz und machte darauf einen Spaziergang durch die Maximilianstraße, grüßte dort etliche Bekannte, wurde auch von einem älteren Staatswürdenträger in ein Gespräch gezogen und ging weiter durch die Anlagen in der Richtung, in der das Haus Backsteins lag. Er traf ihn im Atelier, gerade im Begriff, nach abgeschlossener Arbeit, da die Dämmerung eintrat, seine Palette zu putzen.

Julie war, wie er aus seine leicht hingeworfene Frage erfuhr, in der Stadt. Sie blieben im Atelier in bequemen Korbsesseln sitzen. Hove kam auf ihre Auseinandersetzung über die Unterstützung des Schwiegervaters zu sprechen und blieb trotz Backsteins wiederholter Abwehr an dem Thema kleben. Er wehrte sich dagegen, für einen Vertreter stupiden Adelsdünkels gehalten zu werden, behauptete, ein freidenkender Mann ohne Vorurteile zu sein, aber er habe aus dem Gefühle einer Solidarität des Adels heraus gesprochen, die ja nicht auf Geringschätzung anderer Stände beruhe, sondern auf der Gemeinsamkeit gewisser Überlieferungen.

Dann kam er auf jenen Zwischenfall bei dem Maskenfeste zu sprechen und wies den Verdacht zurück, als ob er eine besondere Neigung für diese vulgären Ausgelassenheiten des Karnevals hätte. Er habe die gute Lehre erhalten, daß man nie von einem strengen Reinlichkeitsgefühl abweichen dürfe.

Weiter sprach er von seiner idealen Liebe zu Aga und von seiner erhabenen Auffassung, der Ehe.

Als er gegangen war, fragte sich Backstein kopfschüttelnd, was er denn eigentlich gewollt habe. Immerzu hatte er gesprochen, und der andere war kaum zu kurzen Zwischenbemerkungen gekommen.

Zu Hause wollte Aga nicht aufhören, den Tod der Frau von Falk zu beklagen. Als man beim Tee saß, wurde der Totenkranz gebracht. Aga fand ihn sehr schön, wischte sich wieder die Tränen aus den Augen und hing ihn in einer Zimmerecke über einen Stuhl. Eine Weile saß das Ehepaar in recht gedrückter Stimmung nebeneinander auf dem Sofa.

»Das Zeug riecht furchtbar,« sagte Hove endlich hochatmend.

Agas Kammerjungfer wurde gerufen und beauftragt, den Kranz irgend anderswo unterzubringen.

Das Kind erschien, den Eltern den Nachtgruß zu bieten. Als es wieder entfernt war, überhäufte Hove Aga mit Zärtlichkeiten und wurde so leidenschaftlich inbrünstig dabei, daß diese solch stürmisches Wesen mit fast erschreckender Miene beobachtete.

Sie bemerkte während der Nacht, daß der Gatte unruhig schlief. Am anderen Morgen sah er sehr schlecht aus. Er klagte auf Befragen über Kopfweh.

»Das kommt vielleicht von dem Kranz, der zu lange im Zimmer war,« meinte Aga.

Den Abschied machte Hove kurz. Mit beinahe jäher Bewegung, als sei er in höchster Eile, verließ er das Zimmer.

Die ganze Strecke bis Garnheim saß er allein im Abteil. Das ist je nach Umständen Vorteil oder Nachteil der ersten Wagenklasse. Er war ein guter Schütze, ein böserer wahrscheinlich als Hottenbach. Jagderinnerungen tauchten auf und schließlich, höchst unwillkommen, die an jenes Schützenfest, wo er sich den Hauptpreis geholt und um Aga gefreit hatte. Welch ein Weib! Welch glückliche Ehe! Der Stammhalter konnte ja gar nicht ausbleiben.

Bei der Hochzeit war er ja zugegen gewesen, der Regierungsrat Hove aus Regensburg, hatte bei der Gelegenheit zum ersten Male Reitershausen gesehen. Man kannte sich kaum, denn dieser Regensburger Hove hatte den Vater schon im Kindesalter verloren und war ganz auf der mütterlichen Seite herangewachsen. In Fideikommißangelegenheiten hatte man zeitweilig förmlich korrespondiert. War eigentlich ein netter Mann. Was fing aber ein Bureaukrat mit einem Gute wie Reitershausen an? Fünf Kinder waren da, drei Jungen. Sie starben nicht aus, die Grafen Hove. Aber da war's ja, was ihn damals hatte zaudern lassen mit dem Bekenntnis seiner Liebe! Aga würde es nicht gut gehen und das kleine Mädel – ach Gott! – Gesellschaftsfräulein würde es einmal werden müssen oder so was.

Mit Hottenbach hatte er freilich nicht gerechnet, an den hatte er nicht im entferntesten gedacht. Da war nun nichts, gar nichts zu machen. Das war ein Schicksal, dem man entgegengehen mußte in guter Haltung, Konsequenz adeligen Familienbewußtseins, genau so, wie der Standpunkt, den er in der Angelegenheit des Schwiegervaters eingenommen hatte. Der Vater – leichtsinnig war er gewesen, solange er gesund war. Das hatte er selber in deutlichen Andeutungen zugestanden. Glücklich war deshalb sein Leben nicht, und des Sohnes Glück ging in der Folge zugrunde. Die Sünde der Väter! Aber was sollte das denn heißen? Damit machte man sich nur die Nerven kaputt. Er war ein guter Schütze, ja das war er. Freilich, mit der Pistole hatte er schon lange nicht mehr gearbeitet, und das war etwas anderes als die Jagdflinte.

Er hatte in seiner Schreibstube in Reitershausen einen Browning, liegen. Er wollte doch einmal heute nachmittag. sich ein bißchen üben, wenn er Zeit fand. War freilich wieder etwas anderes als eine Duellpistole.

Kurz vor ein Uhr kam er in Garnheim an, schickte den alten Dienstmann, der immer vor dem Bahnhof stand, mit dem Kranze nach der Wohnung des Majors über der Brücke drüben und überfiel Onkel und Tante Sporn gerade beim Mittagessen. Es war auch für ihn genug da. Er plauderte von Agas Erfolgen und auch davon, daß sie es jetzt beide genug hätten und im nächsten Winter hübsch zu Hause bleiben wollten.

Die Sporns waren sehr dagegen. Sie meinten, Aga und er sollten sich nur noch eine Weile in der großen Welt umtun, solange es die Familienverhältnisse zuließen.

Die Tante meinte schließlich:

»Freilich kann etwas dazwischen kommen.«

Und sie lächelte Hove an.

Um drei Uhr war die Beerdigung. Am Grabe spielte die Regimentsmusik.

Major von Falk war sehr ergriffen. Er mußte die Frau innig geliebt haben. Eine solche Trauermusik, dachte Hove, bliebe besser weg. Sie reizt die trüben Empfindungen nur noch mehr.

Telephonisch hatte er den Wagen von Reitershausen bestellt und fuhr vom Kirchhof aus dorthin. Er besprach mit Förster und Rentmeister Geschäftliches. Die beiden Beamten wunderten sich aber darüber, daß er es so eilig damit hatte, sie wieder zu entlassen. Er konnte aber nicht unzufrieden sein, denn er schüttelte jedem kräftig die Hand.

Dann sah ihn die Dienerschaft um das Schloßgebäude herumgehen und mehrmals stehenbleibend scharf die Fensterreihen entlang sehen. Sollte vielleicht im nächsten Sommer gebaut werden? Schließlich ging er in den Park und kam erst wieder, als es draußen schon ganz dunkel geworden war.

Was war denn das? Zwei Schüsse hallten durchs Haus.

Die Pförtnersfrau und die Putzmagd standen im Erdgeschoß bebend auf dem Flur. Der alte Pförtner und ein jüngerer Diener rannten in Sprüngen nach dem ersten Stock.

Währenddessen ertönten wieder zwei Schüsse in rascher Folge.

Sie fanden den Grafen im Schlafzimmer.

Er lachte, als er die beiden Menschen mit Schreckensmienen hereinstürzen sah, und sagte:

»Beruhigt euch nur! Ich habe meinen Browning erwischt und ihn einmal probiert, eine Kerze angezündet und sie auf vier Schuß zweimal ausgepustet. Die Schüsse stecken freilich in der Wand. Das muß gleich ausgebessert werden.«

Dabei zeigte er auf die Stelle in der Tapete, wo die vier Schüsse dicht nebeneinander saßen. Die Diener wußten nicht recht, wie sie sich verhalten sollten. Das war doch etwas, was dem Herrn Grafen sonst ganz ferngelegen hatte. Der Pförtner sagte: »Ach so!« und lächelte, sein jüngerer Begleiter lächelte darauf auch.

Der Graf wies mit dem Blick nach den beiden Betten, deren eines vollständig für den Gebrauch zugerichtet war, und sagte zum Pförtner:

»Ihre Frau hat schon das Bett für mich vorbereitet. Das war aufmerksam von ihr. Aber ich übernachte nicht hier. Das Traueramt ist morgen früh, und mittags fahre ich wieder nach München zurück. Da ist es mir bequemer, die Nacht in Garnheim zu verbringen. Es soll gleich wieder eingespannt werden.«

Nachdem er im »Schwan« in Garnheim ein Zimmer bestellt hatte, ging er nach einer Brauerei, in deren Herrenstube er Bekannte versammelt wußte. Sie rauchten fast alle aus Pfeifen, und so dicht war der Qualm im Raume, daß dem Eintretenden die Gestalten wie in Nebel gehüllt erschienen. Die Unterhaltung am langgestreckten Tisch war laut. Der Lärm, der Qualm, das rasch getrunkene Bier bewirkten eine gewisse Betäubung, die gedankenträge machte. So ein katholischer Trauergottesdienst mit den schwarzen Priestergewändern, der schwarzen Tumba, die den aufgebahrten Sarg versinnbildlicht, den Kerzen, den düster aus tiefen Stimmen rollenden Gesängen drückt noch mehr auf die Stimmung als das Begräbnis. Warum macht man es den Leidtragenden so schwer? Er saß wieder im Eisenbahnwagen. Diese Reise nach Garnheim und Reitershausen und ihr Zubehör hätten nicht gerade jetzt kommen sollen. Man braucht doch seine Nerven nicht gerade mit Gewalt zu reizen. Wie diese alten Sporns an Aga hingen! Hatten schon wieder Sehnsucht nach ihr. Zweimal auf vier Schüsse das Licht ausblasen, das macht nicht jeder. Bis zur Kampfunfähigkeit. Das konnte ja gemacht werden, ohne daß man jemand ins Herz schoß. Im Grunde genommen war dieser Hottenbach ein Mann von tiefer Empfindung. Er mochte viel gelitten haben. Von der Mutter war es eine Schamlosigkeit, so mit Aga anzubändeln. Was mochte sie für einen Zweck dabei gehabt haben? Jetzt fügt sie zur alten Schuld eine neue, eine größere vielleicht.

Die Baronin Hottenbach war sehr überrascht, als das Dienstmädchen ihr mitteilte, der Herr Baron sei morgens um sieben Uhr von einem Automobil, in dem schon zwei Herren saßen, abgeholt worden. Wenn er zur Jagd geladen war oder ins Gebirge fuhr, sagte er das immer tags zuvor. Ihre verwunderte Miene bemerkend, fügte das Mädchen noch bei:

»Er ist auch nicht im Jagd- oder Sportanzug gewesen, sondern im Straßenüberzieher und hat den Zylinderhut aufgehabt.«

Das war nun allerdings etwas ganz Seltsames, in der noch dunklen Morgenfrühe im Zylinderhut fortzugehen. Sie frühstückte um halb neun Uhr und zerbrach sich neugierig, aber nicht besorgt, den Kopf darüber, was denn Max vorhaben möge. Gegen halb zehn Uhr schellte es. Sie hörte den Sohn kommen und nach seinem Zimmer gehen. Ihr war es, als geschähe das viel geräuschloser als sonst. Er hatte Hut und Überzieher abgelegt und trat jetzt bei ihr ein. Einige Schritte machte er ins Zimmer, dann stürzte er gegen sie, die auf dem Sofa saß, vor, fiel in die Knie und, den Kopf in ihrem Schoß bergend, sagte er heiser:

»Ich habe Hove erschossen!«

Die Baronin stieß einen kurzen, gellenden Schrei aus. Sie sank ins Sofa zurück, deckte die Augen mit der Hand, und ganz leise kam es von ihren Lippen:

»Ihr habt euch duelliert? Warum?«

Max hob den Kopf, sah die Mutter, die Wirkung seiner Worte beobachtend, an und antwortete:

»Ich habe seinen Vater beschimpft, und da hat er mich gefordert

Er erhob sich und stand vor ihr mit wilderregter, halb trotziger, halb scheuer Miene.

Sie war auch mit geräuschloser Bewegung vom Sofa aufgestanden und sprach, in den feinen Zügen ihres Gesichts eine kaum merklich zuckende Bewegung, die zu beherrschen sie sich mühte, in hartem Klang:

»Seinen Vater hast du beschimpft? Weshalb? Weil du irgendwie erfahren hast, daß ich ihn geliebt habe?«

»Mutter, du sollst's nicht selber sagen!« stöhnte Max.

»Ich will dir noch mehr sagen, da es nun einmal so weit ist. Ich habe längst bemerkt, daß du darum weißt, und habe glitten, weil ich mich vor dir, meinem Sohne, scheute, dem ich doch nicht enthüllen konnte, wie alles so gekommen ist, denn ich wollte nicht, daß er sich des toten Vaters noch mehr schäme als der lebenden Mutter. Ich hatte Fehler, aber ich war nicht schlecht. Dein Vater war ein blödes, rohes Tier, das ich haßte. Widerwillig habe ich ihm drei Kinder geboren. Graf Hove war auch nicht glücklich, aber er hatte eine kecke Art, sich das Leben zu ertrotzen. Die riß mich mit fort zu verbotenem, gemeinsamem Glück. Was ging das dich an, dem ich eine zärtliche Mutter war, obwohl du von einem solchen Vater stammtest?«

»Es war doch nicht geheim geblieben. Deine Frauenehre – – –«

»Was hatte damit der junge Hove zu tun, daß du ihn umbrachtest?«

»Mutter, Mutter! Ich hatte dich so lieb, aus Liebe zu dir habe ich's getan, und du sprichst so hart mit mir!«

»Ich will keinen Anteil haben an dem Unheil, das du angerichtet hast. Die arme Frau! Ich bin nicht schuld daran, ich nicht.«

»Mutter, mein ganzes Leben hat es mir verwirrt und verdorben und jetzt – – – es ist kein leichtes Ding, einen daliegen zu sehen, dem man eine Kugel ins Herz gejagt hat. Das vergißt sich nicht, sein Lebtag nicht. Mutter, Mutter, du bist schuld daran. Niemand darf sich verbotenes Glück stehlen. Die Ehre unseres Hauses hast du befleckt. Du mußt es jetzt tragen helfen. Wenn du mich jetzt im Stiche läßt, wenn ich allein bleiben muß, dann – – –«

»Mit deinem Vater rechte, nicht mit mir. Auf sein Seelenheil komme auch das noch!« rief die Baronin dagegen. Dann sagte sie:

»Aber die Sache wird Aufsehen erregen, man wird nach den Gründen fragen, und man wird auf die schöne junge Frau raten – – –«

»Dafür ist gesorgt, daß solches Gerede rasch verstummt,« antwortete Max.

»Dann ist's gut,« versetzte die Baronin, vor sich hinschauend. »Sie war so glücklich, die arme kleine Frau mit ihrem – Hove.«

Sie gab dem Namen einen gedehnten Klang und fiel in einen Lehnstuhl, bitterlich weinend.

»Und deine Geschwister? Was wirst du ihnen denn sagen?« fragte sie nach einer Weile ängstlich.

»Sie werden sich mit dem zu begnügen haben, was ich ihnen zu sagen für gut finde,« antwortete Max.

»Du darfst deine Mutter nicht verraten, das darfst du nicht!« sagte sie dann erregt und ging auf ihn zu. »Es muß unser Geheimnis bleiben, versprich mir das, Max,« bat sie, ihre Hände auf seine Schultern legend.

»Es ist gesühnt und begraben,« sagte Max mit düsterer Feierlichkeit.

»Und du verzeihst mir auch, daß ich habe glücklich sein wollen?«

»Du bist meine Mutter, und ich habe dich lieb,« sagte Max und küßte sie auf die Stirn. Dann schob er sie von sich und warf zu Boden blickend hin: »Ich werde mich jetzt der Polizei stellen.«

Ungefähr um dieselbe Zeit, in der Baron Hottenbach vor seine Mutter trat, erschien Baron Dolgiano bei Backstein, der eben in seinem Atelier an die Arbeit getreten war. Er kannte den Baron nur von jenem Karnevalsabend. Wollte er einen frühen Atelierbesuch machen? Das war ja möglich. Als er aber die Art bemerkte, wie der junge Mann mit gesenktem Kopf herantrat, sah er ihn wortlos, verwundert an.

»Herr Backstein, ich komme in einer sehr traurigen Angelegenheit zu Ihnen,« sagte Dolgiano.

Wieder sah ihn der Maler mit fragendem Staunen an.

»Ihr Schwager, Graf Hove, ist im Duell gefallen.«

Mit einem kurzen Aufschrei sprang Backstein zurück, dann ging er hastig auf den Baron los und sagte:

»Um Gottes willen, mit wem denn? Warum denn?«

»Mit Baron Hottenbach,« lautete die halblaute Antwort. »Was die Gründe angeht, so sind sie strengstes Geheimnis.«

»Und damit soll ich mich abspeisen lassen und etwa auch – – – die Frau?« entgegnete Backstein unwillig.

»Diesen Brief des Toten soll ich Ihnen aushändigen,« antwortete Dolgiano und zog das Schriftstück aus der Rocktasche. Backstein riß hastig den Umschlag auf und las:

 

»Lieber Schwager! Kein Unrecht ist an mir. Ich mußte mich der Ehre meines Namens opfern. Auch mein Gegner hat gehandelt, wie er glaubte handeln zu müssen. Der Rest ist Schweigen. Stehe meiner armen, heißgeliebten Aga und meinem süßen Kindchen bei, so gut Du kannst jetzt und später und gedenke in Liebe Deines Dir herzlich treu gesinnt gewesenen Schwagers

Paul.«

 

»Entsetzlich!« hauchte Backstein. Dann bot er dem Baron einen Sitz und bat um nähere Mitteilungen über Hoves Ende.

»Es sollte geschossen werden bis zur Kampfunfähigkeit einer Partei,« berichtete Dolgiano. »Nach dem ersten Kommando fehlte Hottenbach, Graf Hoves Schuß ging, wie hinterher konstatiert wurde, über des Gegners linke Schulter so dicht, daß dieser sich gestreift fühlte und auch Spuren am Rocke sichtbar waren. Nach dem zweiten Kommando brach der Graf ins Herz getroffen zusammen. Als ich herbeistürzte, bemerkte ich noch eine zweimalige schnappende Bewegung des Mundes und ein kurzes Aufzucken der linken Hand. Gleich darauf stellte der Arzt den Tod fest.«

Beide Männer sahen eine Weile schweigend zu Boden. Dann sprach Backstein einförmigen Tones:

»Ich kenne die Familiengeschichte des Grafen Hove nicht, wenn aber seine Frau in den Handel gezogen werden sollte, dann bin ich da. Das merke man sich. Auch die Damen jedes Hofranges wollen es sich zur Notiz nehmen, daß ich eventuell bei ihnen meine Visitenkarte abgebe. Sie haben ja in diesen Kreisen Verbindungen, Herr Baron. Sie werden mich verpflichten, wenn Sie dieser meiner Absicht dort Verbreitung geben.«

Baron Dolgiano erwiderte:

»Wir haben uns alle verpflichtet, für die Integrität der Gräfin einzustehen, insbesondere auch Baron Hottenbach selbst.«

Zaghaft, zögernd fuhr er dann, nachdem er einen zweiten Brief hervorgezogen hatte, fort:

»Es erübrigt sich noch die schwere Aufgabe, der Frau Gräfin das traurige Ereignis mitzuteilen und ihr den letzten Brief ihres Gemahls zu übergeben, den er mir gleich dem an Sie gerichteten anvertraut hat. Ich habe mit der Frau Gräfin einige Male getanzt und Ballgespräche geführt. Da ist man doch wohl nicht die geeignete Persönlichkeit zu einer solchen Mission.«

Mit deutlicher Bitterkeit versetzte Backstein:

»Ich verstehe. Das Schwerste an dem traurigen Handel soll ich ausführen, der bürgerliche Maler Backstein, der mit der ganzen aristokratischen Affäre nicht das geringste zu tun hat.«

»Sie sind doch ein naher Verwandter,« sagte Dolgiano mit bittendem Klange. »Ich habe dem Verstorbenen gar nicht naher gestanden, bin sein Sekundant nur geworden, weil er mich darum anging und es nicht Sitte ist, ein solches Ansuchen zurückzuweisen.«

Backstein streckte jetzt die Hand nach dem Brief aus und sagte Atem schöpfend:

»Ich werde es machen.«

Baron Dolgiano sprach noch etwas von Beileid und bitterer Schicksalsfügung und entfernte sich dann eilig.

Backstein ging zu seiner Frau hinüber, die eben aufgestanden war und am Waschtisch hantierte.

»Paul ist im Duell erschossen worden,« warf er eintretend ihr mit bebender Stimme zu.

Sie fuhr mit den Händen aus dem Waschbecken und wendete sich ihm zu, ohne die Hände erst zu trocknen.

»Um Gottes willen, wegen Aga?« rief sie.

»Aga hat nicht das geringste damit zu tun,« entgegnete Backstein unwillig. »Einem dummen Familienkram hat er sich geopfert, den man vorläufig nicht einmal kennt.«

»Ich habe auch nicht gedacht, daß Aga eine Schuld hätte,« sagte Julie eingeschüchtert. »Ich meinte nur eine Eifersuchtsgeschichte – – – Aber es ist ja entsetzlich!« sagte sie dann, trocknete rasch die Hände und starrte den Gatten an.

»Ich muß jetzt zu ihr und es ihr mitteilen,« sagte Backstein gedrückt.

»Du?« fragte sie dagegen. »Das könnt« ich nicht, das wird eine schreckliche Szene werden. Sag's doch der Mama. Die kann so was eher machen.«

Backstein warf einen kurzen Blick auf sie, schüttelte mit dem Kopf und sagte:

»Das wäre doch kaum das Richtige. Wohl aber könntest du es übernehmen, deinen Eltern Mitteilung zu machen, damit sie möglichst bald zu Aga kommen. Du nimmst sie gleich mit und ich erwarte euch bei dem armen Geschöpf, dem wir jetzt alle unsere Hilfe bieten müssen.«

»Eine angenehme Aufgabe ist das auch nicht,« sagte Julie. »Aber ich will es tun. Ich muß ohnehin gleich in die Stadt, mir Trauerkleider bestellen. Das ist ein schöner Karneval geworden!«

»Ich erwarte euch also dort!« rief Backstein schroff und verschwand.


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