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Frau Julie hatte erst ein Kostümfest geplant. Dem hatte der Gatte mit sanfter Entschiedenheit widersprochen: eine geradezu abgedroschene Sache, die sich in München bis zur Erschöpfung wiederhole. Der eigentliche Grund war, daß nach seiner Erfahrung gerade in der Maskerade der Anreiz zu gewissen Ausgelassenheiten steckte, die sich im Laufe solcher Künstlerfeste regelmäßig einstellten und die er im eigenen Hause nicht liebte. Julie hatte ihm aber das Zugeständnis abgerungen, daß einige junge Leute ein Kabarett veranstalten durften, das dem Feste wenigstens eine besondere künstlerische Note geben sollte.
Das Backsteinsche Haus wirkte schon an sich in seinen modernen Räumen farbenschön, der Gesellschaftssaal in Rosa mit graugeräuchertem Holzwerk, das Speisezimmer in Hellgrün und Ebenholz, ein kleinerer Salon in Gelb mit Mahagoni. Die vor diesen Räumen gelegene, mit reichen Holzschnitzereien in Natureiche und mit wertvollen Teppichen an den Galerien geschmückte Diele erhielt an Gesellschaftsabenden noch einen besonderen Zauber durch den reichen Blumenschmuck, der dem Farbenreiz aller Räume steigende Wirkungen zugesellte und zugleich durch das ganze Haus die Düfte südländischer Gärten breitete.
Im vorigen Winter hatte das Ehepaar Backstein nur eine kleinere Geselligkeit veranstaltet, weil das Haus noch nicht ganz in der beabsichtigten Weise bestellt war. Jetzt war ein großer Kreis geladen, in dem die hervorragendsten Münchener Künstler, mehrere kunstfreundliche Aristokraten, Großkaufleute, Offiziere verschiedener Waffengattungen und eine Fülle schöner Frauen sich zusammengefunden hatten. Aber auch hier erregte die Erscheinung der Gräfin Hove allgemeines Aufsehen, und als es dann im Laufe des Abends mehrfach Gelegenheit gab, die beiden schönen Schwestern dicht nebeneinander zu sehen, wurde dies jedesmal zu einem Ereignis, zu dem man sich wie zu einer Schau herandrängte und dessen Genuß allgemein viel höher bewertet wurde als die Kabarettscherze der jungen Künstler und selbst das ausgezeichnete Souper. Da hatte sich ja wirklich eine ganz köstliche neue Blüte des Münchener Künstlerlebens aufgetan, und in allerlei Winkeln wurde von diesem Backstein gesprochen, der ja ein ganz gescheiter Maler sei, dem man es aber nie zugetraut hätte, daß er sich so geschickt mit Hilfe einer schönen Frau in Szene zu setzen wisse. Man sagte ihm dann auch sehr viele Artigkeiten. Er dankte mit einem beglückten Lächeln dafür. Julie sah ja auch wieder wunderschön aus, und niemand im Saale beobachtete sie mit solch glühenden Blicken wie ihr Gatte. Aber, wenn sein Auge gerade nicht auf ihr ruhte und er das bunte Treiben um ihn her überschaute, da kam so etwas wie eine nervöse Bangigkeit über ihn.
Es gab Leute, die ihn wie einen großen Künstler mit feierlichem Respekt behandelten, und selbst gewisse Kollegen sahen ihn mit anderer Miene an als bisher. Das hatte aber doch alles nichts mit Kunst zu tun. Der abgöttisch geliebten Frau wollte er Freude machen. Nach seinem Geschmack waren solche Dinge eigentlich gar nicht, wenn er auch dafür gesorgt hatte, daß das Fest die Merkmale künstlerischer Kultur trug. Ehrgeizig war er ja, aber aufgeschrien hätte er vor Schmerz, hätte er denken sollen, seine Bewertung als Künstler könnte einmal in irgendeinen Zusammenhang gebracht werden mit solchen Veranstaltungen, die der Sohn reicher Eltern sich leisten konnte. Und doch stand diese Möglichkeit, für die er Beispiele aus dem Leben wußte, drohend vor ihm. Eine Gefahr lauerte hinter diesem Blumenzauber, ein Gespenst ging um zwischen den heiteren Gestalten, und er beschloß, demnächst einmal ernstlich mit Julie zu sprechen, daß sie es mit ihrer Lebensfreude doch nicht zu weit treiben dürfe, da seine Arbeit Schaden leiden könnte. Im selben Augenblicke kam sie raschen Schrittes an ihn heran und sagte, ihm die Hände auf die Schultern legend:
»Weißt du, was ich gemacht habe? Dein Bild, das bei Heimann hängt, habe ich verkauft. Generalkonsul Böttcher nimmt es. Er wird gleich mit dir sprechen. Ich habe zweitausend Mark gesagt. Siehst du, daß ich eine gute Künstlersfrau bin?«
»Das ist ja viel zu viel,« entgegnete der Maler lächelnd.
»Daß du mir nicht herunter gehst! Böttcher bezahlt's,« mahnte sie und verschwand wieder.
Diese Verbindung des Bilderhandels mit der Gastfreundschaft war auch nicht gerade nach seinem Geschmack, aber es kam so drollig naiv bei ihr heraus, daß er sich davon erheitert fühlte und sich, von der trüben Anwandlung geheilt, wieder in die Gesellschaft mischte, wo bald der Generalkonsul zu ihm stieß und mit ihm den Handel abschloß, und zwar zu dem Preise von fünfzehnhundert Mark. Lachend meinte der Generalkonsul:
»Die Frau Gemahlin wollte mich mit Zweitausend hereinlegen.«
»Das geht doch nicht,« antwortete Backstein. »Aber bitte, lassen Sie sie bei dem Glauben. Es macht ihr Spaß. Sie versteht natürlich nichts von Preisen.«
»Na, na,« meinte der Generalkonsul, »sie hat jedenfalls kaufmännisches Talent, denn auf eine kleine Bemerkung hin, daß mir das Bild sehr gut gefalle, hat sie mich nicht mehr locker gelassen.«
Backstein wollte das Verhalten seiner Frau als naiven Übereifer entschuldigen.
»Aber, bester Freund, seien wir doch offen, Kunst ist auch ein Geschäft,« entgegnete der Generalkonsul. »Sie sind ja Kaufmannssohn, wie ich weiß. Also!«
Das gefiel Backstein wiederum nicht, er durfte Julie wirklich nicht mehr so viel auf eigene Faust wirtschaften lassen, man geriet sonst nach verschiedenen Richtungen in ganz falsches Fahrwasser. Da kam sein Schwager Hove auf ihn zu:
»Ganz entzückend ist es bei euch,« sagte er im Tone der lebhaftesten Festfreude. »Eine frische Stimmung und doch vornehm, interessante Menschen, geschmackvolles Arrangement – – Ja, ja, ihr Künstler wißt das Leben zu fassen.«
»Darin suchst du den Gipfelpunkt des Künstlerlebens?« bemerkte Backstein dagegen mit leiser Ironie.
»Weiß schon, weiß recht gut, daß noch ernstere Dinge bei euch in Frage kommen,« fuhr Hove fort, »aber davon verstehen wir anderen nicht so viel. Hier kommt uns etwas von eurer besonderen Menschenart zum Bewußtsein, um das wir euch beneiden. Ich freue mich wirklich, daß ich so etwas mitmachen kann. Es ist weitaus der schönste Abend, den ich bisher in diesem Karneval verlebt habe, und wird's wohl auch bleiben.«
Er fragte dann Näheres über diese und jene Persönlichkeit, machte harmlos scherzhafte Bemerkungen und gab sich der fröhlichsten Laune hin. Das war so seine Art, auf irgendeine Anregung hin den weichmütigen Ernst, der den normalen Grundton seines Wesens bildete, abzustreifen und einen Frohsinn zu entwickeln, der sich bis zur kindlichen Lustigkeit steigern konnte.
Hove verließ seinen Schwager gerade, als Max Hottenbach auf die beiden Herren zuschritt. Es geschah ohne Absicht, denn er hatte Hottenbach gar nicht bemerkt. Dieser glaubte aber darin die Fortsetzung eines Systems zu erkennen, das Hove bei jedem Zusammentreffen beobachtete, und das er auch seiner Gattin anbefohlen habe, da sie seine Höflichkeit immer mit einer Kühle beantwortete, die sich von ihrer anmutigen Güte gegen andere auffallend unterschied. Ihm war dieser heimliche Krieg ganz willkommen, wenn er auch noch nicht wußte, wohin das führen würde. Einstweilen stellte er sich dem Gehaßten gerade dann in den Weg, wenn er glaubte, ihm dadurch die gute Laune zu verderben, und die schöne Frau Gräfin mußte mit der Zeit merken, daß die Art, wie er ihre Kühle übersah und seine Huldigungen unentwegt anbrachte, eine Bosheit bedeutete.
Gerade heute aber hatte dieses Spiel für ihn einen ganz anderen Charakter angenommen oder bereits im Keime vorhanden gewesene Regungen waren eben heute zur Blüte gekommen. Sie stand heute in einer ganz anderen Beleuchtung, diese Gräfin, als bei Hof oder in den aristokratischen Salons. Wie eine junge Königin war sie, die sich zum Besuche eines Festes herbeiläßt, vornehm bis in die Fingerspitzen und doch ohne Hochmut. Die Schwester war ja vielleicht für manchen Geschmack noch schöner, aber diese Schönheit redete eine andere Sprache, weckte kecke Gedanken, die der Gräfin gegenüber zum Frevel, zur Lästerung wurden. An der Seite einer solchen Frau bekam auch ein so schlappes Bürschchen wie dieser Hove etwas, das nach Bedeutung aussah. Der spazierte ja auch herum, mit einem selbstgefälligen Lächeln, als hätte er diese Wunderblume drüben in Franken selber gezüchtet wie eine neue Kartoffelsorte. Er war doch auch ein Baron Hottenbach, und ihm hatte ein Lohgerber die Tochter verweigert. Da fühlte er's, daß zum alten Grund des Hasses ein neuer kam – der Neid.
Man ging zum Souper. Hottenbach saß als Junggeselle in einem Nebenraum bei den jungen Leuten. Er hatte den Blick durch die offene Tür nach dem Speisesaal und der Tafel der Respektspersonen. Als hätte man ihn noch besonders ärgern wollen, sah er auch gerade auf Hove hin, der einen bevorzugten Platz einnahm. Nach dem Souper nahm man den Tanz wieder auf, und es geschah dies, wie deutlich zu bemerken war, in einer wesentlich gesteigerten Stimmung. Da immer noch Gelegenheit geboten war, in den Zwischenpausen ein Gläschen Sekt zu nippen, so bekam das Fest mit der Zeit einen sehr ungezwungenen Charakter und eine oder die andere Dame legte in ihre Tanzweise einen deutlichen Hauch bacchantischen Dranges. Gräfin Aga verzichtete nach einiger Zeit darauf, sich weiter als Tänzerin in dieses Treiben zu mischen. Daher lehnte sie auch eine Aufforderung Hottenbachs, dem sie schon vor dem Souper einen Tanz gewährt hatte, mit der Bemerkung ab, daß sie ihm nicht gewähren dürfe, was sie schon einigen anderen Herren verweigert habe. Hottenbach blieb bei ihr stehen und machte einige Randglossen über vorübertanzende Paare. Da bemerkte er, einem solchen nachsehend, an einer anderen Ecke des Saales Hove, der mit noch einem Herrn in einer offenbar sehr heiteren Unterhaltung vor seiner Schwägerin stand. Beide Herren sprachen auf die schöne Frau ein, die mit zurückgeworfenem Kopfe lachte und mit der Hand eine abwehrende Bewegung machte. Er sagte zur Gräfin Aga:
»Ich habe gar nicht gewußt, daß Ihr Gatte so lustig sein kann. Er amüsiert sich ja königlich.«
Die Gräfin folgte der Richtung seines Blickes und sah nun, wie Julie ihren Schwager an beiden Frackklappen festhielt und zu ihm aufsah – »als wollte sie ihn küssen,« fuhr es ihr durch den Sinn, und sie spürte etwas wie einen Stich. Dann folgte eine zornige Empfindung gegen Hottenbach. Sie faßte sich aber zu der kühlen Antwort:
»O ja, in einer Gesellschaft, die ihm behagt, kann er sehr lustig sein.«
Hottenbach machte noch eine Bemerkung, daß man sich hier in der Tat besser amüsiere als auf einem Hofballe und er selber sich im schlichten Frack wohler fühle als in der Uniform eines Kammerjunkers. Dann verschwand er. Aga blieb verstimmt. Es war ja Unsinn, sich Gedanken zu machen, häßlich war es. Aber Julie hatte sich wirklich ein sehr freies Benehmen angewöhnt. Auch vor dem eigenen Schwager stellt man sich nicht so hin. Sie wurde das Bild nicht los, immer kam es ihr wieder vor Augen, und sie war so unglücklich, nicht über das, was sie gesehen hatte, sondern darüber, daß sie Gedanken hegte, die sie doch nicht bannen konnte. War's eine ganz harmlos gemeinte Bemerkung Hottenbachs gewesen oder hatte er eine Absicht dabei gehabt?
Gleich nach Schluß des Karnevals fuhren Hoves wieder nach Reitershausen zurück, und Aga war dessen froh. Zwar hatte sie die Episode in Julies Haus schon am nächsten Tage überwunden gehabt, aber es war doch eine Empfindlichkeit zurückgeblieben, so daß sie jetzt für gelegentliche Bemerkungen, die in der Gesellschaft fielen, Anspielungen, Witzchen, auf die sie bisher gar nicht geachtet hatte, überaus hellhörig geworden war und das Gefühl bekam, als sei sie von allerlei unsichtbaren Gefahren umgeben, als stehe sie unwissend vor allerlei Geheimnissen des Gesellschaftslebens, die es in dem kleinen Würzburger Kreis ihrer Mädchenzeit wohl gar nicht gegeben hatte. Paul war ja so gut und lieb. Aber über diesen und jenen Herrn waren gelegentlich kurze Worte gefallen, die sie aufs höchste überrascht hatten. Als sie wieder in Reitershausen war, atmete sie beglückt auf in dem Gefühle, den Gatten nun wieder ganz allein für sich zu haben.
Bei Onkel und Tante Sporn schüttete sie in der nächsten Zeit ihr Herz aus und offenbarte ihre Angst, daß Paul in München verdorben werden könnte. Die lachten fröhlich, denn Hove hatte ihnen inzwischen schon in den überschwenglichsten Tönen von Agas Triumphen berichtet und seine Besorgnis davor bekundet, daß sie im Laufe der Zeit, durch solche Erfolge verwöhnt, den zarten Duft ihrer schönen Herzenseinfalt verlieren und eine kalte Weltdame werden könnte.
»Es sind zwei glückliche Kinder,« sagte der Baron zu seiner Gattin. »Aber das taugt eben nichts. Sie müssen sich den Wind des Lebens um die Nase wehen lassen, sonst verzärteln sie und werden schwach im Charakter. Man weiß aber nicht, ob sie nicht einmal Charakterstärke sehr nötig haben werden. Dem Leben ist nun einmal nicht zu trauen.«
»Und wie war's mit uns?« meinte die Baronin lächelnd.
»Na, na,« antwortete der Baron schmunzelnd, »du hättest dich schon zur Wehr gesetzt, wenn es hätte sein müssen.«
»Tust ja gerade, als ob ich ein Mannweib wäre,« entgegnete die Gattin.
»Laß gut sein, Altchen,« sagte der Baron und klopfte ihr auf die Schulter, »ich meine nur, du hättest besser durchgehalten als ich.«
»Ich werde nicht klar über das, was jetzt in Aga vorgeht. Sie offenbart sich nur halb. Wird so was sein wie eine kleine Eifersüchtelei und wird auch wieder vorübergehen.«
»Ich vertraue auf Paul,« meinte der Baron, »und Aga ist nicht beschränkt.«
»Aber zart besaitet,« setzte die Baronin das Gespräch fort. »Das ist was anderes, als du meinst. Deshalb kann sie doch unter Umständen sich wieder ganz fähig zeigen. Ob Paul jeder Lage gewachsen wäre, das scheint mir nicht ganz sicher.«
»Kleine Dummheiten traue ich ihm zu,« sagte der Baron. »Aber wenn's aufs Ganze geht, stellt er seinen Mann, das bin ich gewiß … Doch wären schon diese kleinen Dummheiten vom Übel, sie können viel Verwirrung in ein Leben bringen. Beide müssen eben noch als Eheleute ausreifen, über die Verliebtheit hinauswachsen. Sie sollen nur nächsten Winter wieder nach München, sich in der Reibung mit den Menschen härten, daß sie auf den richtigen Begriff der Lebensgemeinschaft als Kampfgemeinschaft kommen.«
»Wie du reden kannst,« warf die Baronin ein.
»Wir haben spät geheiratet,« sagte er, ihre Meinung erratend. »Da lag alles ganz anders. Da stellten sich gleich die richtigen Begriffe ein.«
»Geliebt haben wir uns doch auch ein bißchen,« versetzte die Gattin mit schalkhaftem Blick.
»Freilich, freilich, aber es war doch was anderes wie bei so jungen Leuten.«
»Das ist ja gar nicht wahr!« rief die Baronin jetzt heiter.
Er sah sie an, lachte, ging auf sie zu und gab ihr einen Kuß. Dann sagte er:
»Sollen sich halt die Hörner ablaufen, so gut sie können.«
Der bisherige Vertreter des Wahlkreises Garnheim, ein schon ziemlich bejahrter bürgerlicher Gutsbesitzer, war gestorben. Nach dem Begräbnis des weithin angesehenen Mannes, dem auch Graf Hove beiwohnte, hatte man bei kurzem Beisammensein im Gasthaus die Frage der nötig werdenden Neuwahl eines Abgeordneten obenhin besprochen, und es fiel die Ansicht, die Gelegenheit müsse benutzt werden, dem Parlamente junges Blut zuzuführen. In diesem Zusammenhang richtete sich die Aufmerksamkeit auf Graf Hove, der, als man ihn unmittelbar darum ansprach, sich zwar abwehrend verhielt, doch in solcher Art, daß sein Widerstand nicht unüberwindlich erschien. Im Laufe der nächsten Tage erhielt er Zuschriften von Standesgenossen des Bezirks, es sei wünschenswert, daß ein Vertreter des adligen Großgrundbesitzes gewählt werde, und aus diesen und jenen Gründen bäten sie ihn, sich als Kandidaten aufstellen zu lassen.
Paul Hove geriet in große Aufregung. Vom Onkel Sporn wollte er sich jetzt nicht mehr weiter irremachen lassen, denn ein solches ohne jedes eigene Bemühen ihm gebotene Vertrauen unbeachtet zu lassen, wäre ihm als Stumpfsinn eines geistesträgen Menschen ausgelegt worden. In München hatte er mehrmals mit Schwager Backstein über den Künstlerehrgeiz gesprochen, und dieser hatte die Meinung geäußert, dies sei nichts weiter als eine besondere Wendung des Dranges eines kultivierten Menschen, über die engste Nützlichkeit, über den nackten Geldwert hinauszuwachsen.
»Ich achte meine Verwandten, die als Kaufleute es für eine Ehrenpflicht halten, Macher ihres Vermögens zu sein,« hatte er gesagt. »Mir ist das aber zu wenig Lebensinhalt.«
Und er hatte das mit bitterer Empfindung nachgefühlt. Jetzt war auch ihm die Gelegenheit gegeben, über die Nützlichkeit hinauswachsend einen idealen Lebensinhalt zu gewinnen. Freilich erlitt dabei das Eheidyll eine nicht unbedeutende Störung. Das ging doch wohl nicht an, daß er Frau und Kind für die ganze Sitzungsdauer nach München mitnahm. Diese bayerischen Landtagssessionen pflegten langwierig zu sein. Das war ein schwieriger Punkt, aber er mußte seine Lösung in der alten Wahrheit finden, daß der Mann eben nicht für die Liebe allein geschaffen ist.
Aga freilich war, als er ihr die Sachlage auseinandersetzte, ganz betroffen. Sie schien zwar seine Beweggründe zu verstehen und sich ihnen wie einer Notwendigkeit zu fügen, aber sie war in den nächsten Tagen doch bedrückt und sah gedankenverloren vor sich hin, wenn er immer von neuem sich bemühte, daß sie selber zur Freude an der Ehrung, die ihm widerfuhr, gelangen sollte. Das war Aga aber nicht möglich, weil der Gedanke an einen längeren Aufenthalt des Gatten in München jenes Bild der Schwester wieder lebendig machte und längst verschwundene Beängstigungen neu erweckte. Sie hatte ja die ganze Zeit hindurch die Hoffnung mit heißem Eifer genährt, es würde bis zur nächsten Karnevalszeit sich wieder bei ihr ein Hindernis einstellen, denn ihm den Erben zu schenken, danach ging jetzt der Drang ihrer Liebe und jetzt sollte, selbst wenn diesem Wunsche Erfüllung wurde, ihr doch die heimliche Sorge nicht erspart bleiben?
Eine gewisse Beruhigung gab ihr Onkel Sporn, die freilich mit der Möglichkeit einer kurzen Bitternis für den Gatten verbunden war. Der Onkel meinte nämlich, Paul habe die besten Aussichten bei der Wahl durchzufallen und täte darum besser, auf die Kandidatur zu verzichten. Dem angesehenen Verstorbenen, so führte Onkel Sporn aus, war der Gegenkandidat, ein sehr populärer Rechtsanwalt, bei den letzten Wahlen so nahe gekommen, daß es sich nur um einige wenige Stimmen gehandelt hatte, die dem Rechtsanwalte zum Siege fehlten. Wenn nun Paul als völliger Neuling in den Wahlkampf trete, dann sei doch die größte Wahrscheinlichkeit dafür gegeben, daß der volkstümliche Gegner als Sieger hervorgehe.
Zum ersten Male äußerte sich Hove abfällig über den Onkel Sporn und sprach von der Einbildung alter Leute, die da meinten, die Fähigkeiten der jüngeren Generation geringschätzen zu müssen, während es sich doch auf allen Gebieten, auf dem politischen nicht zuletzt, darum handele, daß ein rechtzeitiger Blütewechsel eintrete.
In der Tat wurde ihm von der Parteileitung des Bezirkes die Kandidatur offiziell angetragen und er leistete dem Rufe Folge. Auf einer Rundfahrt im Wahlkreise fand er sehr gute Aufnahme, und in den Zeitungen wurde sein Name unter schmeichelhaften Wendungen genannt. Er war ganz verändert, viel straffer in der Haltung und sehr selbstbewußt in den politischen Vorträgen, die er Aga täglich nach dem Abendessen zu halten pflegte. Sonst war es in diesen Spätstunden viel traulicher gewesen, von politischen Neigungen hatte er nie etwas verlauten lassen. Aber er war so begeistert von seiner Aufgabe und so tatenlustig, daß Aga ihm mehr und mehr mit stolzer Bewunderung zuzuhören begann. Es schien, als offenbare sich eine Begabung, die nur bisher an der Entfaltung gehemmt war. Da mußten ihre Bedenken als kleinlich weichen. Er konnte ein berühmter Mann werden, Exzellenz und Staatsminister vielleicht. Dem durfte sie doch nicht im Wege stehen.
Der Tag der Wahl kam. Ein Tag der höchsten Aufregung für Hove selber sowohl wie für Aga, die sich mit ihm schon ganz in den Gedanken eingelebt hatte, daß ein Mißerfolg als ein Familienunglück anzusehen wäre. Zwar war daran gar nicht zu denken, wenn die Wähler ihre Pflicht taten, denn er hatte ja in den letzten Tagen bei einer zweiten Rundfahrt wahre Triumphe gefeiert, die Zeitungen hatten ihm den Ehrentitel des »Bauernkönigs« verliehen.
Am Abend hatte sich Onkel Sporns Prophezeiung erfüllt. Infolge zahlreicher Wahlenthaltungen war Graf Hove dem Gegenkandidaten mit einer solchen Minderheit von Stimmen unterlegen, daß die Niederlage der Partei zu einem sensationellen Ereignis wurde, und etliche Stunden später war in den gleichen Zeitungen aus dem »Bauernkönig« ein »junger Mensch« geworden, der nichts einzusetzen gehabt habe als seinen hochadeligen Namen und den man niemals einem altbewährten Volksmanne gegenüber hätte aufstellen dürfen. Eine Überhebung des Herrn Grafen nannte man es, daß er sich unter den gegebenen Verhältnissen vorgewagt habe.
Onkel Sporn bemühte sich in herzlichster Art, dem ganz vernichteten Hove, der glaubte, sich nirgends mehr sehen lassen zu können, beizubringen, daß ein solcher Mißerfolg noch lange kein Lebensschicksal bedeute, also nicht gar so tragisch genommen werden dürfe. Aber er fand wenig Dank dafür, denn Hove war gerade gegen ihn verstimmt, weil er ja diesen Ausgang prophezeit hatte und es höchst unangenehm war, zwischen den Trostworten immer hindurchzuhören: »Ich habe also doch recht gehabt.«
Seit seiner Verheiratung hatte er seine Besuche im »Schwanen« mehr und mehr eingeschränkt. Jetzt mied er diesen Ort aber erst recht, da ihm zugetragen worden war, daß dort spöttische Reden über ihn gefallen seien und namentlich der Zolldirektor schon vor der Wahl sich hämisch über seine Kandidatur geäußert habe. Der mehrwöchige Besuch von Agas Vater diente auch nicht dazu, die Stimmung aufzuheitern. Mama Rottenau hatte sich von Julie in ein Bad begleiten lassen, was so viel bedeutete, daß Backstein die Reise bezahlte. Der Vater aber hatte keine Lust mehr, sich auf den Gütern guter Freunde herumzutreiben. Es war wirklich dazu gekommen, daß man ihn kaltgestellt hatte. Wie auf Verabredung war das in Würzburg und draußen bei den Landadeligen geschehen. Er war auch entschlossen, im Spätherbst nach München zu ziehen. Einstweilen war er schlechter Laune, langweilte sich in Reitershausen, nörgelte daher über Mangel an Aufmerksamkeit und schalt bei seinen Besuchen auf den Nachbargütern über die Torheit seines Schwiegersohnes, als Wahlkandidat aufzutreten, was diesem nicht unbekannt blieb.
So war der Sommer ziemlich unerquicklich geworden. Da machte im September der neue Kommandeur des Garnheimer Bataillons mit Gattin seinen Besuch in Reitershausen. Der bisherige war mit dem Charakter eines Oberstleutnants in Pension gegangen. Major von Falk war ein großer hagerer Herr mit einem kahlen Scheitel, der die Stirn überaus hoch erscheinen ließ. Zugleich bekam die Gesichtsfläche, deren Farbe viel dunkler war als der fast weiße obere Stirnteil, ein um so niedrigeres, wie zusammengeschoben erscheinendes Aussehen. Ein kleiner brauner Schnurrbart schattete auf der Oberlippe. Schön war der Major nicht, aber er hatte sehr ritterliche Manieren und wußte angenehm zu plaudern. Wie er erzählte, war er bisher dem Generalstab zugeteilt gewesen. Bei seiner unter Beförderung erfolgten Verweisung zur Front hätte er nach dem Herkommen Anspruch darauf gehabt, in eine bevorzugte Garnison zu kommen, allein der Gesundheitszustand seiner Frau, der viel Aufenthalt in reiner, nicht zu rauher Luft empfehlenswert machte, habe ihn veranlaßt, sich eine dieser Bedingung entsprechende Garnison zu erbitten, und so sei er nach Garnheim gekommen.
Frau von Falk war eine ganz junge, überaus zierliche Frau, der man die schwächliche Gesundheit sofort ansah. Sie besaßen einen kleinen Knaben, einige Monate älter als das Töchterchen Hoves. Nachdem diese den Gegenbesuch gemacht hatten, entwickelten sich ziemlich schnell freundschaftliche Beziehungen, in die auch das alte Ehepaar Sporn eingeschlossen wurde. Aga tat es sehr wohl, daß da eine kleine Intimität entstand, die ihr viel sympathischer war als der Verkehr mit den sonstigen Garnheimer Honoratiorenkreisen, der ihr bisher immer mehr Zwang der Form als Anregung gewesen war.
Besonders freudig begrüßte sie es, daß der Gatte sich so gut zum Major fand. Es schien, als ob er in diesem geradezu eine Stütze suche gegen die nervöse Zerfahrenheit, die sich seiner bemächtigt hatte und die Aga mit Betrübnis beobachtete. Da auf sie selber die einfach kluge, gemessene Art des Majors, aus der gelegentlich eine warme Herzensgüte herausklang, überaus wohltuend wirkte, sprach sie im Laufe der Zeit einmal mit ihm darüber, wie des Gatten verändertes Wesen sie bekümmere.
Herr von Falk sagte darauf:
»Was will er denn? Kann er's besser haben? Aber es gibt einmal so Leute, die es nicht vertragen können, daß es ihnen gut geht. Sie müssen sich irgendeinen Ärger aufhalsen. Wenn ich so auf meinem eigenen Grund und Boden säße und nur darauf zu warten hätte, daß mir Gott und meine liebe Frau einen Stammhalter schenkten, dann würde ich meine Nerven nicht strapazieren.«
»So sprechen Sie,« entgegnete Aga. »Weil Sie eben das besitzen, was mein Mann entbehrt. Vor Ihnen liegt die Karriere, die große Stellung, und damit haben Sie ein Ziel, das Ihnen Befriedigung gibt. Ihnen würde wahrscheinlich ein solches Gutsherrnidyll auch nicht genügen.«
»Das wäre wohl möglich,« antwortete der Major. »Aber ich litte dann eben auch an dem fatalen Drang, aus dem mir einmal zugewiesenen Wirkungskreis heraus zu wollen ins Ungewisse und Fragliche, statt mir mein Leben an der Stelle aufzubauen, an die mich ein gutes Schicksal gesetzt hat. Von Karriere, großer Stellung bei unsereinem sprechen Sie, Frau Gräfin. Uns mit Titel und mit Orden zu schmücken, als Exzellenz spazieren zu gehen, das ist doch nicht so eigentlich unser Ziel. Wir wollen ein Ergebnis unserer Lebensarbeit einmal vor uns sehen, wir warten auf die Gelegenheit zur Tat. Wann wird sie kommen, kommt sie überhaupt? Das ist eine für uns unheimliche Frage, auf die so viele Kameraden die bittere Antwort geben, die mit dem Regenschirm in der Hand herumlaufen, nachdem sie sich jahrelang mit Körper und Geist ehrlich geplagt haben. Unser Ziel ist der Krieg, da erst können wir unseren Wert beweisen. Aber alles wird aufgeboten, uns um dieses Ziel zu bringen. Wir können das nicht tadeln und doch macht es unser ganzes Leben höchst fragwürdig in seinem Werte.«
»Krieg!« rief jetzt Aga. »Um Gottes willen. Da müßte mein Mann ja auch mit!«
»Und würde dann ein schönes Ziel seines dunklen Tatendranges finden,« meinte der Major.
»Ich danke!« versetzte Aga.
Herr von Falk zuckte die Achsel und sagte:
»Alle Kugeln treffen nicht, und kein Mensch kann wissen, was für Geschosse im schönsten Frieden das Schicksal für ihn bereit hält. Damit will ich aber der gnädigsten Gräfin nicht bange machen. Ich meine nur, daß das Leben überhaupt nicht gefahrenfrei ist.«
Ein tiefer Ernst war auf seine Züge gekommen. Aga vermutete, er denke an seine Frau, und empfand Mitleid mit ihm.
»Und ich glaube doch an ein volles Lebensglück!« sagte sie mit einer absichtlichen Munterkeit. »Wissen Sie, wo ich mir diesen Glauben immer wieder auffrische? Bei den beiden alten Leutchen, Onkel und Tante Sporn.«
»Wahrhaftig ein rührendes Paar,« sagte der Major. »Aber solche Art von Glück liegt für Sie, Gräfin, doch noch in sehr weiter Ferne.«
Sie senkte den Blick und lächelte.
»Dieser Graf Hove ist doch ein Narr!« dachte sich Herr von Falk.