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Schloß Reitershausen, die gräflich Hovesche Besitzung, war ganz nahe bei Garnheim. In einem Spaziergang von einer Stunde, die meist durch große Bäume Schatten spendende Landstraße entlang, erreichte man das große, in fruchtbarem Kornlande gelegene Dorf. Am Ende des Dorfes, wo die Straße sich nach zwei Richtungen gabelte, lag das weiße Gebäude mit dem grauen Schieferdach und einem ganz belieferten Uhrtürmchen darauf, zwischen hohen Kastanien, Birken und Rotbuchen hinter einem weiten Hof, durch das stets offene schmiedeeiserne Tor, das die hohe Gartenmauer unterbrach, frei sichtbar. Der Graf fuhr immer in einem leichten Wägelchen mit einem glänzend schwarzen Traber, den er selbst lenkte, einen jungen Diener in rehfarbener Livree hinter sich, nach der Stadt. Das helle Rasseln des gräflichen Gefährtes und den kräftigen, rhythmischen Hufschlag des Rappen hörte man jetzt noch häufiger als sonst auf dem Garnheimer Pflaster. Graf Paul von Hove, Fideikommißherr auf Reitershausen, war sich selbst bewußt, daß diese Fahrten nach der Stadt nach und nach zu häufig wurden, und ein Lächeln, das er beim Gruße da und dort, besonders auf den Gesichtern von Damen, zu bemerken glaubte, ärgerte ihn immer mehr. Ganz besonders verstimmte ihn aber die Grimasse, die der Zolldirektor a. D., Herr Wegener, zu schneiden pflegte, wenn er im Schwan jedesmal fragte:
»Wieder Geschäfte hier, Herr Graf?«
Der Mann war leberleidend, hatte ein gelbes fettiges Gesicht und, wenn er nicht über dies oder das schimpfte, sagte er den Leuten mit einem sauren Grinsen Unannehmlichkeiten. Natürlich erfuhren gleich darauf die Frau Zolldirektor und Fräulein Tochter Lulu von des Grafen Anwesenheit in der Stadt und machten bissige Randbemerkungen dazu, weil er sich selten bei ihnen sehen ließ.
Die schöne Lulu war ihm eben gar zu aufdringlich kokett. Er wußte nun auch, daß niemand gelächelt und niemand Randglossen über seine Anwesenheit in der Stadt gemacht hätte, wäre nicht der begründete Verdacht vorhanden gewesen, daß er dann auch jedesmal in der Mauergasse den Tee nahm. Er besann sich selber darauf, daß er mehr Zurückhaltung üben müsse, wenn er es nicht zu Verpflichtungen kommen lassen wolle. Aber das war es ja eben, daß er zwischen dem freudigen Entschluß, diese Verpflichtungen zu übernehmen, und dem Zaudern eines bedachtsamen Rechners immer hin und her geworfen wurde.
Außer dem Fideikommißbesitze war nicht nur kein Vermögen da, sondern diesen selber hatte der vor drei Jahren verstorbene Vater in keinem sehr erfreulichen Zustande hinterlassen. Es mochte noch ein paar Jahre dauern, bis er als ziemlich bedürfnisloser Junggeselle die Wirtschaft wieder einigermaßen auf die richtige Höhe gebracht haben würde. Er kannte die Eltern Agas gar nicht, wußte aber aus sehr klaren gelegentlichen Äußerungen des Barons und der Baronin Sporn, daß das Mädchen gänzlich vermögenslos war. Mit einer schönen jungen Frau als Landjunker auf seiner Scholle sitzenzubleiben und gesellschaftliche Beziehungen nur mit Garnheim zu unterhalten, das wäre hart gegen eine solche Frau gewesen, die doch gesellschaftliches Leben gewohnt war, und entsprach überdies gar nicht seinen Anschauungen von der Stellung, die ein Graf Hove einzunehmen hatte. Er bekleidete die Würde eines Kammerjunkers und hatte sich bisher jeden Winter am Münchener Hof gezeigt. Wenn er heiratete, mußte auch seine Gemahlin bei Hofe vorgestellt werden. Was damit im weiteren zusammenhing, das bedeutete eine nicht unbedeutende Belastung des Jahresetats. Vor allem aber kam eine wichtige Zukunftsfrage in Betracht. Was ist das Los der nachgeborenen Kinder eines Fideikommißbesitzers ohne Allodvermögen? Nach einer verwöhnten Jugend mit Eindrücken aristokratischer Lebensführung für die Söhne eine beengte Offiziers- oder Beamtenkarriere, für die Töchter, die schwer an den Mann zu bringen sind, ein ärmliches Altjungferntum.
Die Stunden solch praktischen Rechnens waren für Paul Hove eine ebenso große Qual, wie die Träumereien von dem möglichen Eheglück so voll Zauber waren. So gab er sich immer wieder eine neue Frist, weiter träumen zu dürfen. Er hatte viel von romantischer Weltanschauung an sich, und einem solchen Romantiker tut der eigene praktische Verstand sehr weh. Indessen tuschelte man genug in der Stadt und Lulu Wegener hatte schon mehrere Gelegenheiten zu Sticheleien gegen Aga gefunden, die diese aber immer nur mit gutmütigem Lächeln als harmlose Mädchenscherze abwehrte.
Sehr deutlich wurde aber die Frau Zolldirektor, indem sie eines Tages zu Baronin Sporn sagte:
»Der diesmalige Sommeraufenthalt Ihrer Nichte wird doch wohl ein Ergebnis haben.«
»Sie denken an Graf Hove,« antwortete die Baronin ganz unbefangen. »Das wäre möglich, denn die beiden jungen Leute haben sich offenbar gern.«
»Er besinnt sich aber etwas lange und bringt damit Fräulein Aga ins Gerede,« bemerkte jetzt Frau Wegener.
»Ein schönes Mädchen ist immer dem Klatsch ausgesetzt,« versetzte die Baronin darauf.
»Sie nehmen das ja sehr leicht, liebe Baronin,« fuhr Frau Wegener fort.
»Ach ja,« sagte die Baronin. »Die Leute müssen etwas zum Schwatzen haben. Wenn's dabei zu weit käme, würden freilich mein Mann und ich gründlich aufräumen. Haben Sie vielleicht etwas Derartiges gehört?«
»Nein, nein,« wehrte die so Gefragte sehr lebhaft ab, denn der sonst sanfte Ton der Baronin war etwas energisch geworden.
In einer vertraulichen Stunde sagte aber die Baronin doch zu ihrer Nichte:
»Darüber müssen wir einmal miteinander reden, was das eigentlich mit dir und dem Grafen Hove werden soll. Er kommt mir ein bißchen zu viel ins Haus.«
»Da kann ich doch nichts dafür,« entgegnete Aga mit gesenktem Blicke.
»Freilich kannst du dafür,« sagte die Baronin im Ton scherzhaften Verweises.
»Ich ermuntere ihn in keiner Weise,« antwortete Aga jetzt mit leisem Trotz, »ich sage ihm aber auch nicht, daß er wegbleiben soll.«
»Aha, dann muß ich's ihm eben sagen oder der Onkel.«
»Bitte, rede nicht mit dem Onkel darüber.«
»Meinst wohl, der Onkel würde böse?«
»Das nicht, denn ich habe ja nichts Unrechtes getan. Der Onkel macht vielmehr Späßchen darüber und – – – das soll er nicht.«
»Die Sache scheint ja schon sehr tief bei dir zu sitzen, was?«
Da umhalste Aga die Tante stürmisch.
Die Baronin wehrte sich mit sanfter Gebärde und sagte dann:
»Wie's mit dir steht, wüßten wir also. Jetzt kommt es eben auf ihn an. Daß er in dich verliebt ist, steht wohl außer Zweifel. Was ist dir aber damit geholfen, mein liebes Kind, wenn er daraus keine weiteren Konsequenzen zieht?«
»Es ist auch so schön,« sagte Aga darauf mit empfindsamem Klange.
»Was dir nicht einfällt, törichtes Mädchen,« schalt jetzt die alte Dame. »Zu einer empfindsamen Tändelei ohne Zweck und Ziel wolltest du dich hergeben?«
»Er muß einmal eine Dame aus großem Hause zur Frau nehmen. Ich bin's zufrieden, von ihm geliebt gewesen zu sein. Das bleibt mir eine kostbare Erinnerung für mein ganzes Leben.«
»Jetzt so was! Redet das Mädel Zeug daher, wie eine überspannte Nähmamsell. Du bist eine Rottenau, das ist ein sehr guter Name, gut genug auch für einen Grafen Hove. Wenn er anderer Meinung ist, soll er wegbleiben. Diese Topfschleckerei leide ich aber weiter nicht mehr.«
Ganz scharf war die Baronin geworden. Aga stand mit rotem Kopf da und sagte erst nach einer Weile zaghaft:
»Er kommt doch nicht bloß meinetwegen, er ist ja auch sonst mit euch befreundet.«
»Und diese Freundschaft sollte jetzt als Deckmäntelchen dienen? Nein, meine Liebste, so haben wir nicht gewettet.«
»Wir brauchen kein Deckmäntelchen,« sagte Aga jetzt gekränkt.
»Wir wollen jetzt weiter nicht viel Worte über die Sache machen,« erwiderte die Baronin, »aber lange sehe ich nicht mehr zu.«
Nach einer kleinen Weile setzte sie bei:
»Er ist ja ein sehr netter Mensch, ich habe ihn selbst gern.«
»Und für dich und Onkel hat er eine so große Verehrung,« sagte Aga.
»So? Sagt er das?«
»Aber wirklich, Tante!«
»Na, warum denn auch nicht? Wir haben ihn immer sehr anständig behandelt.«
Nach einem längeren Stillschweigen fragte Aga:
»Bist du mir böse, Tante?«
»Weshalb soll ich dir denn böse sein?« lautete die Antwort. »Daß du verliebt bist, ist ja gerade kein Verbrechen, aber aufpassen muß man auf ein junges Ding, das sich in solchem Zustand befindet.«
Aga sagte jetzt:
»Mir kommt es fast so vor, als hätte da jemand einen albernen Klatsch gemacht.«
»Na ja,« entgegnete die Baronin, »wenn du es denn wissen willst, Frau Wegener hat eine Bemerkung gemacht.«
»Frau Wegener!« versetzte Aga darauf spöttisch gedehnt.
»Ich habe ihr zwar sofort gedient,« fuhr die Baronin fort, »aber man darf solchem Gerede doch keine Nahrung geben.«
»Ekelhafte Leute, diese Wegeners,« meinte Aga.
»Ich mache mir auch nichts aus ihnen,« sagte die Baronin. »Aber mit solchen Leuten muß man eben hier rechnen.«
Die Baronin sprach weiter über die Angelegenheit mit dem Gatten, der die Meinung vertrat, Hove sei ein viel zu anständiger Mensch, um ein Mädchen durch zweckloses Getändel bloßzustellen. »Er wird den richtigen Augenblick schon finden.«
Dann führte die Unterhaltung der beiden alten Leute dahin, daß das liebe Mädchen wirklich ein gutes Los verdiene und daß es sehr nett wäre, es immer in der Nähe zu haben. Daran fügte sich die Meinung, daß man wohl ein übriges tun und Aussteuer und Hochzeit dafür ausrichten müsse. Schließlich kam man, sich mit zögernden Reden gegenseitig betastend und eine gute Weile um die Sache herumredend, zu der gemeinsamen Ansicht, daß gewisse Verwandte dereinst mit gut bemessenen Legaten recht wohl zufrieden sein könnten. Ein letztes blieb unausgesprochen, aber das Paar verstand sich.
Aga, die sich schon trübe Gedanken über bevorstehende Störungen ihres aus seinem stillen Geheimnis gerissenen Liebestraumes gemacht hatte, war in den nächsten Tagen sehr erstaunt über die heitere Zärtlichkeit der Tante.
Da kam ein Brief von der Mutter. Sie zeigte die Verlobung Juliens, die auf einem adligen Gute in der Nähe des alten Städtchens Dinkelsbühl zu Besuch weilte, mit einem Münchener Maler Richard Backstein an. Julie sei eigentlich zu schade, schrieb sie, für eine simple Frau Backstein, aber der aus Bremen stammende junge Mann sei von Hause sehr vermögend und habe auch sehr gute Einnahmen als Künstler. Da aber die adligen Herren heutzutage sich von überall her reiche Mädchen holten, habe Julie ganz vernünftig gehandelt, indem sie gleich zugriff. Es hieß weiter nun in dem Briefe, Herr Backstein werde in den nächsten Tagen offiziell bei den Eltern anhalten und dann werde gleich die Verlobung festlich gefeiert, da dürfe Aga natürlich nicht fehlen, außerdem sei sie auch nötig als Begleiterin der Schwester, da der Bräutigam sich noch acht Tage am Orte aufhalten werde. Sie, die Mutter, könne bei ihrem leidenden Zustande nicht ständig diese Pflicht auf sich nehmen. Wenn es Tante und Onkel Sporn genehm sei, könne sie ja dann noch für einige Zeit nach Garnheim zurückkehren.
Aga nahm zwar den herzlichsten Anteil an dem Glücke der Schwester, aber die Abreise, die nach den Angaben des Briefes schon am nächsten Morgen erfolgen mußte, paßte ihr gar nicht, wenn auch Onkel und Tante ihre Rückkehr erwarteten und die Tante diese sogar mit großer Dringlichkeit erbat.
Am Abend erfüllte sich wenigstens ihr stiller Wunsch; Graf Hove kam zum Tee. Im Zusammenhang mit der Mitteilung von der Verlobung und von Agas Abreise fragte die Baronin Hove:
»Sie verkehren in München wohl wenig in Künstlerkreisen?«
Der Graf antwortete:
»Ich bin einige Male in dem bekannten Künstlerklub Allotria gewesen. Aber engere Beziehungen zu Künstlerkreisen habe ich nicht.«
Die Baronin bemerkte:
»Ich frage nur, weil es vielleicht möglich gewesen wäre, daß Sie dann den Bräutigam meiner Nichte kennen.«
»Das ist trotzdem möglich,« bemerkte der Graf darauf. »Man kommt in München gar nicht daran vorbei, einen oder den anderen Künstler kennenzulernen. Wie heißt der Herr?«
Als ihm der Name genannt war, sagte er:
»Den kenne ich sogar ganz gut, ich habe mehrfach Gelegenheit gehabt, mich mit ihm zu unterhalten. Er hat einen guten Namen als Künstler, soviel ich gehört habe.«
Auf eine weitere Frage der Baronin lautete die Antwort:
»Er ist der Typ eines Norddeutschen, groß, blond, von kühlem Temperament, wie es scheint, aber ein netter, feiner Mensch!«
»Na, mit dem kühlen Temperament scheint es doch nicht ganz zu stimmen,« bemerkte die Baronin, »denn bei dieser Verlobung hat er so rasch zugegriffen, daß man auf eine mächtige Leidenschaft schließen muß.«
»Was ist denn sein Fach? Wissen Sie das vielleicht?« fragte jetzt Aga.
»Er malt alte romantische Städtchen, Kirchen, Schlösser und derlei,« erwiderte der Graf. »Ich habe ihn einmal aus Garnheim aufmerksam gemacht, aber er hat wohl keinen großen Wert auf meine Meinung über Garnheims malerische Eigenschaften gelegt.«
Der Baron mischte sich jetzt ein:
»Du bist also nicht auf der richtigen Fährte, wenn du einen Zusammenhang mit der Künstlerschaft dieses Herrn suchst. In ein schönes Mädchen verliebt man sich eben auch leicht ohne künstlerische Gründe.« Er schlug sein kicherndes Lachen auf und warf einen Verständnis heischenden Blick auf den Grafen, der nur ganz leise lächelte.
Der künftige Schwager machte auf Aga den besten Eindruck. Er hatte eine stattliche Erscheinung; sein kahler Scheitel konnte aber doch nicht mehr gut als »hohe Stirn« bezeichnet werden. Das ziemlich hartknochige Gesicht mit dem kleinen roten Schnurrbärtchen war nicht gerade schön zu nennen, aber seine frischen blauen Augen machten einen sympathischen Eindruck aufrichtiger Männlichkeit. Aga gefiel es auch, daß er gar nichts Künstlerisches in seinem Äußeren hatte, sondern sehr sorgfältig und gediegen nach der Mode gekleidet war. Seine wohlgepflegten weißen Hände erregten ihre Aufmerksamkeit. Wie es Graf Hove gesagt hatte, sprach er nicht viel und immer langsam, mit einer hellen Tenorstimme. Er war heftig verliebt in Julie. Das merkte man trotz seiner Zurückhaltung. Aga kam sehr schnell über die Unsicherheit hinweg, die jedes süddeutsche Mädchen norddeutscher Art gegenüber empfindet, und wurde bald vertraut mit dem künftigen Schwager, der ohne Redensarten liebenswürdig zu sein verstand. Immer deutlicher gewann sie aber den Eindruck, daß er gar nicht zu der geräuschvollen, immer lebhaft allerlei Nichtigkeiten schwatzenden Schwester passe. Als sie diese vertraulich fragte, wie denn alles so schnell gekommen sei, erhielt sie zur Antwort:
»Gleich am zweiten Tage, nachdem ich bei Zubrucks angekommen war, stellte ihn mir Max vor. Du kennst ja Max Zubruck. Er spielt sich als Ästhet auf und macht gern Künstlerbekanntschaften. Da merkte ich schon, daß ich gewaltigen Eindruck auf ihn machte, er ließ mich nicht mehr aus den Augen. Wir trafen uns noch zweimal, und seine Verliebtheit war unverkennbar geworden. Er wohnte nämlich in Dinkelsbühl im Hotel, und das erstemal sah ich ihn auch dort, als wir ins Städtchen gefahren waren. Dann kam er aufs Schloß heraus, Max zu besuchen, und der dritte, sehr rasch folgende Besuch galt unter durchsichtigem Vorwand offenbar mir. Ich war nun doch einigermaßen perplex, als die Baronin Zubruck mir sagte, er habe bei ihr auf den Busch geklopft und trage sich offenbar mit ernsten Absichten. Sie redete mir zu, er sei ein angesehener Maler und habe außerdem ein bedeutendes Vermögen. Das bestätigten auch der alte Baron und die beiden Mädels. Man entwickelte einen förmlichen Eifer, mich zu beschwatzen. Er hatte mir bisher auch ganz gut gefallen, aber diese geschäftige Fürsorge war mir verdächtig und ärgerte mich einigermaßen. Weißt du, ich habe nämlich schon früher mit Max Zubruck heftig kokettiert und tat es auch jetzt wieder. Da fürchteten sie wohl was. Ich ließ mir die Sache durch den Kopf gehen. Baronin Zubruck ist freilich was anderes als Frau Kunstmaler Backstein, aber wenn ich Max auch sicher bald festgehakt hätte, ich halte ihn für keinen großen Helden, und einem Widerspruch der Eltern hätte er nicht lange getrotzt. Der Mama Zubruck war die Sache aber so wichtig, daß sie nach alter Mode eine Landpartie veranstaltete, bei der ganz zufällig Herr Richard Backstein auftauchte. Es folgte der bekannte Spaziergang, und so ist es gekommen.«
Aga hatte das rasche, von lebhafter Mimik unterstützte Geplauder der Schwester aufmerksam angehört und fragte jetzt:
»Ja, aber liebst du ihn denn auch?«
Julie fühlte sich von der Frage offenbar belustigt. Sie antwortete: »Ich sagte dir ja schon, daß er mir gleich gefallen hat, und ich bin ihm gut. Backstein klingt zwar scheußlich, aber er ist ein schicker Mensch und ein guter Kerl. Das genügt mir. Dieses Mädchenleben, bei dem man trotz aller Kurmacherei nie für voll genommen wird, habe ich endlich satt. Ich bin jetzt dreiundzwanzig. Da bleibt nichts anderes als heiraten oder sich auf Abenteuer einlassen. Da ist heiraten doch das Klügere. Er wird sich nicht zu beklagen haben über mich. Er bekommt eine schöne Frau, ich hab's ganz gern, wenn er recht verliebt ist, wir werden ein Haus im echt künstlerischen Stil machen, Kostümfeste und dergleichen. Alle großen Tiere Münchens werden bei uns verkehren. Ich will ihn recht berühmt machen. ›Der Backstein‹ wird es heißen, ›wissen Sie, der die schöne Frau hat.‹ Kaulbach, Stuck werden mich malen, und auf den Ausstellungen wird von der Frau des Malers Backstein mehr gesprochen werden als von seinen Bildern.«
Jetzt lachte Aga belustigt. Julie aber fuhr fort:
»Ja, ja! Es ist mir ganz ernst mit dem, was ich sage. Wenn ich nun schon mal bürgerlich heirate, dann will ich eben auf andere Weise gesellschaftliche Karriere machen, als es mir als Baronin Zubruck möglich gewesen wäre.«
Aga hatte ihre Heiterkeit wieder verloren. Das war ja alles furchtbar herzlos. Man hätte den verliebten jungen Mann geradezu warnen sollen. Sie hatte ursprünglich das Bedürfnis gehabt, mit der Schwester ihr eigenes Liebesgeheimnis auszutauschen. Davon konnte keine Rede mehr sein. Sie empfand aber eine süße Lust: »Das ist doch ganz etwas anderes!«
Der Vater war mit Richard auch nicht so liebenswürdig, wie es Aga für richtig gehalten hätte. Er kehrte den Aristokraten hervor, nannte alle Augenblicke mit lässiger Gebärde einen anderen adligen Namen mit der Bezeichnung: »mein Freund« und nahm die Miene an, als betreibe er seine eigene Malerei nur als Liebhaberkunst. Das kam so herablassend gegen den künftigen Schwiegersohn heraus. Plötzlich schimpfte er aber doch auf Kaulbach und andere Münchener Porträtmaler, die sich auf Reklame verstünden, um unverschämte Preise machen zu können, und doch nur Minderwertiges leisteten.
Aga war froh, als sie wieder abreisen konnte. In Garnheim war es doch viel schöner. Auf der nicht sehr langen Fahrt spielte sie mit dem Gedanken, daß Gräfin Hove freilich besser lauten würde als Frau Backstein.
»Würde,« klang es in der zaghaften Seele nach.