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Goebbels als Geisterseher

Große Männer waren immer abergläubisch. Bei Goebbels hat man es sehr mit dem Spiritismus, und wenn irdischer Rat nicht mehr verfängt, muß die okkulte Welt regulierend eingreifen. Das paßt zwar nicht recht zu dem Bild, das man sich nach seinen turbulenten Reden von dem völkischen Alleszerschmetterer gemacht hat. Aber unser formidabler Volkstribun ist, sich selbst überlassen, ein armes, seelisch verquetschtes Luder, gar kein Bramarbas mehr, wie an der Rostra im Toben des Beifalls, sondern ein Zerbrechlicher, der mit allerlei magischem Hokuspokus sich selbst mehr als andre mystifiziert. Da fand vor einiger Zeit in Garmisch-Partenkirchen so eine Séance statt ... Man hatte die Gläser im Kreise aufgestellt, und wie sie nachher auf dem Tisch herumtanzten, bezeichneten sie die Orakelsprüche aus Geistermund. Es waren Gäste dabei, die wahrscheinlich Armin und Thusnelda und andre Exzellenzen des Germanentums erwarteten, aber es muß an diesem Tag im Jenseits eine Betriebsstörung fällig gewesen sein, denn es meldete sich zunächst ein nicht eingeladener Herr Simon mit echt jüdischer Vordringlichkeit. Viel schlimmer noch als das Entree war das weitere Benehmen dieses Herrn, denn das Wort, das entziffert wurde, es kann nicht verschwiegen werden, hieß schlicht und rund: »Kotze«. Das hatte die peinliche Folge, daß die Damen entrüstet das Zimmer verließen. Mit Verwünschungen überhäuft, zog sich der unanständige jüdische Geist nach Gehenna zurück. Die Damen erschienen erst wieder, als sich der galante Prinz Louis Ferdinand meldete, der indessen keine frivolen Scherze machte, sondern sich nur auf die trockene Bemerkung beschränkte, daß Goebbels nächstens Kultusminister werden würde. Als letzter stieg, wie selbstverständlich, Bismarck aus dem Hades. Keine Feier ohne Bismarck. Damals war grade der Konflikt Hindenburg – Goebbels ausgebrochen, dem Eisernen Kanzler schien das zu weit zu gehen. »Goebbels, denk an Tannenberg!« mahnte er betrübt, und Goebbels dachte daran und war tief erschüttert. So endete die bedeutsame Séance. Kleinere Politiker müssen zur Begründung ihrer taktischen Schwenkungen mit Zitatensprüchen längst Verstorbener aufwarten, doch der nationalsozialistische Häuptling, in den Tiefen der parapsychologischen Wissenschaft zu Hause, bestellt die Herren selbst herauf und läßt sich von ihnen bestätigen. Jeder Esel kann sich auf Bismarck berufen, aber um den Schatten Bismarcks selbst an den Zeugenstand und zum Sprechen zu bringen, dazu muß man schon ein Erleuchteter wie Goebbels sein.

 

Die Weltbühne, 12. August 1930

 


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