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Der Mann, der Coolidge kannte

Dies neue Buch von Sinclair Lewis ist der grimmige Versuch eines Pädagogen, dem die Geduld reißt, seinem Zögling alle Untugenden auf einmal entgegenzuhalten, vielleicht daß das Schreckbild doch etwa vorhandene gute Instinkte mobilisiert. Dabei wird dieser höchst lebendige Satiriker plötzlich zum Pedanten. Er konstruiert eine allegorische Figur, an der alle Übel des amerikanischen Menschen aufgezeigt werden wie an dem berühmten Lazarettgaul sämtliche Pferdekrankheiten. Das Demonstrationsobjekt ist Mr. Lowell Schmaltz, Büroartikel, in Zenith (Winnimac), der Stadt, die auch den Grundstücksmakler George Babbitt und den Reverend Elmer Gantry zu ihren Mitbürgern zählt. Mr. Schmaltz ist, wie Schelmuffsky, wie der brave Schwejk, wie Herr Wendriner, Monologist, der immer einen Zuhörer braucht, wenn auch nur, um durch ein zugeworfenes Stichwort die Suada in Gang zu halten. Und er hat in der Tat eine unerschütterliche Suada, deren Strom der Übersetzer Franz Fein hingebend verfolgt hat. Eine Suada, die hier zweihundertzwanzig Seiten füllt und, offen gestanden, hundert Seiten zuviel. Das Zuviel ist, wie so oft, entscheidend. Mr. Schmaltz redet über alles und jedes. Von seiner angeblichen Bekanntschaft mit Cal Coolidge, seinem Familienglück, seiner Tüchtigkeit, von Politik und Religion, von Radio, elektrischen Kühlschränken, von Büroartikeln, von hundertprozentigem Amerikanertum und der Begehrlichkeit der Arbeiter. Es ist eine schreckliche Orgie von Selbstzufriedenheit und Überheblichkeit, eine ungeheure Parade von Unzulänglichkeiten und Torheiten, die der Verfasser als spezifisch amerikanisch notiert hat, und alles, was ihn jemals geärgert hat, das hat er auch hineingestopft. Das wirkt manchmal überwältigend komisch, manchmal fallen satirische Hiebe ersten Ranges, doch vieles bleibt auch monoton und von tendenziöser Billigkeit. Vielleicht ist für Amerika so handfeste Arbeit notwendig, wahrscheinlicher aber ist, daß diese happige Dosis nicht geschluckt wird und daß nichts bleibt als Material zur Nährung europäischer Vorurteile über Amerika. Lewis selbst mag das gefühlt haben, denn mit großartiger Vernachlässigung der eignen primitiv pädagogischen Absichten reißt er deshalb in einem Kapitel die andre Seite der Sache auf und zeigt den ewig Großmäuligen plötzlich als kleinen geplagten Menschen, der an der Normalisierung des amerikanischen Lebens leidet und sich nach Unbefangenheit und Individualität zurücksehnt. Fort ist die Bekanntschaft mit Coolidge, fort das hundertprozentige Amerikanertum, denn noch im Vaterhaus wurde deutsch gesprochen; die glückliche Ehe löst sich in ein prosaisches Alltagsmartyrium auf, und der gewaltige Geschäftsmann bittet, ganz klein und manierlich geworden, um ein Darlehen, weil ihn der Luxus von Frau und Tochter kaputtzumachen droht. Diese überrumpelnde Wandlung von der Zivilisationspuppe zum Menschen, mit hartem Griff durchgeführt, bringt den großen Romancier Sinclair Lewis wieder in seine eignen Bezirke. Aber viel glücklicher als in dieser überladenen Skizze hat er seinen Krieg gegen das Kafferntum Amerikas in dem letzten großen Roman »Mantrap« geführt (wie dieser bei Rowohlt erschienen). Denn hier ist die Satire nicht starr und doktrinär, sondern in Bewegung umgesetzt, in eine wunderbare Fülle von Leben.

 

Die Weltbühne, 23. Juli 1929

 


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