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Der letzte Kaiser

Die Franzosen haben schon so lange keinen König mehr und wissen nichts Rechtes mehr von der Monarchie. Sie kennen die Könige nur noch als friedliche Vergnügungsreisende, die tags offiziell bei der Republik bankettieren und nächstens privat in den Mysterien der Amüsierindustrie verschwinden. Dergestalt ist der König in den festen Fundus Pariser Schwankiers eingegangen. Nur in den Nationen, wo die Monarchie noch heute Gegenwart oder frische Vergangenheit bedeutet, leben auf dem Theater noch die massiven Herodestyrannen, die bösen und die milden Richarde und Heinriche. So stark wirkt die Beschwörung noch immer, daß selbst in Alfred Neumanns historischem Mummenschanz gelegentlich noch eine Maske zeitgenössisch anmutet. Doch die Franzosen haben ihrem Lilienkönig den Kopf abgeschnitten, und seitdem gelingen ihnen keine Könige mehr. Der elegante, wohlerzogene Herr in Jules Romains' »Diktator« scheint kaum um ein so ernstes Ding wie eine Krone zu spielen, viel eher gleicht er in seiner Gentilezza dem reisenden König, der es verschmäht, wegen einer Hotelrechnung zu zanken, und bei Jean-Richard Bloch vollends ist der junge Prinz Roger nur der zärtliche Königssohn, der hinter kleinen Grisetten her ist und in Montmartrekneipen mit roten Agitatoren auf den Untergang der Bourgeoisie toastet. Aber das Schicksal hat Großes mit Bubi vor. Der kaiserliche Onkel und dessen Sohn kommen bei einem Eisenbahnunglück um, und Bubi ist mit einemmal Kaiser. Der Junge hat mit Nutzen das Neueste von vorvorgestern gelesen: Adolf Stoecker und Damaschke und Friedrich Naumanns »Demokratie und Kaisertum«. Er will ein Volkskaiser, will der Arbeiterkaiser werden. Liberale Erlasse ergehen. Der herrschsüchtige alte Kanzler wird verabschiedet. Konflikt mit dem kaiserlichen Hause, den Militärs, den Kapitalisten. Kriegsgefahr. Der junge Monarch ist für den Frieden, aber die Patriotenliga hat schon den Acheron zum Schäumen gebracht. Der Kriegstaumel droht den Thron umzureißen, doch siehe, da bricht die kommunistische Revolution aus, der Kaiser wirft das Zepter hin, um fortan als Genosse unter Genossen zu leben. Denn die Zeit der großen Einzelmenschen ist vorüber, die der Masse angebrochen, so verkündet als Schlußmoral der Genosse Janvier, nachdem er eben seine proletarische Anhängerschaft mit der Routine eines alten Kompaniefeldwebels belobt, gerüffelt und nach Gutdünken hin und her geschoben hat. Es braucht nicht gegen das Stück zu sprechen, daß das Königtum nirgendwo untergegangen ist, weil es zu sozialrevolutionär war, aber Herr Bloch, wie gesagt, kennt eben die Könige nicht, und selbst wenn er sie besser kennte, würde das wenig nützen, weil er eben kein Dramatiker ist und weder für eine gute noch für eine schlechte These werben kann. Was hat aber Piscator damit zu schaffen? Seit wann schwört man da auf Friedrich Naumann? Das Programmheft verrät: »Es scheint, als hätte Bloch uns das Vorbild eines Fachmanns zeichnen wollen, als er uns die Geschichte seines Kaisers erzählte: des Fachmanns der Macht, der kommt, um seinen Platz inmitten des aufstehenden Proletariats einzunehmen.« Die richtigen Revolutionen haben bisher auf diese Fachleute verzichtet, in Rußland besonders hat man nicht nur dem angestammten Spezialisten der Branche, sondern auch seinen ahnungslosesten Anverwandten den Hals umgedreht. Die Republik mit dem Großherzog an der Spitze ist eine deutsche Erfindung, und wenn Bloch und Piscator sie aufnehmen, so zeugt das leuchtend für die triumphale Siegeskraft typisch deutscher Marotten. Natürlich hat sich das Stück auf der Reise von Paris bis zum Nollendorfplatz etwas verändert. Ein paar aktuelle Flicken beleben die graue Eintönigkeit. Der Zettel nennt Herrn Bloch als seinen eignen Bearbeiter, und das ist gewiß ein weiter Sprung von der blutlosen, redseligen Sentimentalität des heiligen Originals bis zur grobdrähtigen Gesinnungstüchtigkeit der Einlagen und Anhängsel. Es soll wohl eine Konzession an die neue Sachlichkeit sein, wenn ein junger Matrose das Lapidarwort »Scheiße« breit und wuchtig hinlegt, so hübsch langsam, wie mit der Schaufel heraufgeholt, was in den letzten Parterrereihen ein leises, schmerzliches Stöhnen hervorruft, weil die guten Leute sich vom Theater gebildetere Vorstellungen machen, während das abgebrühte Parkett leicht darüber hinweglächelt, aber man darf doch bezweifeln, ob grade das der robustere Bloch II dem sensiblen Bloch I abgerungen hat oder ob wir es hier nicht vielmehr mit dem diesmal einzigen Resultat der simultanen Anstrengungen des dramaturgischen Beirats zu tun haben. Der Regisseur Karlheinz Martin erweist sich wieder als das wendigste Talent der Berliner Theater. Wie mühelos er in einen neuen Stil schlüpft! Es ist, bis auf den Charakter, alles da. Das erste Bild auf dem Panzerschiff: Piscator mit Volldampf. Das Zimmer im Schloß mit den vielen Türen, dem Gewimmel der Befrackten und Uniformierten: tüchtiges Moskauer Theater. Packend das vermottete Prunkzimmer der Kaiserinwitwe, wo Frieda Richard wie eine giftige alte Spinne thront, unter Photographien von Hofzelebritäten von 1900. Die Schauspieler sind wieder von Gog und Magog geholt. Eine Assemblee von Prominenzen. Morgen wird Ernst Deutsch wieder bei Reinhardt oder Barnowsky echte Könige spielen, vielleicht den kastilischen Alfonso, der nach Esther von Toledo ruft und an der mißhandelten Leiche des Idols doch die Staatsräson akzeptiert, Frieda Richard, Steinrück, Forest, Werner-Kahle, morgen werden sie wieder bei Barnowsky oder Saitenburg sein. Gäste alle, keiner wurzelt. Und Alexander Granach, der Lenin, der eiserne Stratege des Blochschen Klassenkampfes? Ein kleiner, geschwollener Bierbankpolitiker, der bald Unverständliches schreit, bald Unverständliches murmelt, kein Diktator, sondern die Karikatur eines radikalen Deputierten, der Hannibal Käsmeier des Herrn Hussong, und ein erschreckender Beweis dafür, wie eine große Begabung in einer kurzen Saison verschludern kann, wenn das Herz des Theaterführers mehr bei den Maschinen ist als bei den Menschen.

 

Die Weltbühne, 1. Mai 1928

 


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