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»Die Pflasterkästen«

– und wieder ein Kriegsbuch?

Dieses heißt »Die Pflasterkästen«. Sein Verfasser ist der Münchner Dichter A. M. Frey.

Hier ist neulich einiges Kritische über die Wirkung von Remarque und Renn gesagt worden. Über die Mißverständnisse, die sie erwecken können.

Doch dieses Buch kann nicht mißverstanden werden. Denn es sucht den Krieg dort, wo das Pathos aufhört: – auf dem Verbandplatz. Wo das Blut in Schmutz verrinnt, wird nichts Heroisches mehr vorgespielt. Hier ist die Abdeckerei der eisernen Zeit. Hier ist der Ort, der vom Schreibtisch her, wo die ideologischen Verteidigungen des Krieges geformt werden, nicht gesehen wird.

Mit unerbittlicher Einseitigkeit hat sich Frey auf das eine Thema beschränkt. Vom Verbandplatz schleichen die Kolonnen der Krankenträger nachts in Stellung, um die Zusammengeschossenen aufzusammeln, oft muß ein zweiter, ein dritter Zug herausgeschickt werden, um wieder die Träger zu bergen. Frey war von 1915 bis 1918 bei einer bayrischen Sanitätskompanie. Deren Tun und Leiden hat er niedergeschrieben.

Man kennt ihn aus einer Reihe phantastisch-bizarrer Geschichten (»Solneman der Unsichtbare«, »Kastan und die Dirnen«, »Spuk des Alltags«). Ein letzter Nachfahre E. T. A. Hoffmanns. Doch hier streckte der Meisterzeichner von Nachtstücken und Traumgesichten demütig die Waffen. Was ist auch Imagination neben dieser Wirklichkeit? Es ist gut, daß er nur seiner Erinnerung gefolgt und über die Form eines Berichtes nicht hinausgegangen ist.

Dieses Buch ist keine Frühstückslektüre. Es bleibt auch nicht der schwächste romantische Kitzel. Die Gloriole des Kriegsgottes wird stinkend und vertropft als grüner Eiter. Es wiederholt sich immer wieder nur das schreckliche Geschäft der Sanitäter: Bemühungen um deformierte Leiber, um Knochenbündel, die nicht verlöschen wollen, sondern zu trinken verlangen, um blutig verkrustete Scheiben mit schwarzen Löchern, ehemals Gesichter. Masken sterbender Krieger – von heute. Hier führen, so seltsam es klingen mag, die Toten das Wort. Neben ihnen werden die Labenden und Handelnden – die Ärzte, die Sanitätssoldaten, französische Frauen, die gelegentlich hineinspielen – fast wesenlos. Es ist ein Kapitel dabei, wie im Keller von Schloß Fontaine Deutsche und Franzosen nebeneinander liegen und verenden, während oben von dem Haus ein Stück nach dem andern weggeschossen wird, das ist großartig gestaltet und außerdem so einfach und voraussetzungslos, daß man es dringend in die Schulbücher wünscht. Denn diese Schilderungen haben in ihrer schreckvollen Realität die große Aufgabe, uns mutig zu machen zu dem offenen Geständnis, daß wir unser Leben höher schätzen sollen als die verlogenen Symbole, die Völker aufs Schlachtfeld hetzen.

Das Buch ist bei Gustav Kiepenheuer erschienen. Die »Weltbühne« brachte vor zwei Jahren ein Stück, das jetzt darin enthalten ist (»Die Granate«, XXIII, 1927).

 

Die Weltbühne, 30. April 1929

 


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