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Kesslers Mexiko-Buch »Notizen über Mexiko«

 

(Erschienen im Insel-Verlag, Leipzig)

Soeben erscheint, nach dreiundzwanzig Jahren, die zweite Auflage dieses Buches. Also ein Jugendwerk? Ja und nein. Jugendlich ist die Freude am Durchstreifen unbekannter Provinzen der Erde (und der Seele), aber von seltener Reife ist die Form. Tagebuchnotizen vom Oktober 1896 bis Januar 1897. Kleine Naturbilder, hingestrichelt mit der entzückenden Akkuratesse eines frühen Impressionisten aus Manets Schule; Betrachtungen über Menschen, Landschaften, Häuser und Ruinen, unendlich vielartig, manchmal breiter ausgesponnen und doch nirgends mit historischem oder philosophischem Ballast ungebührlich befrachtet, von sicherm Stilgefühl zusammengehalten und oft zu kleinen Essays sich rundend. Vermieden sind die Unarten der landläufigen Reisebücher. Keine Spur von der so beliebten saloppen Eleganz des Amateurs; nichts von Indien und ICH; nichts auch von jener naiven Freude des typischen deutschen Reisenden an Export- und Importziffern und ... Militärbudgets. Ein Jugendwerk – aber von seltener Selbstzucht.

Dabei ist in dem nicht umfangreichen Buche eine fabelhafte Summe von Beobachtungen verarbeitet. Wir werden mühelos, fast nebenbei, eingeführt in den sozialen Zustand eines Landes, von dem wir herzlich wenig wissen. Lebendig wird uns das Leben eines Staates, der ein bizarres Gemisch ist von europäischer und einheimischer Barbarei. Wir stehen vor den seltsamen Erzeugnissen einer Kolonisatoren-Baukunst, wandeln durch strenge gotische Kathedralen und bunte Barockkirchen, deren Stil hier, in tropischer Natur, eine absurde, manchmal toll-phantastische Steigerung erfahren hat. Und in diesen goldglänzenden Domen knien arme, zerlumpte Indianer, von Weihrauch umflossen, überragt von Bildern christlicher Kultfiguren. Da beten sie, die Armseligen, vor Kruzifixen, die in grüner Verwesung schillern, scharf und drohend heben sich die leuchtend roten Wundmale ab. Da knien sie, die Trümmer eines zertretenen Volkes, und draußen im Lande zeugen Steinwüsten von der für ewig versunkenen Kultur ihrer Vorfahren. Erzählen die Bruchstücke gewaltiger steinerner Leiber von Göttern, die niemand mehr kennt. Die »weißen Heilande« haben ihr Geschäft mehr als gründlich besorgt. – Denn die Menschen der Gegenwart, die Herrenkaste: träge, geckenhaft, vergnügungssüchtig; zusammengehalten wird dieses Gefüge durch ein Regierungssystem von unerhörter Willkür. Dann Fahrten über die Kordilleren, kurzes Verweilen am Rande der Zivilisation. Hier gelingen Bilder von wunderbarer Einprägsamkeit:

»... Männer im Farbenkaleidoskop ihrer roten und weißen und regenbogenartig gestreiften Ponchos; juwelenbehangene, reitende, rauchende Weiber, Viehhirten, die in Pulquekneipen mit silbernen Sporen und silbergesticktem Filzsombrero am Schanktisch zu Pferde halten, Frauen, die, sich in den Hüften wiegend, ihren Krug zum Brunnen tragen, Packträger, denen die Lasten an Stirnreifen wie an Diademen hängen und die spät im roten Sonnenstaub durch die Tore der Stadt einziehen. Des Nachts dieselbe stumme Menge, schwarz, als bestünde sie aus wallenden Scharen phantastischer Schatten, als sei sie bloß bewegte Dunkelheit: außer wo unter einer einsamen Bogenlampe ein Teil durch das Licht leise hindurchflutet und beständig, aus Nacht auftauchend, auf Augenblicke farbig wird ...«

 

Berliner Volks-Zeitung, 23. Februar 1921

 


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