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Zum 11. August

Mißvergnügter Sommer. Auf eine Stunde Sonnenschein drei Regentage. Häufung von Elementarkatastrophen. Zusammenbrüche politischer Charaktere. Schon fault das gelbe Laub an den Wegen, und überall riecht es nach Sumpfwasser.

Just in die Saison fällt der Verfassungstag, der diesmal besonders tönend begangen werden soll. Voriges Jahr hatte man für die Festrede im Reichstag einen Professor aus Bonn gechartert. Vor zwei Jahren hat Heidelberg den Redner gestellt. Jetzt wäre wohl Hannover an der Reihe gewesen. So ist es kein Wunder, daß, auf professoralen Schmuck verzichtend, Külz höchstdieselbst ins Geschirr steigen wird.

 

Adolphe Thiers am 26. Dezember 1871:

»Und hier, meine Herren, spreche ich wie immer aus voller Überzeugung, aber glauben Sie mir, Sie, die Sie einen loyalen Versuch mit der Republik machen wollen, und Sie haben recht: dieser Versuch muß ehrlich gemacht werden. Man muß nicht Komödie spielen und eine Regierungsform versuchen wollen mit dem Hintergedanken, sie zu Falle zu bringen. Diesen Versuch muß man ernstlich und aufrichtig machen ... Nein, ich wiederhole es: wir sind keine Komödianten. Wir sind aufrichtige Männer! Wir wollen diesen Versuch ehrlich machen ...«

So Adolphe Thiers, der einmal Minister des Bürgerkönigs gewesen war.

Die Gründer der Dritten Französischen Republik sind ebensowenig Revolutionäre gewesen wie die der ersten deutschen. Auch der Weg zur republikanischen Verfassung Frankreichs ging über einen niedergeworfenen Proletarieraufstand. Dort Gallifet, hier Noske.

Aber die Pariser Bürgerdemokraten haben gewußt, daß keine neue Regierungsform sich behaupten kann, wenn nicht das gestürzte System völlig entwurzelt und sein Apparat vernichtet wird. Die deutsche Revolution hat einen bis auf die versehentlich abgebrochene kaiserliche Spitze intakten monarchistischen Staatsorganismus übernommen. Der erste Aufruf des Volksbeauftragten Ebert schon betonte: Kontinuität.

»Man muß nicht Komödie spielen und eine Regierungsform versuchen wollen mit dem Hintergedanken, sie zu Fall zu bringen.« Die Weimarer Verfassungsmacher haben so bösartige Hintergedanken kaum gehabt. Sie haben überhaupt nicht viel Gedanken gehabt. Sie haben eine brave, brauchbare, wenn auch im einzelnen nicht eben wasserdichte Arbeit geleistet, aber vergessen, daß Macht dazu gehört, wenn eine Verfassung funktionieren soll. Sie haben der Kontinuität vertraut. Deshalb bedeutet die Verfassung keine Grundlage, sondern ein Nebenbei. Das Bewußtsein der Kontinuität regiert. Nach sieben Jahren trägt die demokratische Republik noch alle Kennzeichen des Provisoriums.

So kann ein kleiner Untersuchungsrichter dem Staat ungestraft Paroli bieten. Er wirft dem Preußischen Innenministerium Mordbegünstigung vor, während er selbst den ihm übertragenen Fall in bizarr parteiischer, sachlich unmöglicher Art behandelt. Der Justizminister, heißt es, hat das Disziplinarverfahren beantragt. Langes Schweigen. Nach fast einer Woche begibt sich der Vorsitzende des Disziplinarsenates, der Oberlandesgerichtspräsident in Naumburg, endlich nach Magdeburg, um sich den Fall mal anzusehen. Immer mit der Ruhe. Wäre nicht der jüdische Kaufmann Haas, sondern ein preußischer Prinz das Opfer der Inquisitionskünste des Herrn Kölling, der Herr Oberlandesgerichtspräsident hätte das erste beste Flugzeug bestiegen, und jener Kölling wäre noch am selben Tag als amtliche Existenz ausgelöscht worden.

Der Magdeburger Fall ist nicht der schwerste. Es ist viel ärgeres Unrecht geschehen. Aber niemals zeigte sich einleuchtender der Bankrott der Republik vor dem Mechanismus des alten Staates. Und es zeigt sich, daß selbst das Beste davon, das scheinbar Überzeitliche, zu einem Instrument bösartiger Obstruktion und giftigen Unrechts wurde.

Unabhängigkeit des Richters? Die Hugenberg-Presse höhnt: Einst war sie das Palladium des Liberalismus, heute rüttelt ihr Demokraten zuerst daran! Zunächst: richterliche Unabhängigkeit hat unterm alten Regime niemals bestanden; einzelne starke Charaktere haben sich wohl durchzusetzen gewußt, das Gros schwankte wie Rohr im Wind. Aber Unabhängigkeit hat niemals und nirgends Privileg zur Rechtsverletzung bedeutet. Grade der in seinen Entscheidungen freie Richter hat die doppelte Pflicht, nur seinem Gewissen zu folgen und ... von seinem Verstand Gebrauch zu machen. In das deutsche Richtertum aber ist ein Überheblichkeitskoller gefahren, wie er sich wahrscheinlich nur noch in der Reichswehr findet. Und damit ist selbst für diesen Staat die Grenze des Erträglichen erreicht. Eine zweite Institution wie die Reichswehr: nein, das geht nicht. Die Reichswehr, das weiß jeder denkende Republikaner (nicht jeder spricht es aus, allerdings), zählt nicht zu den republikanischen Institutionen. Sie kostet eine Stange Geld, aber tangiert uns nicht weiter. Vegetiert dahin wie eine Art Naturschutzpark, profanen Besuchern verboten. Der Fall Justiz ist ernster. Die Justiz ist dem Alltag tausendfältig verhaftet: Schicksal, Hoffnung, Rettung und Verderb für Unzählige. Eine Justiz mit den Allüren der Reichswehr, das trägt die Anarchie mitten in die Gesellschaft, viel gründlicher, als es gelernte Umstürzler jemals könnten – das unterhöhlt den Staat. Das absolute Königtum des schwarzen Talars als Monarchieersatz, das ist schlimmer als die erbliche Monarchie.

Joseph Wirth hat in seinem Aufruf für die Republikanische Union mitgeteilt, daß im Spätherbst dieses Jahres entscheidende Ereignisse stattfinden würden. Das ist orphisch dunkel und trotzdem nicht so schrecklich, wie es klingt. Entscheidende Ereignisse? Wenn es doch einmal soweit wäre!

Ein Tigerbiß ist besser, als bei lebendigem Leibe von Würmern zernagt zu werden. Was braucht die Reaktion eigentlich noch? Eine Bastion muß sie noch nehmen, und hier vollendet sich langsam die Umzingelung: das preußische Innenministerium.

Nein, Doktor Joseph Wirth, es geht nicht mehr um die dramatische Entladung entscheidender Wendungen. Die Reaktion denkt gar nicht daran, die Republik in die Luft zu sprengen: sie hat sie fest und läßt sie unter ihren Händen allmählich verfallen. Sie beherrscht die republikanischen Institutionen und verwaltet sie so, daß die Demokratie ad absurdum geführt scheint. Das ist viel bequemer als Umsturz.

... wenn das alles vorüber ist, werden wir uns die Augen reiben. Wir hatten die Republik und haben nichts von ihr gewußt. Wir sind in Ägypten gewesen und haben die Pyramiden nicht gesehen. (Text für die Verfassungspredigt vom 11. August.)

Die Wehrverbände, Stahlhelm voran, haben die sächsischen Volksparteiler vor die Entscheidung gestellt: entweder schwarzweißroter Block bei den Landtagswahlen im Oktober oder Ausstoßung aus der nationalen Gemeinde. Einstweilen sträubt sich das offizielle Parteiorgan noch tapfer. Das ist der erste Versuch, die seit langer Zeit von Herrn Jarres und Herrn von Gayl propagierten Einigungspläne in die Praxis umzusetzen: Rechtsblock unter Stahlhelm-Patronat.

Wenn aber die Volkspartei in Sachsen nach rechts abschwimmt, was wird dann aus den biedern Regierungssozialisten, die der Großen Koalition zuliebe die Partei gesprengt haben? Bittere Lektion für die Hilferdinge, die noch immer an die Große Koalition glauben.

Im »Berliner Börsen-Courier« stand vor ein paar Tagen das folgende hübsche Verschen über die werdende Eisenunion:

Der Gott, der Eisen wachsen ließ,
der wollte keine Pleite;
drum ließ er Säbel, Schwert und Spieß
vorerst einmal beiseite.
Drum gab er uns das Kontingent,
die Eintracht der Kanonen und
Friede ward dem Kontinent
bei Preisen, die sich lohnen.

Reichsgerichtspräsident Dr. Simons ist kürzlich für Paneuropa eingetreten mit der besonderen Begründung, daß sich auf diesem Wege am leichtesten der Anschluß Österreichs an Deutschland vollziehen könne. Das ist eine gefährliche Motivierung europäischer Einigungswünsche: eine junge Idee wird mit nationalen Ambitionen bepackt; Zankäpfel werden ihr gleich bündelweis aufgebürdet. Man kann sicher sein, daß die Paneuropäer anderer Nationen nicht entsagungsvoller sind.

Im Herbst wird Coudenhove-Kalergi auf einem Paneuropa-Kongreß zum erstenmal seine Heerscharen mustern. Dann wird deutlich zur Erscheinung kommen, daß die Bewegung zu schnell in die Breite gegangen ist und allerhand merkwürdiges Geflügel schon im paneuropäischen Hühnerhof Unterschlupf gefunden hat.

Coudenhoves Vorsprung vor dem alten Pazifismus: er fängt voraussetzungslos an, gibt ein konkretes, positives Ziel, nicht Weltanschauung. Damit entfällt jene Rechthaberei und Formelseligkeit, die namentlich den deutschen Pazifismus oft so unleid gemacht hat, auch das Gezänk, was Pazifismus nun eigentlich sei und wer sich mit Recht Pazifist nennen dürfe; eine Frage, die die Pazifisten auch nach dem nächsten Weltkrieg noch nicht entschieden haben werden. Coudenhoves Manko: er kreiert eine Intellektuellenbewegung ohne Volk. Er nimmt Unterschriften prominenter Politiker, einem jungen, eleganten Aristokraten gern gegeben, schon für Tat. Er scheidet und siebt nicht und fällt damit zurück in die Anfänge des modernen Pazifismus, in die Tage der Suttner, wo man freundliche Aufrufe an die Machthaber der imperialistischen Staaten richtete und nichts erreichte als eine Sammlung liebenswürdigst gewährter Händedrücke.

Paneuropa als Idee: das bedeutet Fortschritt gegenüber dem vergreisenden Pazifismus. Paneuropa als Methode: das ist ein Rückfall in illusionäre Zeiten.

Coudenhove selbst ist zu kulant und zu früh berauscht von den schnellen Erfolgen nicht seiner Politik, sondern seiner interessanten Persönlichkeit. Paneuropa ist zur Zeit ein Gedanke im Frack. Wir wollen gewiß nichts gegen einen gut angezogenen Gedanken sagen, aber erweisen wird sich seine Wirkung erst im Arbeitskleid. Wenn die Paneuropäer, die heute so üppig herbeiströmen wie zu einem guten Essen, erst zu maulen beginnen, daß sich ihre nationalen Wünsche eigentlich viel besser durch Krieg verwirklichen ließen als durch europäische Einung, dann wird Coudenhove zu bewähren haben, ob er dem Format seiner Idee entspricht. Heute ist er noch zu sehr Salonangelegenheit, internationale Berühmtheit und Dernier cri, rangierend etwa zwischen Suzanne Lenglen und Krishnamurti, dem indischen Messias.

 

Die Weltbühne, 10. August 1926

 


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