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Der Fall Slang

Die Justizpressestelle Berlin schreibt uns:

»In Nr. 25 der ›Weltbühne‹ vom 17.6. d.J. ist ein Schreiben des ehemaligen Redakteurs der ›Roten Fahne‹, Hampel, unter der Rubrik ›Antworten‹ und der Überschrift ›Schriftsteller‹ veröffentlicht. Herr Hampel behauptet u.a. darin, daß die Vollziehung der Untersuchungshaft im Untersuchungsgefängnis Moabit seine wirtschaftliche Existenz vernichte, da er unter Briefkontrolle nicht seine schriftstellerische Tätigkeit fortsetzen könne.

Im Gegensatz zu dieser Behauptung hat Herr Hampel während seines Aufenthalts im Untersuchungsgefängnis etwa zwanzig Artikel an verschiedene Zeitungen versandt, die sämtlich der Briefkontrolle unterlegen haben und bis auf einen Artikel unbeanstandet abgesandt worden sind.

Während der Untersuchungshaft genießt Herr Hampel folgende Vergünstigungen: Er hat eine neu erbaute, bisher von keinem Gefangenen benutzte Zelle, die vorläufig nur als Muster für die Reform der Untersuchungshaft eingerichtet war, inne. Sie enthält ein Feldbett, einen Kleiderschrank, einen Tisch mit Schublade, einen Stuhl mit Rücken- und Seitenlehne, ein Bücherregal, einen kleinen Waschtisch und ein durch Vorhang abgeschlossenes Spülklosett.

Ihm ist die Selbstbeschäftigung gestattet. Er darf beliebige Zeitschriften, Bücher und Zeitungen halten und seine eigne Schreibmaschine benutzen. Auch darf er Licht brennen, so lange er will, und braucht die Zelle nicht selbst zu reinigen.

Mit vorzüglicher Hochachtung Dr. Becher, Landgerichtsrat«

Diese Berichtigung haut zwar vom Anfang bis zum Ende daneben, aber sie feiert die Vorzüge unsres Strafvollzugs mit einem so lyrischen Schwung, daß es sich schon aus literarischen Gründen verbietet, ihr den Abdruck zu verweigern. Bekanntlich verlangt Slang (Fritz Hampel) die Verbüßung seiner Strafe in einem Festungsgefängnis. Statt dessen wird er wegen eines neuen Strafverfahrens im Untersuchungsgefängnis gehalten. Daß die Vollstreckungsbehörde sich bemüht, die Untersuchungshaft dem Aufenthalt in einem Festungsgefängnis anzugleichen, ist recht anerkennenswert, schafft aber die Differenz zwischen den beiden grundverschiedenen Institutionen nicht völlig aus der Welt. Festungshaft bedeutet nämlich erhöhte Bewegungsfreiheit. Hier im Untersuchungsgefängnis werden Slang nur die üblichen täglichen Promenaden im Hof gestattet. Ironie des Zufalls will es, daß Slangs tägliche Gesellschaft dabei die beiden jungen Reichswehrleutnants sind, die man wegen nationalsozialistischer Umtriebe in Verhaft genommen hat. Vielleicht will man aber auch Professor Waentigs These erhärten, daß Nazis und Kommunisten nun einmal zum Fraternisieren neigen. Jedenfalls bietet die größere Bewegungsfreiheit der Festungshaft für einen Tagesschriftsteller wie Slang ganz andre Arbeitsmöglichkeiten. Er ist also durchaus im Recht, wenn er sich beklagt, daß durch diese Form der Strafvollstreckung seine publizistische Produktion leidet. Außerdem stimmt es nicht ganz, daß er alle Zeitungen lesen darf, die er wünscht: die »Rote Fahne« ist ihm in diesen letzten Tagen nicht mehr zugestellt worden, also grade das Blatt, für das er vornehmlich arbeitet. Und das soll keine Existenzminderung für einen Schriftsteller sein? Das Gefühl, die einzige Musterzelle einzuweihen, mag wohl für den Häftling ein Anlaß sein, sich als Bürger kommender Zeiten zu fühlen, aber es ist kein Ersatz für die entgehende Gegenwart und kein genügend starkes Betäubungsmittel, um das vorenthaltene Recht zu vergessen. Das Reichsgericht – Vierter Strafsenat – hat die Beschwerde der Verteidiger Slangs abgelehnt. Die Begründung soll hier nicht behandelt werden. Sie ist ganz unverständlich, Leipziger Juristenslang.

 

Die Weltbühne, 15. Juli 1930

 


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