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Und dann war sie zu mir gekommen, die Verlorene. Ihr süßes Gesicht war bleicher als vordem, ihr blondes Haar nicht so sorgfältig geordnet wie sonst und ihre schwarzen, heißen Augen trüb und verweint. Sie trug ein sehr auffallend rotes Kleid, das ihre schmiegsame Gestalt eng umschloß und ihr recht gut stand, aber ich hatte nun doch lange genug wirklich gediegene Vornehmheit, hatte genug schimmernde Sterne der Lebewelt in Seide und Spitzen gesehen, um die schäbige Eleganz dieses Gewandes richtig werten zu können. Ich stand nicht auf, als sie in die Stube trat, und obgleich ich nicht erstaunter und nicht freudiger erregt gewesen wäre, wenn plötzlich Himmelsglorie das armselige Gemach durchleuchtet hätte, so nahm ich doch eine ernste, ja finstere Miene an. Aber Tilly lächelte nur, so sterbenswund und doch so lockend, sie sah mir bittend ins Gesicht, und da stand ich schon neben ihr an der Thür, und da hatte sie mich schon mit ihren geliebten, weichen Kinderhändchen umklammert und weinte und schluchzte erschütternd an meinem Halse. Es stand ein gebrechlicher und beschädigter Rohrstuhl am Fenster, der einzige, den ich besaß; zu dem trug ich sie hin und setzte sie nieder. Dann, mitten in ihrer Umarmung, mitten in der schmerzenreichen Wollust dieser Minute dachte ich daran, daß sie nicht mehr mein, daß sie freiwillig von mir gegangen war und sicherlich nicht hierher zurückkehrte, um sich von mir liebkosen und küssen zu lassen.

Sie schien zu ahnen, was in mir vorging, sie streckte die kleinen Hände nach mir aus, bittend, wie ein Kind, und hob die Augen zu mir, empor. »Max – hast du mich noch ein bischen lieb?« Das wären die ersten Worte. Und dann begann sie wieder herzbrechend zu weinen.

»Er hat dich fortgeschickt, nicht wahr?« fragte ich rauh. »Ich wußte es im Voraus.« Sie erwiderte nichts, sie nickte nur und weinte immerfort. Sie war so rührend in ihrer unendlichen Hilflosigkeit, daß ich's nicht übers Herz bringen konnte, ihr etwas Böses zu sagen. So schwieg ich denn auch und blickte gedankenlos aus dem Fenster. Mit einemmale fühlte ich ihre heiße, nasse Wange an meiner Hand und sah, mich niederbeugend, in ihre dunklen Hexenaugen und sah mit einemmale all die wonneschweren Stunden, die ich ihrer Liebe verdankt hatte. Eine grenzenlose, rasende Wut gegen den Verruchten, der nun all mein Lebensglück einer Laune wegen zertreten hatte, überkam mich, und die Thränen schossen mir in die Augen, wie ich des traurigen Geschickes dieser armen Verführten dachte.

»Nun soll ich dir helfen, nicht wahr? Aber du siehst, ich bin selbst so ohnmächtig –«

»Du bist so gut,« schluchzte sie, »und ich bin so schlecht gewesen. Aber ich wußte ja nicht, daß es so kommen würde. Und ich habe ihn so lieb gehabt, Max, so lieb –«

Tolle Eifersucht, die mich marterte und mich überreden wollte, diese Dirne von mir stoßen, ins Verderben, dem sie ohnehin verfallen war! Aber ich blieb ruhig und duldete es, daß sie meine Hände streichelte und drückte. »Du liebst ihn noch?«

Da funkelten ihre Augen auf in einem schrecklichen Lichte, und ihr Gesicht verzerrte sich zu einer boshaften Fratze. Sie öffnete den Mund wie zu einem höhnischen Lachen, preßte die Hände auf die Augen und schrie laut auf und konnte sich gar nicht genug thun an jämmerlichem Weinen. Nie hatte ich sie so leidenschaftlich erregt gesehen, so aller Fassung beraubt. Wie mußte sie diesen Mann geliebt haben, daß sie ihn jetzt so hassen konnte; daß jede Erwähnung seiner Person sie wie mit glühendem Messer traf. Und ich – welch eine erbärmliche Rolle spielte ich in ihrem Leben! Meine Liebe hatte sie geduldet, wie etwas Selbstverständliches hingenommen; ich galt ihr noch immer als ihr natürlicher Freund und Berater, sie erinnerte sich kaum daran, wie schwer sie sich an mir vergangen hatte. Alle diese Vorgänge schienen ihr nebensächlich, waren längst vergessen, ein einziger Gedanke füllte ihr ganzes Sein aus.

»Er hat mich aus seinem Haus gestoßen, du – wie ein Straßenmädchen!« knirschte sie, aufspringend und krampfhaft, hart lachend. »Er ist meiner überdrüssig geworden und hat mich so abscheulich beschimpft – o, du wirst es nicht glauben! Er war immer so roh gegen mich, und wenn ich nicht that, wie er wollte, hat er mich geschlagen. Wenn ich etwas Falsches sagte ... gezittert hab' ich vor seinem Blicke. Zuerst, da versprach er mir, daß ich seine kleine Frau werden sollte – ich hab' es ja gleich nicht geglaubt, aber ich war so fröhlich und so dankbar für alles, was er mir that. Aber als er die vielen Sorgen hatte und immer mißmutiger nach Hause kam und ich ihm allerlei verraten sollte, was ich doch nicht wußte –«

»Von mir?« fragte ich leise.

»Ja, von dir, von dir!« bestätigte sie eifrig, wie um mich aufzuhetzen. »Ich verstand ihn erst gar nicht, denn ich wußte ja nichts. Und dann glaubte er, ich belöge ihn und wollte es nur nicht sagen. Aber du hast ja nie mit mir über solche Dinge gesprochen.«

In ihrer naiven Frechheit schien sie jetzt wirklich geneigt, mir und meiner Verschwiegenheit einen Teil der Schuld an ihrem Unglück aufzubürden.

»Ich danke meinem Schöpfer, daß ich dir nichts anvertraut habe; du hättest mich so gewiß verraten wie zwei mal zwei vier ist!« sagte ich, tief aufatmend. Ihre übergroße Offenheit machte mich fast mißtrauisch.

»Er fürchtet dich,« fuhr sie fort, meine Bemerkung überhörend. »Du mußt irgend etwas wissen, das ihm Schaden bringt und das er nicht weiß. Er hat mich so entsetzlich damit gequält, und wenn ich vor lauter Angst nicht mehr Ja und Nein sagen konnte, wurde er so schrecklich brutal. ... Wie gut du immer gegen mich gewesen bist!« schluchzte sie dann wieder mit einem Blicke voll gerührter Zärtlichkeit. Das war offenbar der einzige Punkt, in dem ich mich ihrer Meinung nach vorteilhaft von Heller unterschied, und darum betonte sie ihn stets von neuem, um mir zu schmeicheln. Sonst stellte sie den feigen Buben, der sich an einem schwachen Weibe vergriff, der sie nur an sich gelockt hatte, um ihr ein Geheimnis zu entreißen, noch immer unermeßlich hoch über mich.

»Ich weiß wohl etwas, das ihn vernichten könnte!« begann ich mit stolzem Lächeln. »Nur einen Finger brauche ich auszustrecken, und er ist ein armer Mann, ärmer als ich, und mit Schande beladen dazu. Das gestand er mir vor wenigen Tagen selber ein.« Es that mir wohl, vor diesem Mädchen als der Überlegene, als der Mann zu erscheinen, von dem Hellers Schicksal abhing, und ich sah sie triumphierend an.

»Und – und willst du es thun, Max?« fragte sie, dicht an mich herantretend, mit fieberhaft glänzenden Augen. »Willst du es mir versprechen? Gieb mir dein Ehrenwort, Max!« Ihre Worte überstürzten sich, sie hatte mich mit beiden Händen am Rock gefaßt und starrte mich bittend, drängend, befehlend an. »Du mußt es mir schwören – ich gehe nicht eher von dir!«

Das Gefühl meiner Macht stieg mir zu Kopfe, fast war ich versucht, ihr scherzend zu antworten, daß ich unter dieser Bedingung allerdings nicht schwören würde. Aber in der nächsten Sekunde überwog doch schon ein anderes Empfinden: sie haßte ihn nun so verzehrend und fanatisch wie ich, wünschte seinen Untergang leidenschaftlicher noch als ich –

»Und wenn ich nun deine Hilfe dabei gebrauchte?« fragte ich leise, um sie zu versuchen.

»Ist das wahr? Wirklich wahr?« schrie sie auf. Und im selben Augenblick brannten ihre Lippen auf den meinen, umschlang sie mich und küßte mich wieder mit toller Inbrunst ... »O du glaubst nicht, Max ... Wenn ich ein Messer ... aber er ist stärker als ich ...« Sie zischte die abgebrochenen Sätze wie in bachantischer Raserei hervor; auf ihren Wangen glühten hektische Flecke. »Willst du mir nicht sagen, wie – aber nein, sag es nicht. Es ist besser so.« Was hatte die Leidenschaft, die jäh in blinden, blutigen Haß umgeschlagene Liebe aus diesem oberflächlichen Geschöpf gemacht! So lange sie mein gewesen war, hatte sie nichts in ihrer kalten, leichtsinnigen Ruhe zu stören vermocht, blond und gleichgültig hatte sie mich nie, auch in ihren ungerechten Zornausbrüchen nicht, einen Blick in ihr Herz thun lassen – und nun, nachdem dieser Mann den Feuerbrand hineingeschleudert hatte, schien sie eine rachsüchtige, erbarmungslose Bestie geworden zu sein.

Sie verschwieg mir fast ängstlich alle Einzelheiten ihres Zusammenlebens mit Heller, und ich wagte es nicht, sie danach zu fragen, wollte nicht auf die noch blutende Wunde einen groben Schlag führen. Aber aus den Andeutungen und zusammenhanglosen Schilderungen, die sie gegeben hatte, aus ihrer wilden Erregtheit, ihren verstörten Mienen formte ich mir das häßliche Bild. Sie war nicht verwöhnt, und der Reichtum, mit dem Heller sie überschüttet hatte, mußte sie mit Märchenzauber bestrickt haben, dazu liebte sie ihn, leidenschaftlich wild, mit sehnsüchtiger Zärtlichkeit, – ein armer Bettler, in kahlem, fressendem Neid stand ich daneben! – und dennoch hatte er es vermocht, jedes Gefühl der Zuneigung in ihrem Herzen zu ersticken, in mordgierigen Haß zu verwandeln! Welch unbeschreibliche Qualen mußte er der Arglosen bereitet, mit wie raffinierter Grausamkeit mußte er ihr jede Stunde vergiftet haben, seitdem er zu der Einsicht gekommen war, daß sie ihm das nicht sagen konnte, was er um jeden Preis erfahren wollte, um dessentwillen allein er sie in sein Haus genommen hatte! Und als sie trotzdem, seinetwegen und des Luxus wegen, den sie bei ihm fand, standhaft aushielt, als sie nicht selbst seinen unerträglichen Gemeinheiten entrann, wie er wohl gehofft hatte, da wies er sie mit dürren Worten, mit Schimpfworten vielleicht, aus seinem Hause fort ... Ihr war das Schicksal geworden, das sie verdient hatte, um mich verdient hatte, und dennoch ... In ihrer Haltung, in ihrem Gesicht und mit furchtbarer Deutlichkeit in ihren Augen prägte sich ein Entschluß aus, der mich mit tiefstem Mitleid für das unglückliche, liebe Geschöpf erfüllte. Ich kannte den entsetzlichen Weg, den sie nun gehen wollte, gleich zehntausenden ihrer Schwestern. Und ich hatte sie doch so sehr geliebt, und all mein Licht und meine Hoffnung war sie gewesen in vergangenen, schönen Tagen.

Sie hatte mir ihre Wohnung genannt, ehe sie fortgegangen war, und mich gebeten, recht oft zu ihr zu kommen. Dafür hatte sie mir geloben müssen, ein braves Mädchen zu bleiben – wenigstens diese drei Tage lang, heute noch, morgen und Dienstag ... Und am Mittwoch würde ich bei ihr sein und ihr vielleicht schon die Nachricht bringen, die sie mit wilder Sehnsucht erwartete. Ich durfte sie nicht untergehen lassen im Pfuhle. Aus eigener Kraft freilich vermochte ich ihr nicht zu helfen, ich war ärmer als sie, die doch wenigstens noch ein paar Schmucksachen besaß. Aber ich würde ... Es überlief mich kalt, aber ich erschrak nicht mehr bei dem Gedanken. Ich war entschlossen. Uns beide, die ihm nie etwas Böses gethan, die ihn geliebt und verehrt hatten, uns beide hatte er mit Fußtritten ins niedrigste, beschmutzendste Elend schleudern wollen. Dies Mädchen, das ihm alles geschenkt hatte, was es schenken konnte, mich, der langmütig immer wieder seine verbrecherischen Anschläge verziehen hatte, – nun dachte er uns beiseite schieben zu können wie jene Armen, die in seinen Schwefelhöllen für ihn starben. Wo stand sein Recht dazu geschrieben? Wenn ich den Buschklepper jetzt niederschlug, so handelte ich nicht mehr allein in schuldbarer Notwehr, rettete nicht mehr allein mein Leben, sondern auch das Leben und die Seele der geliebten Freundin. Zwei gequälte, zuckende Menschenherzen in der einen Wagschale, ein lebloser, zu Stein erstarrter Muskel in der andern – Feigling, niedriger Feigling, der du noch zögerst!

Von den Kirchtürmen her zog feierliches Geläut durch die Finsternis und schmeichelte sich in mein Ohr; es lud zum Nachmittags-Gottesdienste. Ich nahm meinen Hut, nahm die Bibel der Mutter und ging. Man würde mich vielleicht in der hintersten Reihe dulden, trotz meines verschlissenen Rockes. Ich mußte mit meinem Gotte sprechen, ehe ich's that, und mit ihr, der Einzigen, die draußen an der Friedhofsmauer meiner wartete ... Meine Hände zitterten vor Schwäche und nervöser Erregung, ich fühlte das konvulsivische Zucken, das dem Weinen vorangeht, über mein Antlitz ziehen, aber ich schalt mich weibisch und albern, ich unterdrückte die Thränen.

Und langsam, den Plan ernst und ruhig durchdenkend, ging ich zu Kirche.

Er war so lüstern nach dem Golde, so vernarrt in den Gedanken, mein Eigentum an sich zu reißen, daß es mir leicht fallen würde, ihn zu bethören. Um so leichter, wenn ich mich noch länger sperrte und sträubte, wenn ich mir den Anschein gab, als beuge ich mich nur mit heftigem Widerwillen seiner Übermacht. Ich mußte seine Habsucht aufs Äußerste reizen, mußte ihn zwingen, Gewalt gegen mich anzuwenden, ehe ich nachgab. Dann – dann erst würde er mir vertrauen, würde glauben, meinen Stolz gebrochen zu haben und mir arglos folgen. Ich sah uns wieder durch die dunklen Gänge des Tiergartens schleichen wie an jenem Abend, erinnerte mich wieder der wilden Gedanken, die mich damals durchrasten und mußte leise lächeln über das Entsetzen, das sie mir eingeflößt hatten. Heut war ich gefestet. Ich malte mir die gräßliche Szene aus, sagte mir, daß ich die That nicht eher wagen dürfe, als bis die geringste Kleinigkeit eingehend vorbereitet war. Wie jener, den sie zum Tode verurteilt hatten, trotz seines Weines und Schreiens, meine That an Erck büßte, mußte ein anderer als Hellers Mörder gelten, auf einen anderen mußte der Verdacht fallen. Ich selbst war nun erfahren genug, ein Meister in der Kunst, jede Spur zu verwischen. Niemand außer ihm beargwöhnte mich nach dem Tode Ercks, und niemand, nicht einmal er, wußte von dem Tuchbündel unterm Schnee, wußte, daß das zerbrochene Taschenmesser mir gehörte. Sie waren alle mit Blindheit geschlagen, keiner vermochte mich zu fangen, mich, den freien, wilden Adler, der hoch über ihnen sich in blauen Lüften wiegte, ihrer armseligen Satzungen spottend und niederwerfend, was sich ihm entgegenstemmte.

In solchen Gedanken betrat ich das Gotteshaus.

Ein weißer Glanz lag über der andächtigen Menge, die Orgeltöne fluteten von der Höhe herab wie klingender Weihrauch. Und auf den müden, sorgenvollen Gesichtern lag seliges Hoffen, und die Augen schimmerten, als sähen sie Eden. Wo am Altare die Kerzen leuchteten, hinter dem bleichen Priester, erhob sich das Bild des Heilandes und mir war, als blickte er mich an, traurig, väterlich, aber nicht strafend. Es war ein Sittengesetz in mir, das seinem entgegen lief; ich war abgefallen von ihm, hatte die Tafeln zerbrochen, die er beschrieben. Und dennoch schied ich heute nicht für immer von ihm, wiederkehren würde ich, größer durch Sünde, und das Verbrechen, wenn es ein Verbrechen war, sühnend durch große Thaten. »Liebet, die euch hassen, segnet, die euch fluchen, bittet für die, die euch beleidigen und verfolgen.« Ich aber war kein armer, machtloser Sklav, war nicht zermorscht wie die um mich her, der Starke war ich, der Wiederaufbauende, und ihre Regeln galten nicht für mich.

Ruhig, heiter, nicht in frechem Trotz, nein, in Verehrung und Liebe wie die andern alle, lauschte ich dem feierlichen Gesang der Gemeinde, dem eintönig-metallenen Wort des Priesters.

Ein Traum umfing mich gleich einer Vision. Durch das weiße Feuer, das uns zu Häupten loderte, schritt eine weiße, königliche Mädchengestalt. Ich konnte ihr Gesicht nicht sehen, aber mein Auge schwelgte in den Linien der schönen Gestalt und haftete verzückt auf dem Blondhaar, das über ihren Rücken in goldenen Strähnen niederfloß. Und ich hörte ihre Stimme, obwohl sie nicht sprach; und das Licht der blauen Augen sah ich, obwohl sie ihr Antlitz dem Altare zugewandt hatte. Und mir war, als ob der Reichtum, der mir nach zermalmender Armut nun wieder in breitem Strome zufloß, trüb, blutig, unter ihren weißen, reinen Händen weiß und rein wie diese Hände wurde, als ob ihre keusche Liebe mich erlöste von dem Fluche und mich bannte, daß ich rechten Gebrauch von meinen Schätzen machte. Es zog ein süßes Düften durch die Luft, wie von Märzveilchen, und wie ich den würzigen Hauch mit geschlossenen Augen einatmete, sah ich das liebe blasse Gesicht der Guten, Einzigen, die nie an mir gezweifelt, die mich nie verraten hatte. Und ich wußte nicht ... war es meiner Mutter liebes Antlitz oder grüßte mich Gertrud Romberg ...

Still und verträumt ging ich nach Hause. Auf der Straße war ein lautes Schwatzen von jungen Paaren, eine breite Menschenwoge wälzte sich lärmend an hell erleuchteten, schreiend bunt herausgeputzten Schaufenstern vorbei. Ich dachte daran, daß man zwei Tage nach der That das Fest des Erlösers feierte und daß heute Berlin seine Christgeschenke kaufte. Ich hatte keinen roten Pfennig in der Tasche, konnte niemandem eine Weihnachtsfreude bereiten, aber auch meiner würde niemand gedenken. Sie vielleicht – ja, sie gewiß. Da fiel es mir schwer aufs Herz, daß ich ihr hochmütig und gelangweilt ausgewichen war, daß ich sie tausendfältig gekränkt hatte, und ich zürnte ihr, weil sie sich dadurch abschrecken, verscheuchen ließ. Ich wäre gern zu ihr gegangen, in dieser Stunde noch, aber – mich hungerte, und ich wollte nicht hungrig zu ihr gehen, ihr nicht verraten, in welch bitterem Elend ich lebte.

Mein Herz war lauter Liebe und Rührung und Dankbarkeit gegen sie. Du mein Gott, wie gut und hilfreich und barmherzig sind deine Menschen! Neben der einen, niederträchtigen Bestie so viele adlige Geschöpfe ...

Ich konnte werden wie sie, Unerhörtes konnte ich vollenden, wenn ich mich frei gemacht hatte von dem unerträglichen Drucke, wenn ich, meine hohe Aufgabe recht erfassend, nicht nur den Guten helfend beisprang, sondern auch die Raubtiere ausrottete. Ich würde genesen, und die Gedanken, die großen, riesenmächtigen, würden mir wieder zufließen, und die Keime heraufquellen aus meinem Herzen, frei, unerschöpflich reich, wie ein Springbrunn quillt.

Es war nicht tötlicher, rachsüchtiger Haß, es war nicht die Sorge um Leben und Freiheit, nicht Furcht vor der Schande und nicht heißer Durst nach Gold und Üppigkeit, die mich trieben, ihn niederzuwerfen. Es war der Gedanke an meine Mission, der mir die Waffe in die Hand drückte. Damit zehntausend wackere und schaffensfreudige Menschen Raum gewannen zu angespannter, wahrhaft segensreicher Thätigkeit und Entfaltung ihrer edelsten Kräfte, mußte dieser blutdürstige Tiger fallen. Sein Todesurteil war ergangen, ich zu seinem Henker bestimmt. Wohl ... es sollte geschehen. Nicht meinetwegen, meiner Brüder wegen.

* * *


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