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Gleich darauf verließ ich Rombergs, während Hilde Jonas noch bei den Geschwistern blieb. Wie ein geckischer Kulissenreißer freute ich mich auf der Treppe des glänzenden, gut gewählten Abgangs. Strömte nicht von mir eine Kraft aus, die alle anderen Menschen zauberhaft in meinen Bann zwang und sie mir zu ergebenen Freunden machte? Was war es denn, das mich über sie erhob und sie zwang, den Höheren in mir huldigend zu grüßen? War ich wirklich mehr als der arme, bleiche Hungerleider, trug ich wirklich die Mission und die Macht in meiner Seele, den Weg zu gehen, von dem ich geträumt hatte, vor Jahren wie heute? Ich hob das Haupt stolz, empor, und die prophetischen Verse summten mir im Ohre, die Wilhelm Müller einst dem jungen Byron, dem Helden von Missolunghi, schrieb. Ich ging im schlechten Gewand daher, belächelt, gering geachtet, und doch ein König, doch vielleicht der Prinz-Befreier, von dem sie alle träumten, sie alle, an deren häßlichen, armen Wohnkasernen ich Tag um Tag vorüberschritt, unerkannt, ungegrüßt ...

Tilly abzuholen war es noch viel zu früh. Sie hatte sich heute morgen, als ich ihr von Hellers Einladung erzählte, wie ein Kind darüber gefreut, hatte lachend in die Hände geklatscht und mich abgeküßt; ich wußte, daß sie ungewöhnliche Sorgfalt auf ihre Toilette verwenden und deshalb nicht so bald damit fertig sein würde. Es blieb mir also reichlich Zeit, eine Absicht auszuführen, die mir gestern gekommen war und die mit der Verwendung meines Kleinods zusammenhing.

Als ich noch mitten in der großen Arbeit über Setonius faß, hatte Walter mir die Firma eines Antiquitätenhändlers in der Innenstadt genannt, der allerlei wichtige Pergamente besitzen sollte. Romberg war eine Zeit lang Privatlehrer im Hause gewesen, hatte mir zu Liebe Interesse für all den Trödelkram geheuchelt, um so unauffällig Näheres über die alchymistischen Handschriften zu erfahren. Was er mir mitteilte, klang verlockend, und ich machte mich gelegentlich nach der engen Gasse auf, in der Hoffnung, Wertvolles billig erstehen zu können oder doch geliehen zu bekommen. Ich fand unter zahllosen anderen Läden, deren Besitzer alle mit zweifelhaften Kuriositäten, getragenen Kleidern und Schmucksachen handelten, das richtige Schaufenster bald heraus; es fiel auf durch eine protzende Menge von Gold- und Silbergeräten, die wirr durcheinander geworfen den Platz brüderlich mit seltenen Münzen, Waffen, Porzellanfiguren teilten. Was ich suchte, spürte ich freilich nicht auf, dafür verplauderte ich mit dem ehrwürdig dreinschauenden Weißbart eine recht lehrreiche Viertelstunde. Ich ließ mir von ihm erzählen, daß unter seinen alten Stammesgenossen mancher sei, der wie die Thüringer Bauern noch immer darauf vertraute, einst den Stein der Weisen zu finden. Heute nun entsann ich mich verschiedener seiner Äußerungen wieder; es war mir, als weise mich eine innere Stimme zu ihm hin, und ich folgte gerne.

Der Laden war geschlossen, auch im Hausflur herrschte trübes, von der einen Gasflamme nur noch deutlicher gemachtes Dunkel. Ich tastete mich über den nachtschwarzen, engen, regenfeuchten Hof und hatte die Freude, aus einem Parterrefenster hinter dem Laden Licht schimmern zu sehen. Traf ich den zu Hause, den ich suchte, so wußte kein Mensch, daß ich zu ihm gegangen war; selbst Hellers Spione konnten nicht vermuten, daß ich diese Sonntagsstunde so benutzte. Vorsichtig wartete ich eine Minute auf dem Treppenabsatz, um mich zu überzeugen, daß kein Verfolger da war, betrat dann den finsteren Korridor und schlich mich auf den Zehen bis zu der letzten Thür, wo ein Petroleumlämpchen brannte und den Namen des Trödlers lesen ließ.

Ich läutete bescheiden, nach einer Weile wurde bedächtig der Riegel zurückgeschoben und die Thür so weit geöffnet, wie die Sicherheitskette es erlaubte. Eine Mädchenstimme fragte nach meinem Begehr, und ich mußte meine ganze Überredungskunst aufbieten, das anscheinend sehr ängstliche und zurückhaltende Fräulein zu veranlassen, ihren Vater herbeizuholen.

»Thut mer leid. Sonntags derf ich kein Geschäft machen. De Schutzleut' stehen überall herum,« begrüßte mich der Alte durch den Thürspalt.

»Sie nehmen's doch sonst nicht so genau!« log ich. »Sie sind mir empfohlen worden. Wenn Sie aber nicht wollen, dann nennen Sie mir doch wenigstens einen Kollegen.«

»Kollegen! Kollegen! Die kaufen Ihnen Sonntags auch nichts ab. Was haben Sie denn so Wichtiges?«

Ich hatte ein winziges Stückchen des Metalls bereitgehalten und reichte es ihm nun ins Zimmer. Er trat zurück, verließ den Raum, und wohl fünf Minuten vergingen, ehe er wiederkam.

»Verkaufen wollen Se nichts, nur meinen Rat hören wollen Se, nicht wahr?« sagte er. »Meinen Rat hören dürfen Se. Das ist nicht gegen die Polizei. Aber,« fügte er dann mißtrauisch hinzu, »werden Se auch nichts Böses im Schilde führen? Se dürfen's mir nicht übel nehmen, es läuft jetzt im Winter so manch Einer herum –«

Statt aller Antwort zog ich meine Börse, die etwas über zweihundert Mark enthielt, aus der Tasche und gab sie ihm. »Als Bürgschaft!« erläuterte ich lachend. Er prüfte den Inhalt, lachte ebenfalls und ließ mich eintreten. Nun erkannte er mich auch, legte zwei Finger grüßend an den Fez, der sein ehrwürdig weißes Haar bedeckte und ihm, im Verein mit dem braunen Sammetkittel, den er trug, das Aussehen eines greisen Künstlers verlieh. Er winkte mir, und ich folgte ihm ins Nebengemach.

»Wer hat Se mir empfohlen?« fragte er, als wir uns gegenübersaßen und das häßliche Mädchen, seine Tochter, das Zimmer verlassen hatte.

»Das thut nichts zur Sache.«

»Ah – Se wollen Ihren Namen nich verraten?« schloß er mit listigem Augenzwinkern. »Nu gut. Ich bin gar nicht neugierig, gar nicht. Wissen Se, Se können sich auf mir verlassen. Wer's ehrlich mit mir meint, der ist sicher bei mir, wie in Abrahams Schoß. Und was für 'nen Rat verlangen Se denn von mir?«

»Wofür halten Sie das Stückchen Metall, das ich Ihnen gab?«

Er stand auf, entnahm einem mehrfach verschlossenen Wandschrank ein paar bunt gefärbte Fläschchen, Porzellanschalen und eine Wage und setzte sich wieder zu mir.

»Haben Se viel von dem Metall?«

»Davon später.«

»Verstehen Se etwas von Metallscheidung? Ich meine –«

»Etwas! Genug, daß ich Ihnen bei der Probe helfen kann.«

Er nickte beifällig, »'s ist ein kurioses Metall. Wenn Se viel davon haben – hundert bis höchstens hundertfufzig Mark geb' ich Ihnen für's – sagen wir, für's Pfund!«

»Reden Sie keinen Unsinn. Mir 'was vorzureden, wird Ihnen nicht leicht fallen; ich kam zu Ihnen nur, weil ich glaubte, Sie als alter Praktikus hätten mit dergleichen schon 'mal zu thun gehabt.«

Er erwiderte nichts, zog aber seine Brille aus dem Futteral, putzte sie langsam und gründlich und sah mich dann durchdringend an. »Se sind än Chemiker, sagen Se's man. Dann ersparen Se uns die ganze Probiererei, was Se ja alles schon selbst gemacht haben werden, besser als ich. Aber wenn Se sich so lange gedulden können – kommen Se doch morgen abend wieder mit heran, dann werd' ich Ihnen sagen, was ich bieten darf, alleräußerst. Ich hab' jemanden, der sich auf so 'was versteht und der so 'was kauft, 'ne Vertrauensperson von mir – dem werd' ich's morgen in aller Frühe bringen. Se können dann abends wieder übern Hof kommen, wenn Se wollen.«

»Ich muß wissen, wer diese Vertrauensperson ist.«

»Än Geschäftsgeheimnis.«

»Das darf es in diesem Falle nicht geben. Sie werden schon gemerkt haben, hier liegt für uns beide ein großes Geschäft, aber ich mach' es nur unter der Bedingung, daß wir keine Geheimnisse vor einander haben.«

»Es is än sehr reicher und anständiger Herr, dafür garantier' ich. Und ein geriebener Kenner.«

Ein Schrecken befiel mich, so jäh und furchtbar, daß ich zusammenfuhr. Wenn Heller seine Fäden selbst bis hierher gesponnen hatte, wenn er in seiner fanatischen Begier, das Rätsel zu lösen und die Tinktur zu erwerben, sogar mit Leuten dieses Schlages in enger Verbindung stand und dadurch das ganze Schlachtfeld, von den Höhen bis zu den Tiefen, als wohlunterrichteter Feldherr übersah – welche Hoffnung blieb mir dann, ohne sein Wissen, unabhängig von ihm meinen Schatz zu verwerten?

Dem Trödler mochte meine Bewegung nicht entgangen sein; er lächelte bedeutsam, warf mir einen Blick spitzbübischen Einverständnisses zu und flüsterte: »Se sind ganz sicher, wenn Se sich mir anvertrauen. Se werden's einem Kaufmanne nich verdenken, daß er für sich behält, wer sein Abnehmer is; aber sein Se unbesorgt, 's is än großes Bankhaus, zahlt gleich und fragt nicht lange, wie und woher.«

»Erlauben Sie!« fuhr ich entrüstet auf, während mir doch wunderbar leicht und froh ums Herz ward. »Was ich Ihnen übergebe, ist weder gestohlen –«

»Na ja selbstverständlich – das kümmert mich ja auch gar nichts!« sagte er behaglich, mit bezeichnender Handbewegung. »Se kriegen von mir den reellen Wert für die Ware, damit basta; alles andere ist 'ne Sache für sich, da steck' ich meine Nase nicht hinein.«

Der schlaue Fuchs ahnte, was ich ihm anbot, wenn er es nicht bereits genau wußte und die Bankfirma nur vorgeschoben hatte, um für sich noch eine Zwischenhändlergebühr herauszupressen. Nun, gleichviel. Mir war es nicht gelungen, den mit Tinktur übersättigten Prozeß in Gold umzuwandeln, er besaß diese Fähigkeit vielleicht oder hoffte doch, dahinter zu kommen. Er würde mir das ganze Präparat abkaufen – ein glatter Handel, der mich mancher Unbequemlichkeit und Sorge enthob.

Mehr noch als die Aussicht auf reichen, glänzenden Gewinn freute mich die Gewißheit, Heller nunmehr geschlagen und um die Beute geprellt zu haben, auch die Ergebnisse etwaiger fernerer Tingierungen ohne seine Hilfe – –

Fernere Tingierungen? Dieser gräßliche Gedanke, der mich wie eine giftige Viper angrinste – woher kam er mir? Wie durfte ich ihn auch nur sekundenlang hegen? Eine zweite Tingierung! War sie denn möglich, wenn ich nicht den Fluch einer neuen Blutthat auf mich laden wollte? Einer Blutthat, für die es keine Sühne und keine Entschuldigung mehr gab, die mich zum gemeinen, nichtswürdigen, abscheulichen Verbrecher stempeln würde! Mit Irrlichtglanz erhellte dieser schlimme Gedanke die Nacht meines Herzens, zeigte mir den Sumpf, in den ich hineinwatete, das Gespenst des Wahnsinns, das unten auf dem Grunde lauerte ... Ja, lag ich denn schon in den Klauen dieses fürchterlichen Gespenstes? Damals, als ich die Hand gegen Erck erhob, hatte ich in berechtigter Notwehr gehandelt ... o, tausendmal hatte ich mir das vorgeflüstert, mir tausendmal bewiesen, weshalb ich auch die Tinktur an mich nehmen mußte. Wie segensreich sie in meiner Hand werden sollte, daß aus der Unthat Wohlthat erwachsen würde, aus dem vergossenen Blute frisches, junges Lebensblut für mich, für andere ... Und nun, wo ich noch nicht einmal die Früchte jenes Verbrechens gekostet hatte, wo ich noch vorm roten Henker zittern mußte und mich scheu im Dunkel verbarg, nun packte mich schon irrsinnige Habsucht nach neuem Mordsolde? Sobald ich meinen Geist der strengen Aufsicht entließ, beschäftigte er sich mit Vorstellungen oder Wünschen, nicht auszudenken. O mein Gott ... Ich hörte die Bestie in mir im Traume reden, sah sie unruhig die Pranke heben –

Nein, nein, dreimal nein! Gedankenlos hatte ich mir das zugeschwatzt, ohne den Schatten einer bösen Absicht, ohne jede Erinnerung an das Vorhergegangene! Und mochte mein Leben wieder in Elend und Not versinken, mochte das Schicksal mich zu einem ärmeren Bettler machen, als ich je gewesen – das blutige Bild des Toten, der Gedanke an die unsäglichen Martern, die ich ausgestanden hatte und noch immer ausstehen mußte, sie alle würden mich ja vor dem Entsetzlichsten bewahren. ... Wäre ich wirklich sein Mörder gewesen, hätte mich nicht in der folternden Qual dieser Tage die Gewißheit aufrecht erhalten, daß ja nicht ich, daß Erck selbst den Stoß wider sein Herz führte, daß ich, dank seiner argen, teuflischen List unter unwiderstehlichem Zwange handelte, dann läge ich ja längst dort unten, in der düster blinkenden Tiefe ... Nein, nein, du heilige, teure, geliebte Mutter dort draußen, ich will deine Ruhe nicht stören, will nie, nie schaffen, daß ich den Blick senken muß vor deinem Bilde daheim.

Den Blick senken muß vor deinem, der mahnend und liebevoll auf mich gerichtet ist und den ich immer sehe, immer sah, nur in jener schlimmen Stunde nicht ...

Ich hatte die blutigen Kleider noch im Hause, die ich in jener Nacht getragen. Sie mußten endlich beseitigt werden. Morgen abend noch. Ich wollte es nicht länger aufschieben, nun nicht länger ...

In der frischen Novemberluft, die mich umwehte und mir die Augen thränen machte, verwehten langsam die finsteren Gedanken. Noch stand ich aufrecht da, unangefochten, Herr über mich und meine Zukunft, und je mehr Tage hinrannen über das Ereignis jener Nacht, desto mehr würde sein Widerschein verblassen. Weg, du Gespenst! Zurück, sag' ich dir! Ich lebe, ich, und du bist tot. Du Fratze sollst mich nicht zu Boden werfen, sollst nicht sein Rächer sein ...

Wie ich soweit gekommen war, daß mir wieder gelang, was mich vollends beruhigte und mich stählte: lachen zu können über mich selbst und meine Narrheit von vorhin, eilte ich zur Freundin, die nun nicht länger vergebens auf mich warten durfte.

Tilly saß noch im Frisiermantel vorm Spiegel, und ihre Wirtin bemühte sich, das golden glänzende Haar der Geliebten zu einem griechischen Knoten zu schürzen. Die beiden Frauen waren so in ihr wichtiges Werk vertieft, daß sie mich keines Blickes, noch weniger eines Wortes würdigten. Mit Vergnügen sah ich, daß Tillys Augen und Wangen vor Erregung glühten und daß sie alles aufbot, heut abend bezaubernd hübsch zu sein, mich aber zum beneidetsten Manne zu machen. Ich störte deshalb, so langsam die Zeit verrann, ihre Vorbereitungen nicht; ich träumte eine ganze Stunde lang von den künftigen, wonneschweren Stunden, die mir an ihrer Seite winkten. Erst als sie mich siegesbewußt zu, einem Urteil aufforderte, trat ich behutsam näher. Einen Kuß behauptete sie mir nicht geben zu können, der Spitzenvolants und der Blumen wegen, die sie an der Brust trug, und auch im Wagen rückte sie in die äußerste Ecke, damit ich ja nicht ihre Toilette beschädige. Ich war so berauscht von ihrer Anmut, so überglücklich, so ohnegleichen vernarrt in sie, daß es mir gar nicht einfiel, ihr die wenig zärtlichen, ja gelegentlich fast rohen Worte zu verargen, womit sie die leiseste Annäherung zurückwies. Nicht einmal ihre Hand wollte sie mir auf Sekunden lassen, weil sie für die Untadelhaftigkeit ihrer schwedischen Handschuhe fürchtete. So feinfühlig ich sonst war und so wütend heftig ich aufbrauste, wenn ich mich respektlos behandelt oder irgendwie verletzt glaubte, von ihr ertrug ich selbst grundlose Beschimpfungen. Ich empfand sie gar nicht als solche, ich empfand nur ein Gefühl, das mich durchrauschte: Sehnsucht nach ihr und ihrem Besitz, leidenschaftliche, vergötternde Sehnsucht.

Sie machte Aufsehen in der kleinen Gesellschaft.

Die Damen, die mir anfänglich im Verborgenen blühende Schauspielerinnen zu sein schienen, maßen sie prüfend von oben bis unten und begrüßten sie dann in sehr ceremoniöser Weise; die Herren verhehlten ihre enthusiastische Bewunderung keinen Augenblick und schüttelten mir mit lustigem Lächeln glückwünschend die Hand. Ich war sehr stolz auf sie und eifersüchtig zugleich; ich kam mir neben dieser holden Mädchenblume eigentlich recht unbedeutend vor und gab mir äußerste Mühe, wenigstens meine geistigen Vorzüge hell glänzen zu lassen, um ihrer einigermaßen würdig zu scheinen. Heller selbst benahm sich zurückhaltend, obwohl er der einzige Herr ohne Dame in der Gesellschaft war; er verabsäumte nichts, mir den Aufenthalt angenehm zu machen und zeichnete mich sichtbar aus. – Der helle, schöne Salon war mit raffiniertem, doch nicht gerade anheimelndem Luxus möbliert, mit jener kalten, verstiegenen Pracht, die auf den Prunkbühnen typisch für elegante Junggesellen-Zimmer ist. Diese Ausstattung mußte ungeheure Summen verschlungen haben, aber sie verriet trotz zahlloser Bizarrerien und Effekthaschereien doch keinen selbständigen, freien Geschmack des Besitzers. Ich würde mir mein Heim anders bauen, ganz anders. – – –

Man unterhielt sich anfangs mit Musik leichtester Art. Herr Wethorn, der als radikaler Sozialpolitiker Ruf hatte und, wie man sagte, die Gründung einer neuen Partei plante, stümperte auf der Geige und lieferte die Balletmusik zu einem kühnen, spanischen Bolero, den seine Freundin, eine dem Welken nahe, dunkle Rose, in malerischem Gewande tanzte; der Spaß wurde vollkommen, als Heller das elektrische Licht verlöschte und im selben Augenblick ein Salonfeuerwerk die pikante Carmen umstob. In dem roten, grünen, gelben Licht um sie her gewährten ihre wild graziösen Bewegungen einen märchenhaften Anblick; Tilly klatschte entzückt Beifall, und selbst die junge Frau Kutzner, die sehr im Gegensatz zu ihrem Manne, dem Börsenspekulanten, stolz und zurückhaltend schien, trällerte eine bacchantische Melodie vor sich hin. Wethorns kreischende Violine übertönend, hämmerte der Dichter Silberthal auf dem Flügel herum, und nächst ihm that jeder sein Bestes, den Lärm des vergnügten Hexensabbats zu erhöhen. Dann glühten die Lichter wieder auf, und nun war die rechte Stimmung gewonnen: sie bestrahlten lauter lachende, gerötete Gesichter. Tilly sträubte sich zuerst, sang aber dann ein übermütiges Kouplet und pointierte sehr geschickt. Wie sie geendet hatte und den beifälligen Rufen nach Fortsetzung nicht willfahren konnte, gab ihr Silberthal ein paar in der Eile gedichtete, recht niedliche Anhangverse, die sie dann unter lautem Jubel vortrug. Dazwischen wurde Theebowle und Champagner gereicht; sie trank viel und mit unverkennbarem Vergnügen. Tilly schwamm in ihrem Element, und als ich endlich Gelegenheit fand, ein paar Worte mit ihr zu wechseln, raunte sie mir, die Hand auf meinen Arm legend, hastig zu: »Du, Max – so lustig soll's später bei uns auch hergehen – gerad' so lustig!«

Bei dem im Nebenzimmer von prächtig gekleideten Dienern angerichteten Mahl ward eine Üppigkeit entfaltet, die mich blendete und mir von Hellers Reichtum ganz übertriebene Vorstellungen beibrachte. Er saß neben Tilly, die sich an den wundersamen Silberaufsätzen, den köstlichen Orchideen und Tulpen, dem feinen Linnen und all dem Drum und Dran der Tafel nicht sattsehen konnte und die fast Essen und Trinken vergaß über dem Zauber um sich her. Wie es schien, unterhielt Heller sie vortrefflich, ganz so, wie sie sich's wünschte; das lustige Lachen hörte an jener Ecke gar nicht auf. Mächtige Flaschenbatterien, Blumen und Geräte verbargen mir ihren Anblick und den ihres Nachbars, auch hatte ich übergenug mit meiner Tischdame zu thun, dem Fräulein Silberthal, einer entfernten Cousine des Dichters – ich wurde aus dem Verwandtschaftsverhältnis nicht recht klug. Die Brünette war ein gescheites Mädchen, voll Interesse für nicht alltägliche Dinge, und ich mußte Heller danken, daß er mich neben sie und nicht neben eine der beiden andern Damen gesetzt hatte. Denn mir zur Linken, wo sich der Börsenmakler mit Franz Wethorns erfahrener Freundin amüsierte, ging es einigermaßen laut her; die beiden ließen den Leckerbissen vor sich und dem prächtigen Rheinwein höchste Ehre widerfahren, behielten aber noch viel Zeit zu sehr gewagten Scherzen. Madame Kutzner kümmerte sich wenig um ihren lebenslustigen Mann; sie ließ sich von dem Politiker Wethorn und dem Dichter Silberthal über die sozialen Bestrebungen des Einen, das vollendete Drama des Andern unterhalten.

»Keine zehn Jahre mehr geht es so weiter, gnädige Frau!« sagte Wethorn, ihren und seinen Römer aufs neue füllend. »So hoch ist das Elend gestiegen und so furchtbar ist die Verbitterung, daß die Explosion näher bevorstehen muß, als wir alle ahnen.«

»Sie wissen, daß ich dieselbe Idee in meinem ›Frühlingssturm‹ durchgeführt habe,« pflichtete ihm Silberthal bei und streichelte seinen riesigen, schönen, schwarzen Schnurrbart. »Ich zeige, wie die neuen Gedanken alle Herzen erfüllen, wie sie den Starken Gigantenkraft verleihen, die Schwachen aber ermutigen, ihnen zu folgen. Ich zeige, daß die Zukunft diesen Starken und Gläubigen gehört, daß in der großen Idee, die sie beseligt, die glückliche Zukunft der Menschheit verborgen liegt, wie in der goldreifen Orange der Wald.«

Das klang etwas schwülstig, aber doch schön. Ich sah mir den Dichter genauer von der Seite an. Bisher hatte ich in den Zeitungen immer nur unsäglich zahlreiche Reklamenotizen über ihn gelesen. Demnächst erscheinende Bücher von ihm wurden angezeigt, Dramen, die er dem oder jenem Theater eingereicht hatte, mit dem Titel genannt. Er schrieb für ein größeres Blatt, dessen Verleger sein Onkel war (oder vielmehr, man entschuldige, der Gemahl seiner Tante), überaus witzelnde Feuilletons, Gedichtchen und Kritiken in einem mich anwidernden, Heine nachäffenden Stil. Ich schien ihm aber doch unrecht gethan zu haben.

»Es giebt nur ein Entweder – Oder!« rief Wethorn mit erhobener Stimme, »die blutige Revolution oder die Reform. Das erkennt jeder Einsichtige, und solche Einsichtige sind heut' in jeder Partei. Sie will ich um mich zu versammeln suchen. Es ist ja schwer, nicht in wütendem Grimm die Faust zu ballen, wenn man diese wahnwitzigen Kontraste zwischen Reichtum und Armut sieht. Dort Spitzbuben an überladenen Tafeln, Schwelgereien, die Tausende verschlingen; hier der ehrliche Handwerker, der ausgeraubt nach einer Hand voll Kartoffeln für seine Kinder schreit. Wahrlich, diese Gesellschaft sollte zu ihrem Symbol nicht das Kreuz, die Kreuzspinne sollte sie wählen!«

Die rundliche Frau Kutzner warf ihm einen bewundernden Blick zu, dann nahm ihr Gesicht wieder seinen hochmütigen Ausdruck an.

Auch mich entzündeten und bewegten die Worte Wethorns machtvoll. Er sah es und wandte sich an mich.

»Wer einmal in diese furchtbaren Abgründe geschaut hat, wer da weiß, daß Tausende unserer Brüder und Schwester Tag um Tag mit dem Gedanken umgehen, ihrem Leid, ihrer Not mit dem Revolver ein rasches Ende zu machen – Herr Doktor, den läßt es nicht mehr ruhen. Ich meine, jeder, der im Leben steht, der noch jung genug ist und ein Herz in der Brust hat für die Mühseligen und Beladenen, muß in unsere Reihen eintreten. Sie werden vielleicht einer wohlhabenden Familie entstammen –«

»Nein, im Gegenteil,« beruhigte ich ihn.

»Das freut mich – dann kennen Sie die jammervollen Zustände so gut wie ich. Dann werden Sie wissen, daß die wirtschaftliche Befreiung des Volkes ein zwingendes Gebot ist, ein Gebot der Selbsterhaltung für den Staat, für den Monarchen. Es muß ein Mittel geben, der rasend fortschreitenden Verelendung vorzubeugen; wir müssen unsretwegen, unserer Kinder wegen dem herrschenden System ein Ende machen, solange es noch Zeit ist. Für dies Ideal, Herr Doktor, lebe ich, und nichts Schöneres weiß ich, als für dies Ideal zu sterben.«

Ja – aber an Altersschwäche und überladenem Magen,« rief Kutzner dazwischen.

»Lassen Sie doch Ihren albernen Blödsinn!« entgegnen Wethorn sehr grob. »Es lacht ja doch kein Mensch darüber!«

»Na aber!« sagte der Abgefertigte begütigend und wandte sich wieder seiner kichernden Nachbarin und dem Dessert zu.

»Wo ist aber das Heilmittel?« fragte Fräulein Silberthal Herrn Wethorn.

»Nun, das werd' ich dir gleich sagen,« erklärte sich ihr entfernter Cousin bereit. »Der Raisonneur in meinem ›Frühlingssturm‹ –«

»Was wißt ihr Dichter ab!« unterbrach ihn der Politiker einigermaßen geringschätzig. »Das Heilmittel ist einfach, ein Federstrich genügt, und wer diesen Federstrich zuerst thut, dessen Namen wird bis in die fernste Zukunft ein Glanz umstrahlen, vor dem die Sterne aller Geistescäsaren erblassen. Als Alexander über den Granikus ging« – Wethorn betonte dies Wort leider auf der zweiten Silbe – »wagte er tausendmal mehr als ein Monarch unserer Zeit, der grundlegende Sozialreformen ins Werk setzten würde; aber er wagte seinen Indierzug um Bettellohn, verglichen mit dem, der diesem Befreier winkt. Ja, es giebt ein Heilmittel, meine Herrschaften, das mit einem Schlag alles Elend aufhebt, alle glücklich macht –«

»Also eine soziale rote Tinktur, so ungefähr?« mischte sich plötzlich Heller ins Gespräch.

»Soziale rote Tinktur? Was ist das?« fragte Wethorn, ärgerlich über den Einwurf.

Fräulein Silberthal, die Gebildete wußte Bescheid »Wonach die Alchymisten im Mittelalter suchten, um Gold damit herzustellen.«

»Ja, ja, rote Tinktur, das ist ganz vorzüglich, das stimmt aufs Haar,« bestätigte Kutzner, vielleicht um dem Hausherrn zu schmeicheln, vielleicht um Wethorn zu kränken, der mit ihm um die Gunst und Gaben Hellers rivalisierte. »Das ist doch ganz klar: so wenig es einen Stein der Weisen giebt, mit dem man Gold aus der Erde zu hexen vermag, so wenig giebt es ein soziales Allheilmittel, das mit einem Schlag alles Elend aufhebt, alle glücklich macht. Wer den Leuten so etwas verspricht – na, ich will mich nicht weiter auslassen. Gerade wie man Gold nur durch redliche, mühsame Arbeit im Bergwerk gewinnen kann, ist die Krankheit der Zeit nur durch langwieriges, geduldiges, redliches Mühen zu heilen. Dies meine Ansicht.«

»Das klingt ja, als wollten Sie die Börse verlassen und einen ehrlichen Beruf ergreifen!« spottete Wethorn. »Na, ja, wer bei den schlechten Zeiten und dem allgemeinen Mißtrauen räubern gehen will, thut besser, sich in die Böhmischen Wälder statt auf die Börse zu verfügen; durchs Gebirge zieht dann und wann doch noch ein argloser Wanderer, vor der Börse aber hütet sich, wer noch rupfenswert ist. Da fressen sich die Gauner gegenseitig auf.«

»Herr Wethorn!« mahnte Heller, da Madame Kutzner ein finsteres Gesicht zog und unruhig mit dem Stuhle rückte. Sie schien die Beleidigung schärfer als ihr Mann zu empfinden, der sie schmunzelnd, als handle es sich um einen Hundertmarkschein, einsteckte.

»Wenn man von einer modernen roten Tinktur sprechen will,« fuhr der Politiker erregt fort, »so muß man diese Bezeichnung auf die Leute anwenden, die gerade wie Ihre Alchymisten nach Reichtum ohne Arbeit gieren, die mühelosen Erwerb predigen, ohne zu ahnen, wie wenig Glück so unverdientes Glück im Grunde bringt. Das sind aber die Börsianer, die Spekulanten, die großen Kapitalisten. Ihre rote Tinktur heißt Ausbeutung, und mit der kommen sie weiter als ihre närrischen Kollegen von der Alchymie; mit der schaffen sie wirklich rotes Gold.« Das Bild schien dem Sprecher zu gefallen. »Die beiden Herrn Chemiker in der Gesellschaft werden schon Bescheid wissen – wahrscheinlich haben die mittelalterlichen Laboranten auch kein Hindernis geachtet, kein Verbrechen gescheut, um die Tinktur zu erlangen –«

»Sehr richtig,« bestätigte Heller. »Es hieß von den Besitzern der Tinktur sogar: Wenn sie trinken, werden sie zum Vieh, wenn sie aber nicht trinken, zu höllischen Teufeln.«

»Sehen Sie! Und so schritten die Narren über Leichen fort und sahen sich am Ende doch um den erhofften Gewinn betrogen. Ich prophezeie vielleicht nicht falsch, wenn ich ihren Nachfolgern, den Gewissenlosen, Raubgierigen, den höllischen Teufeln ein gleiches, nein, ein furchtbareres Schicksal voraussage.«

»Nun haben Sie ihm wieder Stoff zu einer neuen, schönen Brandrede gegeben!« wandte sich der Dichter an Heller, der aufmerksam zugehört hatte. »Aber vielleicht nehme ich ihm die Idee vor der Nase weg.«

»Politisch Lied, pfui, wie garstig!« ließ sich da zu meinem Erstaunen Tilly vernehmen, und Heller reichte ihr lachend die Hand. Sie mußte die Wochen, während welcher ich sie nicht gesehen hatte, wirklich gut ausgenutzt haben; ihre Belesenheit war mir früher nie aufgefallen.

Indessen dachte ich nur nebenher, im Fluge daran. Beunruhigte mich doch die Wendung, die das Gespräch genommen hatte, in nicht geringem Maße. Zwar war sie augenscheinlich ganz zufällig, ohne erkennbare Absicht, eingetreten, aber daß gerade Heller sie herbeigeführt hatte, machte mich mißtrauisch. Noch wußte ich nicht, welchen Zweck er mit seiner Einladung verfolgte und ob er für heut' abend nicht einen entscheidenden Schlag plante – jedenfalls mußte ich auf Überfälle vorbereitet, beständig wachsam sein. Meine gute Laune verließ mich, ich wurde einsilbig und beobachtete argwöhnisch den Feind. Angestrengt lauschte ich, Bruchstücke seiner Unterhaltung mit Tilly zu erhaschen. Was ich auffing, war nun freilich keineswegs geeignet, mich zu beunruhigen; er sagte ihr artige Schmeicheleien und fütterte sie dabei mit Marzipan und Weintrauben. Dennoch machte ich mir bereits heftige Vorwürfe darüber, sie hierher geführt zu haben. Es war äußerst unvorsichtig, Heller, der mich umschlich, der meine Freunde aushorchte und nichts verabsäumte, was ihn seinem Ziele näher zu bringen versprach, es war sehr thöricht, ihn auch noch mit Tilly bekannt zu machen. Wie leicht konnte er Mißtrauen gegen mich in ihre Seele säen, schlimmer noch, sich mit Hilfe der Ahnungslosen über mein zukünftiges Thun und Treiben unterrichten! Unbändige, kindische Eitelkeit, die Sucht, mit meiner bildhübschen Braut zu glänzen, hatten mich dazu verführt, sie in diesen Kreis zu bringen, aber ich gelobte mir, Tilly von nun an allen solchen, überhaupt nicht für sie passenden Vergnügungen fern zu halten und auf meine eigene Sicherheit ängstlicher bedacht zu sein.

Nach aufgehobener Tafel zerstreute sich die fröhliche, lebhaft angeregte Gesellschaft im Salon, man rauchte, schwatzte, trieb Possen, musizierte; dazwischen wurde unermüdlich champagnert. Heller hob einmal über das andere, mir zutrinkend, sein Glas. Ich aber hütete mich davor, ihm Bescheid zu thun; ich führte den Kelch zwar zum Munde, nippte aber nur immer von dem gefährlichen Weine. Mein Instinkt, mein Mißtrauen sagten mir, daß er sich heute die größte Mühe geben würde, mich zu gewinnen oder mich zu überrumpeln, daß ihm der Wein dabei Kupplerdienste leisten sollte. Ich war also auf meiner Hut. Er plauderte mit dem schwarzlockigen Dichter, der ihn gebeten hatte, einen befreundeten Theaterdirektor für sein Drama zu interessieren; auf einen Wink ihres Mannes war Frau Kutzner zu den Beiden hinübergerauscht und nahm, laut und übermütig genug, an dem Gespräche teil. Es schien, als buhlten alle um Hellers Gunst und neideten sich ihn einander; er war die Sonne, um die sich diese kleinen Sterne drehten. Da Wethorn den übrigen Damen, auch Tilly, den Hof machte und sie, dank seinem wirklich prachtvollen, blonden Vollbart, auch aufs beste unterhielt, glaubte Kutzner sich mir widmen zu müssen. Der amüsante, kleine Kerl, der die Posen der anderen cynisch verschmähte, gefiel mir weit besser als seine Nebenbuhler, die ihr Schmarotzertreiben heuchlerisch und großsprecherisch zu verbergen suchten.

»Das ist so Einer, der unaufhörlich entschlossen für Wahrheit, Ideale und Trinkgelder schwärmt,« sagte er lässig, auf Silberthal deutend, dessen Vertrautsein mit Heller ihm durchaus mißfiel. »Aber er macht seinen Weg, Wort darauf. Für das abendfüllende Unglück, das er Drama nennt, findet er schon einen Unglücklichen, und dann ist sein Glück geschmiedet. Denn von den vierzehntausend Maßgebenden, die in Deutschland rezensieren, sind ihm neuntausend intim befreundet, und mit den übrigen fünftausend duzt er sich doch wenigstens.«

»Sie gehen mit den Jüngern der großen Kunst streng ins Gericht –«

»Ach Gott, wenn man in diesen Kreisen von großer Kunst spricht, dann handelt es sich notwendig um die große Kunst, Geld zu verdienen, und um die noch größere, dem Staatsanwalt zu entgehen. Das natürlich cum grano salis! Aber –«

»Ich wundere mich, daß Herr Heller –«

»Sich mit uns abgiebt, meinen Sie?« vollendete er lachend den Satz. »Nun, auch Ungeziefer hat dem Löwen schon geholfen; Mäuse zerbeißen Stricke, wissen Sie.«

»Ich verstehe nicht.«

»Und, was mich anbelangt – ich arbeite für ihn und bin hier nicht ganz unnütz –«

»Sie führen seine Börsenordres aus?« fragte ich aufs Geratewohl.

»Ja, auch das. Hauptsächlich aber« – er blickte sehr stolz darein – »berate ich ihn bei allerhand Gründungen, die in der Luft liegen.«

»Heller spekuliert also wirklich?«

»Sie sind aber, verzeihen Sie, Herr Doktor, noch ein rechtes Kind! Welcher gebildete Mensch spekuliert denn nicht?«

»Und hoch? Mit Glück?«

»Es geht. Das Glück ist eine leichte Dirne, sie weilt nicht gern an einem Ort!« summte er vor sich hin.

»Alles, was wir lieben!« rief jetzt Heller, sein Glas schwenkend. Kutzner lehnte den Finger auf den Mund, wir stießen an und tranken.

»Herr Heller hat also bei seinem Spekulieren Malheur?« fragte ich weiter. »Sie entschuldigen schon, wenn ich Sie ausforsche, Herr Kutzner – selbstverständlich halt' ich reinen Mund – aber Ihre Antwort könnte mir mancherlei in Heller's Betragen erklären.«

»Denken Sie, was Sie wollen,« sagte der Kleine, das glatte Schauspielergesicht in lustige Falten legend. »Wissen Sie, wer das Gelübde ewiger Armut streng innehalten und doch nicht ins Franziskanerkloster gehen will, der braucht nur die Börse zu besuchen. Damit basta. Reden wir von 'was anderm.«

Eben hatte sich die Gruppe uns gegenüber erhoben, Heller und Silberthal kamen auf uns zu.

»Sie lassen sich wohl von dem Herrn Doktor über die rote Tinktur unterrichten?« neckte der Dichter seinen Feind. »Kutzner ist sehr für's Mittelalter,« setzte er wie erklärend hinzu. »Besonders die ollen Raubritter haben's ihm angethan, die ganz ohne Anwendung von Schlußscheinen stehlen durften.«

»Daß Sie ein glühenderer Verehrer vergangener Jahrhunderte sind als ich, zeigt doch deutlich Ihre jüngste Geliebte,« gab Kutzner schlagfertig zurück. »Über das Mittelalter sprachen wir ganz und gar nicht. Wir suchten vielmehr einen passenden Namen für Ihre neuen Gedichte.«

»Welchen haben Sie denn gefunden?« fragte Heller, der einen Witz vermutete und sich an den beiden Kampfhähnen ergötzte.

»Simsons Locken' sollen sie heißen.«

»Wieso denn?«

»Nun – weil ihnen auch niemand mit der Scheere zu nahe kommen wird.«

»Rinaldo, ich warne dich!« sagte Silberthal, hastig sein Sektglas füllend, daß es überlief. »Derartige Witze heben Sie doch für die Abruzzen auf, wenn Sie Ihr Kommissionsgeschäft erst dahin verlegt haben.«

»Ich danke für diesen Scherz im Namen des abwesenden Verfassers. Solche Späße hätten Sie im Haine Mamre erzählen müssen; Sarah lachte ja gern, ohne den geringsten Grund zu haben.«

»Hören Sie 'mal – das – ich verbitte mir –«

»Nur keine Erregung!« legte sich Heller ins Mittel.

»Ja, brechen wir lieber ab!« übertrumpfte Kutzner den Gegner mit einem bezeichnenden Blick auf das schon wieder geleerte Champagnerglas Silberthals. »Von ihm ist eine nüchterne Auffassung der Sachlage heute doch nicht mehr zu erwarten.«

Heller nahm mich lachend unter den Arm: »Kommen Sie – hier wird's zu bunt für zwei Vernünftige!« und zog mich durch den Salon fort in ein lauschiges, mit Teppichen reich geschmücktes Nebenzimmer. In der Fensterecke stand eine hochsäulige Lampe, deren mildes, rotes Licht die Dämmerung stimmungsvoll unterbrach und die prächtigen Ruhesitze, Palmen, marmornen Kunstwerke mit märchenhaftem Glanz übergoß.

Ich hatte recht daran gethan, im Weingenuß enthaltsamer als alle anderen zu sein; jetzt brauchte ich mich vor der höllischen Schlauheit des Feindes nicht zu fürchten. Und nur eins that mir leid: daß ich sein Gast war und ihn nicht so zurückweisen konnte, wie es mich gelüstete, daß ich sein Untergebener war und wenigstens heute, morgen noch meine Wut zügeln mußte.

Wie er mir jetzt gegenübersaß, anscheinend auf den Lärm der ausgelassenen Gesellschaft drinnen horchend, auf ihr helles Lachen, ihren Singsang, und doch eingebohrt in einen Gedanken, verzehrt von einer brennenden Begier – was hätt' ich darum gegeben, jetzt die Maske fallen lassen zu können, jetzt die Entscheidung zu erzwingen! Diese fortgesetzte Lüge, diese unwürdige Verstellung, zu der er mich zwang, dieser tückische Buschkrieg – sie rieben mich auf, sie entwürdigten mich vor mir selbst. Mich ekelten seine ewigen, geheimnisvollen, nur mir verständlichen Anspielungen an; mit Grauen gedachte ich des morgigen Tages, wo ich auf meinen Platz im Laboratorium zurückkehren mußte, auf diesen Platz, der mir erst alles Glück zu versprechen schien und der mir jetzt zur Folterbank geworden war. Ich hatte mich bislang bezwungen, die kochende Raserei in mir nicht zum Ausbruch kommen lassen, hatte ihm eine freundliche Miene geheuchelt, aber nun stand ich nicht länger für mich ein. Nach Gewißheit schrie alles in mir, nach Sprengung dieser erbärmlichen, drückenden Fesseln.

»So einsilbig, Herr Doktor?« fragte er plötzlich. »Was beschäftigt Sie?«

»Sagen Sie mir Ihre Gedanken – und Sie haben die Antwort.«

Heller richtete sich aus seiner bequemen Lage auf und sah mich ungewiß an. »Das klingt rätselhaft. Von einem glücklichen Bräutigam sollte man erwarten, daß all sein Sinnen das Bräutchen ausfüllt – aber weshalb Sie von mir Gleiches erwarten –«

»Ich dachte eben an Erck!« stieß ich, in der Hoffnung, ihn zu überraschen, hervor.

»Sehen Sie, sehen Sie – das Problem interessiert Sie auch so allmählich!« rief er lebhaft, mit gut gespielter Freude. »Ich weiß ja, ich ziehe Sie noch zu mir hinüber.«

»Mag sein. Aber welches Problem meinen Sie?«

Er lächelte. »Immer die Wissenschaft vom Golde.«

»Nun, da sind Sie im Irrtum.« Nur jetzt keine feige Furcht! Nur jetzt vorwärts! Die Stunde war da. »Ich grübelte mir eine Hypothese über den Mord aus, über den Mord an sich, ohne jede Verbindung mit der Tinktur.«

»So?« Er that enttäuscht. »Das sollten Sie doch dem hohen Kriminal überlassen.«

Ich wandte die Augen nicht von ihm ab. »Sind Sie so wenig begierig, meine Hypothese zu hören?«

»Na ja – davon liest man doch genug in der Zeitung,« versetzte er. »Der langweilige Mord, der ist mir gleichgültig. Der Thäter, der wäre schon interessanter!« » Der Thäter?« betonte ich scharf. »Ich glaube, es waren mehrere. Ich habe ganz bestimmte Gründe für diese Annahme.«

»Mehrere? Hm.« Selbst dieser Schlag brachte den gefährlichen Mann keinen Augenblick aus der Fassung. »Lassen Sie doch hören. Ich wußte bisher immer nur von Einem. Wenn es sich wirklich um mehrere handelt – hören Sie, das würde ja die Nachforschungen nach dem Verbleib der Tinktur wesentlich erschweren!«

»Erinnern Sie sich, daß man an der Korridorwand Blutspuren gefunden hat, Herr Heller?«

»Ganz recht. Ganz recht. Der Mörder hat sich an der Wand entlang getastet.«

»Zu welchem Zweck? Was hatte er auf dem entlegenen Boden zu suchen, wo die Treppe doch gleich von der Wohnung Ercks hinunterführt?«

»Sie kennen die Situation so genau?«

»Natürlich. Ich habe die Skizze in der Zeitung gesehen und gründlich studiert.«

»Sie glauben ... Ja, was folgern Sie nun daraus?«

Meine Wangen brannten. »Sehr einfach. Der Mörder wurde bei der That gestört. Er hörte jemand anders die Treppe hinaufkommen, verließ schleunigst die Wohnung und verbarg sich hinten im Korridor. Bei der Erinnerung an das Schreckliche übermannte mich ein Grausen, ich stockte und stierte vor mich hin.

»Ach so.« Seine Stimme weckte mich aus verlorenem Brüten. Keine Muskel seines Gesichtes zuckte; nur gewöhnliche Spannung, wie sie jedermann bei solchen Ausführungen empfinden würde, lag auf den häßlichen Zügen ausgeprägt.

»Sie glauben, daß die Flecken an der Wand so entstanden. Nun ja, das wäre eine Erklärung – sogar 'ne ganz einleuchtende. Ihre kriminelle Phantasie verdient alle Hochachtung. Aber nun weiter.«

»Jetzt kam der andere leise die Treppe hinauf –«

Er lächelte. »Sie Dichter! Also auch leise?«

Ich blickte ihn verwirrt an. »Natürlich leise. Er betrat die Wohnung –.« Ich sprach mit ungeheurer Anstrengung; die Worte wollten mir nicht von den Lippen, dabei verließen meine brennenden Augen keine Sekunde lang sein Antlitz.

»Der andere, das war der Gehilfe, meinen Sie?«

Ich war um eine Antwort verlegen und stotterte nur: »Von einem Gehilfen ist nicht die Rede. Vor dem wäre er ja nicht geflohen. Es muß ein anderer, ihm ganz Fremder, denselben Plan wie er gehabt haben ... und der Zufall oder Gründe, die wir nicht kennen, oder eine Verkettung von Umständen führte sie beide an demselben Abend zu ihrem Opfer, ohne daß sie voneinander wußten –«

Heller lachte laut auf. »Duplicität der Ideen! Vorzüglich! Entschuldigen Sie – aber jetzt beginnt Kolportage-Roman. Ich erkläre mir das alles viel einfacher. Der Mörder hörte Geräusch, bekam es, wie ganz selbstverständlich, mit der Furcht zu thun, schlüpfte hinaus und wartete, bis die Gefahr vorüber war.«

Ich wußte nichts zu erwidern.

» Ein Mörder war, ein einziger!« fuhr Heller sehr bestimmt fort. »Was sich aus Ihren Beobachtungen schließen läßt, ist nur, daß ein sehr feiger und seines Handwerks noch ungewohnter Bursch die That begangen hat.« Obgleich ich zu Boden sah, glaubte ich seinen hämischen, schadenfrohen Blick zu fühlen; ich war geschlagen, der Schwächere im Vergleich mit diesem Eisenharten, Unerschütterlichen.

»Sie sind ein kluger Mann, Doktor«, sagte Heller gemütlich, »aber für 'nen Polizisten haben Sie zu viel ungebändigten Poetenschwung. Bleiben Sie ruhig bei der Chemie. Haben Sie vielleicht schon einmal an mein mißglücktes Experiment gedacht? Heute prüfte ich die Krystalle wieder aufs allergründlichste, vom Morgen bis in den späten Nachmittag hinein – sie halten im Königswasser Stand wie Iridium. Es bilden sich auch keine neuen mehr, trotz aller Mühe, die ich mir gab. Ich schmolz die Hälfte von ihnen mit doppelt so vielem Wismut ein, es ging prachtvoll; aber nachher bei der Fällung trennten sie sich wieder von ihm, nur daß die einzelnen Körner jetzt ein zusammenhängendes Klümpchen bildeten. Hier ist ein Wunder – glaubet nur!«

»Löste sich die Mischung in Salzsäure?«

»Ja.« Er zögerte, fortzufahren. »Aber es dauerte das immerhin ein hübsches Weilchen.«

»Wollen Sie nicht einmal die Tingierung mit Blei und Quecksilber versuchen?«

»Sie glauben also wirklich?«

»Gar nichts glaube, ich. Aber wenn Sie die Tinktur gefunden zu haben hoffen, dann müssen Sie sie doch auch auf diese Metalle wirken lassen – sonst sind alle Ihre Bemühungen zwecklos.«

»Vielleicht haben Sie nachher ein Stündchen Zeit, Herr Doktor? Von den Herrschaften drinnen werde ich uns rasch zu befreien wissen.«

»Meine Braut kann nicht allein nach Hause gehen.«

»Unsinn, Unsinn!« rief er erregt, mit vor Gier und Erwartung funkelnden Augen. »Ich lasse für das Fräulein den Wagen anspannen. Das soll Sie nicht hindern!«

»Außerdem bin ich allzu übermüdet,« lehnte ich rasch ab. Ein böses, drohendes Zucken überflog sein Gesicht, die Stirnader schwoll an, und die Lippen waren eng auf einander gepreßt.

»Schade!« sagte er dabei. »Jede Minute ist kostbar, unwiederbringlich, unersetzlich. Ich weiß nicht, wie nahe andere der Erfindung sind, ich weiß nur, daß auch andere um sie ringen, und ich will nicht, daß sie einen Vorsprung gewinnen, ich will nicht. Sie ahnen ja nicht, Doktor,« und seine Stimme klang wie beschwörend, er sprang auf und trat dicht an mich heran – »wie ungeheuer viel von dieser Operation abhängt. Helfen Sie mir, Doktor, helfen Sie mir« – er flüsterte es, heiser vor Erregung – »oder, bei Gott, ich hasse, hasse Sie, wie ich noch keinen Menschen auf der Erde gehaßt habe!« Sein Gesicht war rot, alle Muskeln darin bebten, als er mir zischend diese Worte entgegenschleuderte.

Da lag die Kriegserklärung, die ersehnte. Aber ein leises Grauen wandelte mich an, vor dieser infernalen Leidenschaft, dieser Tigergier nach Unerreichbarem, Unmöglichem, die nun vulkanisch, glühend und flackernd, hervorbrach. Da stand er, der glatte, feine, kluge Lebenskünstler, in ein Raubtier verwandelt, das über Leichen ging und zu Boden schlug, was sich ihm entgegenstellte.

»Drohungen verfangen nicht bei mir, Drohungen nicht!« antwortete ich, Gelassenheit und Ruhe heuchelnd. »Von dieser Seite sollten Sie mich bereits kennen. Aber ich freue mich, daß Sie endlich zu ehrlichen Waffen greifen. Bis jetzt konnte ich Ihnen nicht vertrauen ... Aber seien Sie vorsichtig, man wird sonst doch noch auf uns aufmerksam; Sie sind furchtbar aufgeregt.«

Er umklammerte den Tisch, an dem er stand, daß die Nippsächelchen darauf zitterten und klirrten; er starrte mich wütend an.

»Ich bin ehrlich. Sie nicht. Ich habe mich in Ihnen getäuscht, ich habe es gut mit Ihnen gemeint, Sie meinten es schlecht mit mir. Aber Sie sind nicht klug genug, mich zu hintergehen. Sie haben sich verraten, all' diese Zeit über. Sich verraten, ohne daß Sie es ahnten. Lassen Sie es nicht zum Äußersten kommen!«

Und jene Falte zwischen den Brauen, von der Tilly sagte, daß sie ihm eine gewisse Ähnlichkeit mit mir verleihe, vertiefte sich und gab dem finsteren, unschönen Gesicht ein dämonisches Aussehen.

»Ich kenne den Weg!« knirschte er, »aber Sie sind mir zuvorgekommen. Der Zufall war Ihnen günstiger als mir, doch unterschätzen Sie mich deshalb nicht! Noch einmal biete ich Ihnen meine Hand, zum letztenmal –«

»Ich fürchte Sie nicht. Ich bin kein Kind, das man einschüchtern kann. Thun Sie nach Ihrem Gefallen.«

»Und Sie leugnen nicht, daß Sie die Tinktur besitzen?« schrie Heller, seiner selbst nicht mehr mächtig. »Sie gestehen es zu – ja? Aber Sie lügen ja – Sie sind ein Stümper, wie wir alle – schlimmer noch, ein Schwindler, ein renommierender Charlatan! Ach, Sie! Wenn Sie die Tinktur hätten – ach, lächerlich!«

Ich zuckte nur hochmütig die Achseln.

So standen wir uns gegenüber, Brust an Brust, unser heißer Atem berührte sich, unsere Augen brannten ineinander, aber keiner sprach ein Wort. Jeder ein wilder, ein starker Verbrecher, nein, ein Wahnsinniger jeder, wir beide zwei wahnwitzige Narren, die sich in einen giftigen Gedanken verbissen hatten, ihn nicht mehr los ließen und sich darum zerfleischten. Einer von uns beiden mußte sterben – zu furchtbar war das Geheimnis, als daß zwei Menschen von ihm wissen durften.

* * *


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