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Jonas hatte mich nach der Vorstellung väterlich wohlwollend eingeladen, mit ihm und den Damen ein benachbartes Weinhaus aufzusuchen und mir auf meine ablehnende Antwort, deren eigentlichen Grund er nicht ahnen konnte, halblaut zugeflüstert: »Sie sind natürlich mein Gast –,« aber ich selbst besaß noch nicht so viel Herrschaft über mich, um einen vernünftigen Vorwand für meine Weigerung ersinnen zu können. Der Fabrikant glaubte, daß es mir noch immer an Geld fehlte, und daß ich deshalb allem kostspieligen Luxus ängstlich aus dem Wege ging; er traf damit meine Eitelkeit an ihrer empfindlichsten Stelle, und ich hätte ihn unter allen Umständen eines Besseren belehrt, wenn ich nicht noch immer ganz außer mir vor Schreck und Entsetzen gewesen wäre. Ercks Mörder verhaftet! Ich verstand dies furchtbare Possenspiel nicht mehr. Welch eine neue Teufelei bereitete sich da vor? Zitternd vor Ungeduld und toller Erregung, mit glühendem Kopfe, keiner anderen Vorstellung fähig, saß ich neben Hilde, wütend, wenn sie mir im Flüstertone ein paar Worte zuwarf, unsinnige Antworten auf Fragen gebend, die ich nicht hörte, nicht begriff. Mich dürstete in dieser Höllenglut nach frischer, klarer, eiskalter Winterluft, nach Einsamkeit und Ruhe, in der ich meine Gedanken sammeln konnte; es bereitete mir unbeschreibliche, unerträgliche Qualen, mich diesen Menschen gegenüber verstellen, mit ihnen über lächerlich gleichgültige Dinge plaudern zu müssen, während das Verderben schon die glühenden Klauen nach mir ausstreckte. Vor wenigen Minuten noch hatte ich's mir so wundersam schön vorgestellt, an Hildens Seite durch die winterliche Straße dahin gehen und ihr zeigen zu dürfen, was für ein gescheiter und überragender Mensch ich war; jetzt haßte ich das Mädchen beinahe wegen seiner neugierigen, unermüdlichen Geschwätzigkeit, widerten mich die lächerlichen beiden Alten an.

Der Vorhang war zum letztenmale gefallen, und ich sann nur über eins nach: wie ich meinen Begleitern auf die schnellste Weise entkommen könnte.

»Sie sind zerstreut, Herr Doktor,« sagte Frau Bertha sehr ungnädig, als ich eine flüchtige Bemerkung nicht auffing, sondern schweigsam, traumverloren zu Boden starrte. »Fehlt Ihnen etwas?«

»Ja wohl«, erwiderte ich eiligst, die günstige Gelegenheit benutzend. »Gewiß. Ich leide an gräßlichem Kopfschmerz. Sie müssen mich schon entschuldigen.«

Hilde trat rasch näher. »Sie sehen auch wirklich sehr bleich aus. Sie arbeiten gewiß zu viel, Herr Doktor.« Das herzliche Mitleid und die rührende Besorgnis, die auf ihrem schönen Angesicht ausgeprägt lagen, hätten einen rohen Barbaren bezaubert, hätten mich vor einer halben Stunde in einen Rausch seligsten Entzückens versetzt, aber nun blickte ich ihr stumpf und teilnahmslos ins Antlitz. »Das mag sein. Ich will mich nur rasch empfehlen. Ich fürchte, ich werde krank.« Die letzte Wendung war sehr unbedacht, denn nun bestand Jonas darauf, mich nach Hause zu bringen. Ich konnte ihm nicht entschlüpfen, ich mußte auch diese Marter noch ertragen. Unterwegs raffte ich mich zusammen, zwang die tobenden Gedanken gewaltsam nieder und ließ mir von Jonas ausführlich erzählen, was er in seinem Abendblatte über den Mörder gelesen hatte. Frau Bertha erging sich in unaufhörlichen Ausrufen des Entsetzens über den Verruchten. Der Verhaftete hatte bereits eingestanden, am Tage des Mordes in der Wohnung Ercks gewesen zu sein. Ein Buch, das ihm gehörte, fand sich im Zimmer des Professors vor; durch einwandfreie Zeugen wurde erwiesen, daß er sehr freundschaftlichen und vertrauten Verkehr mit Erck pflog, der Hausbesorger erkannte in ihm mit aller Bestimmtheit den Mann wieder, dem er am Morgen des verhängnisvollen Tages auf der Treppe begegnet war. Dies alles stellte der Verhaftete denn auch keineswegs in Abrede, leugnete aber mit aller Entschiedenheit, länger als bis zwei Uhr nachmittags bei Erck gewesen zu sein oder ihn gar abends wiedergesehen zu haben. Er gab an, daß Erck sich gern mit allerhand chemischen Spielereien befaßt hätte und daß sie dadurch einander näher gekommen wären. Niemals habe er aus seinem Umgang mit Erck ein Hehl gemacht, habe sich unzählige Male öffentlich mit ihm sehen lassen und seine Besuche selbstverständlich erwidert. Er nannte seine Festnahme eine grenzenlose Dummheit, verschwur sich, den Alibibeweis antreten zu wollen und schien auch sonst, den Zeitungsnachrichten zufolge, dem Untersuchungsrichter mit großer Keckheit gegenüberzutreten.

»Wie alle diese ausgetragenen Burschen!« fügte Herr Jonas hinzu. »Sie werden ihn schon niederkriegen. Im Abendblatte steht, daß bereits neues, erdrückendes Beweismaterial gegen ihn vorliege.«

»Das wäre wünschenswert!« meinte ich. »Denn bis jetzt scheint er mir in der That so unschuldig an der Sache, wie Sie und ich.«

»Lieber Freund,« bemerkte Martin Jonas gewichtig, die behandschuhte, mächtige Rechte an sein Doppelkinn legend. »Mißtrauen scheint nicht Ihre Stärke zu sein. Ich habe vom ersten Augenblick an den Eindruck gehabt, der Kerl ist der Gesuchte.«

»Schon wegen des Cognacs, nicht wahr, Papa?« neckte Hilde. »Wie ärgerlich, wenn du ihn ganz umsonst getrunken hättest!«

Endlich ließen sie mich vor meinem Hause allein. Frau Bertha befahl mir noch, ja brühend heißen Kamillenthee mit Pfefferminz zu trinken, und Hilde bat mich, meine Hand einen Augenblick festhaltend, mich ja recht zu schonen.

*

Ich hatte es vorher gewußt; in den wilden Träumen, die mich die ganze Nacht hindurch beunruhigten, hatte ich immer wieder sein verhaßtes Bild gesehen, und beim Erwachen war mir so unsäglich elend und krank zu Mute, daß ich mit der blöden Gleichgültigkeit eines auf Lebenszeit Eingekerkerten allem Kommenden entgegensah. Meine Wirtin teilte mir in aller Frühe umständlich mit – sie hatte sich nicht einmal die Zeit genommen, ihr Haar zu ordnen und ihr schmieriges Hauskleid wenigstens ordentlich zu befestigen – daß gestern abend ein sehr vornehmer, feiner Herr nach mir gefragt hätte und daß er heute morgen um neun Uhr wiederkommen wollte. Ich schwankte, ob ich der Begegnung nicht lieber ausweichen sollte; hatte ich mit ihm doch nichts, nichts mehr zu schaffen, hatte er durch sein brutales Vorgehen doch das letzte Band zwischen uns zerrissen. Aber ich bedachte auch, daß er mir die Flucht mit Recht als Feigheit deuten, daß er dann nur siegesgewisser werden und doch Mittel finden würde, eine Aussprache zu erzwingen. Nein, was ich mir vorgenommen, wollt' ich durchführen, Aug' in Aug' mit ihm den Strauß ausfechten und, wenn ich denn unterliegen sollte, recht wie ein Held fallen. Ich war diesem gefährlichen, rücksichtslosen Schurken vielleicht nicht gewachsen, hätte vielleicht klüger daran gethan, mit meinem Schatz an einen Ort zu fliehen, wo er mich nicht finden konnte, doch ich wußte meine Ehre auf dem Spiel, mochte ihm wenigstens den Triumph, mich feige gesehen zu haben, nicht gönnen.

So gut es in der Eile ging, brachte ich mein Zimmer in Ordnung, versicherte mich, bei verriegelter Thür, daß die verräterischen Kleidungsstücke noch an ihrem Platze, zu unterst im Schranke, lagen und daß niemand die Tinktur angerührt hatte. Dann legte ich Bücher und Schreibzeug säuberlich vor mich hin und begann, immer auf Schritte draußen horchend, zwecklos Ziffern auf's Papier zu malen.

Er ließ nicht lange auf sich warten. Wie ich ihm die Thür öffnete, war ich fast erstaunt über den veränderten Ausdruck seines Gesichtes: es zeigte keine Spur des überlegenen weltmännischen Spottes, der eisigen Ruhe, um die ich ihn immer so beneidet hatte. Ja, mir war, als hafte seinem Blick heute etwas wie leichte Befangenheit an, als wollte er es vermeiden, mich gerade anzusehen. Er blieb auf der Schwelle stehen und lächelte leise. »Sie werden mir böse sein. Sie haben allen Grund dazu. Aber wir sind beide Hitzköpfe, ich der größte, und weil ich mein Unrecht einsehe, komme ich zu Ihnen.«

Ich forderte ihn mit einer Handbewegung auf, einzutreten und rückte ihm einen Stuhl hin.

»Schon so fleißig?« fragte er, auf den Tisch deutend. »Ich muß sagen, Sie imponieren mir immer mehr.« Fast schämte ich mich jetzt der geckischen Pose, die ich ihm gegenüber anzunehmen willens gewesen war; ich klappte die Bücher zu und schob das bekritzelte Papier in den Tischkasten. »Kommen wir zur Sache, Herr Heller. Was führt Sie her?«

Er zögerte mit der Antwort und rückte mit seinem Stuhle näher zu mir heran. »Erschweren Sie mir die Aufgabe nicht zu sehr,« bat er. »Sie wissen recht gut, daß ich Ihnen Versöhnung bieten will.«

»Versöhnung?« fragte ich schneidend, mit einem Lächeln der Verachtung. »Wozu das? Wir gehen verschiedene Wege, haben verschiedene Ziele. Nichts ist, das uns einander näher bringt, nichts Gemeinsames. Ich will nicht unhöflich sein, aber glauben Sie nicht, daß wir uns besser verstehen, wenn wir uns nicht mehr um einander kümmern?

»Sie dürfen mir getrost alle Grobheiten sagen, die Sie auf dem Herzen haben,« meinte er, mit einem Versuch, zu scherzen. »Aber im Ernst, lassen Sie uns als vernünftige und beiderseits auf ihren Vorteil bedachte Männer sprechen. Ich bereue es aufrichtig, so heftig gegen Sie gewesen zu sein. Aber auch Sie sollten Ihre persönliche Empfindlichkeit bezwingen. Doktor, glauben Sie mir, wir sind für einander bestimmt. Wir ergänzen uns, und arbeiten wir zusammen, so –«

»Das entwickelten Sie mir schon wiederholt,« unterbrach ich ihn. »Lassen wir doch die Einleitung. Sie möchten mit mir über die allerneueste Wendung im Falle Erck sprechen. Nun, ich bin gespannt.«

»Ja, nicht wahr?« rief er eifrig. »Aber ich wußt' es ja, diesmal würde es selbst der Polizei gelingen, dem Thäter auf die Spur zu kommen. Freilich, ich will es offen gestehen, mir ist damit eine ganze Reihe vielleicht allzu phantastischer Hoffnungen und Pläne verflogen. Auf was für närrische Ideen man doch gerät, wenn man einer einzigen Idee nachjagt ... Mir wär' es lieber gewesen, ich hätte den Kerl herausgefunden, faktisch. Weiß Gott, ich hätt' ihn nicht ins Gefängnis gebracht – aber gewiß nicht!« Er lachte. »So ein kostbares Geschöpf wie der –«

»Sie halten ihn also ebenfalls für unschuldig?«

»Unschuldig? Der? Na hören Sie! Nein, das ist der Gesuchte, kein Zweifel mehr. Das wäre mir indessen vollkommen gleichgiltig. Schließlich, so ein Mord – jeder von uns kann in die Lage kommen. Es klingt ja fürchterlich, aber nur für den Moralspießer. In unserer Verzärtelung überschätzen wir den Wert von so 'nem bißchen Menschenblut hundertfach.« Er zwinkerte mit den Augen, wie er das mit sonderbar gedämpfter Stimme sagte. Und es überlief mich heiß, das Blut stieg mir zu Kopfe – ich konnte mich nicht dagegen wehren, widerwillig, mit knirschender Wut spürte ich die unheimliche Gewalt, die er heut' wie gestern auf mich ausübte, er, der Mitwisser.

»Ich bin der Meinung, es ist ihm nichts zu beweisen,« sagte ich nach einer Weile verstört.

»Nun bitt' ich Sie aber! Gucken Sie doch nur in die Zeitung! Der Knabe ist gefangen, wie der Fuchs in der Falle. Dieser Narr! Wozu leugnete er denn erst, am Abend bei dem Alten gewesen zu sein? Es ist ein Zeuge gekommen, der hat ihn aufs bestimmteste rekognosziert. Abends kurz vor zehn Uhr hielt er sich bereits im Flur des gegenüberliegenden Hauses auf, ist dann über die Straße gegangen und im Hause Ercks verschwunden. Das steht positiv fest. Der Zeuge beschwört, daß jeder Irrtum ausgeschlossen sei. Und sehen Sie – unser Freund kann genau nachweisen, wo er bis sieben Uhr gewesen ist. Von da an verläßt ihn sein Gedächtnis. Herumgebummelt will er sein. Herumgebummelt im abscheulichsten Winterwetter, im wütendsten Schneetreiben. Dumm, nicht wahr?«

»Gar nicht dumm. Ich selbst pflege das zu thun, und mit wahrer Lust. Ich kann Ihnen gar nicht beschreiben, welches Vergnügen es mir macht, durch die im Laternenlicht glänzende ... Aber lächerlich!«

»Ihnen traute man solche Späße schon eher zu,« bemerkte Heller. »Aber unpraktisch ist es doch. Denken Sie nur, es passierte Ihnen ein Malheur –«

»O, was das anbelangt, sei'n Sie unbesorgt!« fiel ich ihm überlaut in die Rede. »So unklug –.« Ich unterbrach mich, ich war wieder im Begriff gewesen, eine große Thorheit zu begehen.

»Übrigens, wenn ich ehrlich sein soll – für den Abend könnte ich selber mein Alibi nicht beweisen,« fuhr Heller fort, auf seine feinen Hände blickend. »Man führt ja nicht über jede lustig verlotterte Stunde ein Tage- und Hauptbuch.«

Ich sah ihm plötzlich scharf ins Gesicht, aber er ließ sich nicht einschüchtern, obgleich er die fürchterliche Anklage, die ich ihm entgegenschleudern wollte, von meinem Munde ablesen mußte.

»Immerhin ist es gut, wenn man sich für alle Fälle sichert,« setzte er dann trocken hinzu.

»Gewiß. Der arme Bursch, den sie eingesteckt haben, giebt uns in dieser Hinsicht eine gute Lehre.«

»Sie wollen doch nicht sagen, daß Sie ihn noch immer für unschuldig halten?«

»Das will ich freilich.«

»Sie sind sehr hartnäckig, wahrhaftig,« lächelte Heller. »Es muß ein Vergnügen sein, Sie zum Geschworenen zu haben. Wenn unser Schützling sich eines guten Gewissens erfreut, warum verstrickt er sich dann in so alberne Widersprüche? Warum leugnet er zum Beispiel, Apparate und andere Gegenstände zu besitzen, die früher Erck gehörten? Man hat sie doch in seiner Behausung gefunden! Konnte er nicht in aller Seelenruhe aussagen, daß Erck sie ihm geschenkt habe? Nichts plausibler als das! Und nun stellt er einfach alles, auch das Selbstverständlichste, in Abrede!«

»Das scheint mir eben der durchschlagendste Beweis für seine Unschuld. Die Anklage kam ihm so überraschend, daß er noch wie von Sinnen ist und ganz instinktmäßig sein Heil im Leugnen sucht. Glauben Sie mir doch, der wirkliche Thäter, der hat seine Vorbereitungen so gut getroffen, daß ihm niemand auf die Fährte kommen kann.«

»Die Spuren eines Mordes lassen sich nicht verwischen wie die Folgen einer tollen Nacht,« sagte Heller sentenziös. »Ich meine, der Verbrecher verrät sich schon durch seine Geschäftigkeit, den Verdacht auf andere zu lenken, durch seine Unruhe, ja durch seine Blicke.«

Er nahm das alte Spiel wieder auf. Er wollte mich glauben machen, daß er weit davon entfernt wäre, irgend welchen Argwohn gegen mich zu hegen. Ein Unbehagen, das mich anwandelte, tapfer niederkämpfend, entgegnete ich ihm einfach:

» Sie würden sich dadurch nicht verraten, Sie sind so vollkommen Herr Ihrer selbst ... Warum sollt's ein anderer nicht auch sein? Und sagen Sie – hat man bei dem Manne sonst nichts gefunden, was gegen ihn zeugte?«

»Ich wüßte nicht. Aber es genügt mir –«

»Blutige Kleider beispielsweise, Blutspuren in der Wäsche?«

»Davon ist nichts bekannt geworden. Nebenbei scheint mir diese Möglichkeit auch ausgeschlossen. Es sind doch schon mehrere Tage über der That vergangen, und in der Zeit konnte er sich aller verräterischen Zeugen bequem entledigen. Denn das ist doch das erste – solche schreckliche Beweisstücke, die einen schnurstracks und ohne Gnade an den Galgen bringen, beseitigt man noch in derselben Nacht.«

»Glauben Sie?« Ich beabsichtigte es gar nicht, aber es lag so viel Hohn und Spott in meiner Stimme, daß er überrascht aufblickte.

»Sie müssen mich recht verstehen,« fuhr ich einigermaßen bestürzt fort. »Es hat doch seine großen Schwierigkeiten, sich gewisser Dinge unauffällig zu entledigen. Verbrennen – das geht kaum. Das erweckt auf jeden Fall Verdacht. Unsereiner, der immer am Feuer sitzt, könnte das ohne Gefahr, aber ob auch andere Leute ... ich bezweifle das! Und etwas vergraben? Wer kann in Berlin solche Romantik treiben? Schließlich, was die Hauptsache ist – der Mensch wird den Alten doch nicht einiger Tiegel und Töpfe wegen niedergeschossen haben.«

»Niedergestochen, meinen Sie.«

»Oder niedergestochen! Erck muß Reichtümer besessen haben, die es verlohnten, daß jemand seinen Kopf darum wagte.«

»Vollkommen meine Ansicht, vollkommen. Sie haben's mir bisher nicht glauben wollen.«

»Nun gut – und wo sind diese Reichtümer? Hat man sie bei dem Verhafteten gefunden?«

Heller schob nervös den prächtigen Brillant an seinem kleinen Finger auf und nieder, wie er immer zu thun pflegte, wenn sein ganzes, gespanntes Interesse wachgerufen war. »Sie wissen, Doktor – es ist mir lieb, daß Sie jetzt selbst auf den Gegenstand zu sprechen kommen – in gelbem Gold und Juwelen bestand Ercks Reichtum nicht. Aber in etwas anderem, davon außer dem Mörder nur wenige, vielleicht nur mein guter Schmutzian Schneider und wir beide, wissen.«

»Und dies andere – besaß es der Verhaftete?«

»Ich glaube nicht. Die Zeitungen bringen genaue und eingehende Beschreibungen aller Objekte, die bei ihm gefunden worden sind und mutmaßlich aus Ercks Besitz stammen. Was ich suchte, war nicht darunter.«

»Sehen Sie also, daß er unschuldig ist? Die Verhaftung überraschte ihn, er hatte keinen Verteidigungsplan fertig, hatte nichts in Sicherheit gebracht – also mußte auch die kostbarste Beute noch vorhanden sein.«

»Der Mensch kann keinen besseren Verteidiger als Sie wünschen; ich möchte Sie ihm beinahe als Offizial empfehlen!« scherzte Heller. »Aber Sie ergehen sich in Trugschlüssen. Wer sagt Ihnen denn, daß er bei Erck gefunden hat, was er suchte? Sie können das um so weniger glauben, je mehr Sie wirklich der Ansicht zuneigen, daß zwei an der That beteiligt gewesen sind.«

Ich vermochte dem plötzlichen Schauer nicht zu widerstehen, der mich faßte und schüttelte.

»Sie sind doch nicht ganz auf dem Posten, Doktor,« sagte Heller besorgt. »Wir haben's doch warm genug hier.« Die Gelegenheit zu einem erneuten Angriffe schien ihm offenbar günstig. »Lassen wir nur einmal die Nebensachen. Sie sind mir weggelaufen, Doktor, und gestern wie ein Deserteur ausgeblieben. Das war unrecht von Ihnen. Und da wir so beide Schuld tragen – hier meine Hand, Doktor! Versöhnen wir uns wieder!«

Er war vom Stuhle aufgestanden und zu mir an den Tisch getreten. Ich erhob mich ebenfalls. »Sie bemühen sich vergeblich,« stieß ich rauh hervor. »Sie sollten Ihre Zeit doch nicht so unnütz vergeuden. Auf dem Wege der Überredung erreichen Sie nichts von mir, absolut nichts. So – und das ist mein letztes Wort.«

Heller schien auf diesen Ausbruch nicht gefaßt gewesen zu sein, aber er bewahrte trefflich seine Haltung.

»Ich habe Ihnen noch etwas abzubitten, von neulich,« fuhr er ruhig fort. »Ich nannte Sie in der Erregung des Augenblicks, und weil ich mich selbst dafür hielt, einen Stümper. Sie sind aber keiner, ich weiß es seit heute besser. Sie gaben mir da einen guten Rat wegen meines letzten Experimentes. Und es ist eingetroffen, was Sie gesagt haben. Ich verstehe jetzt den ursächlichen Zusammenhang. Ich mache Ihnen mein Kompliment, Meister

»Und weiter?« Ich bemühte mich, meine Furchtlosigkeit in Ton und Geberde zum Ausdruck zu bringen, aber es gelang mir schlecht.

Er stützte sich, immer dicht neben mir, mit der Hand auf den wackligen Tisch. »Ich bin Ihnen unsympathisch. Sie verabscheuen mich sogar, und was in Ihren Kräften steht, das thun Sie mir zu Leide.«

»Sie überschätzen sich wirklich in grotesker Weise, Herr Heller.«

»Ach nicht doch. Ich habe es deutlich gespürt, in diesen Tagen erst, an dem Benehmen einer dritten Person mir gegenüber. Sie kennen ja wohl Fräulein Jonas?«

»Gewiß. Aber wenn Sie annehmen – – – das ist ja zu lächerlich. Die Dame mag Sie nicht ausstehen, das ist wahr – doch glauben Sie mir, das ist Ihr ureigenstes Verdienst. Ich habe nichts dazu gethan.«

»Immerhin, Herr Doktor – und wenn Sie mich hassen, verachten und verabscheuen, wie nie ein Mensch einen anderen, es bleibt Ihnen nichts übrig, Sie müssen mit mir paktieren. Sie müssen.« Er warf das im leichtesten Plaudertone hin, aber sein Gesicht schien plötzlich um Jahre gealtert, war voller Falten und von auffallender Blässe.

»Wollen Sie nicht deutlicher werden?« Mit keiner Wimper würd' ich zucken, wenn nun der lang erwartete Schlag fiel. Wie von einem gräßlichen Gespenst befreit, würde ich aufatmen, wenn jetzt endlich Gewißheit an die Stelle des nervenzerreißenden Hin und Her zwischen Angst und Hoffnung trat.

»Deutlicher? Wo Sie mich so genau verstehen! Es liegt an mir, mit einem einzigen Worte all' Ihre Pläne zu zerstören, Ihr Besitztum völlig zu entwerten. Ich bin Mitwisser Ihres Geheimnisses, und ich –«

»Und Sie gelangen nicht in seinen Genuß, Sie nicht, und wenn ich zehntausend Leben zu opfern hätte!« schrie ich, mich vergessend und wütend die Hand wider ihn erhebend. »Gehen Sie, gehen Sie, und zeigen Sie mich an – ich fürchte das nicht, denn ich reiße Sie mit in den Abgrund.«

»Mich?« fragte er höhnisch. »Man hat Sie wohl falsch berichtet. So sehr hänge ich zum Glück von Ihnen noch nicht ab. Ich vermag mich, trotz aller Verluste, auch ohne Sie und Ihre Tinktur aufrechtzuerhalten. Da haben Sie sich verrechnet, Verehrtester, gründlich verrechnet.«

Verstand ich den Sinn seiner Worte recht? Jetzt hatte er alle Karten aufgedeckt, jetzt konnte er keine Gründe mehr haben, mich hinzuhalten und zu narren.

Er ersparte mir eine schlimme Frage; in spöttischem Triumph den Raum durchmessend, fuhr er fort: »Sie werden sich über den Erwerb der Tinktur nicht ausweisen können. Ich vermag leicht feststellen zu lassen, daß in meinem Laboratorium seit mehr als zwei Jahren rastlos nach dem Präparat gesucht wird, das Sie plötzlich, niemand weiß woher, besitzen. Sie genossen mein ganzes Vertrauen, Herr Doktor; Sie« – er griff nach seinem Hut und umfaßte mit der Rechten den Spazierstock, als erwarte er einen Angriff – »Sie wußten, daß es mir endlich gelungen war, die langersehnte Erfindung zu machen, und Sie – Sie bestahlen mich. Bestahlen mich wie ein gemeiner Dieb. Die Polizei ist sehr argwöhnisch hier zu Lande, Leuten Ihrer Art gegenüber.«

Wahrscheinlich hatte er geglaubt, daß ich mich in rasendem Zorne auf ihn stürzen würde; als ich nun schallend laut auflachte, sah er ungemein komisch aus in seiner grenzenlosen Verblüffung.

»Und das ist Ihre furchtbare Waffe?« rief ich, noch immer lachend, erfüllt von einer fast überirdischen, sonnigen Fröhlichkeit. In wesenlosem Scheine versank das Ungeheuer, das mich so grausam geängstigt, mich fast zum Wahnsinn getrieben hatte; niemand wußte um mein blutiges Geheimnis, auch dieser nicht, dieser Thor! Dieser blinde, beschränkte Narr, der mir jetzt, in der sinnlosen Erregung des Augenblickes, mit einer That drohte, die er bei ruhiger Überlegung nie wagen würde, mit einer Denunziation, deren Unwahrscheinlichkeit ihn selbst vernichten mußte! Und trotzdem ich mich in krankhafter Überreiztheit mehr als einmal selbst verraten, trotzdem meine kindische Furcht und meine Unruhe mir so oft ein halbes Geständnis entpreßt hatte, ahnte dieser von der Habgier verblendete Tölpel nicht einmal sekundenlang die Wahrheit ...

Ich pfiff ein paar Gassenhauertakte. »Sie haben mich gründlich bekehrt«, sagte ich munter, »und ich muß Ihnen so viel, so viel abbitten.« Mir war in diesem Augenblicke, nach der so ungeahnten, köstlichen Befreiung, als dürfte ich niemand mehr hassen und Feind nennen, selbst ihn nicht. »Ich hielt Sie bis jetzt für sehr gefährlich, für einen furchtbaren Gegner. Ich habe mich gründlich getäuscht. Sie sind so harmlos, so überaus harmlos.« Der Übermut plagte mich, es mußte heraus, ich wäre sonst daran erstickt. Ich mußte ihm zeigen, wer von uns beiden der Stärkere war, wer des anderen Schicksal in der Hand hielt. »Und nicht wahr ... Sie können sogar nachweisen, daß Sie in der Mordnacht nicht im Hause Ercks waren ... nein, Sie sind wirklich ganz unschuldig!«

Eine tolle Lache schüttelte mich, nahm mir fast den Atem und wollte mich nicht wieder loslassen; sie klang so wild und satanisch, klang mir selber so fremd, daß mir schien, ein Fremder stieße dies gelle Gelächter aus. Es kitzelte mich, ihm alles zu erzählen, ihm völlig klar zu machen, wie unsäglich beschränkt er war; lachend mußte ich die Versuchung abwehren, diesem Einfaltspinsel aus freien Stücken anzuvertrauen, worum er sich vergebens abmühte, was seinem Zwerggehirne ein dunkles Rätsel geblieben war und ewig bleiben würde. Ich fühlte schließlich, wie der Lachkrampf von mir wich und eine seltsame Ermüdung über mich kam; ich bemerkte, daß Heller gegangen war, und tappte mich von der Thür, die ich verschloß, zu meinem Bette hin. Eine rosenfarbene Dämmerung lag im Zimmer, und mir war, als plätschere ganz in der Ferne ein silberweißer Springbrunn, als hörte ich dazwischen Tilly's und Hilde's helles Lachen. Und dann ward es dunkel um mich her. Ich meinte, die Dunkelheit zu fühlen. Weich und wollüstig, wie schwarzer Sammet, fühlte sie sich an.

* * *


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