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Wenn ich heute, unter dem Schatten des Todes, in dessen Finsternis zwei liebe, blaue Augen tröstend hineinschimmern, jener Zeit gedenke und mir ihre Ereignisse vorübergleiten lasse, dann erschrecke ich fast vor der grellen, unauslöschbaren Deutlichkeit, womit sie sich meinem Gedächtnisse eingeprägt haben. Es ist mir, als wär' ich gestern, als wär' ich erst vor wenigen Stunden diesen Weg gewandelt, mit der gleichen, dumpfen Verzweiflung und wilden Gier im Herzen. Jedes Gedankens, jeder That, o, fast jedes Wortes entsinne ich mich aufs genaueste. Ein Feuer loderte damals in mir empor, das auch heute noch nicht verglüht ist und dessen Flammen noch heute die Vergangenheit brennendrot bestrahlen. – O du mein holdes Mädchen, dem ich alles verdanke, nicht zuletzt die heilende Friedensruhe dieser stillen Tage; du meine Heilige, deren mildes Lächeln über mir leuchtet wie Frühlingssonnenlicht und deren Thränen mich zittern machen in einem letzten, höchsten Glücksgefühl – wie vermöchte ich der wirren, sich immer wieder an mein Lager drängenden Spukgestalten Herr zu werden ohne dich! Nun aber du in meiner Nähe weilst, ängstigen sie mich nicht mehr als Theaterphantome den Zuschauer ...

Wir waren schweigend, leise wie Katzen, zum Stüblein des Alten emporgeschlichen, das im Dache lag wie meines. Als ich unterwegs auf der engen, steilen Treppe versehentlich an das Geländer gestoßen hatte, ermahnte mich mein Begleiter mit ärgerlichem Zischen zur Vorsicht. »Sie sollen sogleich erfahren« flüsterte er oben, »weshalb es für mich ratsam ist, in Zurückgezogenheit und scheinbarer Armut zu leben. Ich darf die Habgier nicht reizen, darf keinen Verdacht erwecken.«

»Aber Sie werden mir das Manuskript zeigen – Sie werden es, nicht wahr?« stieß ich flehend hervor.

Er nickte nur und öffnete dann die mehrfach und sorgsam verschlossene Thür zu seiner Wohnung.

Ein seltsames Gemach. Die schmalen, niedrigen Fenster, die auf die Straße hinausgingen, waren mit doppelten Gardinen dicht verhängt, so daß fast völlige Finsternis im Raume herrschte. Trotzdem erkannte ich nach einer Weile einzelne Gegenstände ziemlich genau. Ein Dachbalken, von dem ein dunkler Vorhang niederfiel, lief quer durchs Zimmer und trennte es in zwei ungleich große Teile; ich vermutete hinter der Hülle das Lager des Alten. Auf einem mächtigen Tische, an dem wir Platz nahmen, lagen Folianten hoch aufgetürmt; dahinter schimmerten geheimnisvoll Porzellan-Röhren, -Kolben, -Tiegel, Retorten und Kugelapparate. Längs der Wand erhoben sich breitbäuchige Schränke, langgestreckte, durch Vorhänge verschlossene Regale.

Ich fühlte, daß sich in dieser Stunde mein Geschick entschied. Das Herz schlug mir plötzlich so laut, als säß' es im Halse; meine Knie, meine Hände bebten heftig. Der Greis that, als bemerkte er von alledem nichts. Er begann in einem der blitzblanken Tiegel auf seinem Gaskocher mit Bunsenbrenner Wasser für unsern Thee zu sieden. Ich vermag es nicht zu sagen, welch' tolle Gedanken die magischen blauen, roten Flammen in meinem Hirn erweckten. Was ich heraushörte aus ihrem lauten Summen und Brausen und Pfeifen. Ich glaubte nie süßere Melodien vernommen zu haben. Und im wachen Traum sah ich mich schon auf die Straße niedersteigen, Setons kostbare Handschrift unterm Arm, gerettet, geborgen ... Dicht neben mir auf dem Tisch, zwischen den anderen Büchern, mußte sie liegen. Unwillkürlich rückte ich mit dem Stuhle meinem teuren Schatze näher ...

»Trinken wir,« sagte da mein Wirt. »Sie sollen nachher erfahren, was Sie wissen wollen, mein Wort darauf!« Der Flackerschein des phantastischen Feuers fiel auf sein gelbes Gesicht, und ein vernichtendes Grausen packte mich, als ich sein satanisches Lächeln sah, das triumphierende, teuflische Aufleuchten seiner Augen. Ich sprang ans Fenster, ich wollte fort.

»Ist Ihnen etwas?« fragte der Alte mit leiser Ironie. »Sie lieben wohl die Dunkelheit nicht?« Ich schämte mich meiner Feigheit und stotterte ein paar unverständliche Worte hervor.

Der Thee war gut, von seltsamem Feuer und eigentümlichem, köstlichem Arom; er wallte noch im Glase, und einmal schien es mir, als leckten kleine, blaue Flämmchen aus ihm empor. Was that's? Rasch genug übten die fremdartige Umgebung, die Romantik meiner Lage, das geheimnisvolle Dunkel, die bedeutsamen Reden des Alten und sein herrlicher Trank ihre Wirkung auf mein Gemüt. Ich vergaß Furcht und Vorsicht, vergaß die Sorgen, die mich da unten auf der Erde quälten und bedrohten ...

Von fernen Türmen trug der Wind zehn verhallende Glockenschläge her.

Wir vertieften uns abgrundtief in alchymistische Gespräche. Von den Rosenobeln, die englische Könige aus »magischem Golde«, will sagen, aus Bronzelegierungen, herstellen ließen; von den Finanzoperationen Le Cor's; von den Künsten der Kaiserin Barbara, die Arsenik auf Kupfer wirken ließ und das Produkt ihren armen Unterthanen als Silber aufzwang, plauderten wir. Und dann, als genug von den plumpen Betrügereien der Großen gesprochen worden war und von den Schelmenthaten minder hochstehender Taschenspieler, die in ihren Tinkturen Gold aufgelöst oder das edle Metall heimlich in die Schmelztiegel praktiziert hatten, so daß nach beendeter Projektion freilich Gold zurückbleiben mußte; als wir dann in die eifrige Erörterung von allerlei mißglückten Experimenten ehrenhafter Chymisten eintraten und ich noch immer den spottlustigen Ungläubigen herauskehrte, stand der Alte plötzlich auf und tastete sich durchs Zimmer zu einem Schrank im Hintergrunde. Ich hörte ihn Schlösser und knarrende Schubladen öffnen, hörte sein vergnügtes Kichern und war überzeugt, daß er nun die Handschrift Setons zum Vorschein bringen würde. Mein Atem flog, und die Sekunden, während der er die Kostbarkeit suchte, dünkten mich endlos. Langsam kehrte der Greis auf seinen Platz zurück. Aber statt des Pergamentes hielt er eine mäßig große, elfenbeinerne Kugel in der Hand.

»Sie wissen, daß nur fünf Meister im unbestreitbaren Besitz der göttlichen Kunst gewesen sind,« begann er wieder, »außer Ihrem Seton noch Philaletha, Wagnereck, Laskaris und Sehfeld. Diese Fünf verschenkten wohl zuweilen kleine Teile Tinktur an Freunde oder Zweifler, denen dann auch einige Projektionen gelangen und die sich deshalb gern als Adepten aufspielten; da aber der geringe Vorrat immer rasch zur Neige ging, vermochten sie sich in der usurpierten Würde nie lange zu behaupten. Nun wird Ihnen wie jedem, der sich mit der königlichen Wissenschaft beschäftigte, aufgefallen sein, daß seit Setonius jedes Jahrhundert drei Adepten sah, jedes Menschenalter einen. Um 1600 tingierte Seton, 1640 Philaletha; vierzig Jahre später beweist der unglückliche Wagnereck sein hohes Können. 1710 taucht Laskaris, der Vielgewanderte, auf; ihm folgt 1740 Sehfeld. Aus diesen Zahlen läßt sich ganz ungezwungen folgern, ja, es scheint beinah authentisch, daß ein Meister immer vom anderen gelernt und daß jeder sein herrliches Geheimnis immer nur einem Erben anvertraut hat. Aus sehr, sehr schwerwiegenden Gründen, die ich kenne. – Jeder Adept suchte die Tinktur zu verstärken, Philaletha ist das am besten, Wagnereck wohl am wenigsten gelungen; die Prinzipien der Herstellung hielten sie alle fest. ... Seit Sehfeld wurden keine Adepten mehr gesehen, aber nichtsdestoweniger existierten sie, und ihre Tinktur existierte. Nur schwiegen seit jener Zeit die Wissenden und verstanden es, sich im Schutze der Aufklärung vor allen Nachstellungen zu verbergen; sie prahlten nicht mehr mit ihrer Kunst, wie ihre glückberauschten, eitlen Vorgänger.«

Er schwieg. Und ich sah, wie zärtlich, wie liebevoll er die elfenbeinerne Kugel streichelte.

Ich wußte nun, was er in der Hand trug. Im Moment überkam mich der wahnsinnige Wunsch, ihn niederzuschlagen und ihm das einzige Kleinod zu rauben. Blitzschnell durchzuckte mich die Erkenntnis, daß ich ohne mein Zuthun, dank einer unbegreiflichen Laune des Zufalls, plötzlich auf der Höhe angelangt war, nach der mich dürstete; daß es bei mir lag, nun die goldene Frucht zu pflücken. Ließ ich diese Minute ungenutzt vorübergehen, so würde sie nie wiederkommen, und ich würde ein elender, verachteter Stümper bleiben, so lang ich noch lebte. Im Besitz des großen Geheimnisses aber konnte ich die Welt erobern, all meine Kraft entfalten, konnte ein Heiland der Bedrängten und Armen werden, den Brüdern ein Retter aus zerschmetternder Not. Dieser schmutzige Geizhals aber, der mir grinsend gegenübersaß und den Schatz nach Drachenart hütete, welchen Rechtstitel durfte er auf seinen Besitz erheben? Nutzte er ihn zum Heil und Segen der Mitmenschen? Verstreute er ihn mit vollen Händen, Samen der Liebe, unter die Bedürftigen, weckte er mit ihm schlummernde Größe, lenzfreudige Talente? Nichts von alledem, nichts ... Ihm genügte es, sich mit dem edlen Kleinod brüsten zu können, fressenden Neid wachzurufen – o, wie ich ihn haßte, haßte! Wahnsinn überkroch mich – meine Hand tastete nach dem Messer in meiner Tasche ... Unter dem funkelnden Blick des Alten aber schlug ich verlegen, beschämt die Augen nieder.

»Sie haben zweifellos von Edward Kelley gelesen?« fragte er mich, beide Hände über der Kugel gefaltet und sich behaglich zurücklehnend. »Von dem Kelley, der, 1555 zu Worchester geboren, später als Notar in Lancaster fungierte, der Urkundenfälschung überführt und mit abgeschnittenen Ohren aus dem Amt gejagt wurde. Er verbarg sich vor einigen besonders rachsüchtigen Verfolgern in dem kleinen Wirtshaus eines wallisischen Gebirgsdorfes. Aus purer Langeweile durchstöberte er eines Tages die Bücher und Flugschriften, die sich im Laufe der Jahre, meist von Fremden zurückgelassen, in der Wirtschaft angehäuft hatten. Er stieß dabei auf ein von Mäusen zerfressenes, halb vermodertes Pergament, das in einer alten, den Dorfbewohnern völlig unbekannten Sprache abgefaßt war. Notar Kelley aber verstand sich auf griechische Schriftzeichen; er las, und mit steigender Verwunderung erkannte er, daß es sich hier um Metallveredlung handle. Wie der Wirt berichtete, stammte die Handschrift aus dem Grabe eines alten Bischofs, von dem Jahrhunderte lang die Sage gegangen war, daß er all seine Schätze mit in die Gruft genommen habe. So lange in England der Katholizismus herrschte, hatte niemand das Grab des Heiligen zu entweihen gewagt; als aber die Reformation unter Königin Beß durchgeführt, die Klöster aufgehoben, die Kirchen zerstört worden waren, scheute die Habgier auch vor Leichen nicht länger zurück.

Der Dorfpöbel erbrach die sagenumsponnene Steingruft und erbeutete – eine vergilbte Handschrift und zwei elfenbeinerne Kugeln. Enttäuscht zerschlug man die eine davon, fand sie mit nichts als schneeweißem Pulver angefüllt und überließ gern Handschrift und Kugeln für einen frischen Trunk dem herbeigekommenen, Raritäten sammelnden Wirt. Zuweilen zeigte der Krüger seinen Gästen das Erbe des alten Bischofs, und wenigstens die Handschrift fand allmählich Achtung vor ihren Augen, weil niemand sie zu enträtseln vermochte; mit der Kugel aber spielten die Wirtskinder, und oft genug lag sie wochenlang unbeachtet im Winkel. Kelley, der die Wichtigkeit seiner Entdeckung wohl ahnte, sich aber nichts merken ließ, erwarb leichtlich für ein Pfund Sterling Pergament und Kugel. Froh, einen solchen Narren gefunden zu haben und nur besorgt, sein spleeniger Kunde könnte den Kauf rückgängig machen, händigte ihm der Wirt die Raritäten ein; Kelley aber eilte nun spornstreichs nach London, wo er, der in alchymistischen Fragen selbst Unerfahrene, einen darin wohlbewanderten Freund, den Doktor Dee, aufsuchte. Der öffnete die Kugel, fand sie mit einem fettig gelblichen, leuchtenden Pulver angefüllt und war alsbald überzeugt, das Magisterium vor sich zu haben. Man versuchte auf Grund der Vorschriften des Pergaments eine Projektion, die von überraschendstem Erfolg gekrönt wurde: ein Gran des Pulvers, in eigenartiger Weise flüssig gemacht, veredelte elf Pfund geschmolzenen Bleies zu Gold, das sich auf dem Probierstein sowie mit Königswasser behandelt als dreiundzwanzigkarätig erwies.

Dr. Dee hatte eine sehr ausgebreitete, sehr einträgliche Praxis und war ein hoch angesehener Mann in besten Lebensverhältnissen, aber keine Minute zögerte er, mit Kelley, der länger in London zu weilen nicht wagen durfte, nach Deutschland zu gehen. In Prag, am Hofe Kaiser Rudolfs II., des bekannten Alchymistenfreundes, tauchten sie 1585 wieder auf. Der entzückte Monarch erhob nach der ersten Kunstprobe Kelley sofort zum Freiherrn von Böhmen und überhäufte ihn mit Beweisen seiner Huld. Nun begann der Engländer ein liederliches Verschwenderleben, ergab sich dem Trunke und plauderte im Rausche manches aus. Dr. Dee aber, der ihn auf seinen üppigen Fahrten immer begleitete, verhinderte, daß er auch das wichtigste, das letzte Geheimnis verriet und ausschwatzte, was ihnen Beiden den Hals kosten mußte.

Ihre Freigebigkeit verschaffte den Fremden in den vornehmsten Kreisen Prags Freunde genug. Durch allerhand Kunststückchen, die sie mit fertiger Tinktur bei lustigen Schmäusen und Banketten vornahmen, durch ihre unerhörte Gutmütigkeit in Geldsachen machten sie rasch alle Feinde, alle Opposition verstummen. Und Kaiser Rudolf, dem gegenüber sie erst recht nicht mit Beweisen höchsten Könnens geizten, that alles, die Alchymisten dauernd an seinen Hof zu fesseln.

Es begab sich um diese Zeit, daß eine Anzahl Menschen spurlos aus Prag verschwand, und die begleitenden Umstände schlossen in jedem einzelnen Falle die Annahme einer heimlichen Flucht oder eines Selbstmordes vollständig aus. Da es sich aber anfangs immer um niedrigstehende Personen handelte, legte die Stadtobrigkeit in der Verfolgung des geheimnisvollen Verbrechers keinen besonderen Eifer an den Tag. Als jedoch eines Tages Herr von Hayek, des kaiserlichen Leibarztes Bruder und ein intimer Freund Kelleys, auf gleich mysteriöse Weise verschwunden war, geriet die Residenz in gewaltige Erregung, der Kaiser selbst setzte einen hohen Preis auf die Habhaftmachung der Bösewichte aus, und Kelley versprach seinerseits eine beträchtliche Summe dem, der das unheimliche Rätsel löste.

Doch auch diesmal schienen alle Bemühungen und Nachforschungen vergebens. Zwar gelang es, den Leichnam Hayeks in einer Nische der Stadtmauer, hinter dichtem Gestrüpp versteckt, aufzufinden, und das Grauen, das Entsetzen wuchs, als man den Toten, der eine fürchterliche Stoßwunde am Halse trug, im vollen Glanze seiner Kostbarkeiten sah, also erkennen mußte, daß nicht gewöhnlicher Raubmord vorlag. Der Getötete war ein allgemein beliebter Mann gewesen, der in seinem ganzen Leben nie jemand beleidigt, der keinen Feind, ja keinen Neider hatte und niemals irgendwie öffentlich hervorgetreten war. Die Motive, welche die Bluthunde zu der Greuelthat getrieben hatten, lagen also ganz im Dunkeln. Und wenn ein Menschenleben auch wenig galt in jener Zeit, so war die Furcht vor Mordanfällen desto größer, und der Schrecken der Einwohnerschaft überstieg alles Maß, als man die Leichen zweier der vor Hayek hingeschlachteten Opfer in der Moldau fand, beide noch im Besitz ihrer geringen Habseligkeiten, aber beide mit der gleichen gräßlichen, gerade die Halsschlagader zerschneidenden Wunde!

Zu bald indessen vergaß Kaiser Rudolf das Grausen; schaffte doch gerade jetzt Kelley ungeheure Barren Goldes zu Tage. Der unglückliche Hayek schien ungerächt modern zu sollen.

Die rätselhaften Gesellen aber ließen von ihrem unheimlichen Treiben nicht ab. In gemessenen Zwischenräumen sank ihrem Stahl Opfer auf Opfer. Was half es, daß man sich mit Dienerschaft und Fackeln vor ihnen sicherte, daß niemand mehr ohne dringendste Not nach Einbruch der Dämmerung über die Gasse ging – frecher noch als vorher, zuletzt bei helllichtem Tage im Thorgang bewohnter Häuser, überfielen sie ihre Opfer, und niemals fand man die stets mit der gleichen, klaffenden Wunde Gezeichneten auch nur um eines Kreuzers Wert beraubt. Ganz offenbar wütete eine Bande von Wahnsinnigen durch die arme Stadt. So fieberhaft nun in jedem einzelnen Falle die Thätigkeit des Rates auch war, so zahlreiche Verhaftungen vorgenommen, so unbarmherzig die Verdächtigen gefoltert wurden – man entdeckte keine Spur von den Mördern.

Eines Abends tritt der neugierige Kaiser mit glänzendem Gefolge unvermutet in Kelleys Laboratorium und überrascht den Alchymisten, der sich sonst mehrfach verriegelte und vor jeder Störung sicherte, bei der Arbeit. Kelley, leichenblaß, springt auf den Herd zu und will die Kohlen Herunterreißen, das Feuer verlöschen, aber man hindert ihn daran, und nun bemerkt der Monarch, argwöhnisch geworden, daß sein Chymist einen über und über mit Blut besudelten Rock trägt. Gleichzeitig aber dringen Boten ins Gemach, mit eilender Post von der Ehrbarkeit an Rudolf abgesandt, und melden, daß man soeben den Dr. Dee tot, mit durchstochenem Halse, aufgefunden habe, ein neues Opfer der fürchterlichen Mordbande ...

Eine Minute später lag Kelley am Boden, geknebelt und gefesselt.«

Mein Wirt machte nach diesen Worten eine lange, schier minutenlange Pause. Dann öffnete er die Elfenbeinkugel, und ich sah trotz der Dunkelheit, daß sie noch bis zur Hälfte mit einem gelblichen, fettig-phosphorisch glänzenden Pulver gefüllt war. Ich verstand, ich wußte nun alles. Ich konnte den Blick nicht mehr von seinem Halse lenken, und ich bemerkte, daß er wie gebannt, mit glühenden Augen, mit den Augen eines Wahnsinnigen auf mich starrte ...

»Kelley mußte sterben,« hob der Alte endlich wieder an, und ich schrak zusammen und fühlte, wie mir der kalte Schweiß aus allen Poren brach. »Er verriet das Geheimnis nicht auf der Folter; er war stark wie Alexander Setonius, sein Lieblingsdiener, der die Kugel noch rechtzeitig beiseite zu bringen wußte und sich damit ins Ausland flüchtete. Sie wissen, wie lange Setonius allen Nachforschungen habgieriger Fürsten entging. Sie wissen nun auch, daß er keineswegs die Tinktur selbst herzustellen vermochte, daß er nur der Erbe eines Größeren war, wie sein Herr. –«

Was kümmerte es mich in dieser Stunde, daß mit einem Schlage das kunstvolle Gebäude zusammenbrach, daran ich so viele Monate lang rastlos gezimmert hatte – daß mein Halbgott von seinem Throne stürzte und ich erkennen mußte, wie nutzlos all mein Mühen gewesen war! Ein zehntausendmal höherer Lohn winkte – ein ungeahnter, wunderbarer Fund ...

»Sie wissen ferner, daß sich Kelleys Pulver in die goldschaffende Tinktur erst dann verwandelte, wenn es mit einem Tropfen frischen Blutes angerieben wurde, das der Halsschlagader eines eben Getöteten entnommen worden war. Im menschlichen Blut allein fanden sich die notwendigen Stoffe in sonst nirgendwo erreichter, passender Darstellung und Verteilung; Blut war von jeher ein ganz besonderer Saft.

Dann im Laufe der Jahrhunderte von einer Hand in die andere wandernd, ist die Panacee endlich an mich gelangt. Doch bot sich mir bis heute noch keine Gelegenheit, ihre Kraft zu erproben. Ich will nun mit Ihnen darüber beraten, was wir zu thun haben. Lassen Sie uns aber vorher die Lampe anzünden. Es ist sehr dunkel geworden.«

Eine Erregung war über mich gekommen, die ich nicht mehr zu bemeistern vermochte. Der grelle Schein des Lichtes blendete dazu meine an die Dunkelheit gewöhnten Augen; so stand ich denn vom Sitze auf und durchmaß mit großen Schritten das Zimmer. Ganz von ohngefähr trat ich ans Fenster; einer instinktiven Laune gehorchend, schlug ich die beiden Gardinen zurück und blickte auf die von einigen Laternen matt erhellte Straße hinab. Da sah ich – sah, wie aus dem Schatten des gegenüberliegenden Hauses eine Gestalt sich abhob und sich anschickte, den Damm zu überschreiten. Ich erkannte sofort den Vermummten von vorhin, und ich wußte sofort, daß ich in einer Falle saß, daß die Entzündung der Lampe ein Zeichen für den Mordgesellen dort unten war.

Was nun folgte, vermag ich nicht mehr genau zu sagen. Etwas Fremdes, Rätselvolles, das im dunkelsten Winkel meines Herzens lauerte und mir bisher nur auf Sekunden zum Bewußtsein gekommen war, riß plötzlich die Herrschaft über meinen Geist an sich, und blindlings, von der Not des Augenblickes und den stachelnden Eindrücken dieses Abends bewältigt, folgte ich seiner Führung. Ich erinnere mich nur, daß blitzschnell der Entschluß in mir auftauchte, den Schurken zuvorzukommen, daß ich, mein blankes Messer in der Faust, die letzte Kraft zusammenraffend, mit Hellem Jauchzen auf den Alten einsprang ... Daß ich ihn zu Boden schleuderte ... ihn niederdrückte. Und ich sah mein Messer durch die Luft zischen, sah den Greis blutend vor mir liegen ... da atmete ich auf und lachte. Und mit unbegreiflich geschärftem Gehör vernahm ich das leise, leise Knarren der Hausthür, vernahm ich tappende, leise Schritte auf der Treppe, wie von jemandem, der auf den Strümpfen herankommt, durch dichte Finsternis. In meiner Tasche fühlte ich die Elfenbeinkugel; ich sah ein Tröpflein vom Blute des Ermordeten in einem der geschliffenen kleinen Behälter blinken, die zahlreich umherstanden ... weiß nicht, that ich's hinein? ... Weiß nicht ... Dann, die Wohnung verlassend, leise, wie ein Raubtier schleicht, beugte ich mich über das Treppengeländer und horchte. Mein Herz schlug lauter, aber nicht in Furcht, sondern vor Freude und Triumph, vor Haß und Wut gegen den, der sich näherte, mir mein Kleinod zu entreißen.

Ich hörte jeden Schritt, den er machte, hörte, wie er zuweilen stille stand und in die Dunkelheit hineinlauschte, wie er dann tief Atem holte und weiter stieg. Jeden seiner Gedanken dacht' ich mit, und wie er bangte ich davor, es möchte unvermutet eine Thür sich öffnen, es möchte jemand den Nachtwandler überraschen. Nun war er nur noch zwei Stockwerke unter mir. Da strauchelte bei der Treppenwindung sein behutsam tastender Fuß; der dumpfe Schall lief summend an den Wänden entlang. Das Schimpfwort, das mir auf den Lippen schwebte, hörte ich zischend ihn ausstoßen. Und mit verhaltenem Atem horchten wir beide ... Nichts regte sich im Hause.

Es war meine Absicht gewesen, den Fremden niederzuschlagen und dann, an ihm vorüberstürmend, die Freiheit zu gewinnen, ich griff langsam nach meiner Waffe ... In der Rocktasche war sie nicht – ich betastete mich am ganzen Körper und fühlte, daß ich totenblaß wurde – ich hatte das Messer bei der Leiche drinnen liegen lassen. Ein Nebel senkte sich über mein Denken, betäubt und fassungslos schloß ich die Augen ... alles verloren! Aber nur wenige Sekunden dauerte die Lethargie. Ein anderer, besserer Rettungsplan blitzte mir wie eine Erleuchtung auf. Wenn ich mich in die gegenüberliegende Ecke drückte und geduldig abwartete, bis der Fremde die Wohnung seines Spießgesellen betreten hatte ... Er konnte keinen Argwohn schöpfen, die Lampe drinnen brannte noch, der Tote lag hinterm Tische, nicht sogleich sichtbar. Es würde mir ein Leichtes sein, dann die Stiege hinabzueilen und, wenn das Thor, wie ich annehmen durfte, noch offen stand, die Freiheit zu gewinnen. Ehe sich der Fremde oben von seinem Schrecken erholt hatte, war ich mit meinem Wunderschatze längst in Sicherheit. Dieser Plan hatte den großen Vorteil für sich, daß er mir einen immerhin bedenklichen Kampf ersparte und daß er ohne den geringsten Lärm auszuführen war. Mein Gegner mußte mir an Körperschwere bedeutend überlegen sein, das hörte ich aus seinen Schritten, und wenn es mir nicht gelang, ihn im ersten Ansturm zu überrumpeln, zu verwirren, lag mein Schicksal in der Hand des Starken. Ich war ja nicht mehr fähig, irgend jemand im ehrlichen Kampfe zu bestehen.

Ich wartete, bis der andere sich wieder auf den Weg gemacht hatte, damit ich, während er mit sich selbst beschäftigt war, mein Vorhaben ausführen konnte, ohne von ihm gehört zu werden. Die Nägel tief ins Fleisch gekrallt, um so meine Erregung zu meistern, schlich ich behend zurück und stand nun, an die Wand gepreßt, und lauschte. Er hatte nichts bemerkt. Ahnungslos kam er näher. Seine Sinne waren gröber als die meinen, ich war ein feiner organisiertes Raubtier. Dies Bewußtsein erfüllte mich mit fröhlichem Stolz und ließ mich beinah alle Vorsicht vergessen. Es wollte mich etwas in mir zwingen, meiner Freude durch ein vergnügtes Lachen Ausdruck zu geben – oder doch durch einen leisen Pfiff. Ich widerstand indessen der tollen Versuchung und schob mich tastend vorwärts. Ich fand, daß der Gang weiter führte, als es den Anschein gehabt hatte, und der Geruch frischen Holzes, trocknender Wäsche zeigte mir, daß er zu den Bodenkammern lief. Das Glück begünstigte mich augenfällig.

Durch einen Spalt in der Thür mir gegenüber quoll Lampenlicht – Lampenlicht, das des Toten Antlitz beschien. Das hatten sie sich prächtig ausgeklügelt, das Zeichen mit der Lampe; aber nicht mich, den Gegner lockte es nun in die Schlinge. Jetzt stapfte er herauf. Ein plumper Bursch, ganz gewiß. Jetzt stand er höchstens vier, fünf Schritte von mir entfernt und prustete. Ich erschrak, denn plötzlich war der Lichtstreif verschwunden. Mit vorgebeugtem Kopf spähte ich, um jede Bewegung der unförmigen Masse vor mir zu erhaschen. Er war mit Blindheit und Taubheit geschlagen, er sah meine fieberglänzenden Augen nicht und hörte nicht das wilde Hämmern meines Herzens. Er neigte sich zum Schlüsselloch herab, und der gelbe Strahl fiel wieder in die Nacht, frohlockend, triumphierend, nicht mehr von der riesigen Gestalt des Fremden verdeckt. Wir lauerten und lauschten. Dem Horcher vor der Thür schien nicht alles in Ordnung, er brummte ein paar unverständliche Worte vor sich hin, er mußte Verdacht gefaßt haben. Offenbar befremdete ihn die Totenstille im Zimmer. Da fiel mit Hellem Klang irgend ein Glas vom Tisch, das ich vorhin in der Hast dicht an den Rand geschoben haben mochte, und zerbrach in Scherben, klirrend, singend; im selben Augenblick öffnete der Mensch die Thür, daß ich vor der auf mich eindringenden Lichtflut erschreckt zurückwich, die Thür fiel wieder ins Schloß, und schon hastete ich wie eine Katze, geräuschlos, mich am Treppengeländer niedergleiten lassend, die Stiege hinunter.

* * *


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