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Abergläubisches Vertrauen auf meinen Stern erfüllte mich immer mehr und verlieh mir jene felsenfeste, übermütige Siegeszuversicht, ohne die gewagte Unternehmungen noch nie zu glücklichem Ende geführt worden sind. Da ich nicht mehr nötig hatte, mit meinem Gelde zu knausern, aß ich in einem anständigen Wirtshaus reichhaltiger zu Mittag, als ich seit Jahren gewöhnt war, erlaubte mir mehrere Glas Bier und vertiefte mich dann in die Lektüre der ausliegenden Zeitungen. Zuweilen horchte ich, scheinbar andächtig lesend, auf das Gespräch benachbarter Gäste, aber mit keiner Silbe ward die große Neuigkeit des Tages erwähnt – man wußte noch nichts von ihr. Ich lachte in mich hinein, ich, der Wissende, der Träger eines fürchterlichen Geheimnisses, den doch jeder für seinesgleichen oder für ein armes, unschuldiges Kerlchen hielt. Als es halb vier geworden war, brach ich auf und schleuderte in behaglichster Stimmung der nördlichen Vorstadt zu, wo die Fabrik lag.

Ehe ich den Vorgarten durchschritt, ergötzte ich mich eine Weile an dem Spiel der Rauchwolken, die den mächtigen Schornsteinen der langgestreckten Gebäude rabenschwarz entstiegen und, vom Winde gedreht, rasch in der Abenddämmerung verschwanden. Alle Fenster der gewaltigen Front waren erleuchtet, aber regeres Leben noch schien hinterm Hause zu pulsieren, von wo das Schnauben und Stöhnen der Maschinen herdrang. Ich holte tief Atem, lief ein paarmal auf dem Flur hin und her, ehe ich die Thür zum Komptoir öffnete. »Du kommst ja nicht als Bettler; sie wollen etwas von dir!« sprach ich mir dabei Mut ein.

Man erwartete mich schon. »Herr Heller ist gleich so weit!« sagte höflich ein graubärtiger, alter Herr, der von seinem Pulte aufgestanden war. »Nehmen Sie doch Platz.« Meine Blicke schweiften durch den weiten, mit schreibenden und rechnenden Menschen gefüllten Raum, und wenn ich dachte, daß ich vielleicht binnen kurzem in diesem Reiche einen hohen Rang einnehmen und all diese fleißigen Federn in noch schnellere Bewegung setzen würde, faßte es mich wie Stolz und Freude. Es war sehr still im Saal; man hörte neben dem Geräusch umgeschlagener Seiten und vereinzeltem Hüsteln fast das Flackern der Gasflammen. Eine gespenstische Stille, wie ich sie liebte.

»Wollen Sie mir folgen? Herr Heller ist bereit.«

Wir durchschritten den Saal und eine Flucht von Einzelzimmern. Diese Menge prachtvoll eingerichteter Räumlichkeiten, die Menge eifriger Arbeiter machte einen verwirrenden Eindruck der Großartigkeit auf mich und erweckte in mir halb unbewußt ein ehrfürchtiges Gefühl vor dem, der diese ganze, große Maschine leitete. »Hier, bitte, treten Sie ein!« Mein Begleiter verließ mich, ich stand auf dem dicken Teppich eines mit verschwenderischem Prunk ausgestatteten, halbdunklen Gemaches. Am Schreibtisch saß, mir den Rücken zukehrend, ein offenbar noch recht junger Mann. »'ne halbe Sekunde!« sagte er. Ich kannte die Stimme. Unter Tausenden hätt' ich sie beim ersten Klang herausgefunden. Sie lag mir noch im Ohre von gestern abend.

Der andere drehte sich zu mir herum – er war es wirklich. Der elegante Herr, den ich vorm Modebazar getroffen hatte, das unheimliche Gesicht mit der rätselhaften Falte zwischen den Augenbrauen. Ein tötlicher Schreck fuhr mir durch alle Glieder, ich mußte einen leichten Schwindelanfall niederkämpfen. Er bemerkte es nicht. »Kommen Sie nur ans Tageslicht, Herr Doktor,« sagte er gemütlich, die Lampe zurechtrückend. »Hier, setzen Sie sich aufs Sofa. Rauchen Sie?«

Ich ärgerte mich und schämte mich der albernen Anwandlung. »Ich habe geraucht, Partizip der Vergangenheit,« entgegnete ich. »Mir geht's seit geraumer Zeit nicht so, daß ich mir Zigarren leisten könnte, nach deren Preis man fragen darf, ohne über die Antwort zu erbleichen.«

Er lachte und sah mich mit einem Blick voll Interesse an. »Und von Pfälzern, vulgo Bratkartoffeln, sind Sie kein Freund?« meinte er, auf meinen scherzhaften Ton eingehend. »Da, stecken Sie die an. Schadet einem Familienvater nicht.«

Ich gehorchte und paffte einige Züge von dem köstlichen Kraut. Der langentbehrte Genuß entzückte mich, und wenn es meinem Gegenüber darum zu thun war, meine jetzige schlechte Lage zu benutzen und günstige Bedingungen aus mir herauszupressen, so handelte er grundfalsch durch die Spende dieser Importe, die mich hob und stärkte.

»Wir haben unsern zweiten Chemiker heut morgen Knall und Fall entlassen müssen,« begann er wieder. »Sie schrieben mir nun damals, daß Sie sich schon lange Zeit privatim mit wichtigen, chemischen Problemen beschäftigen. Sie sind gewiß ein gewaltiger Tüftler und Spintisierer vor dem Herrn, wie ich es selber war, ehe ich diese Werke bauen ließ. Das gefällt mir von Ihnen, offen gesagt. Ich brauche jemanden, der aus dem vorgeschriebenen Paßgang herausfällt, seinem Beruf nicht mit kühler Freundschaft nachgeht, sondern ihn mit heißer, tiefer Leidenschaft umfaßt. Jemand, der – Sie verstehen mich.«

Ich sah ihn mit leuchtenden Augen an, meine Wangen röteten sich. Aber ich sagte kein Wort.

»Haben Sie Zeugnisse mitgebracht?«

Er las die paar Schriftstücke, die ich ihm reichte, aufmerksam durch. Begeisterte Lobsprüche meines guten, alten Professors, der mir eine unglaublich glänzende Zukunft prophezeite; ruhige, aber dafür um so wertvollere und wirksamere Anerkennungen von den beiden Laboratorienchefs, unter denen ich mich nachher weiter ausgebildet hatte. »Vortrefflich,« meinte er, sich die Hände reibend. »All die Leute kenne ich – wen die aus freien Stücken loben, für den leg' ich gern die Hand ins Feuer. Wundert mich nur, daß ein Mann von Ihren Gaben überhaupt noch frei umherläuft; so einer wird doch sonst gleich weggefangen. Wann könnten Sie bei uns eintreten?«

»Jeden Tag. Morgen lieber als übermorgen.«

»Welches Gehalt beanspruchen Sie?«

Unschlüssig blickte ich zu Boden. In Geldfragen war ich immer ein Kind gewesen, hilflos und ahnungslos. Was für eine Summe ich auch nannte, ich mußte befürchten, eine große Dummheit zu begehen.

»Aber so reden Sie doch – ganz ungeniert!«

»Ich habe viel Schulden,« stammelte ich. »Ich muß danach streben, mich herauszuarbeiten. Sehen Sie sich nur meine Garderobe an!«

Es war mir, als bohre sich sein Blick förmlich in den meinen, als suche er in meinem Gesichte nach einem bestimmten Zug. Meine Verlegenheit zu bemänteln, blies ich den Rauch der Zigarre kunstvoll in die Luft. Er schwieg und schien nachzudenken. Als er wieder aufschaute, hatten seine Mienen einen ernsten und sorgenvollen Ausdruck angenommen; das Lächeln der Überlegenheit war verschwunden. Eine Frage mochte auf seinen Lippen schweben. Gleichmütig schmauchend und ihn doch fest im Auge behaltend, glaubte ich zu bemerken, daß meine Offenheit ihm imponiert und seine Achtung vor mir bedeutend gesteigert hatte.

»Ich weiß nicht, was ich Ihnen bieten darf,« sagte er, »ich bin wirklich sehr im Zweifel. Ihr Vorgänger hat zuletzt fünfhundert Mark monatlich bezogen – er war nahezu drei Jahre bei uns. Wird Ihnen das genügen, wenigstens für den Anfang? Sowie ich sehe, daß Sie brauchbar sind, brauchbar in meinem Sinne, woran ich kaum zweifle – sowie ich das weiß, werden Sie an meinem Entgegenkommen nichts zu tadeln finden.«

Niemals hätte ich gewagt, eine solche Summe zu fordern. Alle meine ehemaligen Kommilitonen arbeiteten für wahre Bettelgehälter. Mir aber, dem Verwahrlosten, seiner Kunst halb Entfremdeten, fiel ein so unbegreifliches Glück in den Schoß. »Ich bin's sehr zufrieden,« erwiderte ich. »Sie bieten mir weit mehr, als ich dachte.«

»Sie sind ein offenherziges Menschenkind,« gab er jovial zurück. »Das gewöhnen Sie sich nur langsam ab – das heißt, nicht im Verkehr mit mir. Nun können wir also unsern Vertrag abschließen. Achtstündiger Arbeitstag. Im Sommer vier Wochen Urlaub – oder im Herbst, wenn Sie das vorziehen. Gewisse Bedingungen, die Sie eingehen müssen, wegen der Konkurrenz und unserer Fabriksgeheimnisse. Für den Fall Sie wichtige Erfindungen bei uns machen, Tantième! Und so weiter!«

Ich hatte mich dankend erhoben.

»Bleiben Sie noch!« bat er. »Vorerst – hier meine Hand auf ein gedeihliches Zusammenarbeiten! Und dann im Vertrauen, unter uns Männern: brauchen Sie Geld? Ich gebe Ihnen gern Vorschuß. Es ist schon wegen Ihrer Kleidung, also im Interesse Ihrer Autorität, den Herren gegenüber, die Ihnen unterstellt sind.«

»Sie verpflichten mich mehr, als ich Ihnen je danken kann!« sagte ich lebhaft und ohne auch nur eine Sekunde zu zögern. »Ja, ich brauche Geld. Nicht allein für Kleidung – es sind da Miete, Feuerung, Existenz ... Ganz ehrlich gestanden, die letzten Monate lebte ich, jämmerlich genug, eigentlich nur von der Güte eines Freundes. Sie haben keine Ahnung, wie mich das drückt. Dies Geld zurückgeben zu können, ist mein heißester Wunsch. Verzeihen Sie, wenn ich Ihnen von solchen Dingen spreche – Sie sollen nur sehen, daß es nicht Leichtfertigkeit ist, was mich bewegt –«

»Aber ich bitte!« sagte er zerstreut, die Hand am Kinne, als denke er über ganz etwas anderes nach. »Wenn ich Ihnen zweihundert Mark gebe – genügt das einstweilen?«

»Vollkommen. Ich weiß nicht, wie ich Ihnen –«

»Ach, lassen Sie das! Eine kleine Gefälligkeit meinerseits verdient keinen Dank – Sie kriegen ja nichts geschenkt.« Er stand auf und ging an seinen Geldschrank. »Ist Ihnen Gold oder Papier lieber? Gold, nicht wahr? Man bekommt es rasch gewechselt. Ach, das liebe Gold! Eine schöne Erfindung, nicht wahr?«

Er sah mich nicht an, während er dies sprach, er redete lachend auf den Geldschrank ein; aber meine krankhaft erregte Phantasie wollte, durch ein Nichts argwöhnisch gemacht, verborgenen Sinn aus seinen gleichgiltigen Worten herausklügeln. Ich hätte mich im nächsten Augenblick selbst ohrfeigen mögen; es wurde mir sofort klar, daß ich mich notwendig verraten würde, wenn ich unablässig auf solche Beziehungen Jagd machte. Die ewige Unruhe, die mir daraus erwachsen mußte, die andauernde nervöse Furcht konnte mir ernsthaft gefährlich werden und schwere Störungen meines Geistes hervorrufen. Es war meine Pflicht, mit aller Kraft diese thörichte Reizbarkeit zu unterdrücken.

Ich nahm das blanke Gold, mein Gold, in Empfang, unterschrieb die Quittung und wollte gehen.

»Eilt's Ihnen so sehr?« fragte Heller. »Trinken Sie doch ein Glas Wein mit mir.«

»Ich habe heut Unterrichtsstunde, um sechs, im Tiergartenviertel,« gab ich zurück. »Jetzt wird's gleich fünf sein, und in den Kleiderladen wollt' ich auch noch – da bleibt wenig Zeit zu verlieren.«

»Nun gut – um fünf will ich Sie laufen lassen – bis dahin bleibt uns noch ein gutes Viertelstündchen für Fachsimpelei.« Und wirklich drängte er mich auf das Sofa zurück; Forster Jesuitengarten von hinreißender Pracht schimmerte golden in den Römern, und Heller erzählte mir von einer hochinteressanten Farbstoff-Analyse, mit der er sich eben beschäftigte. Das Thema fesselte mich im Augenblick. Es handelte sich um einen ebenso geistvollen wie schönen Versuch, Anilin im vereinfachten Verfahren auszuziehen, und mein neuer Chef wußte mir die Sache in sehr eleganter Weise zu erklären. Kein Zweifel, ich hatte einen Großen in unserer Wissenschaft vor mir. Mit lebhaftem Bedauern hörte ich die Stutzuhr fünf schlagen, aber Heller selbst brach jetzt ab, stieß noch einmal mit mir an und sagte: »Sie müssen jetzt gehen. Fortsetzung folgt morgen.« Er begleitete mich durch die lange Zimmerreihe, wo man noch emsig arbeitete, und niemand auch nur den Kopf erhob, um uns anzusehen, in das Komptoir. »Mein Auswärtiges Amt!« scherzte er. »Hier der Ministerpräsident, Herr Menzel!« Und er stellte mir den grauköpfigen Alten vor, der mich empfangen hatte. »Dies ist unser neuer zweiter Chemiker, der Doktor Kempff! Vertragen Sie sich gut, meine Herren, helfen Sie sich gegenseitig!« Der Prokurist streckte mir mit kurzem Lachen beide Hände entgegen, die ich ergriff und herzhaft drückte.

»Was giebt's Neues im Abendblatt?« erkundigte sich Heller.

»Vom Markte nichts. In der Stadt ist schon wieder 'mal ein Mord passiert.«

Jetzt war die gefürchtete Minute gekommen. Ich wollte hastig gute Nacht sagen, dachte aber noch rechtzeitig daran, daß dies mindestens auffällig erscheinen mußte. Mordthaten ereignen sich immerhin selten, und wer von ihnen hört, ist auf die Einzelheiten gespannt.

»Das reißt ja gar nicht ab,« sagte Heller, sich eine Zigarre anzündend. »Wen hat's denn wieder getroffen?«

»Einen gewissen Professor Erck.«

»Den Erck? Ach nee!«

Ich hielt den Kopf krampfhaft empor, obgleich er mir bleischwer auf die Brust sinken wollte. »Sie kennen den – den Professor Erck?« preßte ich hervor.

»Ja na gewiß – par renommée! Wir praktischen Chemiker kennen ihn alle. Haben sie den Mörder gefaßt?«

»Keine Spur!« antwortete Menzel, das Zeitungsblatt zerknitternd. »Werden ihn auch diesmal nicht kriegen. Dafür sorgt schon die Polizei. Ja, wenn's ein Politiker wär' oder so 'was – den hätten sie längst beim Wickel. Auf die Art passen sie höllisch auf. Aber Mörder, Räuber und Spitzbuben, sofern sie sich nicht mit Politik beschäftigen, die sind ungefährlich, denen thut man nichts.«

»Herr Menzel ist ein entschieden freisinniger Mann, Vorsitzender des Moabiter Wahlvereins; nehmen Sie sich vor ihm in acht!« warnte Heller. Ich verzerrte den Mund zu einem schwachen Lächeln, und obwohl mir unsäglich elend zu Mute war und ein entsetzlicher Sturm durch meine Seele tobte, klammerte ich mich doch mit Verbrecherschlauheit rasch an das neu aufgeworfene Thema, um gefährliche Erörterungen zu vermeiden.

»Ich hasse die Politik nicht, rede sogar gern darüber mit, wenn ich auch gar nichts von ihr verstehe. Vielleicht bekehrt mich Herr Menzel zu seinen liberalen Grundsätzen.«

»Schon möglich. Die Polizei hat er offenbar bereits bekehrt. Jedenfalls ist ihr Wahlspruch den Mördern gegenüber schon seit sehr langer Zeit echt manchesterlich: laissez faire, laissez aller! – Aber was fehlt Ihnen denn, Herr Doktor – Sie zittern ja und sind ganz kreideweiß!«

»Ich – Ihre starke Zigarre!« stotterte ich. »Hol's der Teufel – wenn man so lange nicht geraucht hat, verträgt man gar nichts mehr.«

»'s ist aber wirklich 'ne ganz leichte – die schweren Importen mag ich selber nicht!« sagte Heller kopfschüttelnd. »Ihnen schmeckt sie doch, lieber Menzel?«

»Brillant. Aber na – der Herr Doktor sieht überhaupt etwas kränklich aus – da muß man sich vorsehen. Sonst geht's Ihnen wie meinem Jüngsten –«

»Ich will nicht länger stören, meine Herren,« unterbrach ich den Alten hastig. »Werde mich draußen schon wieder erholen. Gute Nacht, und nochmals tausend Dank, Herr Heller.«

Wenn ich auch wie betäubt die Straße entlang eilte, so kam es mir doch deutlich zum Bewußtsein, daß ich wieder einen groben, unverzeihlichen Fehler begangen hatte. Ich war kein Mann, eine schwachherzige Memme war ich, ein furchtsames, altes Weib, das jedes harmlose Wort ins Bockshorn jagte. Herrlich weit würd' ich's auf diese Weise bringen, eingesperrt sein, vielleicht noch ehe ich die Früchte meiner That auch nur gekostet hatte. Müßt' ich nur, was die beiden da drinnen jetzt von mir dachten, über mich flüsterten! Die Hälfte meiner Schätze hätte ich dafür gegeben. Menzel war ungefährlich und hegte kein Arg, sonder Zweifel; mit dem würd' ich überhaupt leichtes Spiel haben – aber Heller! ... Und das heimliche Grausen vor ihm, das während unserer Unterhaltung völlig verschwunden war, tauchte wieder auf, verstärkt, verdoppelt. Wo hatte ich ihn nur schon gesehen, wo – vor dem gestrigen Tage? Eine Ahnung durchzog mich, daß mir fürchterliche Kämpfe mit diesem Manne bevorstanden, der unter glatter Hülle Kunde rätselhafter Geheimnisse, überlegene Kraft zu bergen schien. Ja, eine Sekunde lang wollte ein Verdacht in mir aufsteigen, ein wahnwitziger, schauerlicher Verdacht ... Aber nein, tausendmal nein! Welchem frevelhaften Spuk gewährte ich Einlaß in mein Herz, mit welch teuflischer Grausamkeit folterte ich mich und richtete mich selbst zu Grunde! ... Es gab ja eine Entschuldigung für mich: zu unvorhergesehen war der Schlag gewesen, ich hatte mich so ganz und gar nicht vorbereitet auf etwas Selbstverständliches und witterte Verdacht überall.

O pfui! so schwach durfte ich mich nie wieder sehen. Von morgen an, nach diesem Tag der Aufregungen und der erklärlichen Besorgnis, von morgen an, wo ich mich in meine Lage hineingefunden haben würde, sollte es anders werden. Stahlhart, lächelnd, erhaben wollte ich unter sie treten, nicht mehr ihresgleichen, ein Höherer, jenseits von Gut und Böse, der Übermensch!

* * *


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