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Durch die geöffneten Fenster quillt warme, sonnendurchleuchtete Frühlingsluft, und es ist mir, als söge ich den Duft von Syringen ein, in tiefen, durstigen Atemzügen, als sähe ich am Strauche die vielen tausend schlanken Röhrenblüten sich öffnen. Es wird Lenz, o mein Gott, und vergessene Lieder fallen mir ein, die ich leise vor mich hinmurmele. Ich hebe mich aus den Kissen, meine Wangen glühen ... wandern möcht' ich, wandern, weit hinaus in all die Lust. Ich schließe die Augen, ich stehe auf der Straße. Licht umlacht mich, geputzte Menschen, bunte Blumen, blauer Himmel grüßen mich. Ein Brautwagen kommt dahergefahren, Glockenklang zieht durch die stille Luft, Sonnenschein überflutet mein Gesicht, und mein Herz der Lenzgedanken Meer ... Und das soll mein letzter Frühling sein ... mein letzter ...

Ich ging vor dem kleinen, funkelnden Laden am Spittelmarkt, wo Lilly als Verkäuferin angestellt war, ungeduldig auf und ab. Es mußte gleich neun schlagen, der Menschenstrom nahm mit jeder Minute an Stärke zu, die Geschäfte ringsum wurden geschlossen, aber vor diesem Laden brannten die grellweißen Bogenlampen ruhig weiter. Verstohlen lugte ich in den von mächtigen Spiegeln eingefaßten Raum hinein, verstohlen, damit ihre Kolleginnen mich nicht bemerken und sie necken konnten, aber ich sah ihre schlanke Gestalt und die blauseidene Taille nicht, die sie im Geschäft zu tragen Pflegte. Offenbar arbeitete sie im Nebenzimmer. Mein Herz war unsäglicher Sehnsucht voll, so voll von Liebe und Fröhlichkeit, und mit zitternder Unruhe dachte ich der nächsten Minuten, wo sie lachend und plaudernd neben mir hertänzeln würde. Wenn ich ihr dann erzählte, daß es mir nun gut ging und ich ihr all die kleinen Wünsche erfüllen konnte, womit sie mich früher gequält – die kleinen Wünsche, die mir doch so große Sorgen gemacht hatten, weil ich sie ihr immer abschlagen mußte! ... Wenn ich ihr nun versprechen konnte, Abend um Abend mit ihr zusammen zu sein, alle Theater mit ihr zu besuchen, all die schönen, vornehmen Lokale, hinter deren braunsammetnen Vorhängen sie das Glück vermutete, in deren Pracht sie von der Straße aus so gern einen flüchtigen, begehrlichen Blick warf! ... Lange, lange Wochen hatte ich Tilly nicht mehr gesehen. Und doch schwebten mir ihr feines, bleiches Gesicht, das weiche Blond ihres Haares so deutlich vor, als hätt' ich ihr vor einer Stunde Lebewohl gesagt ...

Die Jalousien der Ladenfenster wurden jetzt mit großem Getöse heruntergelassen, die Bogenlampen erloschen laut schnurrend, und bald nachher traten die jungen Mädchen auf die Straße. Tilly war nicht unter ihnen.

Sollte sie krank sein? Vielleicht schon lange krank, und ich hatte mich, in wüste Träumereien, in unfruchtbare Arbeit vertieft, all diese Zeit über gar nicht um sie gekümmert?

Rasch fragte ich eins der Fräulein nach ihr.

Das Mädchen musterte mein Gesicht, meinen Anzug, dann glitt ein Lächeln um ihre vollen Lippen. »Ach, Sie kenn' ich doch! Aber die Tilly ist schon lange nicht mehr bei uns – schon über 'nen Monat nicht! Sie hat 'was Besseres gefunden ... Gott, ja!«

Ich dankte kurz und ging weiter.

Sie hatte es nicht für nötig gehalten, mich von dieser Veränderung zu benachrichtigen. Mein gestriger Brief war sicherlich rechtzeitig in ihren Besitz gelangt, sie hätte mir diesen Weg leicht ersparen können. Sie zürnte mir – aber mit Recht. Welches Mädchen läßt es sich gefallen, acht volle Wochen hindurch von dem Freunde nur briefliche Grüße zu empfangen, acht volle Wochen hindurch nur darüber unterrichtet zu werden, daß die »Arbeit« langsam fortschreitet! Meine ewigen Vertröstungen hatten sie schließlich ermüdet – wie sollte sie an eine Zukunft glauben, von der ich selbst nichts erhoffte? Es ist wahr, mich hatte es all die Zeit über mit unwiderstehlicher Gewalt zu ihr gezogen, und nicht die Liebe zu meinem Werk, nur meine bittere Armut war es gewesen, die mich von Tilly ferngehalten hatte – aber konnte sie mir ins Herz sehen? Warum war ich zu stolz gewesen, ihr den wirklichen Grund zu sagen? In ihrer Güte und Liebe hätte sie dann gewiß alles entschuldigt. ...

Ich stand vor dem Hause, in dem sie wohnte. Auf der Brücke dort, an einem stürmischen Frühlingsabend, hatten wir uns zum erstenmale gesehen. Der Wind versuchte, ihr mit einem jähen Ruck das Hütchen vom Kopfe zu reißen; sie stieß einen leichten Schrei aus und ließ den Schirm fallen, den ich eilfertigst aufhob. Dadurch wurden wir miteinander bekannt. Ich hatte vom ersten Augenblicke an den größten Respekt vor ihr. Sie war so ganz anders als Berliner Mädchen sonst sind, sicherlich. So heiter und singlustig wie eine Lerche, immer vergnügt, aber so rein dabei, so unschuldig. Ich besaß nun freilich, was Mädchen anbelangt, so gut wie keine Erfahrung, wenigstens was solche Mädchen anbelangt. Ich kannte Gertrud Romberg, auf der einen Seite, und auf der andern ein paar alberne Geschöpfe, mit denen ich mich in meinen Studienjahren oberflächlich abgegeben oder auch, was man so nennt, amüsiert hatte. Gertruds Ernst und stilles Wesen entsprachen zu sehr meiner eigenen Natur, sie war in einer Häuslichkeit und einer Umgebung gleich der groß geworden, die mich geformt hatte. Mit ihr an den Feiertagen meines Lebens zusammen zu sein, in den großen und geweihten Stunden, war mir lange Jahre hindurch seelisches Bedürfnis gewesen; was ich dachte und sprach, interessierte sie aufs höchste, fast jede ihrer Fragen jeder Einwurf von ihr überzeugte mich, daß sie alles verstand, was ich sagte, auch das entlegenste. Und ich wußte, daß ich ihr Lehrer und Führer war, daß sie vertrauend zu mir aufschaute, kein schöneres Fest kannte als eine ernste, tiefgründige Unterhaltung mit mir. Dies Wissen machte mich hochmütig, und je rückhaltloser sie ihre Bewunderung und Hingabe verriet, desto eitler wurde ich und desto geiziger mit den Stunden, die ich ihr widmete. Ich fühlte mich zu fest in ihrer Gunst, zu sicher in der Herrschaft über sie, als daß ich mir bisher besondere Mühe gegeben hätte, meine Stellung zu wahren. Mit Tilly war es ganz etwas anderes. Zuweilen zwar liebte auch sie ein verständiges Wort, und mit reizender Neugier fragte sie mich über mancherlei Geheimnisse meiner Kunst aus, ließ sich allerlei erklären, was sie in der Zeitung gelesen hatte und nicht verstand. In der Regel aber liebte sie munteres, leichtes Plaudern, wollte lachen und lustig sein, haßte das Würdige und Gelehrte. Ein rechtes Mädel muß so sein. Auch bildete ihr quecksilbernes, ungezwungenes Wesen zu meinem den erfreulichsten Gegensatz ...

Aus dem Zimmerchen, das sie bewohnte, hoch oben im vierten Stock, glänzte Lichtschein, sie war also zu Hause. Etwas länger als eine halbe Stunde, nein, nahezu eine Stunde lang wartete ich geduldig, mich immer wieder auf die nächsten fünf Minuten vertröstend; ich hoffte, daß sie mich trotz der Dunkelheit sehen oder zufällig herunterkommen würde. Indes vergebens. Dann überlegte ich, ob sie am Ende nicht doch unpäßlich sei und ob ich es unter solchen Umständen nicht wagen dürfe, ihr einen Besuch zu machen. Bisher war mir eine solche Keckheit nicht in den Sinn gekommen. Doch Not bricht Eisen. Je länger ich nachdachte, und je näher die zehnte Stunde rückte, desto ratsamer schien mir diese Lösung der Schwierigkeit. Hier unten konnte ich bis morgen früh stehen, ohne ihr zu begegnen; oben lag sie vielleicht und sehnte sich nach mir. Und mein Blut wallte stürmisch auf, und ich glaubte zu hören, wie sie meinen Namen flüsterte.

Während ich die Treppe hinaufstieg, kam es mir in den Sinn, daß sie vielleicht doch bös auf mich sein und mich gar nicht vorlassen würde. Als mich deshalb ihre Wirtin nach meinem Namen fragte, nannte ich einen falschen und fügte hinzu, ich käme in einer sehr wichtigen und dringlichen Angelegenheit, die dem Fräulein Vergnügen machen würde.

»Sie möchten näher treten,« eröffnete mir die alte, runzlige Vettel, als sie aus Tillys Stube zurückkam, mit impertinentem Grinsen.

Meine Freundin saß auf dem Sofa, ein Buch im Schoße, die Hände hinterm Kopf verschränkt, mit sehr neugierigen Augen. Als sie mich erkannte, sprang sie auf und begann zu lachen. »Wie siehst du aus? Wo kommst du her in dem roten Kleid? Und lebst wirklich noch? Gratuliere! Heut' abend wollte ich gerade beginnen, vorm Schlafengehen deine Briefe von Anfang an noch einmal durchzulesen – die Briefe eines Verstorbenen!«

Dieser Ton befremdete mich anfänglich etwas. Es war sonst gar nicht ihre Sitte, mit Citaten um sich zu werfen und selbständige Scherze zu machen.

»Den Brief von dir hab' ich übrigens heut' morgen gekriegt,« fuhr sie zu schwatzen fort. »Aber – aber ... na, du hast wohl schon erfahren, daß ich nicht mehr im Geschäft bin? Es ging wirklich nicht mehr so weiter. Der Chef – – Ich hielt's nicht länger aus.«

»Hat er sich wieder Dreistigkeiten gegen dich herausgenommen?«

Sie nickte melancholisch. »Ja. Und du weißt, das ertrag' ich nicht. Unter keinen Umständen. Das weißt du. Übrigens, daß du so nolens volens hier heraufkommst – hör' mal, das ist eigentlich –«

Auch Latein hatte sie in der Zeit unserer Trennung gelernt.

»Liebste Tilly!« sagte ich bittend und näherte mich ihr. »Ich hatte so große Sehnsucht, dich wiederzusehen Du weißt, es ist nicht böse gemeint. Ich habe mich so auf heute gefreut, so sehr –«

»Wer's glaubt! ... Übrigens hätt' ich morgen deinen Brief beantwortet – gepfeffert, sag' ich dir – denn ich bin riesig wütend auf dich gewesen!«

»Ich – ich konnte doch nicht anders! Die Arbeit ... Sieh 'mal, nun hat's doch auch 'was geholfen! Ich dachte so oft an dich – aber es galt aushalten, nicht nur meinet-, auch deinetwillen. Du hast dich wohl fürchterlich gelangweilt in der Zwischenzeit, du armes, kleines Göhr?«

Sie schob einen blitzenden Ring am Finger hin und her. »Nun gewiß! Meinst du, ich wüßte mich so rasch zu trösten wie andere Leute? Ich gehe doch nicht mit jedem! Du sag' mal, wie gefällt dir der Ring hier?« unterbrach sie sich, als sie bemerkte, daß ich das Kleinod aufmerksam betrachtete. »Kostenpunkt fünfzig Pfennige – das ist er wert, was? Nobel muß die Welt zu Grunde gehen. Natürlich von Echtheit keine Spur!« Sie zog den Reif ab und steckte ihn in die Tasche.

Ich aber sah nicht den Ring, ich sah nur ihr holdes, blütenweißes Antlitz mit der blonden Haarkrone, die roten, feingeschwungenen Lippen, das niedliche Kinn, und berauschte mich an dem Glanz ihrer nachtschwarzen Augensterne.

»Und nun, erzähle mir, du Schwindler – was hast du denn für wichtige, dringliche und erfreuliche Angelegenheiten?«

Ich wollte sie necken. Gemütlich zog ich mir einen Stuhl herbei und setzte mich neben sie. »Gar keine. Das war bloß ein Vorwand, dich zu sehen, Schatz. Ja, man muß schlau sein bei den Mädchen heute. Was liest du denn da?«

Sie stieß meine Hand zurück, die sich nach dem Buche ausgestreckt hatte, ihre Mienen verfinsterten sich, und ihre Augen nahmen einen fast feindseligen Ausdruck an. »Halt' Bettelleute zum Narren!« sagte sie verdrossen. »Solche Späße, das ist keine Manier. Überhaupt, ich verstehe nicht, wie du dir erlauben kannst, zur Nachtzeit –«

»Aber Tilly!« unterbrach ich sie betroffen. »Was ist das für ein Ton?«

»Du wirst mir doch keine Vorschriften machen wollen, wie ich in meinem Zimmer zu sprechen habe? Erst jemanden ein halbes Jahr lang sitzen lassen, wie zum Hohn, und dann – – was bildest du dir denn eigentlich ein? Ich glaubte, zwischen uns wär' alles aus! So etwas läßt sich kein anständiges Mädchen bieten. Jetzt auf einmal paßt dir's wieder, und natürlich meinst du ich stünde gleich parat. Wohl bekomm's! Wenn du dich nur nicht tüchtig versehen hast!«

»Das ist – ich verstehe dich nicht, Tilly!«

»Ein bischen schwer von Begriff warst du immer. Aber darüber wollen wir heute nicht streiten. Es muß doch gleich zehn sein. An der Nase herumführen lass' ich mich nicht, das hab' ich nicht nötig. Von dir schon lange nicht.«

Ich sah, daß sie wirklich sehr ärgerlich war, durch meine Schuld. Ich mußte sie beruhigen. »Es hat mir ja selber sehr leid gethan. Aber unsereins kann seine Arbeit nicht beliebig beiseite werfen, man hat doch Pflichten, das wirst du verstehen, man muß weiterkommen!«

»Unsereins! Pflichten! Weiterkommen! Zu dumm! Bilde dir nur nichts ein! Weil du Doktor bist, das imponiert mir nicht. Da giebt's ganz andere. Ich weiß aber recht gut, weshalb du dich zurückgezogen hast – es thut dir leid, mir das versprochen zu haben – nicht wahr?«

»Was?«

»Daß du – daß du mich heiraten willst!«

»Das thäte mir leid? Wer hat dir das gesagt? Ich habe dich so lieb, Tilly, du weißt es ja gar nicht – wie sonst nichts auf der Welt! Und eben deshalb – ich arbeitete, um recht rasch dahin zu kommen, wo ich so gern mit dir sein möchte! Und schrieb ich dir nicht, so oft ich konnte?«

»Schreiben! – Eine Stunde Zeit hat man immer, wenn man nur will.«

»Ja, Zeit! Es waren aber auch andere Gründe.«

»Kann mir's schon denken. So dumm ist unsereins ja auch nicht. Du hattest kein Geld.«

»Nun, siehst du!«

»Und mit dem Preise, wovon du soviel geredet hast, damit ist's ganz selbstverständlich auch nichts geworden?« fragte sie höhnisch.

»Nein, mit dem Preise nicht. Ich habe 's mir überlegt. Ich – ich will ihn nicht.«

»Saure Trauben! Und nun, meinst du, ließ ich mich wieder von deinen Versprechungen bezaubern? Irr' dich nur nicht! Na, und was wünschest du sonst noch von mir?«

Ihr Verhalten, ihr Reden, der Klang ihrer Stimme, ja selbst ihre Bewegungen – alles an ihr war mir so fremd, kam mir so unerwartet, daß ich keine Antwort fand.

Sie öffnete das Buch und begann zu lesen, gleich als wäre ich nicht mehr im Zimmer.

»Kommst du vielleicht ein bischen mit, Tilly?« fragte ich schüchtern. »Wir könnten in ein hübsches Lokal gehen – in den Rüdesheimer, wenn du willst. Zur Feier des Tages.«

Sie ließ den Roman fallen und sah mich ganz verdutzt an. »Mach' doch keine schlechten Witze! Du und der Rüdesheimer!«

Ich mußte lachen. Sie schien mich und ewige Armut für zwei unzertrennliche Freunde zu halten. »Ach nein, Tilly. Die Zeiten sind nun vorbei. An Geld fehlt es nicht mehr. Ich habe eine Stellung angenommen, eine sehr gute Stellung. Fünfhundert Mark im Monat!«

Sie wiederholte die letzten Worte. »Na hör' mal! Wo denn? Aber wirklich? Na, dann wünsch' ich dir von Herzen alles Glück, Max! Das müssen wir feiern, da hast du recht!«

»Siehst du, kleine Hexe? Man muß sich die Leute ansehen, ehe man sie ausschilt.«

»Nein, das meint' ich ganz im Ernst – du hättest wahrhaftig ein- oder zweimal mit heraufgucken können, wenn du auch kein Geld hattest –«

»Ach, hinaufgeguckt hab' ich genug, Tilly!«

»Du thust ja gerade, oder es scheint doch so, als ob ich aufs Geld sähe!« fuhr sie eifrig fort. »Pfui! Darauf kommt's doch gewiß nicht an! Du bist mir immer lieb, dann am liebsten, wenn es dir schlecht geht! Na, warte noch einen Augenblick – in fünf Sekunden bin ich fertig – ich will mir nur den Hut aufsetzen. Und die Schuhe anziehen!« Sie rannte lachend im Zimmer umher, trällerte ein paar Walzertakte und zeigte ihre wunderkleinen Füßchen. »Da, hilf mir den Mantel an!« Im nächsten Augenblick hatte sie mich umschlungen und herzhaft auf den Mund geküßt. »Bist ja doch mein lieber, guter Junge. Du, Doktor Max –«

»Ja, was denn?«

»Kann ein Mädel auch Doktor werden?«

»Ja – wenn sie einen Doktor heiratet. Dann ist sie Frau Doktor.«

»Und wann heiratest du mich?«

»Wann du willst.«

»Ich will – ich möchte gleich morgen!«

»Also morgen!« Wir lachten beide und küßten uns wieder. »Frau Doktor Max Kempff – du, das klingt aber wirklich zu großartig! Und glaubst du, daß ich dir keine Schande mache?« Sie stellte sich vor den Spiegel und kokettierte mit ihrem Bilde darin. »Ach Gott, einstweilen geh' ich wohl noch für die Woche! Freilich nachher, wenn du erst Professor bist, werd' ich wohl ein bischen schlimmer aussehen. Wie rasch kann einer Professor werden, Doktor Max?«

»Über Nacht.«

»Das glaub' ich nicht. Höchstens eine Frau kann – –«

Sie hielt inne, verzog das Gesichtchen wie ein Kind, das eine Dummheit sagen will, sich aber noch rechtzeitig besinnt, und sah mich mit einem unnachahmlich schalkhaften Lächeln an. »Ach, da hätt' ich aber 'was Schönes zurecht geschwatzt! Also – mußt du denn noch ein Examen machen, ehe du Professor wirst? Oder wird jeder Doktor Professor?«

»Man braucht gar nicht Doktor zu sein, um einer zu werden. Man muß nur etwas können. In der Hasenhaide zeigten sie einen gelehrigen Schimmel, der hieß Professor Weiß.«

»Ach, bist du heute fidel! Nun wollen wir aber gehen!« Sie drehte sich noch einmal wie ein Kreisel um mich herum, und als ich sie fing und an mich preßte, legte sie das blonde Köpfchen auf meine Schulter, sah mich lockend an und ließ sich küssen, immer wieder, immer wieder.

Und dann stiegen wir lachend die Treppe hinunter und gingen über die Straße, wie zwei, die die Welt vergessen haben und auf dem allernächsten Wege zum Himmel wollen. Ihr Arm ruhte in meinem, ihre Hand auf meiner, und sie schmiegte sich manchmal an mich, daß ich erschauernd den weichen Druck ihres jungen Körpers spürte. Es begann wieder zu regnen, aber wir achteten's nicht. Ich sagte ihr lauter thörichte Schmeichelreden und erzählte ihr von meiner Sehnsucht und meiner Einsamkeit, all die lange Zeit über. Mitunter, im lauten Rasseln der Wagen und dem wüsten Lärm der Vorübergehenden, verhallten meine geflüsterten Worte, aber dann ließ sie nicht ab, bis ich sie sämtlich wiederholt hatte. Und als der Regen ärger wurde und ich den Schirm aufgespannt hatte, um ihr Hütchen vor zudringlichen Tropfen zu schützen, traf es sich, daß wir in eine dunkle, unbelebte Straße einbogen, und immer, wenn kein Mensch zu sehen war, blieben wir auf dem Bürgersteige stehen und küßten uns. Ich hörte, wie sie wild atmete unter meinen Küssen, ich hörte die unverständlichen Stammellaute, die sie hervorpreßte unter meinen Küssen. Eine Erregung kam über mich, eine glühende Begeisterung, ein bacchantischer Rausch des Glückes, daß es mir war, als glitten wir auf bunt bewimpeltem Kahn durch blaue Lustwellen, hinauf zur Sonne, zu den Sternen, immer höher hinauf; als sähe ich, die Geliebte im Arm, alle Herrlichkeiten Gottes ...

»Ich möchte eigentlich nicht in den Rüdesheimer gehen,« sagte sie dann.

»Warum nicht? Ihr seht so reizend aus – Ihr dürft überall hingehen, Frau Königin.«

»Ach, laß das! Darum ist es auch nicht. Aber wir müssen jetzt sparsam sein, Max.«

»So, wirklich? Was du für eine brave Hausfrau abgeben wirst!«

»Das will ich meinen.«

»Nur heut' sei es noch nicht! Ich habe dir den Rüdesheimer versprochen, und nun sollst du ihn auch haben.«

»Gut, Herr Doktor. Aber den Wein bestelle ich. Denn du bist ein Verschwender. Es giebt auch Berge, die billigen Wein tragen.«

»Sie seufzen unter der sauren Last.« – –

Die Halle schimmerte von vergoldetem Stuck, poliertem Marmor und elektrischem Licht, das sich in den prachtvollen Kronleuchtern buntfarbig brach. Tilly ging voran, mit großer Sicherheit und selbstbewußter Anmut, die ich um so mehr bewunderte, als mich diesem üppigen, übertriebenen Glanz und diesen eleganten Menschen gegenüber etwas wie ein Gefühl der Nichtzugehörigkeit beschlich. Und mit welchem Falkenblick sie die gemütlichste Ecke erspähte, wie graziös sie von dem Platze Besitz nahm, die Weinkarte durchmusterte und ihre Bestellung machte! Es war zum Entzücken.

»Herb und weiß ist Förster Wein,
Purpurrot dein süßer Mund«

deklamierte ich, und

»Wenn in eiskalten Räumen die weißen
Sterntrauben trügen Wein,
Rheinwein müßt' er heißen,
Liebfrauenmilch würd' es sein!«

»Also solche Gedichte kannst du auch!« sagte sie, ihr Glas erhebend. »Und ich habe dich immer für so schrecklich gelehrt gehalten. Ich glaube wirklich, mit dir ist ganz gut auskommen. Prosit! Und viel, viel Glück wünsch' ich dir!«

»Das thu' nur. Es gehört ja doch dir!«

Wir plauderten und tranken dazwischen und rückten uns immer näher. Und ich konnte mich nicht satt sehen an der feinen Linie ihres Halses und ihrem blumenzarten Teint – ja, wie weißer Blütenstaub lag es auf ihr, die selbst eine wonnige, wundersame Märchenblume schien. Unsere Hände fanden sich unterm Tisch und ruhten verschlungen ineinander, unser Gespräch ging von der Zukunft, wo wir wohnen, wie wir unser eigen Heim einrichten und wie glücklich wir sein wollten. Wir lächelten beide, und unsere Blicke küßten sich.

»Du bleibst heut' recht lange mit mir zusammen – recht lange – bis ich dich bitte zu gehen, ja?« stieß sie hervor.

Ich sah sie zärtlich an und erwiderte kein Wort.

»Und du verläßt mich nie – auch wenn ich alt und gar nicht mehr hübsch bin – mag auch kommen, was da will?«

Ich beugte mich über ihre Hand, auf die ich heimlich meine Lippen drückte.

»O, du bist gut!« schmeichelte sie und strich mir die Haare aus dem Gesicht.

»'N Abend, Herr Doktor!« hörte ich da Hellers Stimme, der an uns vorbeiging. Ich sprang auf und blickte in sein kluges Gesicht, dessen Häßlichkeit ganz verschwand, wenn er sein liebenswürdiges, verbindliches Lächeln zeigte. Er winkte mir mit der Hand zu, als sollte ich mich nicht stören lassen, und nahm an einem entfernten Tische Platz.

Sonderbar – ich empfand bei seinem Anblick nichts als leichte Überraschung – keine Furcht, keine Sorge, nein, fast ein Gefühl befriedigten Stolzes, daß er mich in diesem vornehmen Haus mit einer so hübschen Freundin sah.

»Wer war das?« fragte Tilly. »Sieh nur, was für herrliche Brillanten er trägt! Freilich – bei Männern find' ich Brillanten eigentlich gar nicht schön.«

»Er kann sich's leisten,« meinte ich behaglich. »Übrigens, wer weiß – vielleicht komm' ich gerade durch ihn in die Lage, wenn auch nicht mich, so doch dich mit Brillanten zu behängen, Schatz. Der Herr stellt nämlich meinen Chef vor, und falls mir die Erfindung glückt, an der ich arbeite – sie glückt sicher –«

»Er muß doch noch fürchterlich jung sein! Und vornehm sieht er ja aus, aber –«

»Gefällt er dir nicht?«

»Gefallen? Herrgott, mich geht er ja nichts an, mir braucht er ja nicht zu gefallen. Übrigens, weißt du, daß ihr euch beide ein klein bischen ähnelt – nur ein wenig – hier!« Sie fuhr mit dem kleinen Finger ihrer Rechten zwischen meinen Augenbrauen entlang. »Hier – die Falte habt ihr alle beide. Komisch!«

»Ich auch? Ach nein!«

»Sie mag wohl vom vielen Nachdenken kommen. Ich habe sie aber sonst noch bei niemandem gesehen. Und weißt du – nimm mir's nicht übel – als du vorhin bei mir oben so böse dreinschautest ... schrecklich ... es sieht wirklich ganz unheimlich aus. Gewöhn' dir's doch wieder ab, Max!«

Ich schwieg nachdenklich still. Ohne mir Rechenschaft darüber ablegen zu können, woher der Aberglaube kam, fühlte ich mich plötzlich von der Gewißheit durchdrungen, daß irgend ein geheimnisvoller Zusammenhang zwischen ihm und mir bestand, daß unsere Geschicke sich kreuzen mußten. Und nun vermochte ich mir erst den jähen Schrecken zu erklären, der mich geschüttelt hatte, als ich ihn zum erstenmale erblickte, Mittwoch abend im Regen. Es war der Schrecken vor meinesgleichen gewesen, vor dem, der den gleichen Weg verfolgen mußte wie ich, mit den gleichen Waffen.

Meine Wortkargheit kaum beachtend, plauderte Tilly weiter. Sie trank wenig, nippte aber häufig aus dem Glase, und ihre Munterkeit wuchs zusehends. Bald genug hatte sie mich bezwungen und alle Gedanken an zukünftige Kämpfe und Fährnisse verscheucht. Die Lichtflut um uns und die verschwenderische Pracht, das Rauschen und Klingen so vieler froh erregter Stimmen, der Singsang der Gläser, der Wein und das süße, holde Kind an meiner Seite – ich widerstand nicht. Wohl war es zuviel des Glückes, zuviel der Freude, die heut' auf mich eindrang, und sie überwältigte mich um so schneller, als ich ihrer schon so lange hatte entraten müssen. Und jauchzend ließ ich die Wogen über uns zusammenschlagen; wie in trunkener Wonne schlürfte ich den Becher aus, den diese Stunde mir darbot. Nicht zu teuer hatte ich sie mit der Unruhe und den Kämpfen der vergangenen Tage erkauft; ihretwegen allein schon verlohnte sich die That, die ich gethan.

Tilly flüsterte mir ins Ohr, daß sie müde sei und nach Hause wolle. In ihren Augen glomm ein träumerisches Sehnen und verhaltene Glut zugleich, die mein Blut entzündete. Wir brachen auf, und als wir an Heller vorbei mußten, erhob er sich und begrüßte uns, wobei sein Blick lange bewundernd auf Tilly haften blieb. Ihre junge Schönheit errang Sieg auf Sieg, wohin sie immer kam – dies Bewußtsein machte mir Tilly noch lieber und wertvoller. Man würde mich um meine kleine Frau beneiden, wie man mich jetzt um meine Freundin beneidete. Das sagte ich ihr auf der Straße. Und wir lächelten beide in befriedigter Eitelkeit. Und die Straße, so trüb und regnerisch, so naß und häßlich sie war, die ganze Welt schien mir ein blühender Zaubergarten, niemandem geöffnet als uns beiden allein.

* * *


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