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Es geschah nicht, um mich zu betäuben. Aber diese Tage voll blühender Schönheit und Lebensprunk, diese unendliche Reihe köstlich feiner und derberer Freuden entfernten mich deshalb nicht weniger von den Geschehnissen des Tages, entfremdeten mich nicht minder den Interessen, die ich eine Zeit lang mit so brennendem, leidenschaftlichem Eifer verfolgt hatte. Ich vergaß alles um mich her und mich selber dazu; alle quälenden Gedanken, vergangene und zukünftige Gedanken tropften wirkungslos von mir ab, fanden keinen Widerhall in meiner Seele, denn ich hatte keine Zeit für sie. Ich suchte Geselligkeit und mied sie, ich brauste in fröhlicher Lust auf und verträumte lange Tage bei einem trefflichen, großen Buche; morgens lief ich mit Hilde Schlittschuh und schneeballte mich mit ihr, abends versenkte ich mich abgrundtief ins Studium mystischer Philosopheme, ahnungsvoller Geheimlehren. Ich that alles und that nichts; Stunden bacchantischer Entzückung wechselten mit stillen Stunden reiner Abgeklärtheit; ihre Küsse, ihr stammelndes Liebesgeflüster machten mich halb irrsinnig vor Seligkeit, ihre klugen Worte und nachdenklichen Fragen beschäftigten mich unausgesetzt, wenn sie mir fern war. Ich lebte und atmete im Lichte meiner Sonne, ohne es zu wissen; golden glänzte die Welt um mich her, und mir schien, es müsse so sein. Was ich auch trieb und dachte, war eine Melodie ...

Und nur manchmal, wie um mich an mein Menschliches zu mahnen, überfiel mich peinigendes, körperliches Unbehagen, rasender Kopfschmerz, der zuerst nur nach durchwachten Nächten kam, mich dann aber auch im ruhigsten Genusse, ja mitten im Gespräche mit ihr beschlich. Eine schwere, bleierne Müdigkeit gesellte sich ihm, die mich aufs Lager zwang und der doch lange kein Schlaf folgen wollte. Der nächste Morgen freilich verjagte das Gespenst, fand mich immer wieder frisch und lebensfreudig.

Was wir beide, Hilde und ich, uns waren, erfuhr niemand in der Welt. Zwanglos ging ich im Hause ihrer Eltern ein und aus; die ängstliche Mutter hatte mich veranlaßt, die Zahl der wöchentlichen, mathematischen Stunden zu erhöhen, sie bangte um so mehr für das Schicksal ihrer Lieblinge, je näher die entscheidende Stunde kam. Hilde und ich, wir blieben uns selbst überlassen. In Gegenwart der anderen, bei Festlichkeit und zufälligen Begegnungen, wichen wir uns aus, sahen uns kaum an, wechselten kaum ein scheues Wort miteinander. Von verzehrender Eifersucht gemartert, stand ich dabei, wenn fade Burschen ihr den Hof machten und sie ihre faden, albernen Komplimente mit hellem Lachen dankend entgegennahm; inbrünstig haßte ich jeden, der sich mit ihr im Tanze drehte, und es zerschnitt mir das Herz, wenn sie gütig und liebenswürdig gegen jemanden war, von dem ich wußte, daß er sie schon längere Zeit kannte. Und doch ertrug ich die Folter und doch blieb ich keinem Feste fern, das sie besuchte. Denn es kam doch die Minute, wo ein Zufall uns zusammenführte, wo wir plötzlich allein waren und ich sie wütend an mich reißen, unter Küssen fast ersticken durfte. Und wenn das geschehen war, galt es mir gleich, wer sich in dieser Nacht noch um ihre Gunst bemühte; ich fürchtete keinen mehr und ärgerte mich über keinen, ich lachte sie aus, ich, der Fröhlichste unter den Frohen. Ahnt ihr denn nicht, seht ihr's denn nicht an meinen Augen – ich bin ja der dreimal glückliche Prinz, dem sich die Königstochter freundlich neigt.

O die Stunden, die ich in ihrem Zimmerchen mit ihr verplauderte, diese traulichen, heimlichen Dämmerstunden! So kurz sie bemessen waren und so vorsichtig wir sein mußten, sie blühten uns doch. Wie oft stand ich abends in Schnee und Regen an windiger Straßenecke, das Herz voll Sehnsucht und Zärtlichkeit, und wartete auf sie, die eine Freundin besucht und mir davon Nachricht gegeben hatte. Ich hörte das Wasser singend durch die Dachrinnen plätschern, von den Giebeln niedertropfen, und es klang wie dämonische, wilde, süße Musik. Ich sah den Schnee flimmernd um die Laternen treiben, dies Gewoge weißer Funken, Hochzeitstänze. Und wenn sie endlich kam und ihren Arm in meinen hing, wenn wir unter den beschneiten Wipfeln des Tiergartens wandelten, durch die tiefe, tiefe Stille und ich ihr alle die Schmeicheleien sagte, die ich mir tags über für sie ausgedacht hatte ... Wenn ich den Schleier von ihrem Munde fortzog und sie minutenlang in meinen Armen hielt und unsere Lippen minutenlang aufeinander brannten ... Wenn ich ihre lieben, leuchtenden Augen küßte, diese großen, braunen Augen, deren Glanz die seidenen Wimpern nur wenig milderten ... Eis und Schnee und Winterwind, alles tote Weiß ringsum versank vor der schimmernden Blässe deiner Schönheit, du himmlische Blume, vor deinem nachtschwarzen, duftenden Haar, dessen feine Strähnen wie schwarze Staubfäden auf deinen blassen Wangen ruhten. ...

Ich erinnere mich der wilden Nächte, die ich in wilder Gesellschaft verbrachte, mit jungen Männern zumeist, die ich in ihrem Hause kennen gelernt hatte. Wie ich dazu kam, mit den meist sehr gutherzigen und braven Jungen so enge Freundschaft zu schließen, weiß ich nicht mehr; ich gab sie jedem, der mich darum anging, und ich glaube, ich war ihnen ein geschätzter Kamerad, zuletzt ihr Führer. Sie brachten mir rasch bei, was mir noch fehlte, und weil Hilde so viel Gewicht auch auf das Äußere des Menschen legte – sie selbst trug sich auf der Straße mit vornehmer, ja mit raffinierter Einfachheit und entfaltete zu Hause berückende Kleiderpracht – lernte ich mit Begier von ihnen. All die kleinen, eitlen Künste, von denen ich bisher nichts gewußt hatte und die mir noch vor wenigen Wochen jämmerlich und unwürdig erschienen wären – jetzt übte ich mich in ihnen und gefiel mich in ihnen. Mit Dank nahm ich das Kompliment auf, daß ich ein sehr interessanter und hübscher Kerl sei, aber durchaus bei einem besseren Schneider arbeiten lassen müsse. Ich verschwendete ein kleines Vermögen, um hinter keinem Genossen zurückzubleiben. Ich trug Pelzmantel und Cylinder wie sie, kostbare Ringe wie sie; meine englischen Kravatten fanden ihren Beifall, und ich putzte mich mit Tüchelchen und Nadeln und Chrysantemum so kokett heraus wie sie. Was mir viel peinliche Augenblicke bereitete und mich oft in Verlegenheit setzte, meine mehr als bescheidene Wohnung – hier eine Veränderung vorzunehmen, fehlte mir der Mut; mir war, als gebe ich mit dem armseligen Dachstübchen die schönsten Tage meiner Vergangenheit, mich selbst, Hilde und alles Glück auf, das mir dort erblüht war. Und noch andere Umstände bewogen mich, die Unannehmlichkeit standhaft zu ertragen und in der Gasse am Wasser auszuharren. Wozu wecken, was in tiefem Schlummer lag ...

Ich wurde ein Lebemann, wie die andern auch, aber ich meine, ein klügerer Lebemann, mit mehr Geist, mehr System, mehr Genußfreudigkeit als sie. Und ich hatte die Genugthuung, daß sich mir alle Herzen zuwandten, daß es nur an mir lag, glücklich zu sein, Freude in vollen Zügen zu schlürfen. Wenn mich an üppiger Tafel heiße Blicke trafen und die schöne Freundin meines Nachbarn unterm Tische meine Hand ergriff und festhielt, wenn ich stark parfümierte Briefe von ihnen empfing oder zufällig ein Wort erhaschte, das nicht für mein Ohr bestimmt war, mir aber zeigte, wie hoch ich in Gunst stand, dann vergaß ich zwar keine Sekunde lang Hilde darüber, fühlte indessen doch eine stolze Regung des Triumphes, wie sie mir früher nie gekommen wäre. Unsere Unterhaltungen drehten sich häufig um Liebeshändel, häufiger vielleicht, als es geschmackvoll war, und die versteckten, halb schämig diskreten, halb unverschämten Prahlereien wollten nie ein Ende nehmen. Ich beteiligte mich dann nicht am Gespräche, ich hüllte mich in dichte Wolken türkischen Tabaks ein und dachte der Einzigen, Unvergleichlichen. Ihr Name ward nur selten in diesem Kreise genannt, und immer mit großem Respekt, in ehrlicher Bewunderung. Dem oder jenem war Hilde gar zu anspruchsvoll und »gelehrt«; »man kann mit ihr kein vernünftiges unvernünftiges Wort sprechen,« meinte der kleine, runde Martiny. Ich erzählte ihr alles das bei nächster Gelegenheit wieder, und sie hörte dann immer aufmerksam zu, mit sehr stolzem Lächeln ...

Eines Abends wurde mir, mitten im lustigsten Tumulte, zum Sterben schlecht zu Mute; nur mit Aufbietung aller Willenskraft widerstand ich dem jähen Ohnmachtsanfalle. Man erschrak über meine tötliche Blässe und bemühte sich liebevoll um mich; aber ein unerträglicher, bohrender Schmerz in den Schläfen zwang mich doch, frühzeitig aufzubrechen. Martiny, der mich persönlich sehr gern mochte, brachte mich nach Hause, durch die sternklare, frostige Dezembernacht, und ich hatte es ihm zu danken; in rotem Nebel lag alles vor mir, und dazwischen glitzerte und flimmerte es von Millionen gelber Funken, daß ich die Augen geblendet schließen mußte. Ich nahm mir, ehe ich zu Bett ging, fest vor, am nächsten Morgen einen Arzt aufzusuchen; ich hatte dies bisher in uneingestandener Angst vor einem bösen Ergebnis immer wieder unterlassen. Den folgenden Tag verbrachte ich zu Hause, todmüde, abgespannt, wie früher nie nach in heißer Arbeit durchwachten Nächten; über dem Zarathustra fielen mir die Augen zu. Meine Wirtin, die sehr aufmerksam und höflich geworden war, seit ich so pünktlich zahlte und aus freien Stücken Zulage gegeben hatte, nahm sich meiner mütterlich an, ermahnte mich aber dabei, dies schändliche Bummelleben zu lassen und die Nacht nicht länger zum Tage zu machen. Ich erwachte spät in der Nacht, in Schweiß gebadet, aber wundersam gestärkt. Der Arzt war nicht mehr nötig. Ich mußte mich nur vor Ausschweifungen hüten, mich viel in freier Luft bewegen und dem Schlafe ein paar Stunden mehr opfern. Mich drängte ja nichts; ruhig konnte ich der Herstellung meiner durch jahrelange, übermäßige geistige Anstrengung geschwächten Gesundheit leben. Zu bald würden die Stunden ernster Arbeit wiederkehren; sie sollten mich stark und allen, noch so hohen Ansprüchen gewachsen finden.

Einstweilen aber blieb mir noch eine Reihe von Lust und Liebe leuchtender Tage, prickelnder Freuden, bunter, wechselnder Genüsse. Doch was ich, Hilde fern, auch an neuen, berauschenden Eindrücken gewann – ihre Gnade und Gunst überwog doch alles tausendfach. Diese schönen Sonntage, die sich ununterbrochen aneinander reihten, deren Vormittage ich mit einsamen Gängen durch den winterlich beschneiten Wald, durch Museen und Kunstgalerien ausfüllte, – und ich begann die Kunst so schwärmerisch zu lieben, wie es nur ein inbrünstiger Enthusiast vermag, der sein junges Leben bisher an trockene Pergamente vergeudet hat – deren frühe Abende mich im Kreise meiner neuen Freunde sahen, in dem und jenem Theater, auf vergnügter Fahrt in die Nachbarstädte, bei rauschenden Festen, frohen Gelagen oder im Bannkreis eines schmucken, wohligen Junggesellenheims – diese Sonntage meines Lebens wären bei alledem sonnenlos gewesen ohne dich, dich, Hildegard! Ich war unruhvoll und zerstreut, wenn ich hoffen durfte, in wenigen Stunden meine königliche Liebe zu sehen; alles gab ich deinetwegen auf, achtete keine Verabredung, kein festes Versprechen, wenn du riefst, war wirklich empfänglich für die Freude erst, wenn ich dich gegrüßt hatte. Denn dann strahlte alles Leben und alle Schönheit darin zehnfach erhöhten Glanz aus.

Zuweilen wunderte es mich doch ein wenig – ich dachte immer nur beiläufig daran und ohne daß mein Herz in geschwinderen Schlägen ging – warum mir auf meinen Schlaraffenfahrten niemals Heller und Tilly begegneten. Nicht im Theater, wo es mir eine boshafte Freude bereitet hätte, Tilly mit aller Höflichkeit und dem nichtswürdigen Lächeln des Weltmannes zu begrüßen, ihn selbst aber schlechthin zu übersehen. Nicht auf öffentlichen Bällen, während der Lindenpromenade nicht, an keinem von den Orten, wo man beinahe darauf rechnen darf, halbvergessene Freunde plötzlich wiederzusehen. Doch erfuhr ich, daß über seine Fabrik die Sperre verhängt worden war und daß die großen Werke verödet lagen; in den Zeitungen fand ich mitunter eine flüchtige, den Ausstand betreffende Notiz, auch wohl einen Versammlungsbericht, der die Entschlossenheit der Arbeiter, auszuharren, anzeigte. Ich sandte dem Streik-Komitee dreihundert Mark. Es war mir eigentlich doch recht lieb, daß ich mich nicht persönlich mit der Sache befaßt hatte. Ohne Hildes rechtzeitige Warnung würde ich damals vielleicht meinem rachsüchtigen Herzen gehorcht haben. Aber ich war bei dem Zerstörungswerke ganz überflüssig; dieser Mensch war ohne mein Zuthun zwischen die eisernen Räder des Schicksals geraten, und sie zermalmten ihn.

So erklärte sich auch leicht, weshalb er es aufgegeben hatte, mich zu verfolgen. Immer mächtiger, verderbendrohender türmten sich die Gefahren vor ihm auf, er mußte allen Scharfsinn, alle Verwegenheit zusammenraffen, um ihnen zu entgehen. Da blieb ihm keine Zeit für mich übrig.

Dennoch ... es ward mir manchmal unheimlich bei diesem völligen Waffenstillstand. Ein paar mißglückte Anschläge des vordem so Rührigen hätten mich weniger beunruhigt als sein vieldeutiges Schweigen. Und die Haltung der Blätter, die schon seit geraumer Zeit nichts mehr über den Mörder mitteilten, war mir nicht minder verdächtig. Daß alles Geschehene, Furchtbare wie ein böser Traum fortgewischt sein sollte, durfte ich doch nicht hoffen. Vielleicht zog sich, während ich in jubelndem Taumel dahinlebte, schon das zerschmetternde Gewitter über mir zusammen.

Mochte es immerhin. Ich hatte gelebt, aus dem Vollem heraus gelebt. Wenige Wochen nur, wenige Tage, aber das wog schwerer als lange, stumpfe, freudlose Werkeljahre.

»Durchloht von riesenmächt'ger Leidenschaft,
Millionen Küsse auf dem Göttermunde,
Dann stürzen, dann vom Strahl dahingerafft,
Doch groß wie Gott – wie Gott nur eine Stunde!«

Der Vers paßte nicht ganz auf mich. Er erinnerte mich leise an das, was ich inmitten dieses paradiesischen Wohllebens versäumte. Etwas mangelte ihm, die letzte Würze. Die bot mir selbst Hilde nicht, die unerschöpflich Reiche; die ward mir noch weniger an festlicher Tafel, im Glanz der Kronleuchter, im Dufte der weißen Rosen, des kostbaren, getrüffelten Fasans. Und der perlende Sekt und die berauschende Süße der schönen Frauen um mich her – sie gossen wohl flackerndes Feuer in meine Adern, schafften aber nicht die letzte Befriedigung. Ich stieg nicht empor, ein Schaffender, Bewunderter. Ich hielt bequem auf ebener Straße. Ich ...

Doch ich war krank und schwach. Diese Tage bedeuteten die erste Villegiatur meines Lebens, die erste Reise nach dem sonnigen Süden, die erste Ruhe nach zerquetschender Arbeitslast.

Ich war krank, nicht nur eingebildet krank, an irgend einer inneren Wunde oder einem seelischen Zwiespalt, nein, ich war wirklich, gemein körperlich krank. Mein Herzklopfen verschlimmerte sich, die Hast meines jagenden Pulses und die Fieberhitze meines Gesichtes zur Abendzeit erschreckten mich immer wieder. Die Stunden, wo ich denkunfähig, matt und benommen vor mich hinbrütete, wurden häufiger, und alle Spaziergänge richteten nichts dagegen aus. Graue, graue Tage, die mich unlustig fanden zu jeder Zerstreuung, erstickende Nebelluft, die nur du von mir zu scheuchen wußtest, Hilde, Geliebte!

Unsere köstlichen Heimlichkeiten – ich fragte nicht, ob sie von Dauer sein würden. Ob ich immer so verliebt zu ihren Füßen liegen, ob sie immer mit den großen, tiefen Augen so zärtlich auf mich niederschauen würde. Warum that ich nichts, mir ihren Besitz zu sichern, für alle Zeit, gegen jedermann? Wußte ich doch, daß sie mir ihr Bestes und Herrlichstes gar nicht geben konnte in diesen flüchtigen Stunden, daß sie es scheu auch vor mir verbarg. Ihr phantastischer Sinn, ihre Freude am Ungewöhnlichen, ihre innige Neigung zu mir ließen ihr das Verhältnis zwischen uns in purpurnem, geheimnisvollem Licht erscheinen, aber that ich recht, ihre romantische Begeisterungsfähigkeit und ihre Unerfahrenheit so zu mißbrauchen? War sie nicht allzu gut für eine Liebeständelei? Mit welchen Empfindungen hätte ich ihrer wohl gedacht, wenn sie einem andern das schenkte, womit sie mich verschwenderisch beglückte? Ich hätte ja nicht mehr an sie geglaubt, sie wäre ja nicht mehr die Unerreichbare, Hohe gewesen, von der ich Befreiung und Rettung erhoffte.

Walter Romberg fiel mir ein. Sie sprach nie von ihm, und wenn ich einmal, absichtslos und ohne Vorbedacht, seinen Namen erwähnte, überhörte sie ihn geflissentlich. Ich war weit davon entfernt, zu glauben, daß sie sich ihm jemals huldvoller als einem von den vielen geneigt hatte, die sie umschwärmten; seine Eitelkeit hatte ihre Freundschaft und ihre Güte mißdeutet, eine Freundschaft, die noch dazu eigentlich der Schwester galt, indessen – –

Ich war nichts, bedeutete nichts in der Welt. Wollte ich dies Kleinod vor aller Welt mein nennen, so mußte ich erst eine vollgiltige Probe meines Wertes und meines Könnens abgelegt haben. Und das stand mir noch bevor. Das zu thun zögerte ich. Bis ich mich Hildes wahrhaft würdig gezeigt hatte, genoß ich als unverdiente Gunst, was ich mir mit Siegfriedskraft hätte erobern sollen. Ein Bettler war ich statt des Drachentöters ...

Die grauen Tage wurden länger und kehrten öfter wieder. O hätte ich arbeiten und kämpfen können! Aber ich war krank .. Ich mußte warten. Und ich knirschte nicht einmal wider die Unbarmherzigkeit des Schicksals, das mich aufs Faulbett bannte. Hatten das üppige, schwelgerische Capualeben, der Luxus und die lachende Freude mich verkümmert, mir die Flügel gebrochen, mich tief, tief erniedrigt vor dem armen, zerlumpten Hungerleider, der ich früher gewesen? Und war ich für immer gelähmt? Mein Gott, mein Gott – –

Und dann erfuhr ich, daß ich doch noch auflodern, noch schaffen konnte. Ich zog mich von allen zurück, die ich schätzte und liebte, ja selbst von Hilde; ich arbeitete wie einer, der sich dadurch vom Tode loskaufen will. Vom frühen Morgen bis in die sinkende Nacht saß ich über meiner Abhandlung am Schreibtische. Ich zwang mich dazu, wie elend mir auch zu Mute war, ich gönnte mir mittags kaum eine kurze Rast, ich ließ mich nicht mehr los. Stunden kamen, in denen nur drei, vier Zeilen schwerfällig aus meiner Feder flossen, in denen ich wie ein Rasender gegen mich selbst, meine Geistesarmut, meine Unfähigkeit wütete, in denen ich vor Verzweiflung über die Unfruchtbarkeit meines Hirns nervös weinte und Gott um Hilfe anflehte. Und so gewann ich die Schlacht. Denn es kamen auch, zögernd nur und fast scheu, Weihestunden, wo mich das Fieber des Schaffens durchgährte, wo ich, erregt und hingerissen von dem Stoffe, von meinen Gedanken, alle die unsäglichen Wonnen durchkostete, jenen höchsten, feinsten, edelsten Nervenreiz, der nur den begnadeten Poeten durchschauert, wenn er Unsterbliches gebiert.

In weniger als drei Tagen lag die Abhandlung fertig vor mir. Ich saß über sie gebeugt, rasend vor Entzücken, ich schluchzte wie ein Kind, ich küßte das tote Papier.

Ja, ich war krank gewesen, war es vielleicht noch, aber ich würde wieder gesunden. Die Gespenster hatten noch keine Macht über mich. Es regte sich noch frisch lebendig in mir, was mein Göttliches, Größtes war, was mich vorwärts trieb und hob, was ich nur mit dem Tode verlieren konnte. Und dessen Verlust meinen Tod bedeuten würde, so oder so.

* * *


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