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Am nächsten Morgen war ich so zeitig im Laboratorium, daß ich außer dem alten Schneider, meinem Vorgesetzten, noch niemand antraf. Die Nachwehen der unter Mühen und Anstrengungen durchwachten Nacht, Müdigkeit und Sorge verschwanden vor der Begier, Heller zu sprechen, mit ihm im letzten Waffengange die Degen zu kreuzen. Ich sah ihn deutlich vor mir, wie er in seinem prächtigen Junggesellenheim finster vor sich hinbrütete und auf Mittel und Wege sann, mich zu Boden zu werfen. Doch ich fürchtete ihn nicht mehr. Dem Mitwisser des Geheimnisses, meinem Mitschuldigen, sollte von der reichen Beute auch nicht eine Unze in den Schoß fallen. Schadenfroh, im Gefühle meiner Überlegenheit, schritt ich durch das graue Elend des regnerischen Morgens dahin. Gedanken an Tilly umflatterten mich wie farbenprächtige Falter; sonnige Erinnerungen, blühende Hoffnungen zogen in buntem Wechsel durch meine Seele. Alle diese Vorstellungen erhoben und erfrischten mich so, daß ich das Mißlingen des Experimentes in vergangener Nacht kaum noch schmerzlich empfand.

Schneider war hinter seinem Schranke hervorgekommen, als ich eintrat, hatte meinen Gruß knurrend erwidert und sich dann von neuem an die Arbeit gemacht. Seine Augen hingen mit gespannter Erwartung an der Retorte, die er im Sandbade vorsichtig erhitzte und aus der ich dunkle Dämpfe in den Kolben steigen sah. Er beobachtete genau, schüttelte immer verdrießlicher den Kopf und schimpfte leise vor sich hin. Endlich winkte er mich heran, und behutsam trat ich näher.

»Die ganze Nacht hab' ich mich damit abgequält,« brummte er ärgerlich, während er die Gasflamme unter der Retorte verlöschte. »Die ganze Nacht.« Er schien mir in der That bleicher und schmutziger noch als gestern; seine Augen waren gerötet, die weißen Haare hingen wirr über die runzlige Stirn. »Heller hat zu närrische Ideen. Schade um das schöne Geld, das wir dabei verpulvern. Zwar,« fügte er nachdenklich hinzu, »rechnerisch stimmt es – die Gleichung läßt kaum etwas zu wünschen übrig.«

»Sie lösen Gold auf?« fragte ich ganz harmlos.

»Ja – ja. Zerlegen will ich es, verstehen Sie. Seit ein paar Nächten sitze ich dran – 's ist der andern wegen, die's nicht zu wissen brauchen. Nun drangsaliere ich es eben mit Jodwasserstoff und Äther. Ich sage Ihnen, Kempff, ein Vermögen steckt bereits in dem Experiment. Aber er ist nicht davon abzubringen.«

»Ich halte es auch für Unsinn.«

»Sie wissen bereits?«

»Freilich. Herr Heller erzählte mir gestern lang und breit davon. Ich habe ihm natürlich widersprochen.«

»Nun,« entgegnete der Alte nicht ohne Schärfe, »widersprechen ist hier leichter als widerlegen. Sie sind sehr jung. Kommen Sie 'mal erst in mein Alter, und Sie werden alles für möglich halten. Was hab' ich nicht in dieser Zeit für unerhörte Dinge mit der Chemie erlebt! Verrückt hätten sie jeden genannt, der damals so 'was prophezeit hätte! Nein, nein – ich stehe nun auf dem Standpunkte – mich überrascht nichts mehr.«

»Auf diesem Wege bringen Sie's aber nicht fertig, ganz entschieden nicht!« beharrte ich.

»Ich werd' Ihnen 'was sagen,« grunzte Schneider, ein Loch in seinem Rock betrachtend, das von Schwefelsäure hineingebrannt sein mochte. »Wenn ich nicht gemerkt hätte, daß Sie anders sind als die jungen Laffen hier, ich spräche kein Wort mit Ihnen über die Sache. Bei Gelegenheit werde ich Ihnen mancherlei erzählen, was Sie vielleicht doch stutzig macht. Sie glauben mir gewiß ohne weiteres, daß in der Retorte noch ganz etwas anderes als Gold und Jodwasserstoff steckt?«

»Was denn?«

»Ja, das ist unser Geheimnis – will ich ehrlich sein, muß ich sogar sagen, das ist sein Geheimnis. Ich habe zwar 'ne unbestimmte Ahnung, um was es sich handelt – analysieren konnte ich das Pulver nicht; er guckte mir zu scharf auf die Finger –«

»Herr Heller macht uns alle verdreht, das merke ich.«

Dem Alten gefiel meine Offenherzigkeit. »Nun ja. Ich weiß selber nicht, warum er seit einiger Zeit so arg hinterher ist. Früher betrieb er's mehr als Spaß. Denke mir, daß er Gold braucht und darum das Geld zum Fenster hinaufwirft. Meinetwegen.«

Ich fuhr mit der Linken in die Tasche und fühlte nach dem kostbaren Metall, von dem ich eine Probe bei mir trug, dem Ergebnis des ersten Schmelzprozesses in dieser vergangenen Nacht

»Mare tingerem si mercurius esset!« deklamierte Schneider pathetisch. »Er aber verwandelt sein Gold nach und nach in Quecksilber und macht es zu Wasser, was leichter ist, als die umgekehrte Arbeit – freilich auch etwas weniger einträglich. Interessant aber bleibt's doch, und wir beide, Sie und ich, werden uns manche Winterstunde angenehm damit vertreiben. Sie sollen mich nämlich bei dieser Sache unterstützen, im Vertrauen. Heller wünscht noch nicht, daß ich's Ihnen sage, also schweigen Sie einstweilen davon.« Er sah auf seine große, altmodische Taschenuhr. »Halb neun! Da sind Sie aber frühzeitig angetreten, Kollege!« sagte er dann. »Nun thun Sie mir den Gefallen und geben Sie fünf Minuten lang auf die Retorte acht – es gelüstet mich nach einer Schale Kaffee, und das sehr. Ich bin zum Umfallen müde.« Er setzte seinen abgeschabten Filzhut auf und stürmte im Arbeitsrock davon. In der Thüre kehrte er um. »Aber diese Gefälligkeit thun Sie mir privatim!« flüsterte er. »Heller darf's nicht wissen, ich hab' ihm versprochen, keine Sekunde von dem Prozeß zu weichen. Na, auf Sie verlaß ich mich wie auf mich selber.«

Ich war allein. Ich sah mich scheu im Raume um, den die elektrische Bogenlampe mit bläulich kaltem Glanz überflutete. Diesen Leute wollte ich ein Rätsel aufgeben, vor dem sie starr und staunend, fassungslos standen. Zugleich aber hoffte ich, auf diese Weise am allerschnellsten und genauesten erfahren zu können, was ich denn nun eigentlich besaß. Man würde keine noch so zeitraubende und kostspielige Untersuchung scheuen, um der Sache auf den Grund zu kommen und die Eigenheiten des mysteriösen Fundes zu erforschen.

Von dem Metall in meiner Tasche schnitt ich ein kleines Stückchen, wohl nicht ganz anderthalb Gran schwer, ab und zermahlte es in zahlreiche, feine Körner. Nachdem ich mich davon überzeugt hatte, daß Kolben und Retorte hinreichend abgekühlt waren, löste ich die Verbindung und schob die Metallbrocken rasch in die Lösung, worauf ich die Röhren wieder sorgsam ineinanderfügte.

Schneider kam erst einige Minuten vor neun zurück. »Der Kaffee war bene,« sagte er, sich die Hände reibend, mit der Miene eines begeisterten Feinschmeckers. »Gehen Sie hinüber, und trinken Sie auch eine Tasse; Heller braucht Sie hier nicht gleich zu sehen, wenn er kommt.«

Ich beeilte mich, seinem Rate zu folgen. Im Wirtshause lagen bereits die Morgenzeitungen aus. Sie wußten zu dem Mordfalle nichts Neues zu melden, wiederholten aber dafür die alte, alberne Prahlerei, man sei dem Thäter auf der Spur und hoffe, seine Verhaftung in Kürze bewerkstelligen zu können. Über den eigentlichen Hergang waren die Verfolger demnach heute noch ebenso schlecht unterrichtet wie am ersten Tage; auf mir wie auf Heller lastete immer noch kein Verdacht. Man hätte uns sonst gewiß in einer oder der anderen Weise beunruhigt.

Als ich nach einer halben Stunde in das Laboratorium zurückkehrte, stand Heller bereits neben dem Alten, waren meine Kollegen sämtlich fleißig bei der Arbeit. Ich begab mich an meinen Tisch, wo ich alles für ein schwieriges und gefährliches Experiment vorbereitete, blickte aber, so oft es sich unauffällig thun ließ, zu den Beiden hinüber. Offenbar befanden sie sich in großer Verwirrung und Verlegenheit, durch die es wie erwartungsfreudige Spannung hindurchleuchtete. Sie sprachen leise auf einander ein, prüften den Inhalt der Retorte immer wieder und setzten schließlich eine neue Mischung aufs Feuer, die der Alte zusammengoß, während Heller, wie ich deutlich beobachtete, ein hellgelbes Pulver hinzuschüttete. Um mich nicht auffällig zu machen, begann ich mein Experiment, und da ich mit Arsen und Ätzkali zu thun hatte, erforderte es ungeteilte Aufmerksamkeit. Nach Verlauf einer Stunde sah ich die Beiden noch immer in atemloser Thätigkeit. Aber Hellers Gesicht, das erst vor zitternder Begier gerötet gewesen war, hatte sich nun verfinstert; wiederholt sprang er unruhig auf, zerrte nervös an seinem Schnurrbart und starrte dann wieder minutenlang auf den Inhalt des Glases, wie verzaubert, gleich als wollte er ihm sein Geheimnis entlocken. Schließlich gab er Auftrag, den Apparat sofort in sein Privatzimmer zu bringen und verließ hastig das Laboratorium.

Es währte nicht lange, so kam Schneider zu mir heran. Nach einigen gleichgiltigen Wendungen ging er auf die Sache los.

»Sie sind doch bei der Retorte geblieben, Herr Doktor?«

»Ganz selbstverständlich.«

»Sie haben während des Erkaltens keine Veränderung bemerkt?«

»Keine besondere. Nur einmal schien es mir, als ginge die braune Färbung stellenweise in eine rötliche über. Ich konnte dem Grund dafür nicht auf die Spur kommen – Ihnen wird das leicht sein!«

»Leicht! Leicht! Verdammt, es ist eben nicht leicht. Es haben sich 'ne Menge ganz unlösbarer Metallsplitter ausgeschieden, sind keine Nadeln und keine Krystalle, standhaft wie Ruthenium – der reine, barste Unsinn! Es ist gerade, als hätte jemand das Wunderzeug hineingeworfen!« Daran, daß er bei diesen Worten zu Boden blickte, erkannte ich, daß er gegen mich keinen Argwohn hegte.

»Standhaft wie Ruthenium – in Salpetersäure und Königswasser unlösbar?« wiederholte ich. »Ach närrisch! So etwas giebt es ja gar nicht. Es müßte denn gerade der Zukunftsstoff sein, womit unsere klugen Epigonen dereinst alle Elemente zerlegen werden!«

»Lassen Sie das! Zum Spaßen ist mir eben nicht zu Mute!« Er betrachtete seine jodgebräunten Hände. »Es ist doch eine riesig interessante Sache – riesig. Herauskriegen muß ich, was dahinter steckt. Sind die Metallsplitter wirklich goldhaltig – Heller glaubt es, trotzdem sie im Königswasser bestehen – dann bekommen wir bei der Geschichte mehr Gold heraus, als wir hineinsteckten. Das ungeheure Kunststück wäre also gelungen; wir hätten wiedergefunden, was dem Mittelalter verloren ging. Na, guten Appetit! Heller mag sich immerhin die Zähne dran ausbeißen! Nur was Sie anbelangt, Kollege« – er dämpfte seine Stimme zum Geflüster – »Sie versichern mir auf Ehrenwort, nicht zu verraten, daß ich meinen Posten auch nur auf eine Sekunde verlassen habe! Heller kann riesig unangenehm werden; er versteht gerade jetzt, wo so etwas vorgekommen ist, keinen Spaß. Es wäre mir um meine Stellung leid, ich bin ein alter Krauthacker, mich nimmt niemand anders mehr.«

Ich versprach ihm strengste Verschwiegenheit, und er dankte noch, meine Hand festhaltend, als ein Diener aus dem Komptoir meldete, daß der Chef mich zu sprechen wünsche. Schneider erschrak aufs heftigste, ich lächelte nur, und das beruhigte ihn wieder. »Diese Sprechstunde scheint sich einzubürgern,« bemerkte er. »Passen Sie auf, Sie machen Carrière bei uns.« Er würgte an seinen, bunten Wollshawl, den er beständig um den Hals trug, und nickte mir zu, als wollte er mir Mut einflößen. Ich gewann fast den Eindruck, als wäre er vollkommen in Hellers Hand, sein willenloses Werkzeug, abhängig von ihm wie ein Kind und in beständiger Furcht vor ihm. Und dennoch widersprach etwas in seinen Zügen dieser Auffassung, und dennoch glomm manchmal in der Tiefe dieser eingesunkenen Augen ein seltsam phantastisches Licht, das von schlafenden Dämonen erzählen zu wollen schien ...

Heller war damit beschäftigt, die Flüssigkeit aus der zweiten Retorte in einen feingeschliffenen Glascylinder zu gießen, als ich eintrat. Er stellte die Gefäße sogleich beiseite, verschloß sie sorgsam und schritt auf mich zu. »Wenn Sie sich heut noch krank fühlen, Herr Doktor,« sagte er freundlich, »so sähe ich es in Ihrem Interesse wirklich lieber. Sie ruhten sich einige Tage lang aus, ganz ungeniert.«

Seine große Liebenswürdigkeit machte mich noch mißtrauischer. »Ich bin wieder völlig wohlauf.«

»Ihre Arbeiten beweisen das.« Er erwartete offenbar, ich würde nun auf sie zu sprechen kommen und ihm damit den erwünschten, unauffälligen Übergang zu der Angelegenheit bieten, die ihn so ganz gefangen nahm. Da ich aber schwieg, fand er das rechte Wort nicht gleich und sah eine Weile nachdenklich vor sich hin. Ich meinerseits benutzte die Pause, meinen Verteidigungsplan noch einmal zu überlegen.

»Da haben wir heute ein ganz eigenartiges, ganz unerwartetes Resultat erzielt,« fing er endlich das Gespräch an. »Denken Sie sich, eine starke Goldlösung, hergestellt mit Jodwasserstoff, Äther und noch einem dritten Körper, der mein Geheimnis ist, setzt einen braunen Niederschlag krystallinischer Flocken an, die, als ich sie auf Gold probiere, den üblichen Mitteln durchaus widerstehen. Ich habe, das ist zweifellos, eine neue, chemische Verbindung entdeckt, eine Verbindung von vielleicht ungeheurem Werte. Aber es ist sehr eigenartig. Sehr verwunderlich.«

»Verwunderlich kann es nur sein, wenn Ihr geheimnisvoller Zusatz ein solches Resultat nicht erwarten ließ,« sagte ich mit leisem Spott. »So lange Sie dies Geheimnis bewahren, vermag Ihnen ein Dritter mit dem besten Willen keinen Rat zu geben. Sie müssen sich schon selbst mit den Schwierigkeiten abfinden; jede fremde Meinung kann Sie darin nur stören und verwirren.«

»Der Stoff, den ich zusetzte, kann die eingetretene Wirkung unter keinen Umständen hervorbringen. Ich dachte mit ihm nur die Goldlösung zu binden, rein zu erhalten; ich wandte ihn aufs Geratewohl an, nach dem Rezept eines alten Schmökers. Trotzdem wäre ich noch geneigt, an eine unvorhergesehene, köstliche Wunderwirkung zu glauben, wenn die Krystallflocken bei den vorhergehenden und den nachfolgenden Versuchen ebenfalls erschienen wären. Aber das fiel ihnen gar nicht ein.«

»'s klingt fabelhaft. Entweder ist Ihr Zusatz ungemein launisch und äußert seine Kraft nur unter bestimmten Verhältnissen –«

»Die Versuche glichen sich in allen Einzelheiten aufs genaueste!«

»Dann bleibt nur noch die Möglichkeit offen, daß ein fünfter, fremder Stoff in die Retorte gethan worden ist.«

»So dachte ich im ersten Augenblick auch. Die Annahme liegt ja am nächsten. Aber diese Möglichkeit ist doch vollständig ausgeschlossen. Vollständig.«

Ich schwieg. Da er es vermied, mich ins Vertrauen zu ziehen und mir sein Verfahren offen darzulegen, konnte ich mich mit Fug und Recht jedes Ratschlages enthalten.

»Der teilweise Mißerfolg entmutigt mich auch keineswegs; für mich ist das Hauptresultat maßgebend. Ich bin überzeugt, dem Ziel, wovon ich Ihnen gestern sprach, näher gekommen zu sein. Sie begreifen nun meine Erregung. Potzwetter, Laskaris hat einmal dem sächsischen Kurfürsten 800 000 Goldgulden für die Freilassung Böttgers geboten – 800 000 Goldgulden in jener Zeit! Er muß die Tinktur besessen haben, kein Zweifel, wenn er mit solchen Summen um sich werfen konnte, zu Gunsten jemandes, der ihn gar nichts anging. Und diese seine Tinktur darf nicht verloren sein, sie darf nicht. Sie ist wiederzufinden, ohne Frage.«

»Ich kenne die Anekdote,« bemerkte ich obenhin. »Sie beweist nichts.«

»Ihr Wort in Ehren – aber hier steht Behauptung gegen Behauptung!« fuhr er ungeduldig fort. »Ich werde Ihnen jetzt, soweit es möglich ist, den Beweis für die Richtigkeit meiner Ansicht liefern. Vorher bitte ich Sie aber, mir in einem Punkte ganz offen die Wahrheit zu sagen, der Mann dem Manne. Glauben Sie an die Tinktur? Ist Ihre Skepsis echt, oder verfolgen Sie eine Politik, deren Zweck ich nicht verstehe? Ein Ja oder Nein wird mir genügen; Sie binden sich dadurch in keiner Hinsicht, Herr Doktor.«

»Sie sind sehr mißtrauisch und sehr hartnäckig!« entgegnete ich rasch.

Ein nervöses Zucken ging über sein Gesicht; ungeduldig spielte er mit dem Papiermesser und warf mir einen ärgerlichen Blick zu. »Sie arbeiten an einer Abhandlung über Setonius; ich weiß das aus bester Quelle,« stieß er dann hervor. »Sie kennen die alchymistischen Schriften genauer als sonst jemand in Berlin, und Ihr Verständnis der für mich nicht zu enträtselnden Nomenklatur geht so weit, daß Sie allerlei Handgriffe daraus lernen. Sie bewiesen's mir ja gestern. Also lassen Sie uns ehrlich miteinander reden. Ich bedarf Ihrer. Ich bin sehr froh, Sie gefunden zu haben. Ich gebe sehr viel, alles auf Ihr Urteil, weil Sie neben dem verstorbenen Erck der Einzige scheinen, der den Gegenstand wissenschaftlich beherrscht.«

Ercks Name in dieser hinterlistigen, unvermittelten Zusammenstellung mit dem meinigen traf mich wie ein Schlag ins Gesicht. Ich erkannte die furchtbare Drohung wohl, ich sah, daß Heller seine tückischen Künste von neuem an mir zu erproben begann.

Ich nahm mich zusammen, ich blickte ihn entschlossen an. Ich wollte nicht länger mit mir spielen lassen.

»Also, Herr Doktor, Hand aufs Herz – was ist's mit der Tinktur?«

»Wozu das alles? Sie sind so gut orientiert wie ich.«

»Was meinen Sie damit?« fuhr er überrascht auf. Dann schien ihn das Wort zu gereuen. »Nun – ich verstehe. Die Frage war thöricht. Aber da Sie sich gestern so ablehnend verhielten –«

»Ich machte die scherzhafte Neckerei mit, in der Sie sich gefielen, Herr Heller,« sagte ich mit Anstrengung.

Er blickte mich ungewiß, zweifelnd an. Sein Gesicht zeigte deutlich den Ausdruck jemandes, der über Sumpfland wandelt und nicht weiß, ob die trügerische Decke nicht schon in der nächsten Sekunde nachgeben wird. Ich fühlte, daß er jeden Nerv aufs äußerste angespannt hatte, um mich scharf beobachten zu können, und daß er dabei über etwas nachzudenken schien.

»Ich wußt' es vom ersten Tage an, daß Sie an die Existenz der Tinktur glaubten.«

»Dies Wissen wird Ihnen leicht gefallen sein, Herr Heller.«

»Bitte sehr. Sie überschätzen mich. Anfänglich waren's doch bloße Vermutungen. Etwas sicherer wurd' ich schon, als Sie Ihre Kenntnisse so entschieden in Abrede stellten und sie doch bei jeder Gelegenheit zeigten. Und nun lernt' ich gestern Herrn Jonas kennen –«

»Herrn Jonas?«

Er lächelte nur, als ich betroffen den Namen wiederholte, und weidete sich an meiner Verwirrung. Immer aufs neue verstand er es, mich durch höllische Kniffe und Pfiffe zu erschrecken und aus meiner Ruhe aufzuscheuchen. O, wie ich diesen Menschen haßte, der, nicht genug daran, Mitwisser meines Verbrechens zu sein, mich nun auch noch rastlos auf allen meinen Wegen verfolgte, alle meine Beziehungen ausspionierte!

»Ich kaufte schon vor Jahren einmal Luftpumpen bei ihm,« erläuterte er mir dann seine Worte, »und gestern machte ich ihm persönlich eine Bestellung, weil es Details zu besprechen gab. Dabei kam die Rede auf Sie; er fragte mich nach Ihnen, er erzählte von Ihnen, sehr viel Gutes, unter anderm aber auch mit lachendem Gesicht, daß Ihre Freunde große Hoffnungen auf Ihre Setonius-Arbeit setzen. Das war dem Herrn in lebendiger Erinnerung geblieben, weil er's für Narretei hielt.«

So ungezwungen und glaubhaft diese Erklärung schien, mir war sie verdächtig. Ich achtete auf jedes Wort, das er sagte. In jedem Satz witterte ich eine Falle, und vorsichtig berechnete ich jetzt die Wirkung jeder meiner Antworten voraus.

»Also, nicht wahr, Herr Doktor, wir arbeiten nun Hand in Hand? Es soll Ihr Schade nicht sein, weiß Gott. Ich verlange nicht, daß Sie mir Ihr Wissen umsonst zur Verfügung stellen. Und wenn es uns gelingt, das Ziel zu erreichen, dann ist auch Ihr Glück gemacht. Ich bin völlig vorbereitet, einen Kontrakt mit Ihnen abzuschließen. Sie können jedes Mißtrauen fallen lassen – steht doch Ehrenmann gegen Ehrenmann!«

Ein grausiger Humor in dieser Wendung! Und er lachte nicht einmal dabei.

Es galt, ihm in dürren Worten die Hoffnung zu nehmen, daß ich mich freiwillig, ohne verzweifelten Kampf, zu einer Teilung der Beute verstehen würde.

»Ich brauche Sie ja gar nicht, Herr Heller. Ein Tiegel, Feuer und Blei genügen mir. Wozu da ein Genossenschaftsvertrag?«

»Sie spotten! Wenn man Sie jetzt wieder hört, sollte man glauben, Sie wären bereits ein leibhaftiger Adept. Nun, dann darf man ja von Herzen Glück wünschen!« Er lachte, und sein Lachen hatte einen gutmütigen Klang.

Wie raffiniert oder welch ein Tölpel er war! Er versuchte noch immer den Anschein zu erwecken, als kombiniere er mühsam, wovon er doch genaueste Kenntnis hatte. Wollte er auf so billige Art seinen Scharfsinn vor mir glänzen lassen, oder glaubte er wirklich, meine Wachsamkeit einschläfern zu können? Hielt er es, um meine Empfindungen zu schonen, nicht für geraten, seine Mitwisserschaft brutal zu betonen; hoffte er, mich durch dies feine Manöver seinen Wünschen geneigter zu machen?

»Mir scheint beinahe, Herr Heller, ich weiß es sogar – Sie halten mich für den gegenwärtigen Eigentümer der Tinktur?«

Er sah mich starr an. Ich hielt seinen Blick aus, machte aber eine Pause, ehe ich fortfuhr.

»Doch angenommen, ich besäße sie – welche Gründe könnten mich dann veranlassen, in diesem Laboratorium mit Ihnen zu arbeiten, mit Ihnen, von dem ich weiß, daß er rastlos nach der Panacee sucht? Einen Schatz zu teilen, der mir allein gehört, den ich allein heben kann? Den Angestellten zu spielen, statt frei und unabhängig mein Leben zu genießen?«

Heller ließ kein Auge von mir. »Sie verteidigen sich, Herr Doktor, gegen eine Mutmaßung, die ich gar nicht äußerte. Ich muß sagen, ein argwöhnischerer Mensch als ich könnte zu ganz bestimmten Schlüssen gelangen.«

»Und die wären?« fragte ich höhnisch.

»Daß Sie wirklich im Besitz des Geheimnisses sind.« Er vermochte seine heiße Erregung kaum noch zu meistern.

»Und wie ist Ihre Meinung, der Sie keinen Argwohn hegen?«

»Hm ... das läßt sich nicht so gerade heraus sagen. Alles an Ihnen weist darauf hin, daß Sie die Lösung des Rätsels in der Hand zu haben hoffen, und dennoch ...«

»Dennoch?«

»Sie können mich nicht entbehren, Herr Doktor. Aus eigner Kraft kommen Sie nicht zum Ziel. Wenn irgendwo, dann wissen hier zwei Männer mehr als einer, der Praktiker und der Gelehrte mehr als der Gelehrte allein.« Er sprach so siegesbewußt und überzeugt, daß ich ihm widerwillig beinahe Glauben geschenkt hätte.

»Ich dachte früher ähnlich wie Sie,« setzte er das Gespräch fort, ohne meinen Entschluß abzuwarten. »Ich wollte für mich allein arbeiten, ganz im geheimen, mir selbst alles verdanken. Ich vermied es ängstlich, irgendwo das Thema zu berühren oder mich mit Autoritäten zu beraten. Was ist die Folge? Ein Vermögen hab' ich zum Fenster hinausgeschleudert und bin so klug wie zuvor. Wie bitter ich es heute bereue, dem alten Erck nicht nähergetreten zu sein, davon machen Sie sich keine Vorstellung.«

O diese unausgesetzten Anspielungen, dies heuchlerische Getändel mit der Lüge! War es Spott und wohlbedachte Kränkung, waren es tastende Versuche, mich zu fangen? Wenn er alles wußte, warum quälte er mich mit ungeschickten scherzhaften Andeutungen, die mich notwendig erbittern mußten, warum erweckte er zwecklos rachsüchtige Wut in meiner Seele, die mich von Tag zu Tag störrischer machte, seinen Wünschen unzugänglicher?

»Sie kannten Ercke doch! Ich erinnere mich, daß Sie von ihm sprachen!«

Aber er wich dem Schlage geschickt aus. »Dem Namen nach, gewiß. Leider sind wir uns durch meine Schuld nie nähergetreten – sonst, wer weiß! Er bot mir einmal schriftlich eine kleine Erfindung an, die ich Dummkopf abwies ... Sie war an sich nichts wert, aber sie hätte uns zu Größerem vereinigt. Und wie ärgerlich! Noch vor vierzehn Tagen dachte ich daran, ihn zu mir zu bitten, unterließ es dann aber wieder im Drang der Geschäfte.«

»Und sein Ableben hat Sie auf mich aufmerksam gemacht?«

»Ja. Das heißt – insofern als mir Ihr Angebot wieder einfiel. Ich erkannte nun, wie schädlich jede Minute Zögerns werden kann, erkundigte mich sofort nach Ihnen und erhielt die günstigste Auskunft –«

»Wer war denn der Gütige?«

»O – das ist Fabrikgeheimnis!« scherzte er. »Schade, Herr Doktor, schade,« sprang er dann plötzlich ab, »daß Tote nicht reden können! Erck wüßte so manches zu erzählen – meinen Sie nicht auch?«

Ich fühlte, daß ich bleich wurde und vor jähem Entsetzen die Herrschaft über mich verlor. So machtvoll ich gegen das Gespenst rang, das immer wieder aus dem Grabe heraufbeschworen ward, sein Anblick lähmte mich stets von neuem und warf mich zu Boden. Ich glaubte zu spüren, wie meine Pupillen sich vor Entsetzen vergrößerten, und ehe ich das Wort zur Entgegnung fand, verging der Bruchteil einer Minute – eine qualvolle Ewigkeit.

»Sie bleiben also dabei, daß der Verblichene ein Schüler Sehfelds war?«

»Ich bin davon überzeugt. In Ercks Nachlaß muß manches liegen, was uns deutliche Fingerzeige geben könnte.«

»Bisher nahmen Sie an, der Thäter sei in den Besitz der Tinktur gelangt.«

»Nun ja –«

»Verzeihen Sie. Wenn er wußte, um was es sich handelt, wird er klug genug gewesen sein, alles zu vernichten oder mit sich zu nehmen, was andere auf die Spur des Geheimnisses bringen könnte.«

»Möglich, aber nicht wahrscheinlich. So kaltblütig zeigt sich unter diesen schrecklichen Umständen kein Mensch. Einen Fehler begeht er sicher; etwas übersieht er. Und auf dies Etwas setze ich meine Hoffnungen. Ich habe übrigens eine neue, vielleicht nicht ganz schlechte Idee. Ich werde an die Kriminalpolizei schreiben und ihr die Gründe für meinen Verdacht mitteilen, daß jemand in Erck den Adepten vermutete und ihn deshalb tötete.«

Vor meinen Augen flimmerte es, wie ein blutroter Schleier legte es sich über mein Denken. Aber ich bezwang das Grausen, ich verzog keine Miene.

»Ja, glauben Sie denn, für Ihren Zweck Nutzen daraus ziehen zu können? Selbst wenn die Polizei auf das unwahrscheinliche Märchen eingeht und Sie nicht einfach für übergeschnappt hält – verzeihen Sie, aber ich meine, sie wird das wirklich thun – versperren Sie sich dadurch nicht jede Gelegenheit, Wichtiges aus der Hinterlassenschaft des Professors ohne Aufsehen für sich zu erwerben? Ist die Sache einmal offiziell anhängig gemacht, dann wird man neben anderen auch Sie beobachten, und Sie müssen notgedrungen Ihre Versuche aufgeben. Dann erst, scheint mir, haben Sie die letzte Hoffnung verloren, mit Ercks Hilfe in den Besitz der Tinktur zu gelangen.«

»Das stimmt. Andererseits aber: geht man auf meinen Vorschlag ein, so werde ich sicher zum Sachverständigen in der Angelegenheit ernannt. Verstehen Sie? Ungestört kann ich dann die kleinste Einzelheit studieren. Vielleicht würd' ich auch Sie vorschlagen ...«

Er wußte, daß man uns suchte, und wollte uns, sich und mich, selber der Polizei in die Hände liefern! Die Verbrecher als Ankläger und Zeugen! Dieser Mensch spielte mit einer Verwegenheit va banque, die mich schwindeln machte, die aber gleichzeitig meine neidische Bewunderung hervorrief. Ihm mußte gelingen, was er erstrebte; er führte Waffen von höchster, wunderbarster Schärfe, Waffen, die nur einen Fehler hatten: ihre allzugroße Feinheit und ihre dadurch bedingte Zerbrechlichkeit.

»Sie sind von einer grenzenlosen Kühnheit!« konnte ich mich nicht enthalten, auszurufen.

»Kühnheit? Warum?«

Ich lächelte nur. Ahnte er wirklich nicht, daß ich in ihm längst den Fremden aus jener Nacht erkannt hatte; war sein freches Selbstvertrauen so groß, daß er meinte, auf ihn könne kein Verdacht fallen, unter keinen Umständen? Nun, dann handelte er in unbegreiflicher Verblendung, dann war seine Verwegenheit nichts als tollkühne Draufgängerei, die ihn notwendig ins Verderben stürzen mußte.

Oder beliebte es ihm, noch immer die alte, verbrauchte Finte anzuwenden und mich durch naives Gebahren überzeugen zu wollen, er sei der nicht, den ich in ihm vermutete?

»Ihr Plan birgt furchtbare Gefahren für Sie. Das werden Sie am allerbesten beurteilen können,« wandte ich mich an ihn, der schweigsam seine Zigarre rauchte. »Mir scheint es viel klüger, Sie scheuen die Schwierigkeiten der privaten Nachforschungen nicht; mit der Polizei darf sich nun und nimmer einlassen, wer solche Absichten wie Sie verfolgt. Der Verstorbene –«

»Wissen Sie, Doktor, was mir auffällt?« unterbrach er mich. »Sie selber achten wohl gar nicht darauf?«

»Auf was denn?«

»Daß Sie es durchaus vermeiden, Ercks Namen zu nennen. Sie gebrauchen alle möglichen anderen Bezeichnungen dafür.«

Der Schurke! Wie er mich marterte!

Mein Gesicht verzog sich zu einem Lächeln. »Ich bin sehr abergläubisch – Sie wissen, daß ein unnatürlichen Todes Gestorbener sich meldet, wenn man ihn beim Namen ruft.«

»Wie sonderbar Sie doch sind!« Dann sah er auf seine Uhr und stieß einen leisen Pfiff aus. »Teufel auch! Wir verplaudern alchymistisch den Vormittag! Das finstere Mittelalter nimmt Einen so gefangen, daß man die Neuzeit völlig vergißt, die Neuzeit da vorn im Komptoir! Menzel wird bereits seine angenehmsten Grimassen schneiden, weil ich ihn so lange warten lasse.«

Ich verbeugte mich und wollte gehen.

»Apropos, Herr Doktor!« hielt er mich zurück. »Morgen ist Sonntag – wenn Sie abends nichts Besseres vorhaben, wird es mir eine große Freude sein, Sie bei mir zu sehen. Wir haben 'ne kleine Gesellschaft ... ganz prächtige und gebildete junge Herren und honnette Damen – Sie werden sich amüsieren, ich leiste Bürgschaft dafür in jeder Höhe!«

»Ich bin so gut wie verlobt, Herr Heller, und meine Braut hat mich natürlich für morgen mit Beschlag belegt!« lehnte ich die Einladung ab. »Sonst würd' es mir eine sehr, sehr große Freude machen –«

»So bringen Sie Ihre Verlobte mit! Schämen brauchen Sie sich ihrer wahrhaftig nicht – ist ja ein entzückendes Mädchen. Und was den Ton anbelangt, der bei mir herrscht – Sie haben nichts zu befürchten. Also, Sie kommen? Ich lasse keine Entschuldigung gelten.«

Er bat so dringend und liebenswürdig, daß ich endlich nach langem Zaudern versprach, Tilly seine Einladung zu übermitteln. Wie er mir zum Danke die Hand schüttelte, fand ich den Mut, ihn abermals um ein größeres Darlehen anzugehen, und mit freundschaftlicher Bereitwilligkeit, meine Entschuldigungen lachend abwehrend, gab er mir das Geld.

* * *


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