Autorenseite

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Ich versuchte in derselben Nacht eine zweite Projektion. Sie mißlang vollkommen, obwohl ich weit umsichtiger als beim ersten Male zu Werke ging und keine Vorschrift verletzte. Die eingeriebene Tinktur drang trotz des scharfen Feuers nicht in das fließende Blei ein, sondern blieb in kleinen Krystallen an der Oberfläche des Spiegels haften. Vollkommen spröde, ging sie mit dem Metall selbst dann keine Verbindung ein, als ich sie hineinpreßte, die Masse erkalten ließ und dann wiederholt umschmolz. Ich wußte mir das Phänomen wohl zu erklären. Das für die Projektion benutzte Blut war wirkungslos geworden ... ich hatte zu lange gezögert. Schon damals, beim ersten Versuch, wollten einzelne Krystalle nicht in die Mischung übergehen, so große Mühe ich mir auch gab; jetzt versagte die Tinktur vollständig. Noch in der Nacht des Mordes mußte die Projektion vornehmen, wer den Goldschatz heben wollte ...

Der unerwartete Mißerfolg verblüffte mich, ohne mich irgendwie empfindlich zu treffen. Wenn alles fehlschlug und über mir zusammenbrach – was galt dann dieser armselige Bettel, diese halbe Spielerei? Ich hatte sie, der Eingebung der Minute folgend, unternommen, in wirrer Betäubung, frecher Verzweiflung; alles, alles war so gleichgültig und leer, ekle Fratzen alles, tot und zerstampft all meine Hoffnungen – warum sollte ich da nicht wenigstens versuchen, mir reiche, unerschöpfliche Mittel zur Fortführung des tollen Verschwenderlebens zu schaffen? Warum nicht? Denn das fühlte ich in dieser fürchterlichen Stunde: nun hatte mich der Strahl erreicht und niedergeschmettert, jetzt stand ich am Ende des Weges. Was noch kam, war Steppe und Sumpf. Ich durfte nicht mehr vom Himmel träumen, ich war ein Verdammter. Sie verließen mich nicht mehr, die Gespenster, aber sie quälten mich auch nicht. Ich hatte mich in mein Schicksal ergeben, verzichtete auf Kampf und Gegenwehr. Ich war gestorben, ein anderer an meine Stelle getreten, ein anderer ohne meine wilden Gedanken und ohne mein unseliges, heißes Begehren. So sollte es wohl sein. Wie in Totenstarre lag mein Gehirn.

Mitternacht war lange vorüber, als ich endlich von weiteren Versuchen, das Unmögliche zu erzwingen, abstand und die Geräte verzweifelt beiseite schob. Etwas in mir wollte mich vor mir selbst entwürdigen und mich zwingen, laut aufzuschreien und zu weinen, meine bis zur Qual straff gespannten Nerven dadurch zu beruhigen. Ich widerstand tapfer, ich würgte das aufsteigende Schluchzen herunter und sah, um mich abzulenken, aus dem Fenster in die von braunen Flämmchen umhangene Nebelnacht hinaus. Sie erinnerte mich an eine andere, und ich fuhr, tötlich erschreckt, herum, denn mir war, als habe sich die Thür eben lautlos geöffnet, als gehe ein eisiger Windzug durchs Zimmer. Aber der Riegel saß noch fest wie vorher, und die Lampe brannte ruhig weiter. Und nun plötzlich fand ich den Mut, der mir bis zu dieser Stunde immer gefehlt hatte; ich packte die blutigen Kleider sorgfältig in ein Bündel. Nichts störte mich bei der häßlichen Arbeit. Niemand sah mir zu, aber ich stellte mich doch so, daß mir die Lampe nicht ins Gesicht schien und daß zwischen mir und der Wand kein freier Raum blieb. Jedes Stück untersuchte ich aufs genaueste, ob es keinen Inhalt barg, der mich hätte verraten können, doch ich fand nichts. Ich biß die Zähne zusammen, wenn meine Finger die klebrige Feuchtigkeit des Blutes zu spüren glaubten und ich entsetzt zurückfuhr; mein Gesicht mag totenbleich und zu abscheulicher Grimasse verzerrt gewesen sein, als ich mit dem Bündel die dunkle Stiege hinunterschlich. »Komm nur an, komm nur an – jetzt ist alles verloren, jetzt fürchte ich dich nicht mehr.« Aber es kam nicht. Vor der Thür verharrte ich eine Weile in atemlosem Lauschen, ehe ich auf die Straße schlüpfte.

Ich machte mich verdächtig, es war unklug von mir, mit dem ziemlich umfangreichen Bündel so scheu und lautlos durch die Nacht zu eilen. Wer mich zufällig sah und dabei beobachtete, daß ich immer in die dunkelsten Nebengassen einbog, mußte zu recht eigentümlichen Schlüssen gelangen. Ich rief die nächste Droschke an, die mir entgegenkam, und ließ mich in ein ganz entferntes Stadtviertel fahren. Der schwache Gaul trottete ganz gemächlich seinen Weg, und ich überlegte währenddessen, immer argwöhnisch auslugend, wie ich mich der elenden Lumpen am leichtesten entledigen könnte. Sie ins Wasser zu werfen, schien nicht rätlich; sie zu vergraben, dazu bot sich mir keine Gelegenheit. Unter unwiderstehlichem Zwange handelnd, hatte ich mich vorhin zu einer That entschlossen, die ich so lange, viel zu lange feig hinausgeschoben hatte; nun wußte ich mit den scheußlichen Zeugfetzen weder ein noch aus. Sie wollten mich nicht verlassen, die verräterischen Ankläger, die Zeugen meines Verbrechens. Sie hielten treu zu mir, sie ließen mich nicht mehr los, denn wenn ich sie nachher wegwarf, würden sie wiederkommen und mich holen ... Narrenspossen .. und gleichviel! Wir fuhren jetzt durch eine öde, endlose Straße der Vorstadt. Nur hier und da flackerte im Dunst eine müde Laternenflamme. Hier, in diesem stillen Bezirke, mußte es ja gelingen, den Packen zu beseitigen. Ich ließ den Kutscher halten, zahlte, ging auf das nächste Haus zu und wartete, bis er schnaufend davongefahren war. Dann schlich ich die Straße hinauf, vorsichtig durch den Nebel spähend, der sich mit jeder Minute verdichtete. Ich wußte, daß es gefährlich war, in dieser verrufenen Gegend zu so später Nachtzeit mit einer so schweren Last betroffen zu werden; jeder Polizist würde mich anhalten und über den Erwerb des Bündels befragen. Der Nebel schützte mich für's erste vor wachsamer Neugier, aber ich durfte diesem Schutze nicht allzu fest vertrauen; jede Sekunde konnte mich verderben.

»Heda, Sie!« brüllte es da gellend hinter mir. »Bleiben Sie doch mal stehen!«

So völlig unerwartet kam der laute Anruf, daß ich mit einem Schrei des Entsetzens zusammenfuhr, daß es mir schien, als wäre ich am Boden festgebannt. Doch schon im nächsten Augenblick stürmte ich mit langen Sätzen vorwärts. Ich wußte nicht, ob mein Verfolger hinter mir her rannte, ich wußte nicht, ob er lärmte und Hilfe heranrief; ich raste wie ein angeschossenes Tier durch die trübe Nacht. Das Bündel lastete mir unerträglich, hinderte mich in jeder Bewegung, mußte mich in die Gewalt des Feindes bringen; dennoch schleuderte ich es nicht von mir, sondern spähte laufend nach einem geeigneten Versteck dafür aus. Ich hastete an einem Kohlenplatz vorbei, durch dessen nicht übermäßig hohen Zaun ein Schneeberg schimmerte, und im nächsten Augenblick hatte ich den Ballen hinübergeschleudert. Dann flüchtete ich weiter, so lange es meine Kräfte zuließen, und erst als ich, in Schweiß gebadet, von wütendem Herzklopfen gequält, keuchend und nach Luft schnappend gezwungen war, meine Schritte zu verlangsamen, bemerkte ich, daß die Verfolger meine Fährte verloren haben mußten. Das gab mir im Augenblick alle Zuversicht wieder, befreite mich von der sinnlosen Todesangst; ich glaubte mich zwar noch keineswegs gerettet, hoffte aber doch, dem diesmal unbegreiflich nahe gewesenen Verderben noch einmal zu entrinnen. Ein Pferdebahnwagen rollte an mir vorbei, nach der Richtung, in der meine Wohnung liegen mußte, doch wagte ich es nicht, jetzt einem Menschen, jetzt dem Lichte tollkühn gegenüberzutreten. Und das war gut. Man wäre auf den Tod erschrocken vor mir zurückgefahren, so fürchterlich sah ich in jener Nacht aus. Als ich mich nachher daheim im Spiegel betrachtete und die wie im Fieberwahnsinn glühenden Augen sah, die Haare, die wirr und feucht in die Stirn hingen, den wüsten, frechen und zugleich tückischen Ausdruck meines Gesichtes, die tiefe Falte zwischen den Augenbrauen, da meinte ich beinahe, nicht mich, nein ihn, den Verhaßten, zu erblicken. Wie er mir ähnelte, furchterregend, unerklärlich; wie wir alle uns ähnelten, die toll und rücksichtslos demselben Ziele nachjagten ... Seltsam ...

*

Es setzte mich nicht sonderlich in Erstaunen und schmerzte mich nicht allzu sehr, als der Verleger mir einige Tage darauf mit wenigen, sehr kühlen Worten meine Abhandlung zurückschickte. Hatte ich doch inzwischen nur zu deutlich erkannt, daß sie wertlos, mehr als das, albern und gekünstelt war, daß kein Segen auf der Frucht eines kranken Geistes ruhte, auf einer Arbeit, zu der es mich nicht getrieben, zu der ich mich gezwungen hatte. Ich las sie, obwohl es mich Überwindung kostete, noch einmal aufmerksam durch, und je weiter ich vordrang, desto läppischer, unverständlich läppisch, schien mir das Ganze. Kein neuer, kein kräftiger Gedanke in dem langen Schriftstück, kein froh begeistertes, vom Herzblut durchpulstes Wort, dafür aber sprunghafte Dialektik und jene gedrechselte, geistreichelnde Sprache, die ich mir im Umgang mit Hilde angewöhnt hatte ... Ein wertloser Schmarrn, dessen ich mich in tiefster Seele schämen mußte. Indes, auch dieser Fehlschlag enttäuschte mich nicht. Wenn man mein Buch der Bibel gleichgestellt, wenn man mich vergöttert hätte, in Ehre und Liebe erstickt – es wäre mir keine Heilung gewesen. Verwüstung ... Vernichtung ... das war das Ende. Es gab kein Zurück mehr, kein Beiseit. Wohl nahm ich mir vor, die Arbeit trotz alledem nicht ganz fallen zu lassen, sie zu gelegener Zeit auf anderer Grundlage neu aufzubauen, den Stoff von neuem zu durchdenken, zu vertiefen ... Doch das nahm ich mir nur vor, in einer der wenigen Stunden zwischen Traum und Schlaf. Ich war ja so krank, auf den Tod krank. Manchmal wandelte mich, wenn ich bei einem Buche saß, die Ohnmacht an, und einmal packte es mich auf offener Straße, in der kalten, klaren Winterluft. Ich weiß noch, wie sich da ein junges, bleiches Ding meiner erbarmte und mich führte, bis ich wieder zu mir gekommen war. Ich weiß aber nicht, ob ich ihr ihre mitleidige Liebe dankte oder etwas wie Mitleid empfand für sie, die so gar ärmlich und elend aussah, so verkümmert und traurig dreinschaute, wie es nur Menschen thun, die nicht wissen, ob sie ein Stück Brot zu Hause finden werden, Ich war so sinnberaubt, so zerstört ... ich hatte für niemanden mehr ein gutes Wort übrig. Ich war krank, tot, und wanderte doch noch umher; ich schien mir selbst ein Spuk, ein zweckloses, nichtsnutziges Geschöpf. Das ausschweifende Leben hatte mich wohl völlig entnervt, ich hatte Gift getrunken statt der Arznei, hatte als Gastgeschenk aus dem goldenen Hause den Tod mitgenommen.

Grauenvolle, düstere Tage, leeres Brüten, aus denen mich nichts und niemand aufzurütteln vermochte. Warum ging ich nicht auf das Gericht und zeigte mich selbst an? Was fesselte mich denn an dies jämmerliche, tierische Dasein? Durfte ich denn noch hoffen, ohne mich selbst höhnisch dafür verlachen zu müssen? Ich verschaffte mir keine Gewißheit darüber, welches schleichende Fieber in meinen Adern bohrte und brannte; ich war mit dem Tode, der kommen mußte, ausgesöhnt und mehr als einmal versucht, ein Tagebuch dieser letzten Wochen zu schreiben. Ich hatte mir sogar schon einen schwermütigen und koketten Titel dafür ausgewählt. In wessen Hände sollte ich es legen – in Hildens oder Gertruds? So ergreifend wollte ich es gestalten, daß sie bitterlich weinte, die es empfing, und mich nimmermehr vergessen würde. Nicht Wahrheit wollte ich geben, sondern ein schönes Schauspiel, wollte mich, mein Treiben und Denken verklären, mit flackernder Glorie umhüllen. Wenigstens eine sollte es von ganzem Herzen betrauern, daß ich so früh hatte scheiden müssen. Im Tode noch wollte ich der unbesiegte Held bleiben ... Gertrud würde ich das Buch übergeben; sie hatte immer an mich geglaubt, wie man an Gott glaubt, und ich wünschte, daß es so blieb.

Ich schrieb das Tagebuch nicht. Ich ließ es bei schwächlichen Ansätzen dazu bewenden und nannte es dann unwürdig, auch nicht der Mühe wert, mir die Pose eines sterbenden Fechters zu geben. Wäre ich davon überzeugt gewesen, daß einst Hilde in den Besitz meiner Aufzeichnungen gelangte, so hätte ich mich mit Eifer ans Werk gemacht und mich nicht einmal deshalb verachtet; es war mein heißester Wunsch, ihr zu zeigen, was sie verloren und von sich gestoßen hatte. Aber Gertrud ... Ich dachte mit tiefer Rührung ihrer Reinheit und Wahrhaftigkeit; ihr mochte ich keine Komödie Vorspielen, ihr nicht. Und sie würde mich ja auch ohnedies nicht vergessen, sie, die Einzige.

Hildes Blick verblaßte sonderbar schnell in meiner Seele. Seitdem ich sie nicht mehr täglich sah und meine Gedanken sich mit anderen Dingen als mit ihr beschäftigten, trat sie von mir zurück, in immer weitere, in immer nebelhaftere Fernen. Und dafür drängte sich, leuchtend, lockend, die Erinnerung an Tilly heran. Hilde hatte mich kalt und schnöde einer Laune, mochte auch sein, einem Befehl ihres Vaters geopfert; sie hatte mich an der empfindlichsten Stelle getroffen, und ich verachtete sie dafür von ganzem Herzen. Jetzt durchschaute ich sie, bemerkte ihre Schwächen, ihre Albernheiten, jetzt spottete ich der Närrin, die Geist und Phantasie so ungeschickt imitierte, entsann mich mit Vergnügen, wie oft sie sich mir gegenüber bloßgestellt hatte. Jetzt setzte ich sie maßlos herab, wie ich sie vordem maßlos überschätzt hatte. Mit Tilly war es etwas anderes. Tilly, die sich so gab, wie sie war, leichtfertig, auf Vergnügungen erpicht, augenblicklichen Regungen gehorchend, Tilly hatte sich von dem Schurken beschwatzen lassen – wer weiß, ob sie ihr Thun nicht längst bereute? Alle Schuld trug Heller; sie war die Verführte ... welches Mädchen ihrer Art widersteht denn der öligen Zunge, den verschwenderisch ausgestreuten Schätzen eines solchen, gewissenlos niederträchtigen Lebemannes? Ich selbst hatte sie mit Heller bekannt gemacht und so selbst den Anlaß zu unserer Entzweiung gegeben.

Ob sie nicht zuweilen mein dachte? Und ob sie ...

Meine Hoffnung, ihr zufällig zu begegnen, erwies sich als trügerisch; sie war von der Friedrichsgracht verzogen und schien in einem sehr entfernten Stadtviertel zu wohnen. Er war ja reich genug.

O der Schuft, der freche Dieb meines bescheidenen, kleinen Glückes, der dreimal Verfluchte! O wie ich ihn haßte, wie die Bestie in mir sich aufbäumte bei jedem Gedanken an ihn! Es gab nur einen Menschen in der Welt, der mich hetzte und verfolgte, der mich zu dem gemacht hatte, was ich nun war; es gab nur einen Menschen, der mir, ohne daß ich ihn je beleidigt, Böses gethan hatte. Und in der Hand dieses einen Menschen ruhte die Entscheidung darüber, ob ich im Zuchthaus enden sollte; dieser Mensch überlieferte mich nur darum noch nicht den Gerichten, weil die Tinktur noch nicht sein war, Und ich – wie ein Tropf stand ich daneben und wartete ab, was er wohl thun würde! Geduldig ließ ich mich zu Tode martern und hob keine Hand ... o ich erbärmlicher Feigling!

Und wiederum kroch ein Gedanke durch meine Seele, finster, furchtbar ...

Nein, das nicht, nicht so! Mochte wohl sein, daß abermals die Stunde erschien, wo mir die Notwehr das Messer in die Hand drücken würde, und wahrlich, wenn es mein Leben galt, würde ich es gegen niemand mit so inbrünstiger Wut verteidigen wie gegen ihn. Nachher sollten sie mich immerhin ins Gefängnis schleppen, nachher wollte ich nichts mehr verschweigen, mich durch ein umfassendes Geständnis von dem dumpfen Drucke befreien – aber aus eigenem Entschluß, freiwillig wollte ich büßen! Wollte nicht ihm den Triumph gönnen, hohnlachend die Zuchthausthür hinter mir ins Schloß fallen zu hören ...

Nimm dich wohl in acht, Felix Heller ... es geht jetzt zu Ende. Du darfst mich nicht zum Wahnsinn bringen, mich nicht stacheln zu der That – oder alle Verantwortung komme auf dein Haupt, alles Blut über dich ...

Noch hatte ich, in all meinem Elend und meiner Kläglichkeit, wohl ein Recht, erhobenen Blickes durch die Welt zu gehen; noch wußte ich mich und meine Begierden zu bezwingen. Hoch stand ich über dir, du tückischer Unhold. Ich hungerte und entbehrte wieder, trotzdem ich alle Wonnen des Reichtums gekostet hatte; ich begnügte mich mit dem Allergeringsten. Und doch war ich Herr ungezählter Millionen, konnte meinen Weg mit Diamanten pflastern, die Welt in Gold ersäufen – nur eines Entschlusses bedurfte es dazu, nur einer Bewegung meiner Hand. Lockte ich dich in eine Falle ...

Ich fühlte einen Schauder durch meinen Körper rinnen, wie ich das dachte; ich spie aus vor Ekel und Abscheu. Also dahin war es bereits mit mir gekommen – o pfui! Jetzt erst verstand ich ganz das wilde Tier in meinem Herzen. Nicht Haß und Rachsucht trieben mich zu dem Unsagbaren, nein, gemeine Goldgier, hündische Freude am Sinnengenuß hetzte und lockte. Mein Herr und Gott, was verwandelte mich denn so völlig? War das schon der Irrsinn, vor dessen Nahen mir graute? Warum tötete ich mich nicht, um diesem Letzten, Schrecklichsten zu entgehen?

Ich träumte wüst und verworren, war krank und arm dazu, so arm wie vordem – das alles brachte mich auf derlei Vorstellungen. Noch vermochte ich mich ihnen zu entwinden. War mein Geld nun auch bis auf die letzte Mark aufgebraucht, so würde ich eben Arbeit suchen. Morgen noch, heute noch. Nutzte ich meine Zeit recht aus und vergeudete sie nicht mehr an thörichte Hirngespinste, so verdiente ich gewiß so viel, wie ich zum Leben brauchte; ich verstand es ja, mich einzuschränken und mit wenigem Haus zu halten. Gerade diese unnennbar grausigen Gedanken, die wie mißfarbene Sumpfblasen aufgestiegen waren, gereichten mir nun zum Segen, zwangen mich, ein neues, edleres, auf ehrliche Thätigkeit gegründetes Leben zu beginnen. Ich durfte nicht länger zögern, meine wilden Instinkte, die ich nun in ihrer ganzen Scheußlichkeit erkannt hatte, niederzuhalten, und es gab nur eine Waffe dafür: Arbeit!

Ich nahm mich zusammen. Die unvollendete Abhandlung über Setonius führte ich mit eisernem Fleiße weiter. Alle Mühe schien hier von vornherein verloren, fehlte mir doch völlig die Überzeugung von der Wahrscheinlichkeit meiner Hypothesen, aber dennoch that ich mein Bestes, durch schlaue Trugschlüsse eine Behauptung zu stützen und zum Siege zu führen, die mit den mir bekannten Thatsachen in schreiendem Widerspruche stand. Wenn mich dies Spintisieren und Klügeln ermüdete, versuchte ich meine sozialpolitische Abhandlung zu verbessern; ich unterzog sie einstweilen in Gedanken einer völligen Umarbeitung, ließ keinen Baustein auf dem andern. Wäre die Krankheit nicht gewesen, die mir immer wieder die Feder aus der Hand zwang, mich verwirrte und lähmte, so hätte ich, vom redlichsten Wollen getragen, wohl etwas Großes oder doch Achtbares vollbringen können. Nun aber durchkreuzte sie meine besten Absichten. In den ersten beiden Tagen gelang es mir noch, mich an den Schreibtisch zu schleppen, ich harrte daran aus, unfruchtbare, tote Stunden lang und mußte dann doch erkennen, daß mein Geist den Dienst versagte, sich nicht zum Schaffen zwingen ließ. Als wären ihm die Flügel gebrochen, so elend und unbeholfen tappte ich dahin. Es kam hinzu, daß ich jetzt ernsthaft an Broterwerb denken mußte; diese beiden Schriften trugen ja nichts ein als dürftige Zukunftshoffnungen, und ich sah mich wieder auf die erbärmliche Borgwirtschaft angewiesen. Geld verdienen, Geld verdienen! Ich hatte bereits von der Wirtin kleine Beträge entliehen, wurde vom Schuster zum Zahlen gedrängt und wußte nicht, wie ich in der nächsten Woche das bloße Leben fristen sollte.

Das Glück – mochte es auch grenzenlos bescheiden sein, hier von Glück zu sprechen – war mir noch einmal hold; ich fand nach längerem Suchen eine armselige Schreiberstelle, die mir täglich etwas über einen halben Thaler einbrachte. In dem Büreau des Rechtsanwaltes, der mich beschäftigte, gab es viel zu thun, und da mich mein Chef aus purem Mitleid aufgenommen zu haben schien, wurde ich doppelt streng bewacht. Man ließ mir kaum Zeit, morgens in aller Hast mein Frühstück zu verschlingen, man kontrollierte mein Gehen und Kommen mit der Uhr in der Hand, und wenn die schreckliche, unwiderstehliche Müdigkeit mich überfiel, wenn ich, um nicht zusammenzubrechen, aufspringen und auf den Flur hinauseilen mußte, bekam ich immer schärfere Worte zu hören. Wie gleichgültig das alles meinem Ohr vorüberklang, wie ich so all und jedes Aufbrausen verlernt zu haben schien! Ich war ja froh, in dieser überheizten, übelriechenden Schreibhöhle hocken und mich an Kartoffeln und Mehlbrei satt essen zu dürfen. Ich, der Nabob, der milliardenreiche, ich, der sich einen Titan genannt hatte, nun an der Galeere Ruderbank festgeschmiedet! Die harte Fronarbeit erschöpfte mich so, daß ich abends vollkommen ausgelaugt, todmüde auf meiner Kammer saß, zu jedem Gedanken, jedem Entschuß unfähig; fühlte ich mich doch einmal etwas angeregter, dann bummelte ich ziellos durch die Straßen, wahnwitzigen, dunklen Träumen nachhängend. Ich erwartete dann mit gläubiger Zuversicht den Tag der Wunder, der mich aus dieser entwürdigenden Lage befreien und mich krönen sollte ... ich erwartete alles vom Zufall, von mir selber nichts mehr. Denn ich war müde. Meine »Kollegen«, arme und verhungerte Burschen wie ich, mochten mich meines scheuen Wesens nicht recht leiden; sie hielten für übel angebrachten Stolz und dünkelhaften Hochmut, was Siechtum und krankhafte Schläfrigkeit war, und als ich ihre platten Neckereien gelegentlich derb zurückwies, hatte ich es mit ihnen verspielt. Sie erschwerten mir mein mühsames Amt, soviel in ihren bescheidenen Kräften stand, und sparten mit boshaften Redewendungen über das »verluderte Genie« nicht. Da der Vorsteher mich ebenfalls nur duldete, vielleicht sogar den streberhaften, seines Doktortitels wegen nicht ungefährlichen Nebenbuhler in mir sah, überhörte er ihr Gezischel, belachte sogar einige der schnödesten Witze. Die albernen Gesellen trieben den kindischsten Schabernack mit mir, man versteckte mir Dinte und Federhalter, befestigte mit Bindfäden allerlei schwere Gegenstände an meinem Stuhl, so daß sie, wenn ich ihn ahnungslos zurechtrückte, polternd zur Erde stürzten, man schrieb mir Liebesbriefe und bestellte mich in unmögliche Gegenden. Wenn man ins Büreau kam oder zu Tisch ging, benutzte man den üblichen Gruß, um mich darauf aufmerksam zu machen, daß ich hier eigentlich gar nichts zu suchen hatte, und wenn man mit mir sprach, betonte man das »Herr Doktor« so übermäßig laut, daß immer lautes Gelächter und Kichern folgte. So stumpf war ich denn doch noch nicht, um dies Höllenleben auf die Dauer ertragen zu können. Schien mir auch alles, was ich jetzt erlebte und litt, nur ein böser Traum, tröstete ich mich auch in dem Gedanken an die Vergangenheit und die Zukunft – mißhandeln lassen durfte ich mich doch nicht. Ich wußte, daß ich dem Untergange ausgeliefert war, wenn ich diesen Posten verlor, und ich war entschlossen, ihn zu halten bis zum letzten Augenblick, selbst unter Preisgabe meiner Persönlichkeit, aber ich konnte nicht dafür einstehen, daß doch nicht einmal die infernale Wut über mich kam und ich meine Peiniger zu Boden schlug. Das sagte ich, als mein Verhältnis zu den andern unerträglich geworden war – in ganz kurzer Zeit war es das geworden – dem Rechtsanwalt, den ich bis dahin mit keiner Klage behelligt hatte. Und von dieser Stunde an ließ man mich einigermaßen in Frieden ...

Es war ein politisch bewegtes Jahr. Abend für Abend fanden selbst jetzt noch, wo das Weihnachtsfest vor der Thür stand, Versammlungen statt, und wenn es mein körperlicher Zustand irgend erlaubte, schleppte ich mich in die räucherigen Räume und hörte sehr aufmerksam zu. Ich gewöhnte mich an den Trubel und an die Manieren der Redner; es überlief mich heiß, und stolz erregt war ich bei dem Gedanken, daß ich selber dort oben stehen und predigen könnte wie sie, fortreißender, gewaltiger als sie. Der Streik bei Heller dauerte an und, wie die Führer einstimmig behaupteten, mit sehr günstigen Aussichten für die Ausständigen. Zwar herrschte steigende Geldnot, zwar gelang es den Leitern nicht immer, neuen Zündstoff in die Massen zu werfen, die in beständiger Erregtheit, in weißglühender Wut erhalten werden mußten, um den Geschmack an der Sache nicht zu verlieren. Im Ganzen jedoch blieb die Stimmung vortrefflich, und mit diesen Leuten, die allesamt fanatischer Haß gegen Heller beseelte, fühlte ich mich eins und innig vertraut. Jeder war mein Bruder, jeder ein Kampfgenoß. Und wenn ich aus solchen Versammlungen nach Hause schlenderte und noch geistesfrisch genug war, überlegte ich die große Rede, die ich ihnen beim nächsten Male halten, durch die ich sie zum Widerstande bis in den Tod entflammen wollte. Wie matt, gesucht und feige klangen doch die Tiraden ihrer Führer selbst dann, wenn sie Mut und Siegeszuversicht erwecken sollten! Diese Männer betrieben den Streik halb geschäftsmäßig, hetzten gegen Heller, weil er ihr politischer Gegner war, aber die Begeisterung des Hasses fehlte ihnen. O, sie sollten ihre zündende Macht kennen lernen!

Befremdlich genug – ich sehnte mich danach, den Feind wiederzusehen. Nicht zuletzt deshalb besuchte ich diese Versammlungen. Ich glaubte, nur von ihm selbst Gewißheit darüber erlangen zu können, daß er noch immer Tilly in seinen Netzen hielt. Wethorn, dem ich auf Umwegen meinen Wunsch zu erkennen gab, wußte auch keinen weiteren Rat. »Er ist ein Theaterfex,« sagte er nur, »diese bequemste Art, Litteratur zu studieren, behagt ja unsern trägen Bourgeois am meisten.« Und dabei blickte er mich von der Höhe seiner litterarischen Bildung herab stolz an und bewunderte wieder seinen blonden Vollbart. »In 'ner Première finden Sie ihn noch am ersten.«

Es traf sich, daß am nächsten Sonnabend Siegfried Silberthals neues Dramas die Feuerprobe bestehen sollte. Anfänglich hatte ich geglaubt, der gewandte junge Herr würde ebenfalls den im engeren Freundeskreise beliebt gewordenen Titel »Die rote Tinktur« für sein Werklein wählen, aber auf diese Reklame verfiel er nicht. Dafür zeigte er anderweitig unerschöpfliche Erfindungsgabe. Die Zeitungen, mit denen er durch seine Tante verwandt war, wußten täglich ein neues Charakteristikum von ihm und seinem Stück zu erzählen; einmal hatte es die Censur verboten, dann wieder hieß es, den Schauspielern wären auf der Probe die Thränen in die Augen getreten. Ein sehr namhafter Dramatiker sollte sich, von dem packenden Stoffe hingerissen, zu einer »Redaktion des Textes« erboten haben. Herr Lilienthal sorgte durch Vorträge in allen litterarischen Vereinen dafür, daß sein Name kaum sekundenlang in Vergessenheit geriet; aber während er im Kaiserhof redete, meldeten die Blätter, er sei gestern nach Wien zu den Proben am Volkstheater abgereist und fahre morgen von dort aus nach London, um eine englische Bearbeitung seines Dramas zu genehmigen. Ich wunderte mich, daß nach diesem gewaltigen Getöse das Theater am Premièreabend ziemlich leer war; oben auf der Galerie, wo ich stand, zählte ich kaum fünf oder sechs Leidensgefährten, und von den Bänken des zweiten Ranges waren nur die beiden vorderen besetzt. Das Stück interessierte mich nicht, obgleich das Bild von der roten Tinktur richtig wiederholt auftauchte und obgleich der Autor umständlich nachzuweisen suchte, daß die moderne Habgier, die Gold ohne Arbeit heischt, die modernen Parteihelden, die mit einer Panacee alles Weh und Ach der Gesellschaft kurieren wollen, die von einem Zaubermittel Reichtum und Segen ohne Ende erwarten, daß sie und andere mehr genau so thöricht seien wie die Alchymisten des Mittelalters. – Ich konnte kaum den ersten Zwischenakt erwarten, wo ich ins Foyer hinabeilte und mich ruhelos zwischen den Menschengruppen hin und her schob, ihn und sie suchend. Aber ich sah sie nicht. – Der dritte Akt ging vorüber, ohne irgend welchen Eindruck zu machen; dem jubelnden Beifall der Freunde antwortete hartnäckiges und rasch anschwellendes Zischen. Herr Lilienthal konnte nicht einmal mehr an der Rampe erscheinen und graziös danken. Als der letzte Aufzug begann, mußte ich befürchten, das Eintrittsgeld, für mich immerhin eine beträchtliche Summe, umsonst geopfert zu haben; Heller und Tilly waren allem Anschein nach nicht im Theater. Die quälende, noch immer hoffnungsvolle Ungewißheit plagte mich derart, daß ich mir ein Herz faßte und meinen Nachbar um sein Opernglas bat; er schob es mir, unwillig über die Störung, brummend hin. Und nun spähte ich durch die halbe Dunkelheit, heiß atmend, daß die Gläser beschlugen, weit über die Brüstung vorgebeugt, mit angespannten Nerven. Ich hörte und sah nichts mehr von der Bühne, ich starrte wie verzaubert in die Loge, die Loge des ersten Ranges ...

Da saßen sie. Obwohl ziemlich tiefe Dämmerung über dem Saale lag, ich sah sie doch. Ihr süßes, sonniges Gesicht, ihre brennenden Augen, die schönen Linien der schmiegsamen Gestalt. Sie war ganz in Weiß, sie leuchtete wie ein prächtiges Meteor durch die Nacht. Neben ihr Felix Heller. Er schien seine ganze Aufmerksamkeit dem Stück zu widmen, er wandte kein Auge von den Schauspielern, während Tilly Förster vor sich niedersah. Was mochte sie bewegen? War sie nicht glücklich, die Unselige, dachte sie im Irrlichtglanze ehrlosen Glückes doch vielleicht des täppischen Gesellen, der sie so über alle Maßen geliebt hatte? Und er – war er ihrer schon überdrüssig? Ich hätte nicht auf das Geschwätz der geschminkten Mimen achten können, wenn sie so dicht an meiner Seite, gelangweilt und trüb, gesessen hätte. Das arme Kind ... Aber wenn du auch diese unglücklich machst, du gewissenloser Bube, dann –

»Erlauben Sie mal das Glas!« sagte mein Nachbar sehr unhöflich, gleichzeitig die Hand danach ausstreckend. Ich weiß nicht, weshalb, aber diese Worte, die so jäh in meine Gedanken hineinplatzten, schienen mir ganz unsäglicher Komik voll. Ich vermochte nicht an mich zu halten, ich lachte schallend auf, laut und lang. Allgemeines, entrüstetes Rufen und Zischen folgte, alle sahen sich empört nach mir um. »Unverschämt! Dummer Kerl!« hörte ich sehr deutlich an mein Ohr klingen. »Sie sind wohl verrückt?« fragte der Nachbar wütend. Es brachte ihn offenbar in tödlichste Verlegenheit, daß er so nahe bei mir stand und leicht selber für den Urheber der Störung gehalten werden konnte. Der Theaterdiener trat an uns heran und gebot sehr energisch Ruhe. Aber ich lachte weiter, nun freilich still vor mich hin, während das Stück unten so gar traurig ausklang.

* * *


 << zurück weiter >>