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XII. Schwatzhafte Hoffnungen und Rathschläge

Der kranke Mensch an seine Rathgeber.

»Meine Rathgeber! Ihre Zahl ist Legion. Sie heißen ***. Das Geschick scheint verfügt zu haben, daß jeder Mann, jedes Weib, jedes Kind sich für bevorrechtet halte, mir Rath zu geben. Warum? Das eben möchte ich gerne wissen. Ich muß diesen Leuten Folgendes sagen: Man rieth mir, nach allen in und außer England vorhandenen Kurplätzen zu gehen, mir auf alle mögliche Art, sei's in einem Karren oder in einer Kutsche, ja selbst auf einer Schaukel und durch Motionsgewichte, Bewegung zu machen; man rieth mir ferner, alle Arten von Reizmitteln, die je erfunden wurden, einzuschlürfen. Dies Alles geschah gerade zur Zeit, als Jene, die am besten wissen konnten, was mir gut wäre (ich meine die Aerzte), nach langer und eifriger Behandlung meiner Krankheit sich gegen jede Reise erklärt, mir jede Bewegung verboten, und bündig bestimmt hatten, was ich essen und trinken dürfe. Was würden meine Rathgeber sagen, falls sie meine Aerzte wären, und ich, ihr Patient, ihren Rath mißachten würde, um das zu thun, was mir meine zufälligen Rathgeber empfehlen? Das ganz Eigene im Geiste dieser Rathgeber besteht darin, daß es nie einem derselben einfällt, daß alle Welt, wie er selbst, mir Rathschläge gibt, und daß ich, der Patient, nothwendiger Weise, blos zu meiner Selbstvertheidigung mit Rosalinden sagen muß: » I could not do with it all.«

Schwatzhaft ausgesprochene Hoffnungen sind eine Plage des Kranken.

»Schwatzhafte Hoffnungen« – scheint vielleicht eine seltsame Ueberschrift. Ich glaube aber wirklich, daß Kranke von Alledem, was sie ausstehen müssen, kaum so geplagt werden, als von dem ewigen Hoffnungsgeschwätz ihrer Freunde. Es gibt auch keine einzige Gewohnheit, gegen welche ich mich aus eigener umfassender und langer Erfahrung so entschieden aussprechen kann, als gegen diese, deren Wirkung auf Kranke ich sowohl an Andern, wie an mir selber beobachtet habe. Ich fordere daher ganz ernstlich alle Freunde, Besucher und Diener der Kranken auf, von der Gewohnheit abzustehen, die Patienten dadurch aufheitern zu wollen, daß sie ihnen bald sagen, es habe keine Gefahr mit ihnen, bald wieder die Wahrscheinlichkeit ihrer Genesung übertreiben.

Der Arzt sagt auch jetzt häufiger, als früher der Fall war, den Kranken in Betreff ihres Zustandes die Wahrheit, wenn sie anders sie zu hören verlangen. Welch' große Thorheit begeht sonach, gelinde ausgedrückt, der Freund des Kranken, sei er selbst ein Arzt, der wähnt, seine nach einer flüchtigen Beobachtung abgegebene Meinung werde bei dem Patienten mehr Geltung finden, als die entgegengesetzte Meinung seines Arztes, welche dieser vielleicht erst nach jahrelanger Beobachtung äußerte, nachdem er alle Hülfe, welche das Stethoskop, die Untersuchung des Pulses, der Lunge etc. zur Erkennung der Beschaffenheit der Krankheit (Diagnose) darbieten, benutzt und gewiß den Kranken öfter beobachtet hatte, als der Freund möglicherweise thun konnte.

Hat der Patient, wie ich voraussetze, gesunden Menschenverstand, so kann ihn die »günstige« Meinung des Freundes, wenn sie überhaupt eine Meinung genannt werden kann, keineswegs aufheitern oder trösten, falls sie von der des erfahrenen, ihn behandelnden Arztes abweicht.

Der Kranke wünscht nicht, daß man von ihm schwatze.

Thatsache ist es auch, daß der Patient durch derlei wohlmeinende, aber höchst langweilige Freunde gar nicht aufgeheitert wird. Es gibt natürlich Fälle, wie die von ersten Kindbetten, in welchen die Versicherung, welche der Arzt, oder die erfahrene Wärterin der erschrockenen, leidenden Frau gibt, daß ihr Fall nichts Ungewöhnliches zeige, und daß sie außer einigen Stunden Schmerz nichts zu besorgen habe, sie mit großem Erfolg aufheitern kann. Das ist aber Rath ganz anderer Art, denn es ist der Rath, den die Erfahrung der äußersten Unerfahrenheit gibt. Der Rath aber, von dem wir oben sprechen, ist der Rath, den Unerfahrenheit der bittern Erfahrung gibt, und bedeutet gemeiniglich Nichts mehr, als daß ihr meint, ich werde von der Auszehrung genesen, weil Jemand einen andern Jemand kennt, der vom Fieber genas.
Ich hörte einen Arzt, dessen Patient leider nicht genas, darum verdammen, weil eines andern Doktors Patient von einem andern Geschlecht, von einem andern Alter, sich an einem andern Ort von einer andern Krankheit erholt hatte. So seltsam dies klingt, dennoch ergab es sich. Wenn die Leute, die solche Vergleiche machen, wüßten(was zu wissen sie nicht kümmert), mit welcher Sorgfalt und Genauigkeit solche Vergleiche angestellt werden müssen, und auch angestellt werden, damit sie irgend etwas nützen, so würden sie ihre Zunge zurückhalten. Vergleicht man die Sterbefälle in einem Spital mit den Sterbefällen in einem andern, so hält man mit Recht alle statistischen Angaben hierüber für ganz werthlos, wenn sie nicht zugleich Alter, Geschlecht und Krankheit der Verstorbenen angeben. Es scheint nicht nothwendig, zu bemerken, daß man keine Vergleiche anstellen kann zwischen alten Männern, die die Wassersucht hatten, und jungen Frauenzimmern, die an Auszehrung litten. Dennoch hört man die geschicktesten Männer, die geschicktesten Frauen solche Vergleiche anstellen, wobei sie weder Geschlecht, Alter, Krankheit, Ort, und in der That keinen der zur Entscheidung der Frage wesentlichen Zustände kennen. Es ist nichts als leeres Geschwätz.
Er wird im Gegentheil niedergedrückt und ermüdet. Strengt er sich an, jedem nach einander kommenden Mitgliede dieser allzu zahlreichen Verschwörung, dieser Legion von Rathgebern, zu sagen, warum er anderer Meinung ist, als sie – in welchem Betracht er am übelsten daran ist, – welche Symptome seiner Krankheit sie gar nicht kennen – so wird er nicht aufgeheitert, sondern abgemattet, wobei seine Aufmerksamkeit ganz auf seine Person gerichtet ist. Gemeiniglich wünschen Patienten, die wirklich krank sind, keineswegs, daß man von ihnen schwatze. Hypochondristen wünschen es; aber ich wiederhole es, wir haben es hier nicht mit eingebildeten Kranken zu thun.

Abgeschmackte Tröstungen, die man den Kranken gibt.

Wenn aber, wie häufiger vorkommt, der Kranke nichts vorbringt, als das Shakespeare'sche »Ach!« »Oh!« »Laß dir sagen,« »In Wahrheit,« um so desto schneller dem Gespräch über seine Person zu entwischen; so wird er durch Mangel an Mitgefühl niedergedrückt. Er fühlt sich dann in der Mitte von Freunden isolirt. Er fühlt, wie passender es für ihn wäre, wenn er eine einzige Person vor sich hätte, mit der er einfach und offen sprechen könnte, ohne daß sie ihn mit einem auf ihn herab stürzenden Schauerbad von einfältigen Hoffnungen und Aufmunterungen quälte; der er auch seine Wünsche und Befehle mittheilen könnte, ohne die Person zu brauchen, die beständig sagt: »Ich hoffe, Gott wird Ihnen noch zwanzig Jahre schenken,« oder: »Sie haben noch ein langes, thätiges Leben vor sich.« Wie oft lesen wir am Ende einer Biographie oder eines in medizinischen Journalen enthaltenen Berichts: »A. starb plötzlich nach langer Krankheit,« oder »A. starb, als weder er, noch Andere es erwarteten.« Nun, »Andern« mag sein Tod vielleicht unerwartet gekommen sein, weil sie nicht sahen, weil sie nicht recht die Augen aufmachten, aber ihm selbst kam er, wie ich zu glauben berechtigt bin, weil ich die innere Beweiskraft solcher Geschichten geprüft und ähnliche Fälle genau beobachtet habe, keineswegs unerwartet. Es gab Gründe genug, den Tod A.'s zu erwarten, und er selbst kannte sie, hielt es jedoch für unnütz, seinen Freunden gegenüber auf seinem Wissen zu bestehen. Diese Bemerkungen beziehen sich weder auf acute Krankheitsfälle, die rasch enden, noch auf nervöse.

Kranke der erstgenannten Art zeigen sehr selten viel Interesse an ihrer eigenen Gefahr. In Romanen oder Lebensbeschreibungen werden diese Sterbebetten allgemein als seraphisch im Glanz der Erkenntniß geschildert. – Betrübend vielfältig sind meine Erfahrungen, die ich an Sterbebetten gemacht habe, und ich kann demnach nur sagen, daß ich selten oder nie dergleichen gesehen habe. Gleichgültigkeit für Alles, körperliche Leiden oder irgend eine Pflicht, die der Sterbende noch zu vollziehen wünscht, ausgenommen, ist bei weitem der gewöhnlichere Zustand.

Der »Nervenkranke« dagegen findet Gefallen daran, sich und Andern eine ersonnene Gefahr vorzuspiegeln. Der arme Dulder, der an einer langwierigen chronischen Krankheit leidet, der sich selbst nur zu genau kennt, dem der Arzt mittheilte, daß er nimmermehr das thätige Leben wieder antreten werde, der ferner fühlt, daß er mit jedem neuen Monat eine Beschäftigung aufgeben muß, die er im vorigen Monat noch verrichten konnte – soll, ich bitt' euch darum, nie mit eurem Hoffnungs-Geschwätz belästigt werden. Ihr wißt nicht, wie ihr solche Kranke damit quält und ermüdet. Solche wirklich Leidende können nicht ertragen, von sich selbst zu sprechen, noch viel weniger können sie etwas hoffen, was gar nicht möglich ist.

Ebenso verhält es sich mit all' den Rathschlägen, womit solche Kranke so reichlich überschüttet werden, wie z. B. irgend eine Beschäftigung aufzugeben, es mit einem andern Arzt, mit einem andern Haus, Klima, Pulver, Specificum, oder mit einer andern Pille zu versuchen. Von dem Widerspruch will ich gar nicht sprechen, denn sicherlich sind diese Rathgeber dieselben Personen, welche den kranken Mann ermahnten, den Vorhersagungen seines eigenen Arztes keinen Glauben zu schenken, »weil Doctoren sich immer irren,« sondern einem andern Arzt zu vertrauen, weil »dieser Doctor immer Recht hat.« Gewiß sind auch diese Rathgeber die Personen, welche dem Kranken neue Beschäftigung bringen, während sie ihn ermahnen, seine eigene zu verlassen.

Wunderbare Anmaßungen der Rathgeber der Kranken.

Wunderbar ist die Keckheit, mit welcher Freunde, die Aerzte sind, oder von der Heilkunde nichts verstehen, in das Zimmer des Kranken kommen und ihn mit ihren Anempfehlungen, dies oder jenes zu thun, quälen, da sie doch gar nicht wissen, ob das, was sie empfohlen, auch ausführbar oder für den Kranken nicht gefährlich ist. Ebenso könnten sie einem Manne, von dem sie nicht wissen, daß er das Bein gebrochen hat, Leibesübung anrathen. Was würde der Freund sagen, wenn er der Arzt wäre, und wenn der Patient, weil ein gewisser anderer Freund hereingekommen, weil Jemand, irgend Jemand, Niemand dem Patienten Etwas, irgend Etwas, Nichts angerathen hat, seine Verordnungen nicht befolgen, dagegen auf die Anempfehlungen jenes Andern eingehen würde?

Daran denken aber diese Leute nie.

Die Ratgeber sind noch, wie sie vor 200 Jahren waren.

Eine berühmte geschichtliche Persönlichkeit führt die Gemeinplätze an, welche, als die Ausführung eines merkwürdigen Beschlusses des Parlaments nahe war, von Jedermann rings herum durch sechs Monate hindurch beinahe mit denselben Worten reichlich vorgebracht wurden. Man fand es dabei, sagt jene Persönlichkeit, noch am leichtesten, wenn man auf alle diese Gemeinplätze dieselbe Antwort gab, nämlich: »daß nicht vorausgesetzt werden könne, daß ein solcher Beschluß ohne vorhergegangene reifliche Ueberlegung gefaßt worden sei.« Dieselbe Antwort sollte man Patienten geben, welche Jahre lang täglich von jedem Freunde oder Bekannten, der mit ihnen spricht oder ihnen schreibt, mit Rathschlägen gequält werden. Von dieser Plage könnten sie in der That verschont bleiben, wenn solche Freunde und Bekannte nur einen Augenblick überdächten, daß der Patient wahrscheinlich schon fünfzigmal solchen Rath gehört hat, und daß man ihn, wenn es möglich wäre, längst schon befolgt haben würde.

Solche Ueberlegungen wird man jedoch, wie es scheint, nie machen.

Es ist sonderbar, aber wahr, daß die Leute in solchen Sachen immer noch sind, wie sie vor zweihundert Jahren gewesen. Solche Gemeinplätze beflecken die freudige, aufrichtige, standhafte Hingebung, die sich so oft, wenn es mit den Leidenden auf die Neige geht, kundgibt.

Blendwerk der Rathschläge, die den Kranken gegeben werden.

Diese Rathschläge an die Kranken sind das täuschendste Blendwerk, das es geben kann. Es nützt dem Kranken nicht, Etwas dagegen einzuwenden, denn der Rathgeber will gar nicht die Wahrheit in Betreff des Zustandes des Patienten erfahren, er muß nur, um Alles, was der Kranke zur Unterstützung seiner Meinung vorbringt, zurück zu weisen, seine Rathschläge wiederholen, wobei er sich nicht im mindesten nach dem wahren Zustand des Kranken erkundigt. »Eine solche Erkundigung,« sagt der Rathgeber, »würde, wenn ich sie machte, impertinent oder unanständig sein.« Richtig; aber um wie viel mehr impertinent ist es, ihm euren Rath zu geben, wenn ihr seinen wahren Zustand gar nicht kennt, und selbst einräumt, daß ihr euch darnach nicht erkundigen könnt!

Den Krankenwärterinnen sage ich: Dies sind die Besuche, die eurem Kranken schaden. Wenn ihr hört, daß man ihm sagt: 1) daß ihm gar nichts fehle, und daß er blos Aufheiterung bedürfe; 2) daß er Selbstmord begehe, und daß man dem zuvorkommen müsse; 3) daß er das Werkzeug von irgend Jemand sei, der ihn zu seinem Zweck gebrauche; 4) daß er Niemand hören wolle, um hartnäckig seinen eigenen Weg zu gehen; 5) daß man ihn zu seiner Pflicht zurückbringen müsse, da er mit raschem Schritt vor Gottes Thron eile – dann leidet euer Patient allen Schaden, den ihm ein Besucher zufügen kann.

Wie wenig kennt oder versteht man doch die wahren, mit Krankheit verbundenen Leiden! Wie wenig stellen sich Männer, oder selbst Frauen, wenn sie gesund sind, das Leben vor, das eine kranke Person führt!

Mittel, die Kranken zu erfreuen.

Ihr die ihr stets um Kranke seid, oder sie besucht, müßt ihnen Freude zu machen suchen, und darauf sinnen, ihnen das zu sagen, was sie erfreuen kann. Wie oft muß bei solchen Besuchen die kranke Person die ganze Conversation führen, wobei sie ihre Einbildungskraft und ihr Gedächtniß anstrengt, während man den Besucher, der ganz vertieft in seine eigenen Besorgnisse ist, und weder sein Gedächtniß, noch seine Einbildungskraft anstrengt, für die kranke Person zu nehmen versucht ist. »Ach, mein Lieber,« äußert bald darauf dieser Besucher zu einem andern Freunde; »ich habe an so viele Dinge zu denken, daß ich in der That unserm Patienten das zu sagen vergaß; überdies meinte ich, er wisse es bereits.« – Wie konnte er es wissen? Verlaßt euch darauf, Leute, die so sprechen, sind wirklich Leute, die an gar wenig zu denken haben. Es gibt viele, mit Geschäften überladene Menschen, die es stets so einzurichten wissen, daß sie dem Kranken allerlei Dinge, die ihn interessiren, mittheilen können.

Ich sage nicht, verschont ihn mit euren Besorgnissen, – ich glaube vielmehr, es ist für euch und auch für ihn gut, wenn ihr sie nicht verschweigt; aber wenn ihr ihm sagt, was euch bange macht, so könnt ihr ihm gewiß auch mittheilen, was angenehm ist.

Eine kranke Person freut sich sehr, gute Neuigkeiten zu hören, z. B. von Liebe und Freien, die einer glücklichen Entwicklung entgegen gehen. Wenn ihr euch nun darauf beschränkt, dem Kranken zu sagen, wann die Hochzeit stattfinden wird, so verliert er die Hälfte der Freude, von der er ohnehin so wenig hat. Aller Wahrscheinlichkeit nach erzählt ihr ihm gar eine Liebesgeschichte mit einem traurigen Ende.

Eine kranke Person erfreut es ferner in hohem Maße, wenn sie von irgend einem materiellen Fortschritt, oder von einem bestimmten oder praktischen Sieg des Rechts erzählen hört. Erzähle ihr daher, statt ihr Rath zu geben, den sie schon fünfzigmal gehört hat, eine wohlwollende Handlung, die einen praktischen Nutzen erlangte – dies wirkt auf sie, wie ein Tag der Gesundheit. Ein kleines Lieblingsthierchen ist oft ein trefflicher Gesellschafter des Kranken, namentlich, wenn er an einem langwierigen chronischen Uebel leidet. Oft ist ein Vogel im Käfig das einzige Vergnügen eines Kranken, der Jahre lang auf sein Zimmer beschränkt ist. Kann er selbst das Thier füttern und reinigen, so sollte man ihn stets aufmuntern, es zu thun. Das fehlt ihm, während er oft Bücher und Erdichtung, Prinzipien und Vorschriften in Hülle und Fülle hat. Ihr habt keinen Begriff, wie sehr Kranke, deren Denkkraft nicht abnahm, die aber wenig Kraft, Etwas zu thun, haben, sich darnach sehnen, von irgend einer praktischen That zu hören, an welcher sie selbst sich nicht mehr betheiligen können.

Beachtet dies Alles am Krankenbett. Erinnert euch, daß die Kranken ein unbefriedigtes, ein unvollständiges Leben führen. Ihr seht sie daliegen, umstrickt von elenden Unannehmlichkeiten, denen sie nur durch den Tod entrinnen können, und ihr denkt nicht daran, mit ihnen von dem zu sprechen, was ihnen so viel Freude machen oder wenigstens eine Stunde lang Abwechslung in ihr trauriges Dasein bringen würde.

Sie wollen nicht, daß ihr ihnen Thränen entlockt oder mit ihnen wimmert; sie sehen euch gern frisch und lebhaft und einnehmend, aber Zerstreutheit ist ihnen unerträglich, und Rathschläge und Predigten, die sie von Allen, die sie sehen, anhören müssen, ermüden sie.

Kleine Kinder und kranke Leute sind für einander die beste Gesellschaft. Selbstverständlich müßt ihr es jedoch so einrichten, daß weder die Einen, noch die Andern darunter leiden, was vollkommen ausführbar ist. Meint ihr, daß die Luft des Krankenzimmers für das kleine Kind schlecht sei, so wird euch einfallen, ei, sie ist auch für den Kranken schlecht, und ihr werdet sie daher für Beide gut machen.

Die ganze geistige Atmosphäre eines Kranken wird erfrischt, wenn er »das Kind« sieht. Gewöhnlich findet sich auch ein ganz junges Kind, wenn es noch unverdorben ist, ganz wunderbar in die Art und Weise eines Kranken, falls sie nicht zu lange Zeit bei einander sind.

Wenn ihr wüßtet, welche übermäßige geistige Pein leidliche Ursachen kranken Personen zuziehen, so würdet ihr euch um ihre Aufheiterung mehr bekümmern. Ein Kind, das man auf das Bett eines so leidenden Kranken legt, wird ihm wohler thun, als all' eure weisen Zusprüche. Eine gute Neuigkeit macht dieselbe Wirkung. Doch ihr fürchtet vielleicht, ihn in seinen Gedanken zu stören. »Es gibt,« sagt ihr, »keinen Trost für seinen Gram; denn er ist nur zu sehr begründet.« Ihr müßt jedoch hier unterscheiden. Muß der Kranke Etwas thun, so stört ihn nicht eben jetzt mit einem andern Gegenstand zum Nachdenken; helft ihm vielmehr, das zu thun, was er zu thun nöthig hat; sobald er das aber vollendet hat, oder wenn er Nichts thun kann, dann »stört« ihn, wie ihr nur könnt, in seinen Gedanken. Wenn ihr ihm die Neuigkeiten des Tages mittheilt, das Kind zeigt, oder etwas Neues zum Nachdenken oder Anschauen gebt, so werdet ihr die unmäßige geistige Pein, die ihm leidliche Ursachen zuziehen, viel wirksamer lindern, als durch alle Schulweisheit der Welt.

Man hat mit vollem Recht gesagt, daß Kranke darin ganz wie Kinder sind, daß sie an den Ereignissen der Welt nicht die gebührende Theilnahme zeigen. Nun ziemt es ihren Besuchern, ihnen zu dieser Teilnahme wieder zu verhelfen, indem sie ihnen zeigen, was in der Welt vorgeht. Wie könnten sie das sonst auf andere Art ausfindig machen? Ihr werdet sie auch der Ueberzeugung weit zugänglicher finden, als Kinder. Ihr werdet zugleich entdecken, daß ihr übermäßiges geistiges Leiden, das Unfreundlichkeit gegen sie, Mangel an Mitgefühl etc. hervorriefen, verschwinden wird, sobald ihre Theilnahme für das, was in der Welt vorgeht, wieder aufgefrischt ist. Wollt ihr dies erreichen, so müßt ihr ihnen nicht Alltagsgeschwätz, sondern wirklich interessante Begebenheiten mittheilen.

Zwei neue, unserer Generation eigenthümliche Krankheiten.

Es gibt zwei Klassen von Kranken, die leider mit jedem Tage häufiger werden, und zwar namentlich unter den Frauen der reicheren Stände vorkommen, für welche alle diese Bemerkungen ganz unbrauchbar sind. Zu diesen gehören 1) Jene, welche ihre Gesundheit vorschützen, um Nichts zu thun, und gleichzeitig zu ihrer Entschuldigung anführen, das sei eben ihr einziges Leiden, daß sie nicht im Stande sind, etwas zu thun; 2) Jene, welche ihre Gesundheit durch allzugroßes Trachten nach Vergnügungen zerrütteten, was sie und ihre Freunde höchst muthwillig Lebhaftigkeit des Geistes nennen. Wenn man nun der erstern Klasse, wie oft geschieht, den Rath gibt, zu vegetiren (das ist, ein bloßes Pflanzenleben zu führen), und letztere wieder, was ebenfalls nur zu oft vorkommt, um ihren »Mut« bewundert, so fügt man ihnen damit ein Unrecht zu, wie ich kaum ein größeres kenne.


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