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IV. Lärm

Unnöthiger Lärm.

Unnöthiger Lärm, oder Lärm, welcher eine Erwartung im Gemüt hervorruft, ist einem Kranken schädlich. Es ist selten das Laute im Lärm, die Wirkung auf das Gehörorgan selbst, das den Kranken anzugreifen scheint. Wie gut kann z. B. ein Kranker gemeiniglich die Aufrichtung eines Gerüstes ganz dicht am Hause ertragen, während er das Geplauder und noch weniger das Gelispel vor seiner Thüre, namentlich, wenn es von einer bekannten Stimme herrührt, nicht zu ertragen vermag.

Es gibt ohne Zweifel gewisse Kranke, namentlich solche, die an leichter Erschütterung oder einer andern Störung des Gehirns leiden, die durch bloßen Lärm angegriffen werden. Abwechselnder Lärm aber, oder plötzlicher und durchdringender Lärm greift in den erwähnten, wie in allen andern Krankheitsfällen weit mehr an, als fortwährender, und Lärm voll Mißton weit mehr, als Lärm ohne Mißton. Eines mögt ihr als sicher annehmen, daß nämlich Alles, was einen Kranken plötzlich dem Schlaf entreißt, ihn unabänderlich in einen Zustand größerer Aufregung versetzen, und ihm mehr ernstlichen, ja dauernden Nachtheil zufügen wird, als irgend ein anhaltender Lärm, sei er auch noch so laut.

Laßt nie einen Kranken aus seinem ersten Schlafe wecken.

Es ist eine unerläßliche Bedingung guter Krankenpflege, daß man nie zugebe, daß ein Kranker absichtlich oder zufällig geweckt werde. Wird er aus seinem ersten Schlaf erweckt, so weiß er fast mit Gewißheit, daß er nicht mehr schlafen werde. Es ist eine merkwürdige, aber ganz begreifliche Thatsache, daß ein Kranker, wenn man ihn nach einem Schlaf von einigen Stunden weckt, viel wahrscheinlicher wieder einschlafen wird, als wenn man ihn einige Minuten, nachdem er eingeschlummert, erweckt. Die Ursache liegt darin, weil Schmerz, wie Reizbarkeit des Gehirns, sich fortsetzt und heftiger wird. Habt ihr im Schlaf einen Aufschub von beiden gewonnen, so habt ihr mehr als den bloßen Aufschub gewonnen. Die Wahrscheinlichkeit der Wiederkehr sowohl, wie derselben Heftigkeit (des Uebels) wird dann vermindert sein, während sie durch Mangel an Schlaf furchtbar gesteigert wird. Dies ist der Grund, weshalb Schlaf so überaus wichtig ist. Dies ist auch der Grund, warum ein Patient, der in der ersten Zeit seines Schlafes geweckt wird, nicht blos seinen Schlaf, sondern auch die Fähigkeit, wieder einzuschlafen, verliert. Eine gesunde Person, die sich im Laufe des Tages zu schlafen erlaubt, verliert ihren Schlaf bei Nacht. Bei den Kranken gilt aber gemeiniglich gerade das Entgegengesetzte; je mehr sie schlafen, desto besser werden sie schlafen können.

Lärm, der Erwartung erweckt.

Flüsterndes Gespräch im Zimmer.

Ich wurde oft bestürzt über die Gedankenlosigkeit (die ohne Absicht grausam wirkt), mit welcher Freunde oder Doktoren gerade in dem an das Krankenzimmer anstoßenden Gemach oder Korridor lange Gespräche führen, während der Kranke jeden Augenblick ihr Hereinkommen erwartet, oder sie eben erst gesehen hat, und weiß, daß sie von ihm sprechen. Ist er ein liebenswürdiger Patient, so wird er versuchen, seine Aufmerksamkeit anderweitig zu beschäftigen, und nicht zu lauschen; das aber macht die Sache nur schlimmer, denn die Herausforderung seiner Aufmerksamkeit, und die Anstrengung, die er macht, sie wo anders hinzulenken, sind so groß, daß es noch gut ist, wenn er sich darauf nicht stundenlang schlechter befindet. Wird das Gespräch in dem Krankenzimmer selbst flüsternd geführt, so ist es ganz grausam; denn der Kranke wird dann genöthigt, seine Aufmerksamkeit unwillkürlich anzustrengen, um zu hören. Aus denselben Ursachen ist es für den Kranken nachtheilig, wenn man in seinem Zimmer auf den Zehen geht und Alles sehr langsam verrichtet. Einen festen, leichten, raschen Schritt, eine feste, rasche Hand bedarf man da, nicht aber einen langsamen, zögernden oder auffallend geschwinden Schritt, oder eine furchtsame, unsichere Berührung.

Langsamkeit ist nicht Leutseligkeit, wofür sie oft irrthümlich gehalten wird; Schnelligkeit, Leichtigkeit und Leutseligkeit sind recht gut mit einander zu vereinigen.

Wenn Freunde und Doktoren die sich schärfenden Züge, die fast wild werdenden Augen von Fieberkranken ebenso bewachen würden, wie Krankenwärterinnen sie bewachen können und sollen, so würden sie gewiß nicht mehr wagen, solche Erwartung oder Aufreizung des Gemütes hervorzurufen. Ein solches unnöthiges Geräusch hat ohne Zweifel in vielen Fällen Delirium herbeigeführt oder vermehrt. Ich kannte einen Fall, in welchem der Tod erfolgte. Dieser wurde, offen gesagt, einem Schrecken zugeschrieben, war aber die Folge eines langen, flüsternd geführten Gespräches, das im Gesichtskreise des Kranken über eine bevorstehende Operation stattfand; denn Jeder, der die freudige, den Stoicismus übertreffende Ruhe kennt, mit welcher ein Patient, der überhaupt eine Operation ertragen kann, die Gewißheit einer Operation, auf die man ihn gehörig vorbereitet, aufnimmt, der wird schwer glauben, daß in dem angeführten Falle bloßer Schrecken, wie man behauptete, die verhängnißvolle Folge hatte. Hier wirkte vielmehr die Ungewißheit, die gespannte Erwartung, was beschlossen werden würde, auf so verhängnißvolle Weise.

Oder gerade vor der Thüre.

Am schlimmsten wirkt es jedoch, wie ich kaum zu sagen brauche, wenn, wie so oft vorkommt, ein Arzt oder Freund den Patienten verläßt, und dann seine Meinung über das Resultat seines Besuches den Freunden gerade vor der Thür des Kranken, oder in dem anstoßenden Zimmer mittheilt, so daß es der Kranke hören oder sonst erkennen kann, was gesprochen wird.

Lärm der Frauenkleider.

Es ist, denk' ich, ganz erschrecklich, besonders in dieser Zeit, wo weibliche Federn uns fortwährend des »Weibes besonderen Werth und Beruf für das Missionswesen« einprägen, daß der Anzug der Frauen sie täglich mehr untauglich für irgend eine »Mission« oder nützliche Thätigkeit überhaupt macht. Er taugt ebenso wenig für irgend einen poetischen, als für einen häuslichen Zweck. Jetzt ist ein Mann im Krankenzimmer geschickter und weniger anstößig, als ein Frauenzimmer. In Folge ihrer Tracht muß jedes Frauenzimmer schleifen oder watscheln, und nur ein Mann kann über den Fußboden des Krankenzimmers gehen, ohne ihn zu erschüttern. Was wurde aus des Weibes leichtem Schritt? aus dem festen, leichten, schnellen Schritt, den wir eben verlangten?

Unnöthiger Lärm zeugt sonach von Mangel an Sorgfalt, durch welchen Gesunde wie Kranke auf die grausamste Art leiden. (In allen diesen Anmerkungen werden die Kranken blos als solche erwähnt, die von genau denselben Ursachen im größeren Maße leiden, als die Gesunden.)

Unnöthiger (obschon unbedeutender) Lärm schadet einer kranken Person viel mehr, als nothwendiger Lärm (von weit größerer Stärke.)

Des Patienten Abneigung gegen rauschende Wärterinnen.

Alle Lehren über geheimnißvolle Wahlverwandtschaften und Abneigungen lassen sich großentheils, wenn nicht gänzlich, durch Anwesenheit oder Abwesenheit von Sorgfalt in diesen Dingen erklären.

Eine Wärterin, die, wenn sie sich bewegt, rauscht (ich spreche nicht blos von Wärterinnen von Beruf, sondern von Wärterinnen überhaupt), ist der Schrecken des Patienten, obgleich er vielleicht nicht weiß, weshalb.

Die rastlose Unruhe der Seide und Krinolinen, das Klirren mit Schlüsseln, das Geknarr von Schnürleibern und Schuhen, wird einem Kranken mehr schaden, als ihm alle Arzeneien der Welt nützen werden.

Der geräuschlose Gang des Weibes, der geräuschlose Anzug des Weibes, sind in unserer Zeit bloße Redefiguren. Wenn sie sich bewegt, so ist es noch gut, wenn ihre Unterröcke nicht irgend ein Stück der Einrichtung herabwerfen, aber jedenfalls werden sie wenigstens gegen jeden Artikel im Zimmer anstreifen.

Ein Glück noch, wenn ihre Röcke nicht Feuer fangen, – wenn sich die Wärterin nicht zugleich mit ihrem Patienten opfert, indem sie sich in ihren eigenen Unterröcken verbrennt. Ich wollte, der General-Registrator wollte uns genau die Zahl der Todesfälle durch Verbrennung angeben, die durch diese abgeschmackte und häßliche Mode herbeigeführt wurden. Wenn aber die Leute dumm sein wollen, so mögen sie doch Maßregeln ergreifen, um sich gegen ihre eigene Dummheit zu schützen – Maßregeln, die jeder Chemiker kennt. Man mische Alaun in die Stärke, denn dies verhindert, daß gestärkte Kleider auflodern.

Unanständigkeit der Krinoline.

Ich wollte auch, daß Frauenzimmer, welche Krinolinen tragen, das Unanständige ihrer Kleidung ebenso sähen, als andere Leute es sehen.

Eine achtbare, ältliche Frau, die in ihrer Krinoline sich vorwärts bückt, enthüllt so viel von ihrer eigenen Person dem im Zimmer liegenden Kranken, als eine Operntänzerin auf der Bühne dem Publikum enthüllt. Niemand aber wird ihr je diese unangenehme Wahrheit sagen.

Da ist wieder eine Wärterin, die keine Thüre öffnen kann, ohne Alles im Zimmer zum Klappern zu bringen. Oder sie öffnet unnöthig oft die Thüre, weil sie sich nicht erinnert, welche Artikel alle zugleich hereingebracht werden können.

Eine gute Wärterin wird stets dafür sorgen, daß keine Thüre, daß kein Fenster im Zimmer ihres Kranken klappere oder knarre, daß kein Fensterladen oder Vorhang bei irgend einem Wechsel des Windes bei offenem Fenster schlottern kann; namentlich wird sie für Alles dies sorgen, bevor sie ihre Kranken für die Nacht über verläßt. Wenn ihr wartet, bis eure Kranke euch dies Alles sagen, oder euch daran erinnern, welchen Vortheil haben sie dann, eine Wärterin zu besitzen? Es gibt unter allen Klassen mehr schüchterne, als vielverlangende Patienten, und viele Patienten bringen lieber einmal über das andere eine schlechte Nacht zu, als daß sie ihre Wärterin jeden Abend an all die Dinge erinnerten, die sie vergessen hat.

Sind nun Fenster mit Laden versehen, so sorgt stets dafür, sie, wenn sie nicht geschlossen werden müssen, wohl zu befestigen. Ein kleines Stück daran, das herabschlüpft und bei jedem Luftzuge klappert, wird einen Kranken aufs Höchste beunruhigen.

Hast schadet namentlich einem Kranken.

Alle Hast, alles Gelaufe ist für einen Kranken besonders schmerzhaft. Wird ein Kranker von dringenden Geschäften in Anspruch genommen, anstatt sich einfach unterhalten zu können, so wirkt Hast doppelt nachtheilig auf ihn.

Der Freund, der sich nicht niedersetzt, sondern herumläuft, um dem Patienten, welcher mit ihm über Geschäfte spricht, das Sprechen zu ersparen, oder der Freund, der sitzt und langweilig erzählt, weil er ihn damit zu unterhalten meint, handeln gleich unbedachtsam.

Setze dich stets nieder, wenn eine kranke Person mit dir über Geschäfte spricht, zeige keine Zeichen der Hast, sei ganz aufmerksam und überlegend, wenn dein Rath gefordert wird, und gehe, sobald der Gegenstand erschöpft ist, augenblicklich fort.

Wie sich ein Besucher beim Kranken benehmen soll, um ihm nicht zu schaden.

Sitze immer im Gesichtskreis des Kranken, damit er, wenn du zu ihm sprichst, nicht genöthigt sei, sein Haupt mühselig herumzudrehen, um dich anzublicken. Jedermann blickt unwillkürlich die sprechende Person an. Machst du diesen Akt dem Kranken beschwerlich, so fügst du ihm Nachtheil zu. Dasselbe ist der Fall, wenn du fortwährend stehst, und ihn so nöthigst, beständig sein Auge zu dir zu erheben. Sei so regungslos, als möglich, und mache nie seltsame Geberden, wenn du zu dem Kranken sprichst. Lasse nie einen Patienten eine Botschaft oder Bitte wiederholen, besonders nicht einige Zeit darauf. Beschäftigte Patienten werden oft beschuldigt, daß sie sich zu viel mit ihrem eigenen Geschäft befassen. Sie haben instinktiv Recht. Wie oft hört ihr die Person, welche ersucht wurde, eine Botschaft zu überbringen, oder einen Brief zu schreiben, eine halbe Stunde darauf zu dem Kranken sagen: »Bestimmten Sie die Zeit auf 12 Uhr?« oder: »Wie lautete die Adresse, die Sie mir angaben?« – oder man hört sie mehr aufregende Fragen stellen, wo dann der Kranke genöthigt wird, sein Gedächtniß anzustrengen, oder was schlimmer ist, sich wieder entscheiden muß. In der That, es strengte ihn weniger an, seinen Brief selbst zu schreiben. Diese Erfahrung machen fast alle beschäftigte Kranke.

Das bringt uns auf eine andere Vorsicht. Sprich nie zu einem Patienten von hinten, noch von der Thür aus, noch aus irgend einer Entfernung von ihm, noch wenn er irgend etwas thut.

Die amtliche Höflichkeit, welche Diener in diesen Sachen zeigen, ist den Kranken so angenehm, daß viele von ihnen, ohne zu wissen weshalb, es vorziehen, nur Diener um sich zu haben.

Dies sind keine Grillen.

Diese Dinge entspringen nicht aus Grillen. Wenn wir erwägen, daß bei Kranken, wie bei Gesunden, jeder Gedanke ein wenig Nervenstoff zersetzt, daß Zersetzung sowohl wie Wiederzusammensetzung von Nervenstoff stets vor sich geht, und beim Kranken schneller, als beim Gesunden – daß plötzlich dem Gehirn, während es eben Nervenstoff durch Denken zerstört, einen andern Gedanken aufdringen, es zu einer neuen Anstrengung herausfordern heißt – wenn wir diese Dinge erwägen, die Thatsachen, und nicht Grillen sind, so sollen wir uns erinnern, daß wir bestimmt Nachtheil zufügen, wenn wir eine sogenannte »fantastische Person« unterbrechen oder erschrecken. Ach, es ist keine Phantasterei!

Unterbrechung fügt dem Kranken Nachteil zu.

Wird der Kranke durch seinen Beruf gezwungen, Beschäftigungen, welche viel Denken erfordern, fortzusetzen, so ist der Nachtheil doppelt groß.

Sie ist auch dem Gesunden schädlich.

Bei Nährung eines unter Delirium oder Betäubung ( stupor) leidenden Kranken könnt ihr ihn ersticken, wenn ihr ihm seine Nahrung plötzlich gebt; wenn ihr aber seine Lippen sanft mit einem Schwamm reibt und so seine Aufmerksamkeit erregt, so wird er die Nahrung unbewußt aber mit vollkommener Sicherheit hinunterschlucken. So ist es auch mit dem Gehirn. Wenn ihr ihm plötzlich einen Gedanken anbietet, namentlich einen, der einen Entschluß erheischt, so fügt ihr ihm einen wirklichen, nicht eingebildeten Nachtheil zu. Sprecht niemals plötzlich zu einer kranken Person. Haltet aber ebensowenig seine Erwartung gespannt. Diese Regel gilt in der That ebenso bei Gesunden als bei Kranken. Alle Personen, welche sich jahrelang solchen fortwährenden Unterbrechungen der Gedanken aussetzten, trübten dadurch zuletzt, wie ich weiß, ihre geistigen Kräfte. Gesunde empfinden dabei vielleicht keinen Schmerz, bei den Kranken hingegen kündigt Schmerz den Nachtheil an.

Regel, wenn der Kranke sich Bewegung macht.

Wenn ein Patient sich Bewegung macht, so suche ihm weder zu begegnen, noch ihn einzuholen, um mit ihm zu sprechen oder ihm irgend eine Botschaft oder einen Brief mitzutheilen. Gerade so gut könnt ihr ihm eine Ohrfeige geben. Ich sah einen Patienten, der aufrecht stand, flach auf den Boden fallen, als seine Wärterin in's Zimmer kam. Letzteres war eine Zufälligkeit, welche die sorgfältigste Wärterin nicht vermeiden konnte, aber Ersteres geschieht mit Absicht. Ein Patient geht in solchem Zustande nicht nach Ostindien. Würdet ihr zehn Minuten warten oder zehn Ellen weiter gehen, so würde seine ganze Promenade zu Ende sein. Ihr wißt nicht, wie sich ein Patient anstrengen muß, um euch nur ¼ Minute stehend anzuhören. Hätte ich nicht dies von den gütigsten Wärterinnen und Freunden thun sehen, so würde ich diese Warnung hier für überflüssig gehalten haben.

Sprich nie mit einem Kranken, wenn er sich Bewegung macht.

So lange eine Wärterin so wenig Beobachtung zeigt, daß sie nicht weiß, ob ein Kranker es ertragen kann, oder nicht, ist es unerläßlich nothwendig, daß sie sich's zur unverbrüchlichen Regel mache, nie zu irgend einem Patienten, der steht oder geht, zu sprechen. Ich bin überzeugt, daß viele von den Unfällen, die sich ereignen, wenn ein schwacher Patient die Treppe hinabfällt oder nach dem Aufstehen ohnmächtig wird, sich blos deshalb ereignen, weil eine Wärterin aus einer Thüre hervorrannte, um den Patienten gerade in diesem Augenblick zu sprechen, oder weil er fürchtete, daß sie dies thun werde. Ebenso bin ich überzeugt, daß sogar in dem Falle, daß der Patient sich selbst überlassen bliebe, bis er sich niederzusetzen vermag, solche Unfälle viel seltener vorkommen würden. Begleitet die Wärterin den Patienten, so fordere sie ihn nicht zum Sprechen auf. Es klingt unglaublich, daß Wärterinnen sich nicht vorstellen können, wie sehr der Akt der Bewegung bei jedem schwachen Kranken das Herz, die Lunge und das Gehirn anstrengt.

Kranke fürchten Überraschung.

Man beschuldigt oft Kranke, daß sie viel mehr zu leisten im Stande sind, wenn Niemand gegenwärtig ist. Es ist ganz wahr, daß sie es können. So lange man Wärterinnen nicht dahin bringt, Erwägungen der Art zu beachten, von welcher wir hier nur einige Beispiele angeführt haben, findet es ein sehr schwacher Patient wirklich viel weniger anstrengend, manche Dinge selbst zu thun, als darum zu ersuchen, und er wird, um sie zu verrichten (ganz unschuldig und aus Instinkt), die Zeit berechnen, welche seine Wärterin wahrscheinlich ausbleiben wird, und zwar aus Furcht, daß sie auf ihn herankomme oder zu ihm spreche, gerade in dem Augenblicke, als er so gut er eben kann, von seinem Bett zu seinem Lehnsessel, oder von einem Zimmer zum andern, oder für einige Minuten in's Freie kriecht. Irgend etwas, was in diesem Augenblick unerwartet seine Aufmerksamkeit in Anspruch nehmen will, wird ihn ganz umwerfen.

In diesen Fällen mögt ihr sicher sein, daß ein sehr schwacher Patient solche Anstrengungen nicht mehr als ein- oder zweimal des Tags macht und wahrscheinlich fast um dieselbe Stunde machen wird. Es ist nun in der That hart, wenn Wärterinnen und Freunde es nicht am Besten finden, ihn diese Anstrengungen ungestört machen zu lassen. Vergeßt nicht, daß viele Patienten, welche weder stehen noch selbst aufrecht sitzen können, zu gehen im Stande sind. Stehen ist für einen schwachen Patienten die anstrengendste aller Stellungen.

Alles, was ihr in eines Kranken Zimmer thut, nachdem er für die Nachtruhe vorbereitet ist, verzehnfacht die Gefahr einer schlechten Nacht für ihn. Wenn ihr ihn aber, nachdem er eingeschlafen ist, aufweckt, so setzt ihr euch nicht der Gefahr aus, ihm eine böse Nacht zu bereiten, so sichert ihr sie ihm.

Allen jenen, welche die Kranken pflegen oder besuchen, sowie Allen, welche eine Meinung über die Krankheit oder ihre Fortschritte zu äußern haben, möchte ich einen Wink geben. Kommt zurück und seht euern Patienten an, nachdem er eine Stunde lang mit euch im lebhaften Gespräche zugebracht hatte.

Es ist dies die beste Probe seines wahren Zustandes, die wir kennen. Urtheilet aber nie über ihn, wenn ihr blos während eines solchen Gespräches sehet was er thut oder wie er aussieht. Erkundigt euch sorgfältig und genau, wenn ihr könnt, wie er die Nacht nach diesem Gespräch zugebracht hat.

Wirkungen der Ueberanstrengung auf Kranke.

Menschen werden selten oder nie ohnmächtig, während sie Anstrengung machen, sondern erst nachdem sie vorüber ist. In der That zeigt sich auch jedwede Wirkung der Ueberanstrengung nicht während, sondern nach derselben. Es ist die höchste Thorheit, die Kranken zu beurtheilen, wie so oft geschieht, wenn man sie nur während einer Periode der Aufregung sieht. Leute sterben sehr oft an dem, was, wie zur Zeit erklärt wurde, ihnen »nicht geschadet hat.«

Unbedachte Auslassungen über die Resultate unbedachter Besuche.

Als eine alte erfahrene Krankenwärterin verwerfe ich entschieden alle solche unbedachte Worte. Ich kannte Patienten, welche die ganze Nacht phantasirten, nachdem ein Besucher sie für, besser erklärt und gedacht hatte, daß sie nur einer kleinen Unterhaltung bedürften und die beim Wiederkommen sagten: »Ich hoffe, mein Besuch hat Ihren Zustand nicht verschlimmert« und dabei auf keine Antwort warteten, ja nicht einmal sahen, welche Krankheit sie vor sich hatten. Kein wirklicher Kranker wird je antworten: »Ja, indessen fand ich mich doch um Vieles schlimmer.«

Weder Tod noch Delirium sind in diesen Fällen am meisten für den Kranken zu fürchten. Weit wahrscheinlicher können nicht wahrgenommene Folgen eintreten. Ihr werdet dabei straflos ausgehen, der arme Kranke nicht. Ich will sagen, der Kranke wird darunter leiden, aber weder er noch der Urheber des Nachtheils wird Letzterm seine wahre Ursache zuschreiben; diese wird nur von einer sehr sorgfältig beobachtenden Krankenwärterin sogleich erforscht werden können. Der Kranke wird nicht einmal erwähnen, was ihm am meisten geschadet hat.

Gedenke, du sollst dich nie an das Bett, in welchem ein Kranker liegt, lehnen, nie darauf sitzen, es nie ohne Not schütteln oder selbst berühren. Alles dies ist nämlich stets eine peinliche Störung. Schüttelt ihr den Stuhl, auf welchem er sitzt, so gewähren ihm die Füße einen Stützpunkt; auf einem Bette oder Sopha dagegen hängt er ganz von euch ab; und er fühlt jede Mißhelligkeit, die ihr verursacht, durch seinen ganzen Körper.

Unterschied zwischen wirklichen und eingebildeten Kranken.

Man beachte wohl, daß wir weder hier noch sonst in dieser Schrift von Hypochondern sprechen; es bildet einen mächtigen Zweig in der Heranbildung einer Krankenwärterin, daß sie wahre Krankheit von eingebildeter unterscheiden lerne. Es bildet einen wichtigen Theil ihrer Pflichten, daß sie mit eingebildeten Kranken umzugehen verstehe, denn die Pflege, welche einerseits wirkliche und andererseits eingebildete Kranke erfordern, ist von verschiedener oder vielmehr entgegengesetzter Natur. Von letzterer sprechen wir hier nicht. In der That sind viele der hier erwähnten Symptome solche, welche wirkliche von eingebildeter Krankheit unterscheiden. Es ist wahr, daß Hypochonder sehr oft das hinter dem Rücken der Wärterin thun, was sie nicht vor ihren Augen thun wollen. Ich selbst hatte viele solche Patienten, die bei ihren regelmäßigen Mahlzeiten kaum etwas aßen, wenn ihr aber Nahrung für sie in einem Schranke verbärget, so würden sie dieselbe bei Nacht oder heimlich nehmen. Aber dies geschieht bei solchen eingebildeten Kranken aus einem ganz verschiedenen Beweggrund; sie thun dies nämlich, weil sie zu verhehlen wünschen, während der wirkliche Kranke sich oft seiner Wärterin oder seinem Arzt gegenüber, falls sie ihn nicht durch Kopfschütteln abschrecken, rühmen wird, wie viel er that, aß oder ging. Doch kehren wir zu den wirklichen Krankheiten zurück.

Bündigkeit bei Kranken nothwendig.

Bündigkeit und Entschiedenheit sind bei Kranken im höchsten Grade nothwendig. Was ihr ihnen sagt, das sagt ihnen bündig und entschieden. Was immer für Zweifel und Zögerung in eurem eigenen Gemüt sich kund gibt, ihr müßt sie nie ihren Gemütern mittheilen, selbst nicht (ich wollte lieber sagen, besonders nicht), wenn es sich um Kleinigkeiten handelt. Behaltet euern Zweifel für euch, ihnen gebt nur Entschiedenheit kund. Leute, die laut denken, deren ganzer Gedankengang, wie der Homer's, im Akt der Absonderung erscheint, die alles und jedes sagen, was sie zu einem Schlusse führte, und davon ableitete, sollen nie um Kranke sein.

Unentschlossenheit ist ihnen sehr schmerzhaft.

Unentschlossenheit fürchten alle Kranken ungemein. Um nicht bei Andern auf sie zu stoßen, werden sie lieber alle ihnen bekannten Thatsachen sammeln, und selber darüber nachdenken, schmerzhaft. Eine Sinnesänderung bei Anderen, betreffe sie eine Operation, oder das zweimalige Schreiben eines Briefes, schadet dem Kranken stets mehr, als wenn er aufgefordert wird, über einen höchst gefürchteten und schwierigen Entschluß nachzudenken. Ueberdies ist in sehr vielen Fällen die Einbildungskraft bei Kranken viel thätiger und lebhafter, als bei Gesunden. Wenn ihr dem Kranken zu einer Stunde eine Luftveränderung an einem gewissen Platze, und in der nächsten auf einem andern vorschlagt, so hat er in einem wie in dem andern Falle sich in seiner Phantasie als Inhaber des Platzes eingerichtet, ging er als solcher in der Idee über den ganzen Grund und Boden desselben, und ihr habt ihn durch Verrückung seiner Phantasie ebenso ermüdet, als hättet ihr ihn tatsächlich über beide Plätze geführt.

Verlaß das Krankenzimmer schnell, und kehre auch schnell – nicht plötzlich, nicht mit Ungestüm – in dasselbe zurück. Laß aber den Kranken sich nicht müde warten, bis du aus dem Zimmer gehst, oder in dasselbe zurückkehrst. Bündigkeit und Entschiedenheit in euren Bewegungen, wie in euren Worten, sind im Krankenzimmer nothwendig, so nothwendig, als Abwesenheit von Hast und Geräusch. Gänzliche Selbstbeherrschung wird euch davor bewahren, daß ihr weder durch Zögern, noch durch Hast fehlt.

Worauf ein Kranker nicht zu sehen haben soll.

Wenn ein Kranker nicht blos für seine eigene, sondern auch für seiner Wärterin Pünktlichkeit, oder Ausdauer, oder Bereitschaft, oder Ruhe, oder für alle diese Eigenschaften sorgen soll, so würde er sich ohne Wärterin weit besser stehen, als mit ihr, so werthvoll und bequem ihre Dienste sonst für ihn sein mögen, und wie unfähig er auch sein mag, selbige sich selbst zu leisten.

Lautes Lesen.

Meine Erfahrung in Bezug auf lautes Lesen im Krankenzimmer sagt mir, daß, wenn die Kranken zu siech sind, um selbst zu lesen, sie selten vorlesen ertragen können. Kinder, Augenkranke und ungebildete Personen, sowie jene, welche irgend eine mechanische Schwierigkeit zu lesen verhindert, bilden eine Ausnahme von diesem Satze. Leute, die es lieben, daß man ihnen vorlese, beachten gemeiniglich die Sache, die ihnen vorgelesen wird, nicht viel, während die Anstrengung, dem Vorleser zu folgen, bei Fieberkranken, oder wo das Gehirn eine große Reizbarkeit verräth, oft Delirium herbeiführte. Ich spreche hier mit großer Schüchternheit, weil man fast allgemein glaubt, daß es die Kranken schonen heißt, wenn man ihnen laut vorliest.

Lies dem Kranken sorgsam, deutlich und gleichmäßig vor.

1. Muß eine Sache einer kranken Person vorgelesen werden, so thue es langsam. Die Leute glauben oft, das Mittel, ihn mit der geringsten Ermüdung über die Sache hinwegzubringen, bestehe darin, sie in kürzester Zeit abzumachen. Sie schnattern, sinken mit der Stimme, und galoppiren dann wieder im Vorlesen. Nie beging man einen größern Irrthum. Houdin, der Taschenspieler, sagt: »Das Mittel, eine Geschichte kurz scheinen zu lassen, bestehe darin, sie langsam zu erzählen.« Dies gilt auch, wenn man Kranken vorliest. Ich hörte oft einen Kranken zu so einem verkehrten Vorleser sagen: »Lesen Sie mir es nicht vor, erzählen Sie mir's.« Ohne sich's bewußt zu sein, weiß er, daß so das Sinken der Stimme, das ungleiche Tempo im Lesen, das Bemänteln von Stellen, die man, wenn sie unwichtig sind, lieber ganz auslassen sollte, und das Herbrummen anderer, vermieden werden wird. Verliert der Vorleser seine eigene Aufmerksamkeit, und hält dann ein, um für sich selbst zu lesen, oder findet er, daß er das unrechte Stück gelesen, dann muß der arme Kranke nothwendig leiden. Sehr wenig Leute wissen, wie man dem Kranken vorzulesen habe, sehr wenige lesen sogar so angenehm vor, als sie sprechen. Wer Kranken vorliest, soll es ziemlich langsam und sehr deutlich thun, und alles Herausschreien vermeiden; er soll ziemlich eintönig sein, aber nicht in's Singen verfallen, ziemlich laut, aber ohne Lärm, und vor Allem nicht zu lange lesen. Ueberzeuge dich wohl, was dein Kranker ertragen kann.

Lies nur dem Kranken stück- oder ruckweise vor.

2. Die außerordentliche Gewohnheit, in einem Krankenzimmer für sich zu lesen, und dem Kranken dabei Stücke vorzulesen, welche ihn, oder öfter den Leser unterhalten sollen, ist unverantwortlich unbesonnen. Was meint ihr, denkt der Kranke in der Zwischenzeit, in welcher ihr ihm nicht vorleset? Meint ihr, daß er sich genau die ganze Zeit über, während es euch beliebt, wieder für euch fortzulesen, mit dem vergnügt, was ihr ihm vorgelesen, und daß seine Aufmerksamkeit genau zu der Zeit, wo es euch beliebt, euer lautes Lesen wieder zu beginnen, für etwas Anderes bereit sei? Sei die Person, der man auf diese Weise vorliest, krank oder gesund, thue sie nichts oder irgend etwas Anderes, während man ihr auf diese Weise vorliest, so ist die Selbstvertiefung der Person, die dies thut, ebenso unbegreiflich, als ihr Mangel an Beobachtung, obgleich sehr oft die Person, der vorgelesen wird, zu liebreich ist, um zu sagen, wie peinlich es ihr fällt.

Leute über unsern Häuptern.

Noch eins: Von der losen Bauart der meisten neuen Häuser, in welchen man jeden Schritt auf der Treppe, oder in den einzelnen Stockwerken, im ganzen Hause empfindet, rührt es her, daß, je höher das Stockwerk, desto größer auch die Schwingung ist. Es ist unbegreiflich, wie sehr der Kranke darunter leidet, daß er Jemand über seinem Kopf hat. In den fest gebauten alten Häusern, zu welchen glücklicherweise die meisten Hospitäler gehören, ist das Geräusch und Schütteln unbedeutend. In leicht gebauten Häusern aber und bei der manchen Krankheiten eigenthümlichen Reizbarkeit sind beide eine ernste Ursache von Leiden. Könnt ihr es nicht bewerkstelligen, daß das Zimmer über solchen Kranken unbewohnt bleibe, so ist es weit besser, ihr bringt sie, ohne selbst die durch Treppen erhöhte Mühseligkeit (des Krankendienstes) zu scheuen, in den höchsten Raum des Hauses; sonst könnt ihr einen Zustand der Schlaflosigkeit herbeiführen, den kein Opium besiegen wird. Mißachtet nicht die Warnung, wenn ein Kranker euch sagt, »er fühle jeden Schritt über seinem Haupt durch sein Herz gehen.« Gedenkt, daß jedes Geräusch, welches ein Kranker nicht sehen kann, für ihn den Karakter der Plötzlichkeit hat; ich bin auch überzeugt, daß es Patienten mit so besonders reizbaren Nerven bestimmt weniger nachtheilig ist, wenn Personen mit ihnen in demselben Zimmer wohnen, als wenn sie über ihrem Kopf wohnen, oder nur durch eine dünne Abtheilung von ihnen getrennt sind. Jedes Opfer, um Ruhe in diesen Fällen zu sichern, ist der Mühe werth, die es erfordert, weil keine Luft, sei sie noch so gut, keine Abwartung, sei sie noch so sorgfältig, in solchen Fällen, ohne Ruhe, etwas wirken wird.

Musik.

Die Wirkung der Musik auf Kranke ist bisher kaum beachtet worden. In der That macht auch ihre gegenwärtige Kostspieligkeit irgend eine allgemeine Anwendung derselben zu keinem Gegenstande der Untersuchung. Ich will hier nur bemerken, daß Wind-Instrumente, die menschliche Stimme inbegriffen, und Saiten-Instrumente, die zusammenhängenden Laut geben können, gemeiniglich eine wohlthätige Wirkung hervorbringen, während das Pianoforte und solche Instrumente, welche keinen Zusammenhang des Tones haben, gerade die entgegengesetzte hervorbringen. Das schönste Klavierspiel wird den Kranken nachtheilig sein, während ein Lied, wie » Home, sweet home« oder » Assise à pié d' un salice« mit der gemeinsten Dreh-Orgel vorgebracht, sie auf merkliche Weise besänftigen wird – und dies ganz unabhängig von ihrer Gesellschaft.


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