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II. Gesundsein der Häuser

Der Einfluß der Kutschen, besonders der verschlossenen, auf die Gesundheit ist nicht von so hinreichend allgemeiner Bedeutung, als daß dessen hier mehr als flüchtig erwähnt werden müßte. Kinder, die stets die schärfste Probe der Gesundheitszustände darbieten, fahren selten in einer geschlossenen Kutsche, ohne von Unwohlsein befallen zu werden – und gut für sie. daß dem so ist. –
Eine geschlossene Kutsche mit Roßhaarkissen und Ueberzügen, die immer von organischen Stoffen durchdrungen sind, und wenn wir noch hinzusetzen, mit geschlossenen Fenstern, ist einer der ungesundesten menschlichen Aufenthaltsorte. Der Gedanke, darin »die frische Luft zu genießen,« ist etwas Widersinniges. Dr. Angus Smith hat uns gezeigt, daß ein überfüllter Eisenbahnwagen, der 30 Meilen in einer Stunde macht, der Gesundheit so nachtheilig ist, wie der scharfe Geruch von einem Abzugskanal, oder wie der Hintergrund in einem der ungesundesten Hofräume abseits einer der ungesundesten Straßen in Manchester.]

Gesundsein der Häuser.

Fünf wesentliche Dinge sind zur Gesundheit in den Häusern nothwendig, nämlich:

Fünf wesentliche Punkte.

1) reine Luft,

2) reines Wasser,

3) wirksame Ableitung,

4) Reinlichkeit,

5) Helle.

Ohne diese kann kein Haus gesund sein. Und in demselben Maße, als sie fehlen, ist es ungesund.

Reine Luft.

1. Um reine Luft zu haben, sei euer Haus so gebaut, daß die freie Luft ohne Hinderniß in jeden Winkel dringen kann. Daran denken die Baumeister kaum. Der Zweck beim Häuserbau besteht eben darin, hohe Miethen zu erlangen, nicht, den Miethsleuten Doktor-Rechnungen zu ersparen.

Doch, wenn je Miethsleute so klug werden würden, daß sie sich weigerten, ungesund gebaute Häuser zu beziehen, und wenn Versicherungsgesellschaften ihren Vortheil so gründlich verstehen lernten, daß sie einen Gesundheits-Beamten besoldeten, damit er die Häuser untersuche, in denen ihre Versicherten wohnen, so würden geldgierige Bauherren bald zur Vernunft kommen. Jetzt bauen sie, was die höchsten Zinsen einbringt; und es giebt immer noch Leute, die thöricht genug sind, solche Häuser zu miethen.

Wenn nun im Laufe der Zeit die Familien schnell wegsterben, wie dies oft der Fall ist, so fällt es Niemandem ein, jemand anderes, als die Vorsehung Gott gab gewisse Naturgesetze. Von der Ueberzeugung, daß er diese Gesetze durchführt, hängt unsere Verantwortlichkeit – ein Wort, das häufig mißbraucht wird – ab; denn wie könnten wir irgendwie für Handlungen verantwortlich sein, deren Folgen wir nicht vorherzusehen im Stande wären? In diesem Falle befänden wir uns, wenn wir auf die Ausführung seiner Gesetze nicht mit Bestimmtheit rechnen könnten. Doch wir scheinen immer zu erwarten, daß Gott ein Wunder thun werde, d. h. daß er seine eigenen Gesetze brechen werde, um uns von aller Verantwortlichkeit zu befreien. dafür zu tadeln. Schlecht unterrichtete Aerzte halten diesen Aberglauben aufrecht, indem sie »umlaufenden Seuchen« die Schuld geben. Schlecht gebaute Häuser wirken gegen die Gesunden, wie schlecht gebaute Spitäler gegen die Kranken wirken. Wo die Luft im Hause stille steht, wird Krankheit gewiß nicht ausbleiben.

Reines Wasser.

2. Reines Wasser wird jetzt, Dank den Bemühungen der Gesundheits-Reformer, im Allgemeinen mehr in die Häuser geleitet, als früher. Während der letzten Jahre pflegte ein großer Theil der Einwohner von London täglich Wasser in Gebrauch zu nehmen, das durch die Ableitung der Kloaken und Abtritte verunreinigt war. Diesem Uebel ist jetzt glücklicherweise abgeholfen. Jedoch wird in manchen Theilen des Landes zu häuslichen Zwecken Brunnenwasser verwendet, das sehr unrein ist. Wenn dann epidemische Krankheiten sich einstellen, so werden die Personen, welche solches Wasser genießen, beinahe gewiß davon befallen werden.

Ableitung.

3. Es wäre höchst wünschenswerth, durch genaue Besichtigung zu ermitteln, wie viele Häuser in London mit wirklich guter Ableitung versehen sind. Viele Leute werden sagen, daß es gewiß alle oder die meisten Häuser sind. Viele Leute haben jedoch keinen Begriff davon, worin eine gute Ableitung besteht. Sie meinen, eine Kloake in der Straße und eine vom Hause dahin gehende Röhre mache eine gute Ableitung. Indessen soll die Ableitungsröhre weiter nichts, als ein Laboratorium sein, aus welchem epidemische Krankheiten oder Siechthum in das Haus überdestillirt werden. Kein Haus, dessen Ableitungsröhre, sei sie mit dem Abtritte, einer Grube oder einem Rinnstein in Verbindung, nicht mit einer Klappe versehen ist, kann jemals gesund sein. Eine Grube ohne Klappe kann zu jeder Zeit Fieber und Pyämia unter die Bewohner eines Palastes verbreiten.

Gruben.

Die gewöhnliche länglich viereckige Abflußgrube ist etwas Abscheuliches. Jene große steinerne Oberfläche, die stets naß gelassen ist, theilt fortwährend ihren Dunst der Luft mit. In einem großen Hause in London ist mir an einer Hinterhaustreppe ein ebenso starker Dunst aus der Abzugsgrube entgegengekommen, als ich solchen je zu Scutari wahrgenommen hatte; und in jenem Hause wurden alle Zimmer vermittelst der geöffneten Thüren gelüftet, die Hausgänge aber bei geschlossenen Fenstern ungelüftet gelassen, damit so viel Abtrittluft als möglich in die Schlafzimmer geleitet und da zurückgehalten werde. Es ist wunderbar.

Ein anderes großes Uebel bei der Errichtung der Häuser besteht in der Anlegung von Abzugsgräben unter dem Hause. Solche Abzugsgräben sind niemals zuverlässig. Sie sollten außerhalb der Hausmauer beginnen und enden. In der Theorie werden manche Leute die Wichtigkeit dieser Dinge zugeben. Aber wie Wenige sind so einsichtsvoll, diesen Ursachen der Krankheit in ihren Familien auf die Spur zu kommen. Ist es nicht Thatsache, daß, wenn Kinder vom Scharlachfieber, Masern oder Blattern befallen werden, zuerst nachgesonnen wird, »wo« die Kinder die Krankheit »geholt« haben könnten? Und sogleich mustern die Eltern in ihrem Sinn alle die Familien, mit denen die Kinder verkehrt hatten. Sie denken aber nie daran, die Quelle des Uebels im eigenen Hause aufzusuchen. Wenn des Nachbars Kind von Blattern befallen, so wird zuerst gefragt, ob es geimpft sei. Niemand wird die Impfung unterschätzen; allein ihr Nutzen in der Gesellschaft wird zweifelhaft, wenn sich die Menschen dadurch verleiten lassen, die Quelle von Uebeln, die im Hause entspringt, außerhalb desselben zu suchen.

Reinlichkeit.

4. Ohne Reinlichkeit innerhalb und außerhalb des Hauses ist Auslüften verhältnißmäßig nutzlos; in gewissen, unreinen Stadttheilen von London wandten arme Leute gegen das Oeffnen der Fenster und Thüren ein, daß sie damit nur üble Gerüche in ihre Wohnung ziehen würden. Reiche Leute lieben es, ihre Ställe und Dunghaufen in der Nähe ihrer Häuser zu haben. Fällt es ihnen aber je ein, ob es bei vielen Einrichtungen dieser Art nicht sicherer wäre, sie hielten die Fenster geschlossen, statt geöffnet? Mit Dunghaufen unter den Fenstern könnt ihr keine reine Luft im Hause haben. In ganz London ist dies gewöhnlich. Und dennoch wundern sich die Leute, daß ihre Kinder, aufgezogen in geräumigen, »wohlgelüfteten« Kinderstuben und Schlafzimmern, an Kinder-Epidemien leiden. Wenn sie in Beziehung auf die Gesundheit der Kinder die Naturgesetze studirten, so würden sie sich nicht so wundern.

Nebst aufgehäuftem Unrath giebt es noch Schmutz anderer Art im Hause. Alte Tapetenwände, schmutzige Teppiche, ungereinigter Hausrath sind ebensowohl Quellen unreiner Luft, als ein Dunghaufen im Erdgeschoß. – Erziehung und Gebräuche haben die Menschen so verwöhnt, daß sie gar nicht darüber nachdenken, wie sie ihr Wohnhaus der Gesundheit förderlich machen könnten, und jede Krankheit für etwas Unabwendbares halten, in das man sich geduldig ergeben müsse, weil es von der Hand der Vorsehung komme. Wenn sie es aber jemals für eine Pflicht erachten, die Gesundheit ihrer Familien zu bewahren, so sind sie sehr geneigt, in der Ausübung dieser Pflicht allerlei »Nachlässigkeiten und Dummheiten« zu begehen.

Helle.

5. Ein dunkles Haus ist immer ein ungesundes Haus, immer ein schlecht gelüftetes, immer ein schmutziges Haus. Mangel an Licht verkümmert Wachsthum und befördert Scropheln, englische Krankheit etc. bei den Kindern.

Man verliert die Gesundheit in einem dunklen Hause und kann sie in demselben nicht wiedererlangen. Später mehr über diesen Punkt.

Drei gewöhnliche Fehler gegen die Gesundheitsregeln in Häusern.

Von den mannigfaltigen »Nachlässigkeiten und Dummheiten,« die im Allgemeinen gegen die Gesundheitsregeln in Häusern begangen werden, will ich hier drei Beispiele anführen:

1. Daß die Frau, welche an der Spitze der Hausverwaltung steht, es nicht für nöthig hält, jedes Loch und jeden Winkel desselben jeden Tag nachzusehen. Wie kann sie erwarten, daß ihre Untergebenen mehr Sorgfalt entwickeln werden, ihr Haus gesund zu erhalten, als sie, welche darin die Aufsicht führt? –

2. Daß man es nicht für einen Hauptpunkt hält, unbewohnte Zimmer zu lüften, dem Sonnenlichte auszusetzen, und zu reinigen. Dies heißt einfach, die Anfangsgründe der Gesundheitslehre nicht kennen, dies heißt, den Grund zu allen Arten von Krankheiten legen.

3. Daß man dafür hält, das Fenster, und zwar Ein Fenster reiche hin, ein Zimmer zu lüften. Habt ihr nie beobachtet, daß jedes Zimmer ohne Feuerstelle stets dumpf ist? Und wenn ihr eine Feuerstelle habt, werdet ihr sie nicht mit einem Kaminbrett blos, sondern vielleicht auch mit einem großen Bündel braunen Papiers im Halse des Kamins verstopfen, um, wie ihr sagt, zu verhindern, daß nicht Ruß herunter komme? Ist euer Kamin schmutzig, so fegt ihn; erwartet aber nicht, daß ihr je ein Zimmer blos durch eine Oeffnung lüften könnt; glaubt nicht, daß es ein Zimmer rein halten heißt, wenn man es verschließt. Es ist im Gegentheil das beste Mittel, ein Zimmer, und was darin ist, unrein zu machen. Bildet euch nicht ein, daß wenn ihr, die ihr die Aufsicht führt, nicht selbst für alle diese Dinge sorgt, eure Untergebenen sorgfältiger sein werden, als ihr. Es scheint, als ob es jetzt das Amt einer Hausfrau sei, sich über ihre Dienstboten zu beklagen, und ihre Entschuldigungen anzuhören, statt daß sie ihnen zeigen sollte, wie Klagen und Entschuldigungen vermieden werden könnten.

Die Leiterin des Hauswesens muß für die Gesundheit des Hauses sorgen, ohne die damit verbundenen Dienste zu verrichten.

Wenn ihr selbst auf alle diese Dinge sehen sollt, so ist damit nicht gesagt, daß ihr selbst sie verrichten sollt. »Ich öffne stets die Fenster,« sagt oft die Leiterin des Hauswesens. Wenn ihr es thut, so ist es sicherlich um so besser, als wenn es sonst gar nicht gethan würde. Könnt ihr euch aber nicht versichern, daß man es thut, wenn ihr selbst es nicht thut? Könnt ihr euch versichern, daß man es nicht unterlasse, wenn ihr euch abwendet? Das ist's, was die »Aufsicht führen« bedeutet. Und diese Bedeutung ist auch eine sehr wichtige; denn sie zeigt an, daß das, was gethan werden soll, auch stets gethan wird, nicht aber, daß nur gerade das geschieht, was ihr mit eigener Hand verrichten könnt.

Denkt Gott im Ernst so von diesen Dingen?

Ihr werdet diese Dinge für Kleinigkeiten oder wenigstens für übertrieben halten. Doch es kömmt wenig darauf an, was ihr »meint,« oder was ich »meine.« Sehen wir, was Gott darüber meint. Gott rechtfertigt stets seine Wege. Während wir meinten, hat er gelehrt. Ich sah in schönen Privathäusern Fälle von Spital-Pyämia, die so schwer waren, als sie in dem schlechtesten Krankenhause vorkommen, und sie kamen dort von derselben Ursache, nämlich von unreiner Luft. Doch Niemand verstand die Lehre, Niemand lernte etwas von ihr. Sie fingen an zu meinen – meinten, daß der Leidende seinen Daumen gekratzt habe, oder daß es sonderbar war, daß alle Dienstpersonen »Nagelgeschwüre« bekamen; oder meinten, »es muß irgend etwas in diesem Jahre los sein, denn es gibt stets Krankheit in unserm Hause.«

Diese Art zu meinen ist sehr beliebt, leitet aber nicht darauf, zu untersuchen, was die gleichmäßige Ursache dieser so verbreiteten »Nagelgeschwüre« sei, sondern unterdrückt alle Untersuchung. In welchem Sinne ist die Redensart »dort ist stets Krankheit« eine Rechtfertigung, daß sie »dort« überhaupt ist?

Wie führt er seine Gesetze durch?

Wie lehrt er seine Gesetze.

Dienstboten-Zimmer.

Ich will euch sagen, was die Ursache jener Spital-Pyämia in einem großen Privathause war, denn ich verweilte daselbst. Sie lag darin, daß die Luft der Abzugsgrube von einer schlecht angebrachten Schleuse sorgfältig in alle Zimmer geleitet wurde, indem man fleißig alle Thüren öffnete, und alle Fenster in den Durchgängen verschloß. Sie lag darin, daß man das Zimmergeschirr voll Unrath in die Fuß-Wärmepfanne ausleerte; daß man die Geschirre nie gehörig ausspülte; daß man die Teller, Tassen etc. im Zimmer mit schmutzigem Wasser spülte; daß man die Betten nie gehörig schüttelte, lüftete, stückweise durchklopfte oder wechselte. Die Ursache lag ferner darin, daß die Teppiche und Vorhänge stets dumpfig, daß die Möbeln stets staubig waren, daß die mit Tapeten versehenen Wände mit Schmutz gesättigt waren, daß die Fußböden nie gereinigt wurden, daß die unbewohnten Zimmer nie gesonnt, oder gereinigt, oder gelüftet wurden, daß die Schränke Behälter von unreiner Luft waren, daß man die Fenster bei Nacht stets fest verschlossen hielt, daß man nicht bei Tag systematisch ein Fenster öffnete, oder daß man nicht das rechte Fenster öffnete. Eine Person, die nach Luft schnappt, kann selbst ein Fenster öffnen; aber die Dienstleute (in jenem Hause) lehrte man nicht, die Fenster öffnen, die Thüren zumachen; oder sie öffneten die Fenster über einem dumpfigen Brunnen zwischen hohen Mauern, nicht nach dem luftigeren Hofraume zu. Dies Alles ist nicht Einbildung, sondern Thatsache. In jenem schönen Hause sah ich in einem Sommer drei Fälle von Spital-Pyämia, zwei von Plebitis, zwei von auszehrendem Husten, die alle die unmittelbaren Produkte schlechter Luft waren. Wenn in einem gemäßigten Klima ein Haus im Sommer ungesunder ist, als im Winter, so ist das ein sicheres Zeichen, daß irgend etwas darin schlecht bestellt ist. Doch Niemand lernt etwas daraus. Gott aber rechtfertigt stets seine Wege. Er lehrt, während ihr nichts lernt. Dieser arme Leib verliert einen Finger, jener verliert sein Leben. Dienstboten-Zimmer. Ich muß hier ein Wort in Bezug auf Schlafzimmer der Dienstboten sagen. Infolge ihrer Bauart, noch mehr aber infolge der Art, wie sie gehalten werden, und weil man sie nie verständig beaufsichtigt, sind sie stets voll unreiner Luft, und des »Dienstboten Gesundheit« leidet selbst auf dem Lande auf »unerklärbare« (?) Weise. Ich spreche nämlich keineswegs blos von Häusern in London, wo man nur zu oft Dienstboten entweder unter der Erde oder über dem Dache ihre Wohnung anweist. In einem »Herrenhause« auf dem Lande kannte ich drei Mägde, die das Scharlachfieber hatten, und in demselben Zimmer schliefen. Natürlich bemerkte man: »Wie ansteckend ist es!« Ein Blick in das Zimmer, der Geruch aus demselben, reichte vollkommen hin, die Sache nicht mehr » unerklärbar« zu finden. Das Zimmer war nicht klein; es lag in einem der oberen Stockwerke, und hatte zwei Fenster – aber fast jede der oben aufgezählten Vernachlässigungen war da zu finden. Und dies Alles geschieht aus Ursachen, denen auf die leichteste Weise vorgebeugt werden könnte.

Physische Entartung in Familien. Ihre Ursachen.

Die Häuser der Großmütter und Urgroßmütter dieses Geschlechts, wenigstens die Landhäuser, mit ihrer im Winter wie im Sommer stets offenen Front- und Hinterthür, durch welche immer ein starker Luftzug zieht – mit all dem Reiben, Reinigen, Poliren, Scheuern, das man darin vorzunehmen gewohnt war – so wie die Großmütter, und noch mehr die Urgroßmütter, die stets im Freien sind, und nur eine Haube aufsetzen, wenn sie in die Kirche gehen, erklären die so oft gesehene Tatsache, daß man von einer Urgroßmutter, die ein Thurm von physischer Kraft war, und einer von ihr stammenden Großmutter, die vielleicht etwas weniger stark, aber doch fest wie eine Glocke und kerngesund war, eine kraftlose Mutter abstammen sieht, die auf ihr Haus, auf ihren Wagen beschränkt ist, und die endlich eine schwächliche Tochter hat, die auf ihr Bett beschränkt ist. Erinnert euch nämlich, daß, selbst wenn die Sterblichkeit allgemein abnimmt, ihr doch oft ein Geschlecht, und noch öfter eine Familie antreffen könnt, die auf die gedachte Weise entarten.

Ihr könnt arme, kleine, schwache, ausgewaschene Lappen, Sprößlinge eines edlen Stammes, sehen, die durch ihr ganzes nutzloses, entartetes Leben moralisch und physisch leiden, und doch werden solche Leute, welche sich verheirathen, um mehr ähnliche Geschöpfe in die Welt zu setzen, nichts als ihre eigene Gemächlichkeit zu Rathe ziehen, wenn es sich darum handelt, wo oder wie sie leben sollen.

Macht euer Krankenzimmer nicht zu einem Ventilations-Schlauch für das ganze Haus.

In Bezug auf die Gesundheit von Häusern, worin es eine kranke Person gibt, kommt es oft vor, daß man des Kranken Zimmer zum Ventilations-Schlauch des ganzen Hauses macht, denn während man das Haus so verschlossen, ungelüftet und schmutzig, wie gewöhnlich, läßt, wird das Fenster des Kranken-Zimmers stets ein wenig, und die Thüre gelegentlich geöffnet gehalten.

Nun gibt es gewisse Opfer, welche ein Haus, worin eine einzige kranke Person ist, dieser kranken Person bringt: man bindet den Klopfer an der Pforte auf, legt Stroh vor dem Hause auf die Straße. Warum kann das Haus aus Rücksicht für den Kranken nicht durchaus rein und ungewöhnlich gut gelüftet gehalten werden?

Ansteckung.

Krankheiten sind nicht, wie Hunde und Katzen, in Klassen gebrachte Individuen, sondern Zustände, deren einer aus dem andern entsteht.

Wir müssen nicht vergessen, was man in gewöhnlicher Sprache Ansteckung Leben wir nicht in einem beständigen Irrthum, wenn wir, wie jetzt der Fall ist, Krankheiten als besondere Wesen ansehen, die da sein müssen, wie Katze und Hund. Wir sollen sie doch im Gegentheil als Zustände betrachten, wie einen schmutzigen und reinen Zustand, Zustände, über die wir ebensowohl Gewalt haben, als Schmutz und Reinlichkeit von uns selbst abhängen; oder besser noch, wir betrachten Krankheiten als Gegenwirkungen der gütigen Natur gegen die Zustände in welche wir uns selbst versetzt haben. Sowohl wissenschaftlich gebildeten Männern, als auch unwissenden Weibern, brachten wir frühzeitig den Glauben bei, daß Blattern zum Beispiel ein Ding seien, von welchem es einst ein erstes Exemplar gab, das sich sodann in fortlaufender Kette der Abstammung selbst fortpflanzte, gerade so, wie es einst einen ersten Hund oder ein erstes Hundepaar gab, und daß Blattern sonst ebensowenig aufzutreten beginnen könnten, als ein neuer Hund ohne vorher dagewesenen Mutterhund entstehen könnte.
Seitdem habe ich mit meinen Augen gesehen und mit meiner Nase gerochen, daß Blattern als erste Exemplare entweder in verschlossenen Zimmern, oder in überfüllten Krankensälen ausbrachen, wo es durchaus unmöglich war, die Krankheit durch Ansteckung zu erhalten, und wo sie demnach angefangen haben mußte.
Ja, noch mehr! ich sah Krankheiten beginnen, wachsen, und in einander übergehen. Nun gehen aber Hunde nicht in Katzen über.
So sah ich beispielsweise, wie bei einer kleinen Ueberfüllung anhaltendes Fieber entstand, bei etwas größerer typhusartiges, und bei wieder etwas größerer Typhus ausbrach, was Alles in demselben Krankensaal oder in derselben Hütte vorkam.
Wäre es nicht weit besser, wahrer und praktischer, wenn wir Krankheit in diesem Lichte betrachteten?
Sind doch Krankheiten, wie alle Erfahrung zeigt, Beschaffenheiten der Dinge, nicht die Dinge selbst.
nennt – ein Ding, das die Leute überhaupt so fürchten, daß sie in Ansehung desselben gerade das thun, was sie vermeiden sollen. Nichts pflegt man für so ansteckend zu halten, als Blattern; und die Leute pflegten vor nicht sehr langer Zeit ihre Blatternkranken mit schweren Bettstücken zu bedecken, während sie große Feuer anmachten, und die Fenster verschlossen hielten. Bei solchem Verfahren sind Blattern natürlich sehr »ansteckend.« Die Leute sind in der Behandlung dieser Krankheit gegenwärtig etwas weiser. Sie wagen es, den Kranken nur leicht zu bedecken und die Fenster geöffnet zu halten, und wir hören weit weniger, als sonst, von der »Ansteckung« durch Blattern. Benehmen sich aber die Leute in unseren Tagen mit mehr Weisheit, wo es sich um »Ansteckung« bei Fiebern, Scharlachfieber, Masern u. s. w. handelt, als sich ihre Vorväter den Blattern gegenüber benahmen? Liegt es nicht in dem volksmäßigen Begriff von »Ansteckung,« daß die Leute sich selbst mehr in Acht nehmen sollten, als die Kranken? Daß es zum Beispiel sicherer ist, nicht zu viel um den Kranken zu sein, und nicht zu viel auf seine Bedürfnisse Acht zu geben?

Warum müssen Kinder die Masern haben.

Am besten wird vielleicht die äußerste Abgeschmacktheit der Pflichten bei der Pflege »ansteckender« Krankheiten durch das erläutert, was jüngst erst, wenn es nicht noch jetzt sogar vorkömmt, in einigen Lazarethen von Europa, üblich war. Dort wurde nämlich der Pestkranke zu all den Abscheulichkeiten verurtheilt, welche mit Schmutz, Ueberfüllung des Krankensaals und Mangel an gehöriger Auslüftung verbunden sind, während der ärztliche Gehilfe beauftragt wurde, die Zunge des Patienten (von Ferne) durch ein Opernglas zu betrachten, und ihm eine Lanzette zuzuwerfen, um damit seine Eiterbeulen zu öffnen.

Die wahre Krankenpflege nimmt von Ansteckung nur insofern Notiz, als sie ihr vorzubeugen sucht. Eine wahre Krankenwärterin verlangt und bedarf auch dagegen keinen andern Schutz, als jenen, den Reinlichkeit, frische Luft von offenen Fenstern und unermüdliche Aufmerksamkeit auf den Kranken, gewähren.

Verständige und menschenfreundliche Behandlung des Kranken ist das beste Schutzmittel gegen Ansteckung.

Es giebt nicht wenige im Volke verbreitete Meinungen, hinsichtlich deren es zuweilen von Nutzen ist, eine oder zwei Fragen aufzuwerfen. So hegt man zum Beispiel gemeiniglich die Ansicht, daß Kinder, was man gewöhnlich »Kinder-Epidemien« oder umlaufende ansteckende Krankheiten u. s. w. nennt, haben müssen; mit andern Worten, daß sie geboren seien, um Masern, Keuchhusten, vielleicht gar Scharlachfieber zu bekommen, und zwar gerade so, wie sie geboren sind, um Zähne zu bekommen, wenn sie am Leben bleiben.

Nun, so sagt mir doch, warum muß ein Kind die Masern haben?

Oh! sagt ihr, weil wir es nicht vor Ansteckung bewahren können; – andere Kinder haben die Masern – und es muß sie bekommen – und es ist besser, daß es sie bekomme.

Warum aber müssen andere Kinder die Masern haben? Und wenn sie sie haben, warum müssen die eurigen sie auch haben?

Wenn ihr an die Gesetze zur Erhaltung der Gesundheit der Häuser, welche Reinlichkeit, Weißen der Wände, Auslüftung und andere Mittel einschärfen, weil sie eben Gesetze sind, mit derselben Bestimmtheit unbedingt glauben, und sie auch befolgen würdet, wie ihr an die im Volke verbreitete Meinung glaubt – denn es ist nichts mehr, als eine Meinung, daß euer Kind von Kinder-Epidemien befallen werden muß – denkt ihr nicht, daß, Alles erwogen, euer Kind wahrscheinlicher der Gefahr ganz und gar entrinnen werde?


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