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IX. Licht

Licht ist sowohl für die Gesundheit, als auch für die Wiedergenesung wesentlich nothwendig.

Aus allen Erfahrungen, die ich bei Kranken gemacht habe, geht unveränderlich hervor, daß ihr Bedürfniß nach Licht nur dem Bedürfnisse nach frischer Luft an Bedeutung nachsteht; daß einem schwülen Zimmer, ein dunkles Zimmer ihnen am meisten schadet; und daß es nicht allein Helle, sondern das unmittelbare Sonnenlicht ist, dessen sie bedürfen. Lieber möchte ich die Kraft besitzen, meinen Patienten, wenn es die Umstände erlauben, in jenes Zimmer zu tragen, in das die Sonne scheint, als ihn in einem Zimmer schmachten lassen, das nicht von der Sonne beschienen wird.

Lage, Aussicht und Sonnenlicht sind für die Kranken höchst wichtige Sachen.

Die Leute denken, die Sonne wirke einzig und allein auf das Gemüth. Dies ist durchaus nicht der Fall. Die Sonne ist nicht blos Malerin, sondern auch Bildhauerin. Ihr räumt mir doch ein, daß sie die Photographie bewerkstelligt; nun so müssen wir, ohne uns in wissenschaftliche Darlegungen einzulassen, zugeben, daß das Licht eine ebenso wirkliche und fühlbare Wirkung auf den menschlichen Körper ausübe. Doch ist dies nicht Alles. Wer hat nicht den reinigenden Einfluß des Lichts, insbesondere des unmittelbaren Sonnenlichts, auf die Luft in einem Zimmer wahrgenommen? Es sei hier einer Wahrnehmung gedacht, die Jedermann selbst machen kann. Geht in ein Zimmer, in welchem die Fensterläden immer geschlossen sind (in einem Kranken- oder Schlafzimmer sollten die Fensterläden niemals geschlossen sein), und obgleich es unbewohnt ist und dessen Luft daher nie von Athem menschlicher Wesen verunreinigt wurde, so werdet ihr doch daselbst einen schwülen, muffigen Geruch wahrnehmen, der von verderbter Luft herrührt, d. h. von Luft, die nicht durch die Wirkung der Sonnenstrahlen gereinigt worden. Der muffige Geruch dunkler Zimmer und Ecken ist in der That sprichwörtlich geworden. Die Heiterkeit eines Zimmers und der Nutzen vom Licht sind bei der Behandlung von Krankheiten höchst wichtig. Eine sehr hohe Autorität in Betreff der Bauart von Spitälern hat geäußert, daß die Leute beim Entwurf dieser Gebäude den Unterschied zwischen Krankensälen und Schlafsälen nicht genug berücksichtigen. Ich gehe aber noch weiter, und sage, daß gesunde Leute bei ihren Einrichtungen für Kranke niemals des Unterschieds zwischen Schlafzimmer und Krankenzimmer gedenken. Einem gesunden Schläfer ist nichts an der Aussicht, die ihm die Lage seines Bettes gewährt, gelegen. Er sollte auch nie im Bette sein, ausgenommen wenn er schläft und des Nachts. Ebenso wenig ist für ihn die Lage des Zimmers von besonderer Bedeutung (vorausgesetzt, daß die Sonne sein Schlafzimmer jeden Tag zu einer gewissen Zeit erreicht und dadurch die Luft reinigt), weil er niemals in seinem Schlafzimmer sein sollte, ausgenommen in den Stunden, wenn die Sonne nicht scheint. Bei den Kranken, selbst wenn diese ebenso viele Stunden außerhalb ihres Bettes zubringen würden, als ihr, was jedoch nicht wahrscheinlich, ist der Fall umgekehrt. Ich behaupte daher, daß es für die Wiederherstellung der Gesundheit von der allergrößten oder wenigstens nahezu allergrößten Wichtigkeit ist, wenn der Kranke, ohne sich im Bette zu erheben oder umzuwenden, zum Fenster hinaus Himmel und Sonnenlicht wenigstens sehen kann, falls ihr ihm weiter nichts zeigen könnt. Deshalb sollt ihr die Aufstellung der Betten eurer Kranken als eine der allerwichtigsten Sachen betrachten. Können die Kranken nicht nur von einem Fenster, sondern von zwei Fenstern die Aussicht haben, so ist es um so besser. Ferner ist die Morgensonne und die Mittagssonne, um deren Zeit die Kranken sicherlich noch nicht das Bett verlassen haben, von größerer Bedeutung für sie, als die Abendsonne, was bei einer Auswahl der Zimmer berücksichtigt werden soll. Vielleicht könnt ihr die Kranken Nachmittags aus den Betten nehmen und sie an's Fenster setzen, wo sie die Sonne sehen können; allein die beste Regel ist, womöglich vom Augenblick des Sonnenaufgangs bis zum Sonnenuntergang den Kranken unmittelbares Sonnenlicht zu geben.

Noch ein anderer großer Unterschied zwischen dem Schlafzimmer und dem Krankenzimmer besteht darin, daß der Schläfer dort einen großen Vorrath an frischer Luft hat, womit er die Schlafzeit antritt; wenn nämlich sein Zimmer den Tag über offen gehalten wurde, wie es sein sollte. Der Kranke aber hat diesen Vorrath an frischer Luft nicht, weil er den ganzen Tag die Luft in ein und demselben Zimmer geathmet und durch seine eigenen Ausdünstungen verunreinigt hat. Deshalb ist bei weitem mehr Sorgfalt nöthig, um einen beständigen Luftwechsel im Krankenzimmer zu erhalten.

Es ist schwerlich nothwendig, hinzuzufügen, daß es acute Krankheiten giebt (insbesondere einige wenige Augenkrankheiten, und Krankheiten, in welchen das Auge krankhaft empfindlich ist), wo ein gedämpftes Licht nöthig wird; allein auch in solchen Fällen ist ein gegen die Nordseite gelegenes finsteres Zimmer nicht zuläßlich. Ihr könnt ja das Licht immer durch Jalousien und Vorhänge mäßigen.

Schwere, dicke, dunkle Fenster- oder Bett-Vorhänge sollten in diesem Lande kaum für irgend welche Art von Kranken benutzt werden. Ein leichter, weißer Vorhang am Kopfende des Bettes ist im Allgemeinem Alles, was nothwendig ist; auch wohl grüne Jalousien am Fenster, die man nötigenfalls herablassen kann.

Ohne Sonnenlicht entarten Körper und Geist.

Einer der größten Beobachter menschlicher Dinge (nicht in physiologischer Beziehung) sagt in einer anderen Sprache: »Wo Sonne ist, da ist Gedanke.« Die ganze Physiologie geht darauf hin, diesen Ausspruch zu bestätigen. Wo die Schattenseite tiefer Thäler ist, da sind die Kretinen zu Hause. Wo Keller und von der Sonne unbeschienene Seiten enger Gassen sind, da trifft man die Entartung und die Schwächlichkeit des menschlichen Geschlechts an – entarten Körper und Geist mit einander. Bringe die blasse, verwelkende Pflanze und das blasse, kränkliche menschliche Wesen in die Sonne, so werden Beide, wenn sie nicht schon allzuweit heruntergekommen sind, Gesundheit und Geist wieder erlangen.

Beinahe alle Patienten liegen mit dem Gesicht dem Licht zugekehrt.

Es ist auffallend, wenn man sieht, wie beinahe alle Kranke mit dem Gesicht dem Lichte zugekehrt daliegen, gerade so, wie Pflanzen in ihrem Wachsthum die Richtung nach dem Lichte nehmen; ein Kranker wird sogar darüber klagen, daß er Schmerz empfinde, wenn er »auf jener Seite« liege. »Warum liegst du dennoch auf jener Seite?« Er weiß es nicht – wir aber wissen es. Er liegt deshalb auf jener Seite, weil es die Seite gegen das Fenster ist. Ein moderner Arzt hat kürzlich in einem Berichte an die Regierung veröffentlicht, daß er die Gesichter seiner Kranken vom Lichte abwende. Ja, aber die Natur ist stärker, als moderne Aerzte, und ihr mögt euch darauf verlassen, daß sie die Gesichter in die frühere Lage zurückbringt und einem solchen Lichte zuwendet, wie sie es eben haben kann. Schreitet durch die Krankensäle eines Spitals, erinnert euch der Krankenbetten, die ihr in Privathäusern gesehen habt, und zählt, wie viele Kranke ihr je mit dem Gesicht gegen die Wand liegen saht.


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