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VII. Was für Nahrung

Gewöhnliche Irrthümer in Betreff der Diät.

Fleischbrühe.

Eier.

Fleisch mit Gemüse.

Arrowroot.

Milch, Butter, Rahm etc.

Von den gewöhnlichen Irrthümern, die unter Frauen verbreitet sind, welche die Aufsicht über Kranke haben, will ich hinsichtlich der Krankenkost zwei oder drei erwähnen. Einer besteht in dem Glauben, daß Fleischbrühe vor allen Dingen das Nahrhafteste ist. Nun, so versucht es doch und kocht 1 Pfd. Rindfleisch zu Fleischbrühe, laßt sie verdunsten und seht dann nach, was von eurem Rindfleisch übrig geblieben ist. Ihr werdet dann finden, daß kaum ein Theelöffel voll fester Nahrung in einem halben Pint Wasser enthalten ist; dessen ungeachtet hat Fleischbrühe eine gewisse wiederherstellende Eigenschaft, wir wissen nicht welche – sowie der Thee eine solche besitzt – und sie kann ohne Gefahr in fast jeder entzündlichen Krankheit dargereicht werden, während man sich bei Gesunden und Genesenden, die vieler Nahrung bedürfen, nur wenig darauf verlassen kann. So ist man auch gleich mit dem Sprichwort bereit, daß ein Ei 1 Pfd. Rindfleisch ersetze; dies ist jedoch ganz und gar nicht der Fall, auch wird man selten gewahr, wie viele Patienten, insbesondere solche, die nervöser oder gallsüchtiger Natur sind, Eier nicht vertragen können. Alle mit Eier zubereiteten Speisen erscheinen ihnen deshalb unschmackhaft. Ein Ei in Wein gerührt, ist oft die einzige Form, in welcher sie diese Nahrung zu sich nehmen können. Ebenso wird angenommen, daß, sobald der Kranke wieder Fleisch essen kann, er zu seiner Wiederherstellung nichts weiter, als Fleisch bedarf, während sich doch bekanntlich bei kranken Personen, die in England inmitten der Fülle lebten, scorbutische Geschwüre zeigten, deren Ursache nur darin aufgefunden werden konnte, daß die Wärterin, lediglich auf die Fleischkost vertrauend, den Kranken eine geraume Zeit lang Gemüse entbehren ließ, da letztere wegen zu schlechter Zubereitung immer unberührt gelassen wurden. Arrowroot ist ein anderes Ding, worauf die Krankenwärterin viel hält. Um Wein darin zu geben und als ein Stärkungsmittel, das schnell bereitet werden kann, geht es ganz wohl an; allein es ist nichts als Stärke und Wasser. Mehl ist ebensowohl nahrhafter, als auch weniger der Gährung unterworfen, und ist überall, wo man davon Gebrauch machen kann, vorzuziehen. Ferner sind Milch und die aus derselben bereiteten Speisen höchst wichtige Artikel der Krankenkost. Butter ist die leichteste Art thierischen Fettes, und obschon ihr der Zucker und einige der anderen Elemente, die in der Milch enthalten sind, fehlen, so ist sie dennoch höchst werthvoll, sowohl wegen ihres Gehaltes an sich, als auch deswegen, weil sie den Kranken befähigt, mehr Brod zu essen. Mehl, Hafergrütze, Gerste und dergleichen sind, wie bereits erwähnt, in allen ihren Zubereitungen, den sämmtlichen Zubereitungen aus Arrowroot, Sago, Tapioca und dergleichen vorzuziehen. Rahm ist in manchen langwierigen chronischen Krankheiten durch gar keinen anderen Artikel zu ersetzen. Er scheint auf dieselbe Weise, wie Fleischbrühe zu wirken, und wird von den meisten Kranken viel leichter verdaut, als Milch. Er bekommt in der That selten schlecht. Käse wird nicht gewöhnlich von Kranken verdaut, allein er ist ganz Nahrung zum Ersatz der Abnahme der Kräfte. Ich habe Kranke gesehen – und zwar nicht wenige – deren heftiges Gelüste nach Käse zeigte, wie sehr sie dessen bedurften. In den Krankheiten, welche durch schlechte Speise erzeugt werden, wie scorbutische Ruhr und Diarrhöe, verlangt und verdaut oft der Magen Dinge, deren einige sicherlich in keiner Diätetik, die je für Kranke erdacht wurde, und namentlich nicht für die eben erwähnten Krankheiten verzeichnet stehen. Diese Dinge sind Obst, Eingepökeltes, Pfefferkuchen, Schinkenfett oder Speck, Nierenfett, Käse, Butter, Milch. Diese Fälle habe ich nicht einzeln, nicht bei zehnen, wohl aber bei hunderten gesehen. Und der kranke Magen hatte Recht, das Buch Unrecht. Die Dinge, welche die Kranken in solchen Fällen eifrig begehren, hätte man vornehmlich unter die zwei Ueberschriften von Fett- und Pflanzensäure bringen können.
Was die Nährung der Kranken betrifft, so zeigt sich bei derselben oft ein deutlicher Unterschied zwischen Männern und Frauenzimmern, Frauen verdauen im Allgemeinen langsamer.

Allein, wenn frische Milch eine so werthvolle Speise für die Kranken ist, so bewirkt dagegen die geringste Veränderung oder Säure in derselben, daß sie vor allen Dingen vielleicht das schädlichste wird; Diarrhöe ist ein gewöhnliches Resultat des Genusses von Milch, die man im Geringsten sauer werden ließ. Die Wärterin hat daher in solchen Fällen die äußerste Sorgfalt zu üben. In großen Anstalten für Kranke, selbst für die ärmsten, wird die äußerste Sorgfalt geübt. Wenham-Lake-Eis wird da zu diesem besondern Zwecke jeden Sommer gebraucht, während der Kranke im Privathause vielleicht die ganze heiße Jahreszeit über niemals einen Tropfen Milch kostet, die nicht sauer ist. So wenig begreift die Wärterin die Nothwendigkeit solcher Fürsorge. Wenn ihr jedoch erwägt, daß der einzige Tropfen wirklicher Nahrung im Thee eines Kranken der Tropfen Milch ist, und wie sehr beinahe alle englischen Patienten sich auf ihren Thee verlassen, so werdet ihr einsehen, wie sehr wichtig es ist, daß ihr eurem Patienten diesen Tropfen Milch nicht entzieht. Buttermilch, ein durchaus verschiedenes Ding, ist oft sehr brauchbar, besonders in Fiebern.

Süßigkeiten.

Indem man nach Maßgabe des Betrags an »wahrem Nährstoff,« der in verschiedenen Speisen enthalten ist, Regeln für die Diät feststellt, verliert man beständig aus den Augen, was der Kranke bedarf, um wieder zu Kräften zu kommen, was er zu sich nehmen und was er nicht zu sich nehmen kann. Ihr könnt euch bei Speisung eines Kranken nicht nach einem Buche richten, ihr könnt den menschlichen Körper nicht zusammensetzen, wie ihr etwa ein Rezept zusammensetzt, und sagen: so viel Theile »Kohlenstoffhaltiges,« so viel Theile »Stickstoffhaltiges« werden eine vollkommene Kost für den Kranken bilden. Die Beobachtungen, welche die Wärterin hierüber anstellt, werden wesentlich den Arzt unterstützen, die »Liebhabereien« des Patienten werden wieder der Wärterin wesentlichen Beistand leisten.

Zucker, weil er viel Kohlenstoff enthält, ist zum Beispiel einer der nahrhaftesten Artikel und wird in einigen Büchern ganz besonders empfohlen; aber die große Mehrheit aller Patienten in England, alte und junge, männliche und weibliche, reiche und arme, in Spitälern und in Privathäusern haben einen Widerwillen gegen süße Sachen – und während ich Niemand kenne, der sich im Zustande der Krankheit an süße Dinge hielt und diese zur Zeit der Gesundheit nicht mochte, so habe ich Viele gekannt, welche, während sie gesund waren, sie gern aßen, aber in Krankheit alles Süße stehen ließen, ja selbst den Zucker im Thee verschmähten. Die meisten unserer Kranken in England haben auch einen Widerwillen gegen süße Puddings und süße Getränke; die rauhe Zunge liebt beinahe immer das Scharfschmeckende oder Beißende.

Patienten, die an Scorbut leiden, bilden eine Ausnahme; ihnen gelüstet oft nach süßen Speisen und nach Eingemachtem.

Gallerte.

Gallerte ist ein anderer Artikel, der bei Wärterinnen und Freunden der Kranken in hoher Gunst steht; selbst aber, wenn sie im festen Zustande gegessen werden könnte, würde sie nicht nähren; die höchste Thorheit aber ist es, wenn man ? Unze feste Gallerte mit Wasser verdünnt, bis sie eine gewisse Masse erreicht hat, und dann dem Kranken giebt, als ob die große Masse Nahrungsstoff verträte. Es ist jetzt bekannt, daß Gallerte nicht nährt, daß sie leicht Diarrhöe verursacht, – und darauf zu bauen, daß sie die Abnahme einer siechen Körperkonstitution wieder ersetze, heißt einfach, den Kranken unter der Maske des Speisens verhungern lassen. Wenn 100 Löffel voll verdünnte Gallerte im Laufe des Tages dargereicht worden wären, so würdet ihr einen Löffel voll Gallerte gegeben haben, und dieser Löffel voll hat nicht irgendwelche Nährkraft.

Nichtsdestoweniger enthält Gallerte eine große Quantität Stickstoff, der eines der stärksten Elemente in der Nahrung ist; auf der andern Seite mag Fleischbrühe als Illustration großer Nährkraft bei Krankheiten gewählt werden, die bei sehr geringem festen Stickstoffgehalt vorhanden sein kann.

Fleischbrühe.

Dr. Christison sagt: »Jedermann wird von der Bereitwilligkeit überrascht sein, mit welcher »gewisse Klassen« von Patienten verdünnten Fleischsaft oder Fleischbrühe oft zu wiederholtenmalen annehmen, während sie alle andern Sorten von Speisen ausschlagen. Dies ist besonders auffallend in Fällen von gastrischem Fieber, »in welchem,« sagt er, »wenig oder gar nichts außer Fleischbrühe oder verdünntem Fleischsaft Wochen oder selbst Monate lang genossen wurde, und doch enthält eine Pinte Fleischbrühe außer Wasser kaum ¼ Unze von irgend einer andern Sache.«

Dies Resultat der Forschung ist ihm so überraschend, daß er die Frage aufwirft: »Auf welche Art und Weise wirkt sie? Nicht an und für sich ( simply) nährend,« sagt er, »denn ¼ Unze vom nahrhaftesten Stoffe ist nicht hinreichend, um die tägliche Abnutzung der Gewebe unter irgend welchen Umständen zu ersetzen. Möglicherweise,« sagt er, »gehört sie einer neuen Klasse von Heilmitteln an.«

Man hat die Beobachtung gemacht, daß eine geringe Quantität Fleischbrühe, andern Nahrungsmitteln hinzugefügt, die Kraft derselben über alles Verhältniß zu dem hinzugefügten Stoff vermehrt.

Die Ursache, warum Gallerte unnahrhaft und Fleischbrühe nahrhaft für die Kranken, ist ein noch unentdecktes Geheimniß, aber es zeigt uns klar, daß sorgfältige Beobachtung der Kranken der einzige Leitfaden zur besten Diätetik ist.

Beobachtung, nicht Chemie muß über die Krankenkost entscheiden.

Die Chemie hat uns bis jetzt noch wenig Einsicht in die Ernährungsweise der Kranken gewährt. Alles, was uns die Chemie angeben kann, ist der Betrag an »kohlenstoffhaltigen« oder »stickstoffhaltigen« Elementen, die in verschiedenen Artikeln der Diät entdeckt werden konnten. Sie hat uns Verzeichnisse von diätetischen (gesundheitsmäßigen) Stoffen geliefert, worauf dieselben nach ihrem Gehalt an Kohlen- oder Stickstoff geordnet erscheinen; aber das ist auch Alles.

In der großen Mehrheit von Krankheitsfällen wird der Magen von andern Prinzipien der Auswahl geleitet, als denjenigen, wobei blos der Gehalt an »Kohlenstoff« oder an »Stickstoff« in der Diät in Anschlag kommt. Ohne Zweifel folgt die Natur in diesen wie in andern Dingen sehr genau bestimmten Regeln, über die man nur durch die sorgfältigste Beobachtung am Krankenbette Gewißheit erlangen kann. Dort lehrt sie uns, daß die lebendige Chemie, die Chemie der Wiederherstellung, etwas anderes ist, als die Chemie des Laboratoriums. Organische Chemie ist, wie alles Wissen, nützlich, wenn wir der Natur gegenüberkommen, aber es folgt daraus gar nicht, daß wir im Laboratorium irgend einen der Wiederherstellungsprozesse lernen sollen, die in dem Krankheitszustand vor sich gehen.

So wird auch die Nährkraft der Milch und der Zubereitungen aus Milch bedeutend unterschätzt; in einer halben Pinte Milch ist beinahe so viel Nahrung, als in ¼ Pfd. Fleisch. Doch dies ist nicht das Ganze oder beinahe Ganze, um das es sich handelt. Die Hauptfrage ist, was der Magen des Kranken sich assimiliren, woraus er Nahrung ziehen kann, und darüber hat einzig und allein der Magen des Kranken zu entscheiden. Die Chemie kann uns dies nicht sagen. Der Magen des Kranken muß sein eigener Chemiker sein. Die Diät, welche den gesunden Mann gesund erhält, wird den kranken Mann tödten. Dasselbe Ochsenfleisch, welches das nahrhafteste von allen Fleischarten ist und den Gesunden nährt, ist die am wenigsten nahrhafte aller Speisen für den kranken Mann, dessen halbtodter Magen keinen Theil davon sich assimiliren, das heißt, keine Nahrung daraus machen kann. Bei einer Diät von Fleischbrühe verlieren dagegen gesunde Männer sehr bald ihre Stärke.

Hausbackenes Brod.

Ich habe Patienten gekannt, die Monate lang, ohne Brod zu berühren, gelebt haben, weil sie Bäckerbrod nicht essen konnten. Diese waren meistens Patienten vom Lande, aber nicht alle. Hausbackenes Brod oder schwarzes Brod ist für manche Patienten ein höchst wichtiger Artikel der Diät. Der Gebrauch von Abführmitteln mag durch dasselbe ganz unnöthig gemacht werden. Haferkuchen ist auch ein solcher Artikel.

Richtige Beobachtung wurde bisher kaum bei Bestimmung der Kost des Kranken benutzt.

Nach der Luft, welche ihr dem Kranken zu athmen gebt, ist vielleicht für ihn nichts wichtiger, als das, was er essen soll. Alle Personen, welche dies zu entscheiden haben, sollen lieber die Meinung erforschen, welche der Magen hierüber abgibt, als dicke Bücher über Analysen von Nahrungsmitteln studiren.

Der Arzt, welcher den Kranken nur ein Mal des Tages, oder gar nur ein oder zwei Mal die Woche sieht, kann möglicher Weise ohne Beistand des Kranken, oder jener Personen, deren Beobachtung der Kranke unterliegt, hierüber nichts sagen. Der Arzt kann höchstens aussprechen, ob der Patient bei diesem Besuche schwächer oder stärker sei, als er bei dem vorhergehenden war. Daher sollte ich sagen, daß die Wärterin, nachdem sie zuerst für die Luft des Kranken gehörig gesorgt, durchaus kein wichtigeres Amt hat, als zu beobachten, wie seine Nahrung auf ihn wirkt, und dem Arzt darüber Bericht zu erstatten.

Es läßt sich gar nicht berechnen, was eine solche richtige und genaue Beobachtung bei diesem fast vernachlässigten Zweige der Krankenpflege sicherlich Gutes stiften, und wie sehr sie den Arzt unterstützen würde.

Thee und Kaffee.

Weise Leute eifern viel zu sehr gegen Thee, Man empfiehlt häufig Personen, welche im Begriff sind, sich einer großen Erschöpfung auszusetzen, die entweder von der Natur ihres Dienstes oder dadurch veranlaßt wird, daß sie sich nicht im geeigneten Zustand für ihren Dienst befinden, ein Stück Brod zu essen, bevor sie gehen. Nun wünschte ich, Jene, die das empfehlen, möchten selbst den Versuch machen, eine Tasse Thee oder Kaffee, oder Fleischbrühe durch ein Stück Brod als Erfrischungsmittel zu ersetzen. Sie würden darin einen sehr armen Trost finden. Wenn Soldaten in einen ermüdenden Dienst gehen müssen, wo sie keine Nahrung erhalten; wenn Wärterinnen zu ihren Kranken gehen müssen, wo sie auch nichts zu essen erlangen, so brauchen sie, bevor sie gehen, ein warmes Erfrischungsmittel und nicht einen kalten Bissen Brod. Wo man dies mißachtet hat, da waren die Folgen schrecklich. Wenn die erwähnten Personen bei ihrem Thee einen Bissen Brod nehmen können, dann desto besser; aber sie sollen ihn nicht anstatt des Thees nehmen. Der Umstand, daß Brod mehr Nahrung enthält, als fast jede andere Speise, hat wahrscheinlich den erwähnten Irrthum hervorgerufen. Ohne Zweifel ist dieser Irrthum verhängnißvoll.
So wenig man über diesen Gegenstand weiß, so scheint es doch, daß das, was sich unmittelbar und mit der geringsten Mühe der Verdauung dem menschlichen Körper ganz aneignet (assimilirt), am besten für die oben erwähnten Verhältnisse paßt. Brod erfordert zwei oder drei Prozesse der Aneignung (Assimilation), bevor es Bestandtheil des menschlichen Körpers wird.
Engländer und Engländerinnen, die sich großen Strapazen aussetzten, indem sie beispielsweise große Strecken, ohne auszuruhen, zurücklegten, oder einige Nächte hintereinander wachten, sagen fast alle, daß sie dies am besten thun konnten, wenn sie gelegentlich eine Taffe Thee und sonst gar nichts anderes nahmen.
Laßt über diese Sache, wie über alle andern, die Erfahrung und nicht die Theorie entscheiden.
und thörichte Leute geben dem Kranken allzuviel Thee.

Seht ihr, wie Kranke in England fast ohne Ausnahme eifrig nach ihrem Thee begehren, so müßt ihr fühlen, daß die Natur weiß, was sie beabsichtigt. Doch ein wenig Thee oder Kaffee stärkt sie (meint man) ebenso sehr, als viel davon, während doch viel Thee, und namentlich viel Kaffee, die ohnehin geringe Verdauungskraft der Kranken noch mehr abschwächt. Dennoch denkt eine Wärterin, weil sie sieht, wie eine oder zwei Tassen Thee oder Kaffee ihrem Kranken wieder aufhelfen, daß drei oder vier Tassen doppelt so viel wirken werden. Dies ist keineswegs der Fall; sicher aber ist's, daß man bis jetzt nichts entdeckte, was man dem Patienten in England als Ersatz für seine Tasse Thee geben könnte; er kann Thee nehmen, wenn er sonst nichts zu nehmen vermag, und oft kann er gar nichts Anderes genießen, wenn ihm sein Thee fehlt.

Sehr erfreulich wäre es mir daher, wenn Jene, die gegen den Thee zu Felde ziehen, andeuten wollten, was man denn einem englischen Patienten nach einer schlaflosen Nacht, anstatt des Thees, geben solle. Gebt ihr ihm denselben um 5 oder 6 Uhr des Morgens, so kann er sogar zuweilen darauf einschlafen, und so vielleicht seine einzigen zwei oder drei Stunden Schlaf im Lauf von 24 finden. Gebt jedoch dem Kranken nie Thee oder Kaffee nach fünf Uhr Nachmittags, und beobachtet dies als eine Regel. Schlaflosigkeit im ersten Theil der Nacht rührt nämlich im Allgemeinen von Aufregung her und wird durch Thee oder Kaffee gesteigert. Schlaflosigkeit aber, die bis zum frühen Morgen anhält, ist oft eine Folge von Erschöpfung, und wird durch Thee gehoben.

Die einzigen englischen Patienten, die ich je Thee verschmähen sah, waren solche, die an Typhus litten, aber das erste Zeichen ihrer Besserung bestand darin, daß sie wieder eifrig Thee begehrten.

Patienten, deren Zunge trocken und schmutzig ist, lieben überhaupt immer Thee mehr, als Kaffee, und wollen Milch nur in ihrem Thee nehmen. Kaffee ist ein besseres Stärkungsmittel, als Thee, verschlechtert aber mehr die Verdauung. Laßt des Kranken Geschmack entscheiden. Ihr werdet dagegen einwenden, daß die Patienten, wenn sie großen Durst haben, gierig nach viel Thee gelüsten, und daß ihr das nicht verhindern könnt. Seid jedoch versichert, daß der Kranke in diesen Fällen Verdünnungsmittel zu ganz andern Zwecken, als zur Löschung seines Durstes verlangt; er bedarf eben viel von irgend einem Getränk, nicht blos viel Thee, und der Arzt wird nach Beschaffenheit des Falles anordnen, ob er Gerstenwasser oder Limonade, oder Sodawasser und Milch erhalten soll.

Lehmann, auf den sich Dr. Christison beruft, äußert, daß bei gesunden und thätigen Menschen ein Aufguß auf eine Unze gerösteten Kaffee, täglich genommen, die im Körper vor sich gehende Abnahme um ein Viertel vermindern wird, und Dr. Christison fügt hinzu, daß Thee dieselbe Eigenschaft habe. Das ist nun wirkliche Erfahrung. Lehmann wägt den Menschen und findet in seinem Gewicht die Wahrheit. Sie ist nicht von irgend einer »Analyse« der Nahrungsstoffe abgeleitet. Alle Erfahrung bei Kranken gibt dasselbe Resultat! Wollt ihr guten Kaffee haben, so müßt ihr durchaus Kaffee in Bohnen kaufen, und zu Hause mahlen. Thut ihr das nicht, so könnt ihr sicher darauf rechnen, daß er wenigstens eine gewisse Quantität von Cichorie enthalten wird. Geschmack oder Heilsamkeit des Cichorie kommt hier nicht in Betracht, sondern der Umstand entscheidet, daß Cichorie keine jener Eigenschaften besitzt, derentwegen ihr Kaffee gebt. Ihr braucht sie daher gar nicht zu geben.
Dagegen halten, wie ich bemerkt habe, alle Wäscherinnen, Hauswirthinnen auf Wegenhöfen große Stücke auf kostbaren Thee. Dasselbe thun Oberkrankenwärterinnen, wobei ich nur jene von der guten alten Art meine, die nicht blos harte Handarbeit verrichten, sondern auch ihren Kopf anstrengen, um ihre täglichen Geschäfte so einzurichten, daß keins das andere störe. Man nennt dies verschwenderisch, närrisch, allein diese Personen sind sonst gar nicht verschwenderisch oder närrisch, und hier haben sie Recht. Nur Thee von echten Theeblättern enthält das Stärkungsmittel, das sie nöthig haben, und das man nicht in Schlehenblätter-Thee finden kann.

Cacao.

Oft empfiehlt man dem Kranken, Cacao statt Thee oder Kaffee zu nehmen; aber ganz abgesehen von der Thatsache, daß die Patienten in England meistens den Cacao nicht mögen, hat er auch eine ganz andere Wirkung, als Thee oder Kaffee. Es ist eine öligte, der Stärke ähnliche Bohne, die gar keine stärkende Kraft hat, sondern blos das Fett vermehrt. Es heißt daher nur die Kranken verhöhnen, wenn man Cacao ein Surrogat für Thee nennt. Gebt ihr ihn den Kranken, weil er irgend einen erneuernden Reiz bewirkt, so mögt ihr ihnen ebenso gut Kastanien statt Thee anbieten.

In Betreff des Volumens der Speise und namentlich der Getränke, welche Krankenwärterinnen ihren Patienten anbieten, begehen sie fast ohne Ausnahme ein und dasselbe Versehen. Nehmt an, es werden einem Kranken 4 Unzen Branntwein verordnet, die er im Laufe des Tages nehmen soll, und ihr schüttet sie, um sie zu verdünnen, in vier Pinten Wasser. Wie soll er so was annehmen? Ebenso verfährt man mit Thee und Fleischbrühe, mit Arrowroot, Milch etc. Ihr vermehrt aber weder den Nährstoff, noch die erneuernde Kraft dieser Artikel, wenn ihr ihren Umfang vergrößert; ihr habt sehr wahrscheinlich beide dadurch vermindert, daß ihr der Verdauung des Patienten mehr zu schaffen gebt, und höchst wahrscheinlich wird er auch die Hälfte der ihm verordneten Gabe stehen lassen, weil er die Masse, mit welcher ihr sie zu umgeben beliebtet, nicht hinunter schlucken kann. Es erfordert – was aber noch kaum beachtet wird – sehr feine Beobachtung und Sorgfalt, um mit gehöriger Berücksichtigung dessen, was der Patient zu nehmen vermag, festzusetzen, was für ihn nicht zu dick oder zu stark wäre, und ihm davon nicht mehr zu verabreichen, als er verschlucken kann.


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