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Florence Nightingale

(Biographische Skizze nach Ingoldsby Scott und andern Daten. Aus Dr. Adolph Wiesner's Monatsschrift.)

In England ist gegenwärtig keine Frau, die Königin ausgenommen, so bekannt, so gefeiert und geliebt, als Florence Nightingale. Am Hofe, wie in der Hütte, im Kabinet der Minister, wie in den Kasernen der Soldaten, in der reichen City von London, wie in dem kleinsten Dorfe des Landes, wird diese »Krankenwärterin par excellence« gleichmäßig bewundert und geliebt. Doch auch im Auslande hat sie ihre zahlreichen Verehrer, die sich ihres edlen großen Wirkens im Dienste der Humanität erinnern, und von ihrem Geiste, wie von ihrem Herzen angezogen werden.

Wir wollen nun hier den Versuch machen, unsern Lesern eine Lebensskizze dieses herrlichen Frauenkarakters zu entwerfen.

Florence Nightingale stammt aus einer wohlhabenden Familie der englischen Gentry. Sie genoß eine vortreffliche Erziehung. Die ältern Mitglieder ihres Hauses, von väterlicher und mütterlicher Seite, zeichneten sich durch Karakterstärke, frankes Wesen und freien Sinn aus, und auch ihre Gouvernante war eine Person von hohem Geradsinn und fleckenloser Wahrheitsliebe. Sie hatte auch gute Meister, und später noch alle Leichtigkeiten, ihren Geist durch Studium und ausgedehnten gesellschaftlichen Verkehr auszubilden. Schon in der Kindheit erschloß ein Unfall, der sich im Hause ereignete, der liebevollen Kleinen, was dem Zuge ihres Herzens entsprach, und sie folgte von da an der Leitung ihres natürlichen Geschmackes. Sie übernahm die Behandlung aller Schnitte und Quetschungen, die im Bereich ihres Lebenskreises vorfielen, und pflegte dort alle Kranken. Zur Jungfrau herangereift, ging sie, wie englische Damen pflegen, in guter Begleitung auf Reisen. So sah sie Italien, Egypten und Griechenland, und wurde nach ihrer Rückkehr dem Hofe vorgestellt.

Doch Reisen zum Vergnügen, Zerstreuungen, Glanz der Gesellschaft, in der sie sich oft bewegte, ja auch die Kunst befriedigte nicht Florence's Herz. In der Literatur ergriffen Bücher, welche das Leben mit seinem Elend und mit ihren Leiden kämpfende Karaktere schildern, mächtig ihr Gemüt und veranlassen auch theilweise ihre späteren Anstrengungen, menschliches Elend zu lindern, oder zu beseitigen.

Bei ihrem starken, frühentwickelten Karakter blieb sie frei von aller Empfindsamkeit, die sie wie Seichtheit und Selbstsucht mit aller Macht der Ironie, die ihr zu Gebote steht, nachdrücklich geißelte.

Zur Zeit der großen Weltindustrie-Ausstellung, die auch so viele junge Damen von allen Theilen Englands nach London zog, weilte Florence Nightingale im Spitale zu Kaiserswerth am Rhein, lernte, wie sie auch in andern Spitälern that, die Kranken warten und studirte die dort bestehenden Einrichtungen.

Nach ihrer Rückkehr überraschte sie ihre persönlichen Bekannten auf's Höchste, als sie es nun übernahm, das Sanitarium in Harley Street in London zu errichten, und das Haus ihres Vaters verließ, um die Aufsicht über die Anstalt zu übernehmen. Gewöhnliche Menschen schlugen darüber die Hände zusammen und geberdeten sich, als ob die junge Dame damit etwas fast Anstößiges unternommen habe. In dieser Anstalt entwickelte sie zuerst ihr großes Organisations- und Verwaltungstalent, indem sie das Rechnungswesen ordnete, Schulden bezahlte und Alles in Richtigkeit brachte, wobei sie immer noch Muße behielt, den kranken Damen in der Anstalt Hülfe und Trost zu bringen.

»Zu einer Zeit,« sagt Herr Scott, »war da, wie ich mich erinnere, nicht ein einziger Krankheitsfall, der nicht hoffnungslos gewesen wäre, aber Florence Nightingale verrieth kein Zeichen des Schreckens. Sie erfüllte ihre Aufgabe und zeigte, ohne sich's bewußt zu sein, daß ein Weib eben so gut, wie ein Mann, zur Verwaltung und Regierung geboren sein kann.«

Doch bald sollte sich ihrer menschenfreundlichen, so hingebenden Thätigkeit ein weit größeres Feld öffnen. Im orientalischen Kriege richtete nämlich Herbert Sidney ein Schreiben an sie, worin er sie bat, sich nach der Türkei zu begeben, um dort die kranken und verwundeten britischen Soldaten zu pflegen. Sie war sogleich bereit, die schwierige Mission zu übernehmen, sammelte in der Eile eine Anzahl Krankenwärterinnen, und begab sich mit ihnen und einigen Damen, die sich ihr freiwillig anschlossen, nicht in die Türkei, sondern auf das Kriegstheater in der Krim selbst.

»Wie sie dies Alles that, wie sie gerade zu rechter Zeit in der Krim ankam, um die in der Schlacht bei Inkermann verwundeten Krieger in Empfang zu nehmen, wird kein Engländer je vergessen. Kein Krieger, von was immer für einer dabei betheiligten Nation, wird auch je vergessen, welche Dienste sie später leistete. Sie hatte nicht blos vor ihren Augen ein Chaos von Unordnung, in welchem sie sich bewegen, und eine Hölle von Elend, dem sie abhelfen sollte, sondern kämpfte noch mit besondern Schwierigkeiten, welche ihr theils die Eifersucht der Sanitätsbeamten, theils die Unerfahrenheit der in der Eile gesammelten Krankenwärterinnen, sowie die Damen bereiteten, welche freiwillig sie begleitet hatten, oder ihr später nachgefolgt waren, sich aber dem Dienste nicht gewachsen zeigten.«

Es gab aber noch andere, große Uebelstände, an die wir hier erinnern müssen. Die britischen Krieger geriethen bekanntlich durch ein fehlerhaftes Kriegskommissariat und durch pedantische Formalitäten, die man für unverbrüchlich hielt, in die peinlichste Lage. Vor ihren Augen lagen die Schiffe, welche Proviant, Kleidungsstücke, Verbandzeug, Arzneien etc. in großer Fülle herbeigebracht hatten; aber gesunde, wie kranke Krieger erhielten davon schwer oder gar nicht, was sie so nothwendig hatten, weil ohne strenge Beobachtung jener pedantischen Verwaltungsformalitäten nichts verabreicht wurde. Da wagte Florence Nightingale, was der Oberbefehlshaber der Landstreitkräfte, was der Admiral der Flotte nicht wagte: sie brach im Namen der Humanität, im Namen der gesunden Vernunft, den gefährlichen Kanzleibann, und bemächtigte sich mit Gewalt der nothwendigen Vorräthe für ihre Kranken.

Für diese wirkte sie mit Mut und Aufopferung, mit Energie und Weisheit. Unter ihrer Aufsicht wurden die Spitäler rein und wohl gelüftet, erhielten ihre Kranken reine Wäsche, die entsprechende Nahrung und die liebevollste Pflege. Sie zeigte, wie ein zartes Weib fähig und willig war, in der Pflege verwundeter Krieger und vieler Cholerakranken die abstoßendsten und schwierigsten Dienste zu leisten. Mit der Lampe in der Hand wandelte sie Nacht um Nacht durch endlose Reihen von Krankenbetten; bemerkte sie jeden Kranken und reichte ihm, was er eben am nöthigsten hatte. Vom Fieber, das in der Krim herrschte, endlich selbst ergriffen, lag sie im Spital auf den Klippen von Balaklava, bis ihr Zustand sich besserte. Man brachte sie darauf zu Schiff und wollte sie nach England führen, allein sie hielt ihre Aufgabe noch nicht für gelöst, und wurde auf ihr Verlangen nach Scutari gebracht, wo ein großes Spital für die Kranken etablirt worden war. Hier setzte sie ihre Wirksamkeit fort, und verließ Scutari erst zu Ende des Krieges. Sie und ihre militärischen und ärztlichen Mitgehülfen haben gezeigt, was Hospitäler sein können, und wie klein man selbst in Kriegszeiten das Verhältniß der Sterblichkeit in einer Armee machen kann.

Von dem Krim-Fieber genas sie nie, ja für einige Jahre litt sie an ernster zunehmender Krankheit. Ihr Geist verlor dadurch nichts an seiner Strahlkraft, ihr Herz nichts von seiner praktischen Menschenliebe. Indeß wurde sie durch dies Siechthum verhindert, ihren Lieblingsplan, eine Anstalt zur Heranbildung von Krankenwärterinnen zu stiften, in Ausführung zu bringen. Das dankbare Volk von England wußte dies, gab ohne ihr Wissen, ohne ihren Wunsch, die dazu nöthigen Geldmittel her, und Florence Nightingale sollte die Leitung der schönen Stiftung übernehmen. Sie wünschte dies Vertrauen abzulehnen, da sie keine Hoffnung hatte, ihre Gesundheit sich bessern zu sehen. Ihr in diesem Sinne an die Verwalter des gesammelten Fonds gerichtetes Schreiben machte einen tiefen Eindruck, und sie erhielt zur Antwort, daß die Geldmittel sich fortwährend vermehrten, und daß das Publikum ihre Genesung abwarten wolle. Wenn sie dieses besondere Werk nicht ausführen konnte, so vollendete sie doch viele andere. Ihr schriftliches Gutachten, das sie der Sanitäts-Kommission für die Armee unterbreitete, wird als ein großes Werk gelobt. Ebenso wichtig sind verschiedene Reformen, die sie gemeinschaftlich mit ihren Mitgehülfen den Militärbehörden dringend empfahl, und die vom Kriegsministerium adoptirt wurden. Aehnliche Reformen werden nächstens in die indische Armee eingeführt werden und auch dort einen segensreichen Erfolg haben. Wird es ihr doch großentheils zugeschrieben, daß sich in Friedenszeit das Sterblichkeitsverhältniß in der britischen Armee, das früher wie 19 zu 1000 stand, auf 8 von Tausend verminderte.

Bei all ihrem öffentlichen, wir können sagen, weltgeschichtlichen Wirken, bei all ihrem Ruhm, der ihr in reichem Maaße zu Theil wurde, kannte man bisher dieses merkwürdige Weib doch nur sehr unvollständig.

Erst ihr herrliches, jüngst veröffentlichtes Buch mit dem bescheidenen Titel: »Anmerkungen zur Krankenpflege« ( Notes on Nursing), zeigt uns Florence Nightingale in ihrer ganzen geistigen und moralischen Macht. Sie schildert darin nichts weniger, als die Beziehungen des Gesunden zu dem Kranken, über die man selten ernstlich nachdenkt, und entwickelt dabei nicht nur die größte Humanität, sondern auch philosophischen Geist, scharfe Beobachtung, und über Alles den herrlichsten gesunden Menschenverstand.

Florence Nightingale, die den armen britischen Soldaten in der Krim eine Lichterscheinung voll Trost und Hülfe war, sie, die bis jetzt nur für England zu wirken Gelegenheit hatte, dehnt in diesem Werke ihre segensvolle Thätigkeit auf die ganze Welt aus, deren Leiden sie, obgleich selbst leidend, zu lindern, oder durch Beseitigung ihrer Ursachen zu vermindern sucht.

Schon ist ihr kleines Buch, kaum daß es die Presse verlassen, in ganz England heimisch, wird es dort in allen Schichten der Gesellschaft, namentlich von den Frauen, begierig gelesen und wieder gelesen, und Niemand liest es, ohne im Innersten seines Wesens bewegt zu werden.

Auch in Amerika fand es gleich nach seinem Erscheinen eine sehr günstige Aufnahme, und ist hier bereits in Tausenden von Exemplaren verbreitet. Erhebend und veredelnd wirkt darin eine der edelsten, originellsten, aufopferndsten Frauen, die je gelebt, auf ihr ganzes Geschlecht ein. »Noch in folgenden Jahrhunderten,« sagt ihr Biograph, »werden ganze Generationen von Frauen besser, hülfreicher und aufopfernder sein, weil Florence Nightingale gelebt hat, und nicht wenige von jeder Generation werden ihre Kraft auf dem schwierigen Pfade der Wohlthätigkeit versuchen, den sie eröffnete, und auf welchem ihr Bild stets wegweisend stehen wird.«


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