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Am nächsten Vormittage fuhr der junge Offizier unter dem Vorwand, daß er sein Gepäck besorgen wollte, in die Stadt.
Dort begab er sich sofort zum Amtsgerichtsrat, den er in seinem Hause antraf. Der alte Herr, der Holger schon als Kind gekannt hatte, empfing ihn mit größter Liebenswürdigkeit und aufrichtiger Freude. Nach der ersten Einleitung berichtete der Leutnant ausführlich über das Gespräch, das er belauscht hatte, und entwickelte seine Ansicht über den mutmaßlichen Brandstifter. Der Amtsgerichtsrat hörte ihm aufmerksam und mit sichtlichem Wohlwollen zu.
Als er fertig war, sagte der Richter: Ich begreife es sehr wohl, daß Sie den Wunsch haben, die Unschuld der Bruhnschen Eheleute zu beweisen, und ich gebe Ihnen die Versicherung, daß Sie in dieser Beziehung in mir eine kräftige Stütze finden werden. Ich stehe ja selbst der Familie auf dem »Seehof« sehr nahe, und es war für mich persönlich damals ein harter Schlag und eine schwere Demütigung, als die Sache diese traurige, unerwartete Wendung nahm. Indessen kann ich mich des Gedankens nicht erwehren, daß Ihre Vermutung auf einer recht haltlosen Grundlage steht.
Ich halte es aber für zweifellos, daß diese beiden Männer mit dem Brande in Verbindung stehen, antwortete der Leutnant.
Zweifellos ist es nicht. Ihnen mag es so erscheinen, weil Sie nicht wissen, daß hier in der Gegend auch noch andere Verbrechen begangen worden sind, und weil Sie für Ihre Freunde arbeiten. Mein Verhältnis ist indessen ein ganz anderes. Ich bin Beamter und darf mich als solcher nicht auf Sympathien einlassen.
Aber taucht ein Verdacht auf, so haben Sie doch das Recht, ihn zu untersuchen.
Selbstverständlich, wenn der Verdacht wirklich eine Grundlage hat. Aber ebensowenig, wie es mir seinerzeit eingefallen wäre, den Gutsbesitzer Bruhn auf Grund eines sehr lose gesammelten Beweismaterials zu verhaften, ebensowenig erlauben es mir meine Rechtsgrundsätze, daß ich mir jetzt ohne weiteres die beiden Kerle greife und sie, um einen Dritten zu befreien, festsetze.
Aber selbst wenn sie das Feuer nicht angelegt haben, so deuten die Drohungen doch darauf hin, daß sie irgend etwas Ungesetzliches begangen haben.
Das ist nicht unbedingt gesagt. Die Drohungen können sich auch auf ganz alte, langverjährte oder nicht strafbare Handlungen beziehen. Kennen Sie übrigens die beiden Leute?
Ja. Als sie nach dem Hofe zurückkehrten, stand ich auf und blickte ihnen nach.
Nun, und Sie wissen, daß beide noch auf dem »Seehof« dienen, daß man ihren Aufenthaltsort kennt, ja, daß sie überhaupt noch leben.
Der Offizier errötete bis an die Stirn. Die Möglichkeit, daß einer dieser Zeugen im Laufe des Jahres seiner Abwesenheit gestorben sein könnte, war ihm gar nicht eingefallen.
Nun, ja, da sehen Sie, wie umsichtig man sein muß, wenn man dergleichen ins Werk setzen will, sagte der Richter lächelnd und fragte dann weiter:
Wer waren denn die beiden Leute?
Der eine war Knecht auf dem Hofe, ein großer, kräftiger Mann. Sein Vorname ist Niels, seinen Familiennamen habe ich aber nicht gehört. Wenn ich nicht irre, nannte man ihn den »großen Niels«.
Nun, und der andere?
Den anderen Namen weiß ich nicht, ihn nannten sie den Nachtwächter. Vermutlich ist es der Wächter vom »Seehof«.
Der Nachtwächter! wiederholte der Oberamtsrichter. Da haben wir vielleicht eine Spur. Wenn mich nicht alles täuscht, war der Wächter der einzige, der eine etwas schwankende Erklärung abgab. Erst hatte er eine Person umherschleichen sehen, dann sagte er aus, daß er geschlafen habe. Meiner Ansicht nach war letztere Erklärung die richtige, da er einen trägen und schläfrigen Eindruck machte und die erste wohl nur abgab, um den Schein zu erregen, daß er auf dem Posten gewesen sei. Die veränderte Erklärung kann auch sehr wohl die Folge eines Druckes seitens des vielleicht Schuldigen sein. Hier ist jedenfalls ein Punkt, der der Untersuchung wert ist, da er in direkter Verbindung mit dem Brande steht.
Was wollen Sie nun machen? fragte Holger Moe, der wieder neue Hoffnung faßte.
Einstweilen will ich mir die Sache bis morgen überlegen und die Akten noch einmal durchstudieren. Dann müssen Sie sich die Gewißheit schaffen, daß die beiden Leute noch auf dem »Seehof« dienen. Sprechen Sie mit niemand über die Sache. Finden wir die beiden, so müssen wir es so einrichten, daß jeder seine Erklärung für sich, ohne daß der eine von dem andern weiß, abgibt. Wir müssen ihre Aussagen miteinander vergleichen, eine Abweichung beider von einander wird uns dann auf den gewünschten Weg führen; sind ihre Erklärungen übereinstimmend und gehen sie darauf aus, daß nichts Ungesetzliches geschehen ist, so wird schwerlich etwas zu machen sein.
Der Leutnant erhob sich und dankte dem Oberamtsrichter für seine Liebenswürdigkeit; er war aber bedeutend weniger vertrauensvoll, als er vor der Unterredung gewesen war. Nachdem er in der Stadt zu Mittag gespeist und noch einige Freunde besucht hatte, kehrte er ziemlich spät am Abend auf den »Seehof« zurück. Zu Astrids großer Enttäuschung äußerte er kein Wort über die Aussichten, die er für den Beweis von Frau Bruhns Unschuld hatte. Diese waren allerdings nur gering, Astrid wäre aber schon mit einigen leeren Vertröstungen zufrieden gewesen, die ihr bewiesen, daß er alles daran setzte, um das Ziel zu erreichen, das erreicht werden mußte, um dermaleinst eine Verbindung zwischen ihnen beiden möglich zu machen. Als sie am Abend auf ihr Zimmer kam, war sie sich darüber klar, daß Holger sie nicht mehr liebe, und dieser Gedanke schnürte ihr das Herz zusammen.
Bei genauer Ueberlegung beunruhigte sie auch der Umstand, daß er am Abend immer einige Stunden fortblieb. Wo er sich dann aufhielt, wußte sie nicht.
Der junge Offizier pflegte nach Feierabend einen freien, hinter der Leutestube liegenden Platz aufzusuchen, wo sich an den schönen Abenden die Gutsleute versammelten und allerlei Kurzweil trieben. Die Knechte spielten mit einigen Stücken Brennholz eine Art Kegel oder schmauchten ihre Pfeifen, während die Mägde unter sich zu den Tönen einer verstimmten Harmonika tanzten.
Holger Moe steckte sich immer Zigarren für die Knechte ein und verwickelte sie in eine muntere Unterhaltung. Er erzählte ihnen von seinen Kriegserlebnissen und fragte sie nach allem aus, was den Hof und die einzelnen Personen betraf. So bekam er denn auch über den großen Niels und den alten Wächter das für ihn Wichtige zu hören. Der große Niels diente nicht mehr auf dem Hofe, denn er hatte sich mit dem Inspektor entzweit. Er war jetzt Knecht auf dem eine Meile entfernten Gutshofe »Sturmhöhe«. Der Wächter war noch immer auf seinem alten Platze, hatte in der letzten Zeit aber viel gekränkelt und wurde sehr von der Gicht geplagt, die er sich im verflossenen Winter zugezogen hatte.
Der Offizier war mit dem, was er erfuhr, durchaus zufrieden, und auch die Leute sahen es gern, wenn der Sohn des Obersten sich zu ihnen gesellte und mit ihnen frei und ohne den geringsten Stolz verkehrte.
Unter einem neuen Vorwande fuhr Holger Moe am nächsten Tage wieder in die Stadt. Was mag er nur damit bezwecken? dachte Astrid. Sie war davon überzeugt, daß er sich auf dem »Seehofe« langweile, und litt sichtlich unter seiner Abwesenheit.
Der junge Leutnant suchte wieder den Amtsgerichtsrat auf, der sich die jetzt fünf Jahre alte Sache von neuem ins Gedächtnis zurückgerufen hatte und sich nach den von Holger erhaltenen Mitteilungen darüber schlüssig war, daß er die Untersuchung von neuem aufnehmen wollte. Es drehte sich nur darum, wie er dies anfassen sollte. War einer von den beiden der Schuldige, so mußte es der große Niels sein. Denn er hatte dem andern gedroht. Es war deshalb das beste, daß dieser, mit dem nebenbei auch wohl am schwersten umzugehen war, von vornherein hart angefaßt wurde. Ein Gerichtsdiener sollte ihn am frühen Morgen geradeswegs von der Arbeit holen und sofort zum Termin vorführen.
Den Nachtwächter wollte der Amtsgerichtsrat nicht einschüchtern. Holger Moe sollte ihn am nächsten Mittag mit einem Briefe zu ihm senden, und bei dieser Gelegenheit wollte der Richter ihn in seiner Privatwohnung in ein Gespräch verwickeln, in dessen Verlauf er von dem Alten etwas zu erfahren hoffte. Später würde er die beiden Leute dann einander gegenüberstellen.
Nach dieser Abmachung kehrte der Leutnant am Nachmittage nach dem »Seehof« zurück und wartete dort in größter Spannung der Dinge, die der nächste Tag bringen würde.
Am nächsten Morgen fuhr ein Gerichtsdiener in Zivil nach der »Sturmhöhe« hinaus und überreichte dem Inspektor die für den Knecht bestimmte Vorladung. Der große Niels wurde von der Arbeit geholt, und der Beamte teilte ihm mit, daß der Amtsgerichtsrat ihn in einer dringenden Angelegenheit sofort als Zeuge brauche. Der Mann war groß und breitschultrig, sein Gesicht glattrasiert und sein ganzes Wesen verschlossen und mürrisch. Als er die Mitteilung empfing, sagte er nichts, sondern begab sich in seine Kammer und kleidete sich um.
Auf dem Wege in die Stadt saß er schweigend da, und zwischen ihm und seinem Begleiter wurde kein Wort gewechselt.
Das Fuhrwerk hielt vor dem Rathause. Der Amtsgerichtsrat hatte sich in volle Uniform geworfen. Er erschien in ihr noch größer und gewichtiger als gewöhnlich.
Der große Niels wurde hereingeführt und seine Personalien festgestellt. Er hieß mit vollem Namen Niels Peter Johnson und stammte aus dem südlichen Schweden.
Der Amtsgerichtsrat machte eine kurze Pause und sagte:
Es wird Klage über Sie geführt.
So? antwortete der Knecht gleichgültig.
Ja, die Leute auf dem »Seehofe« haben sich darüber beschwert, daß Sie sie mit Tätlichkeiten bedroht haben.
Wer hat sich beschwert?
Der Mann, der auf dem Hofe die Nachtwache hat.
Also er.
Ist es nicht richtig, daß Sie ihn bedroht haben? fragte der Richter streng und trat auf den Knecht zu.
Ja-a, das kann schon sein.
Der Amtsgerichtsrat machte eine kurze Pause, dann fragte er weiter:
Weshalb haben Sie ihm gedroht?
Das werde ich Ihnen nicht sagen, erklärte der Knecht. Es lag klar auf der Hand, daß diese Antwort nur den Zweck hatte, Zeit zu einem Auswege zu gewinnen, den er sich in seinem schwer arbeitenden Kopfe zurecht legen wolltet
Ich werde Sie schon zum Sprechen zwingen. Sie wissen doch, daß ich die Mittel dazu in der Hand habe. Erzählen Sie ruhig, wie die Sache zusammenhängt. Es liegt dies in Ihrem eigenen Interesse. Für Ihre Drohungen werden Sie schon Ihre triftigen Gründe gehabt haben.
Ja, die Gründe hatte ich.
So lassen Sie mich sie hören.
Er wollte meiner Frau verraten, daß ich eins der Mädchen gern hatte.
Hat er das gesagt?
Nein, nicht gerade heraus, er hat mich aber einmal nachts mit ihr getroffen und hinterher allerlei Andeutungen gemacht.
So so, na, dann ist die ganze Sache auch wohl nichts weiter als alter Weiberklatsch. Nun, Sie haben wohl noch Zeit. Bleiben Sie nur noch eine Stunde hier. Inzwischen wird sich die Sache wohl erledigen, und ich kann Sie dann nachmittags wieder entlassen.
Der Knecht erklärte sich, sichtlich erleichtert, mit allem einverstanden.
Der Amtsgerichtsrat ließ den Diener kommen und sagte zu ihm gemütlich:
Sagen Sie einmal, Peters, können Sie dem Manne dort wohl etwas Frühstück besorgen?
Jawohl, Herr Amtsgerichtsrat.
Natürlich für meine Rechnung. Er hat heute früh schon eine lange Fahrt gemacht. Einige Butterbrote und ein Gläschen Branntwein werden ihm gut tun, ich gehe jetzt auch frühstücken. In einer Stunde bin ich wieder hier.
Jawohl, Herr Amtsgerichtsrat.
Und damit verließ der Diener mit dem großen Niels das Gerichtslokal. Der Knecht fühlte sich über die Freundlichkeit des Richters in hohem Grade geschmeichelt.
Als der Amtsgerichtsrat über den Marktplatz seiner Wohnung zuschritt, stand der Nachtwächter vom »Seehof« bereits mit dem Briefe in der Hand da. Der Amtsgerichtsrat nahm den Brief in Empfang und sandte den Mann in die Küche, wo er sich etwas zu essen und zu trinken geben lassen sollte. Nach dem Frühstück solle er in das Studierzimmer kommen und sich die Antwort abholen.
Der Amtsgerichtsrat erbrach den Brief, las ihn und schrieb auf einen großen Bogen einige Zeilen, die ebenso gleichgiltig wie diejenigen waren, die er empfangen hatte. Darauf faltete er das Papier zusammen und steckte es in ein großes Kuvert, das er mit einem mächtigen Siegel schloß.
Kurz darauf wurde an die Tür geklopft, und der Wächter, der in der Küche ordentlich verpflegt worden war, trat, nachdem er die Holzschuhe draußen zurückgelassen hatte, auf Socken ein.
Nun, sagte der Richter, haben Sie etwas zu essen bekommen?
Jawohl, und ich danke auch vielmals, antwortete der Wächter und wischte sich den Mund mit dem Rücken der Hand ab.
Glauben Sie wohl, daß Sie den Brief auch sicher nach Hause schaffen? fragte der Amtsgerichtsrat und übergab ihm das Kuvert.
Ja, darauf können der Herr sich verlassen.
Sie sind schon viele Jahre auf dem »Seehofe«?
Ja, zu Michaelis werden es sechzehn Jahre.
Das Leben war für Sie wohl nicht immer angenehm.
Ach doch.
Ich meine aber doch einmal gehört zu haben, daß ein großer, kräftiger Mann, den sie immer den großen Niels nennen, Sie oft mit Drohungen verfolgt hat.
Wer hat das dem Herrn erzählt?
Nun, das ist ja gleichgültig. Es ist mir aber gesagt worden, daß er Sie aus dem Grunde bedrohte, weil Sie seiner Frau erzählen wollten, daß er sich mit einem der Mädchen eingelassen hatte.
Das habe ich nie gesagt.
Nicht, warum hat er Sie denn aber bedroht?
Die Frage kam dem einfältigen Nachtwächter so überraschend, daß seine Knie förmlich zitterten, und stotternd sagte er:
Das darf ich nicht sagen.
Dürfen Sie nicht? Warum dürfen Sie nicht?
Nein, Herr Richter, danach dürfen Sie mich nicht fragen.
Ha, ha, also vor ihm haben Sie Angst?
Ja, antwortete der Nachtwächter aufrichtig.
Sie brauchen sich aber vor ihm nicht mehr zu ängstigen. Er kommt vorläufig nicht heraus.
Hat er sich selbst gestellt?
Ja, entgegnete der Amtsgerichtsrat mit Nachdruck, das ist ja eben die Sache.
Gott sei Dank, sagte der Nachtwächter mit einem Seufzer der Erlösung. So ist es also endlich geschehen.
Hat er Ihnen versprochen, daß er es tun wolle?
Ja, vor wenigen Monaten, kurz nach dem Tode des Herrn Rittmeisters. Ich sagte ihm, daß, selbst wenn er etwas gegen den Herrn gehabt hätte, es doch eine Schande sei, daß die Frau darunter leiden müsse. Deshalb wollte ich die Sache anzeigen.
Und da drohte er Ihnen?
Ja, das tat er, schließlich sagte er aber, daß er sich jetzt nach dem Tode des Herrn Rittmeisters lieber selbst melden wolle.
Waren Sie denn zugegen, als er das Feuer ansteckte? fragte der Richter mit etwas unsicherer Stimme, da er sich über die Ausdehnung des Geständnisses noch nicht ganz klar war.
Nein, aber so ungefähr. Ich hatte ihn am Abend, gut eine Stunde vor Ausbruch des Feuers, aus dem Fenster springen sehen, das von der Rollkammer ins Freie führte.
Und Sie nahmen daher an, daß er das Feuer angelegt hatte?
Ja, darüber war ich mir ziemlich klar.
Aber weshalb in aller Welt sagten Sie es denn nicht?
Ich hatte schon in der Brandnacht die eine und andere Andeutung fallen lassen, als er mir am nächsten Morgen vor dem Verhör auflauerte und mir drohte, daß er mich sofort niederschlagen würde, wenn ich nicht den Mund hielt und vor Gericht aussagte, daß ich geschlafen hätte.
Und das taten Sie?
Ja, Herr Amtsgerichtsrat werden sich dessen noch erinnern. Sie haben ja selbst das Verhör geleitet.
Damit haben Sie eine große Sünde begangen.
Dafür kann ich aber doch wohl nicht bestraft werden?
Wahrscheinlich doch. Sie waren als Zeuge verpflichtet, die volle Wahrheit zu sagen, und mußten dies umsomehr tun, als Sie durch Ihr Schweigen die Verurteilung einer Unschuldigen verschuldet haben.
Daran dachte ich auch, und ich war schon auf dem Wege zu dem fremden Richter, als ich erfuhr, daß die gnädige Frau ein Geständnis abgelegt hatte. Da wußte ich aber nicht mehr, was ich von der Sache halten sollte. Ich dachte mir, daß sie ihn vielleicht zu der Tat überredet hätte.
Ja, ja, sagte der Richter. Jedenfalls müssen Sie einstweilen hier bleiben. Gehen Sie nur solange in die Küche und lassen Sie sich eine Tasse Kaffee geben. Vielleicht brauche ich Sie später noch. Dann sende ich meinen Diener und lasse Sie holen.
Der Wächter schlich sich ziemliche kleinmütig davon. Er hatte das Gefühl, als habe er eine Dummheit begangen.
Der Amtsgerichtsrat ging sofort zum Rathause hinüber und ließ den großen Niels vorführen.
Ob der Gerichtsdiener die Worte seines Vorgesetzten dahin verstanden hatte, daß er den ihm Anvertrauten durch Branntwein gefügig und redselig machen sollte, oder ob er mit dem großen Niels ein menschliches Rühren empfand, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls hatte er ihm einige Schnäpse zu viel gegeben, und der Knecht erschien mit stark gerötetem Gesichte. Seine Augen hatten einen eigenartigen Glanz, und seine Haltung war übertrieben steif und gerade. Der Gerichtsdiener selbst leuchtete von Alkohol und Glückseligkeit, als sei er mit seiner Behandlungsweise sehr zufrieden.
Die Miene des Amtsgerichtsrats war dagegen in keiner Beziehung wohlwollend, und während er an den großen Niels herantrat, sagte er zu ihm:
Es ist ja nicht wahr, daß Sie dem Wächter deshalb gedroht haben, weil er Sie bei Ihrer Frau verklatschen wollte.
So, das ist nicht wahr, sagte der Knecht, der scheinbar den Faden verloren hatte.
Nein, Sie haben ihn durch Drohungen zu einer falschen Darstellung der Entstehung des Feuers auf dem »Seehofe« veranlaßt. Warum haben Sie das getan?
Ja, doch haben Sie es getan. Sie haßten den Rittmeister. Deshalb zündeten Sie den Hof an, und da der Wächter Sie dabei überrascht hatte, drohten Sie ihm, daß Sie ihn niederschlagen würden, wenn er beim Verhöre nicht aussage, daß er geschlafen habe.
Das können Sie nicht beweisen, sagte Niels trotzig.
Leugnen Sie es nicht, sagte der Amtsgerichtsrat. Ihre Kameraden nennen Sie ja den »großen Niels« oder den »starken Niels«, und Sie prahlen ja selbst mit Ihren Kräften. Können Sie, der Sie ein so kräftiger, kerngesunder Mensch sind, es mit Ihrem Gewissen verantworten, daß eine zarte, schwache Frau, die Ihnen nie etwas zuleide getan hat, Ihretwegen leidet?
Nein, das will ich auch nicht, sagte der große Niels mit dem leicht erwachenden Ehrgefühle des Halbtrunkenen.
Sie haben also den »Seehof« angesteckt?
Ja, antwortete der große Niels und richtete sich beinahe stramm auf.
Das Geständnis machte einen großen Eindruck auf den Richter. Er übersah sofort die Folgen, die sich hieran sowohl für seine Freunde auf dem »Seehof«, wie auch für seinen Ruf als Beamten knüpfen mußten, und eine aufrichtige Freude bemächtigte sich seiner.
Mit besonderer Liebenswürdigkeit trat er an den großen Niels heran und legte ihm die Hand auf die Schulter. Es kam jetzt darauf an, das Geständnis zu verfolgen, damit nicht ein plötzlicher Widerruf den ganzen Beweis in Frage stellte.
Erzählen Sie mir jetzt, wie das Ganze sich zugetragen hat. Nun, da Sie geständig sind, wird es für Sie darauf ankommen, sich auch aller Umstände zu erinnern, die zu Ihren Gunsten sprechen. Aus welchem Grunde waren Sie dem Rittmeister feindlich gesonnen? Hatte er Ihnen etwas getan?
Ja, er hatte mich geschlagen.
Das ist schon ein Punkt, der die Tat in einem milderen Lichte erscheinen läßt.
Ich wollte mich nicht schlagen lassen.
Das begreife ich sehr wohl.
Es war schon einmal geschehen. Damals habe ich meinen Zorn hinuntergeschluckt.
Und er hat Sie wieder geschlagen?
Ja!
Wann?
Am Mittag vor dem Brande.
Weshalb?
Der Herr wurde böse, weil die Arbeit ihm zu langsam ging. Er saß lange da und blickte mich an, dann schlug er mich mit dem Stock über den Rücken und sagte: »Raff dich auf, du Faulenzer, oder ich jage dich zum Tor hinaus«.
Da entschlossen Sie sich, aus Rache den Hof anzuzünden?
Nein.
Ich wollte dem Herrn die Schläge nur zurückgeben. Als ich am Abend die Türe zur Rollkammer offenstehen sah, ging ich hinein, um ihm aufzulauern, denn ich wußte, daß er dort vorbeikommen mußte.
Und dann wollten Sie ihn durchprügeln?
Ja, das hatte ich mir vorgenommen.
Sie taten es ja aber nicht.
Nein, als der Herr an der Tür vorbeikam, wurde ich ängstlich. Ich dachte, daß er dann um Hilfe rufen und ich überwältigt werden würde, und außerdem schien es mir feige, ihn von hinten zu überfallen.
Dieser Gedanke macht Ihnen alle Ehre. Wie entstand nun aber das Feuer?
Da aus der gewünschten Rache nichts wurde und ich zufällig auf einem alten Herde einige Flaschen mit Petroleum entdeckte, kam mir plötzlich der Gedanke, den Hof anzuzünden.
Da gossen Sie eine Flasche in die Rolle, sagte der Amtsgerichtsrat, der das Geständnis der Frau Bruhn kannte und sich jetzt über den ganzen Zusammenhang klar wurde.
Der Knecht, der während des Verhörs nüchtern geworden war, blickte den Richter erstaunt an und sagte:
Ja, das habe ich getan.
Und dann zündeten Sie das Ganze an?
Nein, antwortete Niels, beinahe beleidigt. Als ich die erste Flasche zwischen die Steine ausgoß und einige Lumpen dazwischen steckte, die auf dem Fußboden lagen, hörte ich, daß jemand an die Tür faßte. Ich erschrak und sprang eine kleine Stiege hinauf, die auf den Boden führte.
Es war Frau Bruhn?
Ja! sagte der große Niels wieder überrascht.
Sie sah, was geschehen war, und als ich mich gleichzeitig oben bewegte, sagte sie: »Ist da jemand?« Ich verhielt mich still wie eine Maus. Kurz darauf ging sie.
Darauf begaben Sie sich nach unten und zündeten das Feuer an?
Ich hätte das Ganze am liebsten aufgegeben. Indessen fürchtete ich, daß man meine Vorbereitungen entdecken würde, und hielt es deshalb für besser, jede Spur derselben zu verwischen. Ich schloß die Tür von innen, goß eine zweite Flasche Petroleum über die Rolle und zündete dann einige Späne an, die ich zwischen die durchtränkten Lumpen legte. Darauf sprang ich aus dem Fenster ins Freie.
Und bei dieser Gelegenheit sah der Nachtwächter Sie?
Ja, anfänglich dachte er sich aber nichts dabei. Er drohte nur, weil er glaubte, daß ich drinnen mit einem Mädchen zusammen gewesen sei.
Wollten Sie, daß der ganze Hof abbrennen sollte?
Nein, ich war ganz erschrocken, als das Feuer eine so große Ausdehnung annahm, und ich war der Erste, der sich an der Rettung des Viehs beteiligte.
Darauf wurde das Verhör geschlossen und der große Niels für verhaftet erklärt. Am nächsten Tage widerrief er anfänglich alles. Nachdem er aber dem Nachtwächter und mehreren anderen Leuten vom »Seehofe« gegenübergestellt war, wiederholte er seine erste Erklärung.
Am Abende sandte der Amtsgerichtsrat die Protokolle und einen langen Bericht an das Justizministerium, und dieses befahl die einstweilige Freilassung der Frau Bruhn.