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Seit jenem Abend waren zwei Jahre verflossen. Holger Moe hatte anfänglich Jura studiert. Doch schon nach dem ersten Semester hatte er sich eines anderen besonnen. In Anbetracht des einmal zu erwartenden mütterlichen Vermögens entschloß er sich, die militärische Laufbahn einzuschlagen und fand hierin bei seinem Vater die lebhafteste Unterstützung.
Während der ganzen Zeit hatte er mit Astrid fortwährend im Briefwechsel gestanden. Astrids Briefe waren immer freundlich und liebenswürdig, aber ohne feurige Worte gewesen, oft hatten sie sogar etwas mild Vorwurfsvolles gehabt, was ihm indessen nicht weiter auffiel. Dazu war er zu verliebt, zu sehr mit seiner eigenen Leidenschaft beschäftigt. Seine Briefe enthielten oft Versicherungen in den stärksten Worten, aber häufig merkte Astrid mit ihrem ruhigen, kalten Verstande, daß die Kameraden und das Leben unter ihnen ihn stärker anzogen, als es ihrer Ansicht nach gut war.
Aber klar über ihr Verhältnis zu einander, klar über sich selbst in ihren Gefühlen dem Jugendfreunde gegenüber war sie sich in keiner Weise geworden. Im Gegenteil schien es ihr, als habe die Trennung sie noch unsicherer gemacht.
Der Grund hierzu kam von außen.
Es war eines Abends im Februar. Der Gutsbesitzer Bruhn und Frau saßen, wie gewöhnlich, allein zu Hause. Die Mutter war mit ihrem Strickzeug beschäftigt, der Vater lag in seinem Zimmer auf dem Sofa und rauchte. Astrid las. Die Uhr war kurz vor 9. Der reitende Bote, der zur Post gewesen war, kam mit Briefen und Zeitungen zurück.
Frau Bruhn hatte die Postmappe geöffnet und die Briefschaften ihrem Mann gebracht. Sie selbst hatte die Zeitung behalten und las, wie gewöhnlich, zuerst das Feuilleton.
Es war still in der Wohnung, jeder hatte mit sich zu tun.
Als Frau Bruhn mit dem wichtigsten, dem Roman fertig war, studierte sie den übrigen Teil des Blattes. Plötzlich richteten sich ihre Augen auf eine Bekanntmachung, die ihre Aufmerksamkeit in Anspruch nahm. Sie las sie wieder und wieder durch, ließ das Blatt sinken und starrte vor sich hin. Kurz darauf blickte sie wieder unverwandt auf dieselbe Stelle wie vorher.
Was ist dir, Mutter? fragte Astrid.
Nichts. Da ist nur etwas, was mir eben einfiel.
Astrid kümmerte sich nicht weiter darum. Sie war an die ausweichenden Antworten der Mutter gewöhnt.
Frau Bruhn faltete das Blatt indessen sorgfältig zusammen und legte es vor sich auf den Tisch, während ihr Blick denselben grübelnden Ausdruck wie vorher behielt.
Bist du mit der Zeitung nicht bald fertig? fragte der Hausherr aus dem Nebenzimmer.
Ja! antwortete sie.
Sie nahm die Zeitung und ging zu ihrem Gatten hinein. Gegen ihre sonstige Gewohnheit kehrte sie aber nicht sofort in ihr Wohnzimmer zurück, sondern machte sich noch im Arbeitszimmer zu schaffen, während er mit dem Lesen begann. Bald war sie an dem Ofen tätig, bald hatte sie seinen Schreibtisch abzuwischen, bald die umherliegenden Bücher an ihren richtigen Platz zu stellen.
Was machst du da? fragte er in einem erregt nervösen Tone.
Nichts, antwortete sie. Er kannte die Antwort und er fuhr in dem Studium der Zeitung fort. Sie blickte zu ihm hinüber und sah, daß er immer noch bei der auswärtigen Politik, seinem Lieblingsthema weilte.
Hin und wieder sandte sie ihm einen Seitenblick zu.
Darf ich mich hierhersetzen? fragte sie. – Im Wohnzimmer ist es so kalt.
Er blickte verwundert auf.
Gewiß, herzlich gern, nur zu selten habe ich das Vergnügen, dich bei mir zu sehen. Du hast wohl nichts dagegen, daß ich weiter rauche.
Laß dich nicht stören.
Jetzt wandte der Hausherr das Blatt und begann mit der inneren Seite. Sie folgte aufmerksam der Richtung seiner Augen, während er einen Artikel nach dem anderen, die eine Neuigkeit nach der anderen gründlich studierte. Endlich war er auch mit den Bekanntmachungen fertig, ohne daß sie die geringste Veränderung in seinem Wesen beobachtete.
Gibt es etwas Neues? fragte sie, als er fertig war.
Du hast ja selbst die Zeitung gelesen.
Du weißt, daß ich sie nur flüchtig durchsehe, und da entgeht einem so manches.
Heute bringt sie auch nichts Wichtiges.
Es wollte ihr scheinen, als sei seine Gleichgültigkeit nicht natürlich, als verstecke sich etwas darunter.
Es entstand eine Pause. Der Gutsbesitzer blieb auf seinem Sofa liegen und blies große Rauchwolken vor sich hin. Die Hausfrau war still, und man hörte nur das Rasseln ihrer unermüdlichen Stricknadeln.
Astrid hatte vom Wohnzimmer aus das Gespräch der Eltern verfolgt und herausgefühlt, daß ihre Mutter heute ganz anders als sonst war.
Was es war, konnte sie sich nicht erklären. Es befiel sie aber eine sonderbare Angst, eine Furcht vor einem bis dahin ungeahnten und unbekannten Feind.
Sie wollte um die Zeitung bitten. Das war ja die natürlichste Sache von der Welt, und sie kam garnicht einmal so selten vor. Wie sie aber an den Blick der Mutter dachte und fühlte, daß er während des Lesens unverwandt auf ihr ruhen könne, da verging ihr der Mut, ihren Wunsch zu äußern.
Sie wünschte Gute Nacht! und begab sich auf ihr Zimmer, aber die ganze Nacht lag sie unruhig, von bösen Träumen geplagt, da. Sie nahmen keine festen Formen an, standen aber als drohende Gefahren vor ihr, und jedesmal, wenn sie aus ihrem Schlafe auffuhr, mußte sie sich in ihren Gedanken erst darüber klar werden, ob sie wache oder schlafe.
Sie wachte schon ganz früh auf und hatte das Gefühl, daß sie nicht weiter schlafen konnte. Sie stand auf und ging in die Wohnung hinunter. Da war es noch rauhkalt vom feuchten Dunst des eben gescheuerten Fußbodens, während im Ofen die Holzscheite hell und klar brannten.
Sie betrat das Arbeitszimmer des Vaters und suchte dort nach der Zeitung. Das Blatt war nicht zu finden. Schließlich entdeckte sie, daß es hinter den Schreibtisch geglitten war. Dies war wohl nur ein Zufall; in der Gemütsstimmung, in der sie sich befand, legte sie aber selbst der geringsten Kleinigkeit Bedeutung bei.
Nervös öffnete sie das Blatt und ließ das Auge die Stelle suchen, auf welcher der Blick der Mutter so lange geruht hatte, und alle die unbestimmten Ahnungen erhielten plötzlich eine feste Form.
»Wie wir aus sicherer Quelle erfahren, hat sich die Regierung in Anbetracht der häufigen, im Distrikte vorgekommenen, unaufgeklärt gebliebenen Feuersbrünste veranlaßt gesehen, zur Untersuchung derselben eine eigene Kommission unter Leitung eines höheren Kriminalrichters einzusetzen.«
Diese halbamtliche Mitteilung hatte die Aufmerksamkeit der Mutter auf sich gezogen. Astrid verstand nicht recht, was eine staatliche Untersuchungskommission eigentlich bezwecke, sie hatte aber eine bange Ahnung, daß die unheimliche Nacht, die sich so unauslöschlich in ihre Erinnerung geprägt hatte, noch ein Nachspiel haben möchte, das für sie peinlich und schicksalsschwanger werden könnte.
Inzwischen vergingen Tage und Wochen, ohne daß man etwas Neues hörte oder daß in dem stillen, einförmigen Leben auf »Seehof« etwas Besonderes eintrat.
Astrid begann ruhiger zu werden.
Da griff sie eines Tages, als sie an der Leutestube vorbeiging, Bruchstücke einer Unterredung auf. Diese verstummte, sobald man ihre Anwesenheit entdeckte, die wenigen Worte aber, die sie gehört hatte, genügten, um ihr zu sagen, daß man auch in den unteren Schichten einen gewissen Verdacht hegte.
Der Wortführer war ein Knecht, der schon mehrere Jahre auf dem Hofe gedient hatte. Er war ein brauchbarer, aber wilder, streitsüchtiger Mann, dem die übrigen gern aus dem Wege gingen.
Soll nun doch einmal an der Sache gerührt werden und will man die kleinen Leute vornehmen, rief er aus, so werde ich schon dafür sorgen, daß die Untersuchungskommission auch dem Rittmeister auf die Finger sieht. »Gleiches Recht für Alle!« das ist mein Wahlspruch. Was dem einen recht ist, ist dem andern billig!
Astrid wußte, daß sie über das Feuer sprachen, und daß der Vater, wenn die Untersuchung wieder aufgenommen würde, unter seinen Leuten Feinde hatte, die zu seinen Ungunsten aussagen konnten.
Dies machte sie ängstlich und für die Zukunft besorgt, sie fand aber keine Worte des Vertrauens, weder dem Vater, noch der Mutter gegenüber. Sie verbarg ihren Kummer, der im stillen größer und immer größer wurde.
Mit Sorge dachte sie an die Zukunft, und die unheimlichen Bilder, die sie sich in ihrer Phantasie ausmalte, veranlaßten sie zu der Kälte und Zurückhaltung in ihren Briefen an Holger Moe, die dieser schließlich doch fühlen mußte.
Er dachte sich die Möglichkeit, daß sie eine neue Beziehung geknüpft habe, die sie einstweilen noch vor ihm verbarg, und das Gefühl der Eifersucht, das ihm früher so ganz ferne gelegen hatte, begann in ihm Wurzeln zu schlagen. Er war jetzt ein Mann, ein trotz seiner Jugend tüchtiger und geschätzter Offizier, dem eine gute Laufbahn in Aussicht stand. Deshalb wollte er auch wissen, ob seine Befürchtungen begründet waren, oder ob er sich auf die Geliebte verlassen konnte. Ans Heiraten dachte er augenblicklich noch nicht. Er wollte erst für einige Jahre ins Ausland gehen, andere Länder und andere Heere kennen lernen, um aus den draußen gesammelten Erfahrungen für sein Vaterland Nutzen zu ziehen.
Eines Tages im Mai erschien Holger Moe auf »Seehof«. Der alte Rittmeister war über den Besuch des jungen Kameraden hoch erfreut und führte ihn nach der ersten lebhaften Begrüßung zu den Damen.
Holger Moe stand die Uniform gut, die stramm seinen schlanken, geschmeidigen Körper umschloß. Sein Gesichtsausdruck war frisch und gerade, der kleine Schnurrbart hob den hübsch geformten Mund, der einen Zug von Männlichkeit und Bestimmtheit verriet.
Dieses Mal war er es, der gesund und sonnenverbrannt aussah, während Astrid bleich und angegriffen erschien.
Eine dunkle Röte fuhr über das Antlitz des jungen Mädchens, als Holger Moe eintrat. Indessen schritt sie freundlich und ohne Scheu auf ihn zu und reichte ihm die Hand. Er drückte sie warm und blickte die Geliebte glücklich an. Es wollte ihm scheinen, als wenn diese blasse Farbe, die er bei ihr noch nicht kannte, sie ganz entzückend kleide, ja er fand sie hübscher, als je zuvor. Die Liebe schwärmt nun einmal für Abwechselung, und jede Veränderung erscheint ihr als Verbesserung.
Zu einer vertraulichen Aussprache kam es einstweilen nicht. Der Gutsbesitzer hatte an seinen Besuch so unendlich viele Fragen zu stellen, die sich meistens um das Leben am Hofe, in der Hauptstadt und in den militärischen Kreisen drehten. Holger mußte Auskunft über dieses und jenes geben und er antwortete höflich und gewissenhaft, aber mechanisch. Seine Gedanken beschäftigten sich mit Astrid und der Veränderung, die in den wenigen Jahren mit ihr vorgegangen war.
Beim Frühstück war der Wirt ungewöhnlich aufgeräumt. Die Hausfrau sprach nur wenig, sondern folgte dem Gespräche mit ihrem gewöhnlichen Lächeln und blickte dabei abwechselnd auf ihre Tochter und den jungen Offizier.
Endlich war man fertig. Der Gutsbesitzer bot dem Leutnant eine Zigarre an und sagte in derselben auffordernden Weise, die Astrid aus früherer Zeit kannte: Die jungen Herrschaften haben sich gewiß noch manches zu erzählen. Übrigens ist es draußen im Garten ganz trocken und es fängt schon an, grün zu werden.
Astrid fühlte sich im höchsten Grade beklommen. Sie ängstigte sich vor der ersten Aussprache, die vielleicht auch zum Verlust ihres einzigen Freundes führen konnte. Gleichzeitig entdeckte sie zu ihrem Entsetzen, daß sie Holger liebte. Hätte sich der unglückselige Verdacht nicht ihrer bemächtigt, so wäre sie ihm jetzt um den Hals gefallen und hätte ihm überglücklich erklärt, daß sie sein für das ganze Leben werden wollte. Er hatte sein ganzes ruhiges, liebenswürdiges Wesen bewahrt, und doch trug sein Auftreten einen Anstrich von Männlichkeit, die sie früher bei ihm vermißt hatte.
Aber zwischen ihr und ihm stand jetzt etwas Unerklärliches, was sie ihm nicht sagen durfte und konnte, was sie allein tragen mußte, selbst wenn sie darüber zugrunde gehen sollte.
Sie schwieg deshalb, als sie Seite an Seite auf den bekannten Wegen und Stegen durch den Garten schritten, der so viele ihrer schönsten Erinnerungen in sich barg.
Er hatte angefangen, sie erst mit gleichgültigen Sachen zu unterhalten, von sich, den Kameraden und der Hauptstadt zu erzählen, allmählich schlug er einen wärmeren Ton an.
Liebe Astrid, sagte er, es wird Zeit, daß wir uns einmal richtig aussprechen und uns beiden darüber Klarheit schaffen, wie wir miteinander stehen.
Sie hatte dasselbe gedacht, antwortete aber nicht und nickte nur mit dem Kopfe.
Wir haben jetzt schon lange einen Briefwechsel miteinander geführt, wie ein solcher selbst bei jüngeren Leuten nicht üblich ist. Besteht zwischen uns nichts weiter als Freundschaft, so dürfte es in Anbetracht der Umstände das Beste sein, wenn wir ihn einstellen. Sonst könnte er schließlich mehr Unheil, als Glück stiften.
Astrid nickte zum Zeichen, daß sie derselben Ansicht war. Sie vermochte es aber nicht, auch nur eine Silbe herauszubringen.
Du erlaubst wohl, daß ich mich offen ausspreche, fuhr er fort, und ohne ihre Antwort abzuwarten, sagte er: Bist du immer noch ganz frei, Astrid?
Diesmal antwortete sie mit einem frischen und entschiedenen Ja!
Sie merkte sofort, daß diese Frage ihm die größte Angst verursacht hatte, und daß er nach ihrem Ja seine Sache schon für halb gewonnen hielt.
Schweigend schritt er eine Zeitlang neben ihr her. Er wußte nicht, wie er seine nächste Frage einkleiden sollte. Am liebsten hätte er sie ebenso bestimmt gestellt als die erste. Eigentlich hätte er einfach sagen können: Ich habe es auch nicht anders von dir erwartet, als daß du mir treu bleiben würdest. Es lag aber in dem Wesen des Mädchens etwas, das ihn veranlaßte, sich der mehr indirekten Form zu bedienen.
Deine Briefe haben trotz des oft kühlen Tones häufig den Eindruck auf mich gemacht, als wenn ich deinem Herzen doch näher stände, als du – ich weiß nicht weshalb – zugestehen willst.
Astrid blickte mit ihren schönen, hellen Augen zu ihm auf, und diesmal lag in ihrem Blick ein schmachtender Ausdruck, den er früher nie gesehen hatte, der ihm aber eine ungewöhnliche Tiefe gab.
Wenn ich vom kühlen Ton sprach, so hätte ich lieber sagen sollen, daß in deinen Briefen etwas Fremdes, etwas Reserviertes lag. Du darfst mich nicht mißverstehen. Es schien mir aber manchmal, als trenne uns eine unsichtbare Mauer, die wir, jeder von seiner Seite, vergebens zu übersteigen suchen.
Astrid schlug die Augen nieder, und eine leichte Röte überzog ihr feines Gesicht, während sie verlegen eine kleine Blume Blatt für Blatt zerpflückte und sie auf die Erde warf.
Plötzlich kam eine Wärme in seine Stimme.
Ist da etwas, was du vor mir verbirgst, hast du irgend ein Geheimnis, so vertrau' es mir an. Ich werde es mit dir teilen, und ich werde es dir, wenn es dich drücken sollte, tragen helfen.
Nein, nein, erklärte sie mit plötzlicher Energie. Es ist nichts, nichts. Wie kommst du nur darauf? fügte sie fast heftig hinzu.
Ich sage dir ja, daß ich durch deine Briefe den Eindruck bekommen habe.
Und ich sage dir, daß es nichts ist.
Aber weshalb können wir denn zu keinem Verständnis, zu keiner Abmachung kommen, sagte er und wurde fast ungeduldig, obgleich er sich alle Mühe gab, gut zu ihr zu sein.
Frage mich nicht, sagte sie, und er merkte, daß sie nahe daran war, in ein krampfhaftes Schluchzen auszubrechen. Ich kann dir heute nicht antworten, heute noch keinen Beschluß fassen. Gönne mir Zeit und Ruhe, damit ich mich besinnen kann. Gedulde dich, ein, zwei Monate, und ich verspreche dir, daß ich dir sagen werde, wann die Zeit da ist, daß ich mit dir über unsere Liebe sprechen kann.
Damit reichte sie ihm die Hand. Er stand eine Weile unentschlossen da, dann ergriff er sie und drückte sie, ohne ein Wort zu sagen, an seine Lippen. Er sah, wie zwei große Tränen sich von ihren Augenlidern freimachten und an ihren Wangen niederrollten.
Holger Moe nahm, als er aus dem Garten kam, kurz Abschied. Der Rittmeister wollte ihn durchaus noch da behalten und ihn am Abend in die Stadt fahren lassen. Er lehnte alles dankend, aber entschieden ab. Er wollte mit seinen Gedanken allein sein und schlug jetzt den Weg durch den Garten nach der Stadt ein.
Der Garten war nach der Landstraße von einer hohen Steinmauer und Hecke abgegrenzt, deren beschnittene Büsche schon mit großen, frischen Schößlingen bedeckt waren, sodaß sie eine feste grüne Wand bildeten.
Am Ende der Hecke erhob sich ein kleiner Hügel mit einer Bank. Der junge Offizier war in erregter Stimmung. Alles ärgerte ihn, und er hatte keine Lust, nach der Stadt zurückzukehren, wo er wußte, daß sein Vater sich nach dem Erfolge seines heutigen Besuches erkundigen würde.
Seine Füße führten ihn unwillkürlich auf die Höhe hinauf, wo er sich setzte und seine Blicke über die Felder streifen ließ. In klarer Sommerbeleuchtung lag die Stadt mit ihren vielfarbigen Häusern da, die von den schlanken Türmen der Kirche beherrscht wurden. Eine wohltuende Müdigkeit überfiel ihn, während er sich tiefer und tiefer in das wilde Labyrinth seiner eigenen Gedanken versenkte.
Plötzlich hörte er unter sich auf der Landstraße das Klappern von Holzschuhen. Es kam schnell näher und näher. Dann vernahm er die eiligen Schritte eines Mannes, der eisenbeschlagene Stiefel trug. Es machte den Eindruck, als wenn dieser den Träger der Holzschuhe verfolge. Kurz darauf verstummten aber die Schritte, und er hörte in nächster Nähe, wie eine weinerliche Stimme in ihrer Herzensangst um Erbarmen flehte. Dazwischen erschollen laute drohende Worte. Schließlich entfernten sich beide in der Richtung nach dem Wirtschaftshofe.
Holger Moe erhob sich und blickte den Leuten nach, die den Frieden seiner einsamen Gedanken gestört hatten. Die Unterhaltung hatte ihn so brutal aus seiner Stimmung gerissen, und die Worte waren so roh und grobkörnig gefallen, daß ihn die ungeschlachte Plumpheit und die jämmerliche Feigheit, die hier sich zu einem Bündnisse vereinigten, unwillkürlich anwiderten. Er konnte seine Gedanken und Empfindungen von vorher nicht wiederfinden und erhob sich mit einem Gefühle des Unbehagens, das er vergeblich von sich abzuschütteln suchte. Darauf schritt er langsam durch die Gartenpforte der Stadt zu.
Oben auf dem Hofe war der Gutsbesitzer in schlechtester Laune, und Astrid saß in ihrem Zimmer und weinte. Nur Frau Bruhn ging allein mit Unruhe und Angst in den großen, wunderlich forschenden Augen umher, die wie zwei märchenhafte Unglücksvögel Unheil und Schrecken zu verkünden schienen.