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Fünfzehntes Kapitel.

Seinem Versprechen gemäß war Oberst Moe nach dem »Seehof« hinausgezogen. Seine joviale Gemütlichkeit hatte ihn bei den Leuten ungemein beliebt gemacht, und es herrschte jetzt ein viel umgänglicherer Ton auf dem Hofe als zu des Rittmeisters Zeit, der oft zu scharf war und leicht nervös wurde.

Am Tage nach der Beerdigung hatte der Oberst an den Gefängnisgeistlichen geschrieben und ihn gebeten, der Frau Bruhn in so schonender Weise wie möglich Mitteilung von dem Ableben ihres Mannes zu machen.

Der Oberst hatte jetzt die Antwort erhalten und war gerade dabei, sie zu lesen. Der Pastor erzählte ausführlich, wie er der Frau Bruhn die Mitteilung überbracht und welchen Eindruck sie auf die Gefangene gemacht habe. Darauf kam er zu einer eingehenden Wiedergabe des von der Frau Bruhn abgelegten Geständnisses.

Als Oberst Moe diesen Teil des Briefes gelesen hatte, ließ er ihn sinken und fiel in tiefe Gedanken.

Schließlich setzte er die Lektüre des Berichtes fort, der folgendermaßen schloß:

Eigentlich habe ich es der Frau Bruhn versprochen, daß diese Mitteilungen ein Geheimnis zwischen ihr und mir bleiben sollten. Ich habe ihr aber nur für den Fall Verschwiegenheit gelobt, daß sie sich mit meinem Gewissen in Einklang bringen läßt.

Ich habe die Sache gründlich mit mir selbst erwogen; nachdem ich Frau Bruhn aber wiederholt gesprochen und die feste Ueberzeugung ihrer Unschuld erlangt habe, sehe ich mich von meinem Versprechen entbunden. Ein altes Wort sagt: »Der Mensch denkt – Gott lenkt«. Der Mensch hat in dieser Sache schon zu sehr in Gottes Rechte eingegriffen. Wie die Verhältnisse sich entwickeln werden, wenn die Wahrheit offen zu Tage tritt, weiß ich nicht. Die feste Ueberzeugung meines Gefühls und meines Glaubens sagt mir aber, daß es das Beste ist, wenn dieses selbsterwählte Martyrium schon jetzt des mystischen Schleiers der Unklarheit beraubt wird und der ganze traurige Fall zur endgiltigen Erledigung kommt. Ich habe es deshalb für meine Pflicht gehalten, Ihnen, dem besten und aufrichtigsten Freunde des Hauses, von dem mir Anvertrauten Kenntnis zu geben, damit Sie, der Sie dem Verstorbenen und seiner Gattin so nahe standen, diese Mitteilungen nach bester Erwägung verwerten können. Sie sind damit über alles unterrichtet, was in dieser traurigen Angelegenheit vor sich gegangen ist. Möge es Ihnen gelingen, Klarheit zu schaffen. Das gebe Gott!

Oberst Moe konnte sich anfänglich gar nicht von seinem Erstaunen erholen. Es wollte ihm scheinen, als habe er Frau Bruhn im Grunde seines Herzens immer für unschuldig gehalten, sodaß der Brief ihm insofern nichts Ueberraschendes brachte. Daß aber der Rittmeister sein alter treuer Kamerad, die Tat begangen haben sollte, nein, das war unmöglich. So etwas konnte der Verstorbene nicht tun, und noch viel weniger konnte er in dieser Weise heucheln, wie er es, wenn er schuldig war, getan hätte. Die Verhältnisse haben schon manchen bis dahin anständigen Menschen zum Verbrecher gemacht. Auch selbst dann, wenn Bruhn schwach genug gewesen wäre, der Versuchung zu folgen, so würde er mit dem Tode vor Augen nie diese Komödie gespielt und seiner Gattin seine Verzeihung gesandt haben.

Nein, es war undenkbar.

Aber in diesem Falle war ja niemand von ihnen schuldig! Dieser Gedanke erfüllte den Oberst mit Entsetzen, und er blieb lange unbeweglich sitzen, während er vor sich hinstarrte.

Einige Tage war er sehr still und verschlossen gewesen. Astrid fiel dies auf, und da sie dem Oberst gegenüber fast vertraulicher war, als sie es ihrer Zeit zu dem Vater gewesen, fragte sie ihn geradezu, was er auf dem Herzen habe.

Er überlegte kurz, kam dann aber schnell auf den Gedanken, daß es wohl das Beste sei, das junge Mädchen in das Geheimnis einzuweihen, das der Geistliche ihm anvertraut hatte. Auf diese Weise würde Astrid sich allmählich an den Gedanken gewöhnen, daß ihre Mutter der Familienehre wegen unschuldig leide.

Als er mit seinem Berichte fertig war, verklärte sich das Antlitz des jungen Mädchens.

Ja, so muß es sein, sagte sie, es ist, als fielen mir Schuppen von den Augen, und während sie ihren Kopf in den Händen verbarg, brach sie in lautes Schluchzen aus und sagte: Arme Mutter! Arme Mutter! Wie konntest du aber nur den Vater so fürchterlich verdächtigen!

Der Oberst fragte nicht mehr. Er wollte sie nicht daran erinnern, daß ihr eigenes Verhalten nach Frau Bruhns Ansicht darauf hingedeutet habe, daß sie selbst den Vater für den Schuldigen hielt. Für ihn war es das wichtigste, daß Astrid nach den Vorgängen der letzten Zeit zu der festen Ueberzeugung gelangte, daß ihr Vater als unbedingter Ehrenmann gestorben war. Darauf setzte er noch einige Zeit seine Erwägungen fort, bis ihm schließlich der erlösende Gedanke kam: Der Kriminalrichter muß mir helfen! Er erfüllt nur seine Pflicht, wenn er die Ehre der unschuldig Verurteilten wiederherstellt.

Je mehr er darüber nachdachte, desto zufriedener wurde er, und seine gute Laune kehrte bald wieder zurück. Er nahm sich vor, den Kriminalrichter persönlich aufzusuchen, der inzwischen, wie er wußte, Vorsitzender des Seegerichts an seinem Heimatsorte geworden war. Zur Hin- und Rückreise brauchte der Oberst mehrere Tage.

Astrid schöpfte aus seiner Abreise neue Hoffnung für die Zukunft.

Der ehemalige Kriminalrichter Thingstedt war sichtlich erfreut, den Oberst wiederzusehen, und empfing ihn mit der größten Liebenswürdigkeit und Zuvorkommenheit.

Nun, sind Sie wieder da? sagte er. Diesmal kann ich Ihnen vielleicht von größerem Nutzen sein als bisher, lieber Herr Oberst.

Vielleicht, antwortete der Oberst. Dann sagte er militärisch kurz: Frau Bruhn ist unschuldig. Dabei blickte er den Richter an, um zu sehen, welchen Eindruck diese freudige Mitteilung auf den gewiegten Kriminalisten machte.

So–o! sagte dieser und runzelte die Brauen. Er hatte gedacht, daß es sich hier um eine ganz andere Sache handle, und hatte nicht im entferntesten erwartet, daß der Oberst die alte Geschichte wieder aufrühren würde.

Woher wissen Sie es?

Sie hat es selbst gestanden, erklärte der Oberst mit Ueberzeugung.

So, das hat sie, sagte der Richter, und ein Lächeln umspielte seine Lippen, und wem hat sie es gestanden?

Dem Anstaltsgeistlichen.

Der Richter lächelte wieder, und das Lächeln war diesmal liebenswürdig und jovial.

Ja, die Herren Geistlichen, sind nur zu leichtgläubig, wenn es sich um Reue und Zerknirschung handelt, sagte er, und sie machen uns deshalb oft viele Arbeit. Hat ein Verbrecher erst einige Zeit in der Einsamkeit gesessen, so kommt er fast immer auf den Gedanken, daß die irdische Gerechtigkeit ihm Unrecht getan hat, und ist niemand da, der die Verhältnisse genau kennt und ihm das törichte seiner Schlüsse nachweisen kann, so sieht er sich schließlich für den reinen Märtyrer an.

In diesem Falle ist aber kein Zweifel möglich. Alles spricht dafür, daß sie wirklich unschuldig ist.

Sie hat ja aber selbst alles detailliert zugestanden.

Ihr Geständnis war erdichtet.

So – nun, dann hatte sie damit einen besonderen Zweck verfolgt. Jedenfalls wollte sie einen andern decken.

Ja.

Aber – wen?

Ihren Mann.

Gut, dann vernehme man ihn.

Er ist vor einigen Wochen gestorben.

Der Richter lächelte wieder überlegen, wie matt über ein Kind lächelt, das eine Dummheit sagt und rief aus:

Haha! Verzeihen Sie, Herr Oberst, ich muß Ihnen aber sagen, daß ich wirklich überrascht bin, bei Ihnen, der Sie die Welt doch so gründlich kennen, eine solche Leichtgläubigkeit zu finden. Natürlich hat sie, als der Geistliche ihr erzählte, daß ihr Mann tot sei, die Gelegenheit benutzt, den Verdacht auf diesen, der doch auch in Untersuchung war, abzuwälzen. Das ist durchaus menschlich. Ist man erst bis zum Zuchthause gelangt, so hören die noblen Regungen auf, und die Sträflinge benutzen jedes ihnen zu Gebote stehende Mittel, um sich von dem Druck ihrer Schuld zu befreien, wenn nicht aus einem andern Grunde, so doch um Mitleid bei den Aufsehern und dem Geistlichen zu erregen, die immer leichtgläubig sind, wenn ihre Beichtkinder sich reumütig zeigen. Jetzt soll der Mann es also getan haben?

Ja!

Sehen Sie aber nicht, daß die Sache nur noch schlimmer wird?

Inwiefern?

Wenn man davon ausgeht, daß der inzwischen verstorbene Gutsbesitzer Bruhn das Verbrechen begangen hat, so wird es doch jetzt, nachdem er nicht mehr vernehmbar ist, schwer nachzuweisen sein. Die Frau kann also auch nachträglich nicht freigesprochen werden. Demnach wird die Schande auf beide fallen, während der Name des Mannes bis jetzt makellos dasteht. Dazu kommt, daß die Versicherungsgesellschaft, wenn der Gutsbesitzer, was schwierig ist, als Täter entlarvt wird, die ausgezahlte Versicherungssumme zurückfordern wird, während sie auf diese so lange keine Ansprüche hat, als Frau Bruhn allein als diejenige dasteht, die den Hof in Brand gesteckt hat.

Das Verhältnis zur Versicherungsgesellschaft ist geordnet. Rittmeister Bruhn hat sich noch vor seinem Tode bereit erklärt, den ganzen Versicherungsbetrag in Raten zurückzuzahlen. Eine größere Zahlung ist schon geleistet, und der Rest wird in bestimmten Terminen aus den Gutserträgen beglichen werden. Dafür sorge ich.

So? sagte der Richter nachdenklich. Das ist eigentümlich. Eine solche Flottheit ist selten, aber interessant. Das Ganze gibt zum Nachdenken Veranlassung. Trotzdem kann ich aber nur eine Erklärung finden.

Und diese wäre? fragte der Oberst interessiert.

Daß sie nach einem gemeinsamen Plane gehandelt haben.

Ein Anflug von Unwillen glitt über das Antlitz des Obersten.

Der Richter bemerkte dies und sagte:

Mein guter Herr Oberst! Es hilft nichts, daß wir die obwaltenden Verhältnisse vom ideellen Gesichtspunkte betrachten. Wir müssen sie praktisch untersuchen. Wenn Herr und Frau Bruhn in Gemeinschaft gehandelt haben, so ist es natürlich, daß er, der frei ist, dadurch alle Verantwortung auf sich nimmt, daß er die Versicherungssumme zurückerstattet, die er wirklich schuldet, und daß sie nach seinem Tode sich als die Unschuldige hinstellt, da er nicht mehr bestraft werden kann.

Meiner Ueberzeugung nach ist sie aber unschuldig, sagte Oberst Moe mit Wärme.

Das macht die Sache nur noch verwickelter. Wenn sie nichtschuldig ist, warum sollte sie, die nach Ihrer Meinung so ideal veranlagt ist, ihn angeben?

Die Nachricht von dem Tode ihres Mannes hat sie im Gefängnis dazu gebracht, dem Geistlichen das zu verraten, was sie als ein Geheimnis ihr ganzes Leben aufbewahren wollte.

Wie kam sie aber zu dem Verdachte?

Zufällig war sie auf verschiedene Vorbereitungen gestoßen, die, wie sie jetzt glaubt, zum Zwecke der Brandstiftung getroffen waren.

So? Nun, da erklärt sich ja manches. Daher konnte sie auch ein Geständnis ablegen, das das Gepräge der Wahrscheinlichkeit trug; es bestärkt mich aber noch mehr in meiner Annahme, daß sie und ihr Mann nach gemeinsamer Verabredung gehandelt haben. Dadurch, daß sie die Schuld auf sich allein nahm, rettete sie einstweilen den Mann vor Strafe, schützte seine Ehre und erreichte, daß die Versicherungsgesellschaft die bezahlte Summe nicht zurückfordern konnte.

Sie sehen das Ganze zu herzlos an.

Ich betrachte die Sache mit kühlem Verstande als Unbeteiligter und als ein Mann von langjähriger Erfahrung. Das Eine will ich Ihnen aber doch anvertrauen. Schon bei dem Geständnisse der Frau Bruhn kam mir der Gedanke, daß sie und ihr Mann aller Wahrscheinlichkeit nach gemeinsam gehandelt haben. Ich bin aber nicht so hartherzig, wie Sie denken. Als Strafrichter liegt mir keineswegs daran, eine ganze Familie zu Grunde zu richten. Habe ich nur ein Geständnis, das den Schuldigen ganz oder teilweise trifft, so begnüge ich mich damit. Gelingt es mir als Kommissionsrichter nicht, Klarheit zu schaffen, so richte ich mehr Schaden als Nutzen an, und ich weiß, daß mir dann eine Reihe neuer Brände, die ja unter Umständen auch Menschenleben gefährden, auf den Fersen folgen werden. Solches Unglück zu verhindern, ist meine Aufgabe und das kann nur dadurch geschehen, daß den Schuldigen seine gerechte Strafe trifft.

Wenn der wirkliche Schuldige getroffen wird!

Ja, weshalb sollte er diesmal nicht getroffen sein? Weshalb sollte Frau Bruhn die Schuld auf sich nehmen, wenn sie oder sie im Verein mit ihrem Manne nicht schuldig wäre? Jedenfalls hat sie in ihrem Geständnis an den Geistlichen zugegeben, daß ihr Mann der Täter war und sie hat damit, daß sie die Schuld auf sich nahm, einen pekuniären Vorteil im Auge gehabt. Ich sehe in keinem Falle ein, daß sie besonderes Mitleid verdient, jedenfalls nicht vom juristischen Standpunkte aus. Und weshalb sollte sie ihn verdächtigen?

Weil eine solche Untersuchungskommission dort, wo sie hinkommt, Mißtrauen aussäet.

Hm, meinte der Richter und unterdrückte ein Lächeln, und weshalb sollte er unschuldig sein?

Weil er sich sonst nach ihrer Verurteilung nicht so benehmen konnte, wie er es getan hat, und weil er ihr dann nicht kurz vor seinem Ende hätte sagen lassen, daß er ihr all' die Schmach verzeihe, die sie über ihn gebracht hat.

Und warum sollte er es nicht, wenn sie gemeinsame Sache hatten? Keiner weiß in einem solchen Falle, wie viel und wie wenig der eine dem andern zu verzeihen hat.

Der Oberst blickte finster drein. Er sah, daß er mit Gründen des Herzens nicht weiter kommen würde. Deshalb beschränkte er sich darauf, daß er mit voller Ueberzeugung sagte:

Ich bin fest davon überzeugt, daß beide unschuldig sind.

Dieser Ueberzeugung will ich Sie nicht berauben. Ich begreife aber nicht recht, inwieweit ich Ihnen nützen kann.

Ich habe mir gedacht, daß die Untersuchung sich von neuem wieder aufnehmen ließe.

Weil eine Gefangene, die auf Grund ihres eigenen Geständnisses verurteilt ist, plötzlich auf den Gedanken kommt, ihre Aussage zu widerrufen? Dann hätten wir ja nichts anderes zu tun, als tagtäglich alte Sachen wieder auszugraben. Nein, mein verehrter Herr Oberst, das geht nicht.

Sie sind also der Ansicht, daß nichts zu machen ist?

Nein, und ich möchte Ihnen empfehlen, sich keine weiteren Umstände zu machen. Sie werden Ihnen nur Enttäuschungen bringen. Lassen Sie Frau Bruhn ruhig ihre Zeit absitzen und lassen Sie sie in Gottes Namen bei dem Glauben, daß sie unschuldig verurteilt ist. Dies wird ihr eine Erleichterung gewähren. Wenn sie herauskommt, können Sie sie als den reinen Engel, für den Sie sie halten, betrachten. Sie wird dann in Ihrer und ihrer Tochter Gesellschaft und in einer unabhängigen Stellung bessere Tage verleben als die meisten von denjenigen, die eines geringeren Vergehens wegen im Gefängnis sitzen.

Der Oberst antwortete nicht.

Der Richter, der offenbar die Unterhaltung abbrechen wollte, sagte:

Ja, anderes kann ich Ihnen nicht antworten. Wenn Sie mich einmal in irgend einer Privatangelegenheit brauchen, werden Sie sehen, daß ich da, wo es sich um nichtamtliche Sachen handelt, weniger hartherzig bin.

Der Oberst empfahl sich mit einem kühlen Dank und im höchsten Grade verdrießlich. Frau Bruhns Richter gab ihm mit lächelnder Miene das Geleit.


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