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Wie eine Ahnung ging es durch das große Gefängnis. Der Frühling war gekommen. Der Drang nach Freiheit, der den Winter hindurch angekettet war, begann mit erneuter Kraft zu erwachen. Langsam arbeitete die Wärme der Luft sich von außen durch die Mauern und vergitterten Fenster, belebte die Zellen und nährte in den Gemütern der Sträflinge den Gedanken an Flucht und Begnadigung und tausenderlei Erlösungsmöglichkeiten.
Frau Bruhn saß still in ihrer Zelle. Auch in ihr hatten die leuchtenden Sonnenstrahlen und die langen Tage, welche die Zeit abzukürzen schienen, die schlummernde Sehnsucht nach der freien Natur erweckt.
Die Dämmerung begann hereinzubrechen. In dem großen Gefängnisse hörte man jetzt nur die gewöhnlichen Laute, die bekannten Töne, denen die Gefangenen keine Aufmerksamkeit schenken. Plötzlich erklangen aber schnelle Schritte, die sich in dem Gange bewegten, in dem Frau Bruhn saß. Sie machten vor ihrer Zelle Halt. Die Gefangene blickte erstaunt auf, denn ihrem Gefühle nach war die Stunde, in der der Wärter zu kommen pflegte, noch nicht da. Es mußte also etwas Ungewöhnliches im Gange sein, und im Gefängnisse wird das geringste Ereignis zur Begebenheit.
Der Schlüssel wurde umgedreht, und der Aufseher trat ein.
Folge mir! Der Herr Pastor will mit dir sprechen.
Der Herr Pastor! Frau Bruhn fühlte sich nach dem ersten Schreck beruhigt … Nein, er würde ihr nichts zuleide tun.
Sie schritten über den Gang die Treppe hinunter und standen vor einem kleinen Zimmer zur ebenen Erde. Der Aufseher klopfte, öffnete die Tür und ließ Frau Bruhn eintreten. Er selbst blieb draußen stehen.
Es war ein gemütlicher Raum mit zwei Regalen voller Bücher, christlichen Bildern an den Wänden und einem Schreibtisch mitten im Zimmer. Auf dem Tische stand eine niedrige Studierlampe mit grünem Schirm, die das Licht scharf in einem Kegel aussandte und die Stubenecken im Dunkel ließ. Die Gefangene, die geradeswegs aus ihrer kahlen Zelle hierher geführt wurde, fühlte ein eigentümliches Wohlbehagen in dieser Umgebung, und es wurde ihr so wunderbar weich ums Herz, daß sie dem Weinen nahe war. Es war wie ein Märchen, das ihr mitten in ihrer Einsamkeit erzählt wurde.
Tritt näher, sagte der Pastor und trat selbst aus dem Dunkel in den Lampenschein. Seine Stimme klang freundlich, und seine blauen Augen ruhten mit einem herzlichen Ausdruck auf ihr, der vielleicht gewohnheitsmäßig war, immerhin aber einen beruhigenden Einfluß auf diese armen, eingeschüchterten Wesen ausübte, von denen manches ihn wohl als einen zweiten Herrgott betrachtete.
Frau Bruhn trat näher, und der Geistliche deutete ihr mit einer Handbewegung an, daß sie sich auf einen Stuhl ihm gegenüber setzen möge, sodaß ihr Antlitz vom Lichte beschienen wurde.
Der Pastor räusperte sich einige Male, und Frau Bruhn beobachtete ihn gespannt.
Ich habe dir eine Mitteilung zu machen, begann der Geistliche, der nach den richtigen Worten suchte. Herr Oberst Moe hat sich an den Herrn Direktor gewandt und den Wunsch geäußert, daß ich dir die Nachricht überbringen möge.
Frau Bruhn zog unwillkürlich den Stuhl näher.
Dein Betragen in der Anstalt ist ja immer musterhaft gewesen, und ich habe dich an den Sonntagen während des Gottesdienstes beobachtet. Ich habe das Gefühl, daß ein fester Glaube dir die Kraft verleiht, die Tage der Prüfung zu bestehen. Gott gibt uns oft vielerlei gleichzeitig zu tragen und läßt das eine Unglück dem andern folgen. Du mußt dich darauf vorbereiten, daß du in deiner Einsamkeit einen neuen und schweren Kummer zu überwinden haben wirst und mußt Ihn aufsuchen, der, wenn ihr Ihn ruft, auch zu euch in eure Zelle kommt.
Frau Bruhn litt unter dieser tröstenden Einleitung, die deutlich ein neues Unglück verkündete.
Was ist geschehen? fragte sie.
Ein harter Schlag hat dich getroffen, der härteste, der eine Frau treffen kann.
Ist mein Mann tot? fragte Frau Bruhn fast ruhig.
Ja, dein Mann ist tot, wiederholte der Pastor. Frau Bruhn blieb mit starren Augen sitzen. Sie füllten sich aber nicht mit Tränen. Sie war von der Nachricht überwältigt, und die Einsamkeit hatte sie in der Aufnahme neuer Eindrücke langsam gemacht.
Der Geistliche verstand ihr Schweigen falsch. Er fühlte es als seine Pflicht, sie darauf aufmerksam zu machen, von welcher Bedeutung dieser Todesfall war, der scheinbar einen so geringen Eindruck auf sie ausübte.
Du hast dir wohl klar gemacht, daß du nicht ganz ohne Schuld an diesem Todesfälle bist. Hat auch der Herr die Zeit bestimmt, wann er seine Kinder zu sich rufen will, so gibt er doch dem einen Menschen Einfluß auf das Leben des andern und gestattet ihm, es durch Liebe zu verlängern oder durch Kummer zu verkürzen.
Frau Bruhn senkte den Blick, und in ihrem Innern wütete ein heftiger Kampf, aber aus ihren heißen, brennenden Augen, die mit einem seltenen Glanze vor sich hinstarrten, kamen immer noch keine Tränen.
Der Prediger begann von neuem, und er sprach mit Wärme und Innigkeit in der Stimme, als wollte er gerade ins Herz hinein reden und auf diese Weise den scheinbar so starren Sinn beugen.
Dein Mann ist von dem Tage deiner Verurteilung an vollständig zusammengebrochen. Er hat schwer unter der Schande gelitten, die du über seinen bis dahin makellosen Namen gebracht hast.
Frau Bruhn senkte den Kopf und schwieg. Obgleich diese erste Unterredung, die sie seit langer Zeit geführt hatte, ihr beinahe die Zunge gelöst und ihre so lange verborgen gehaltenen Gedanken verraten hätte, vermochte sie es doch, sich so lange zu beherrschen, als der Mund des Predigers nur Vorwürfe aussprach. Sie fühlte bei dieser ungerechten Anklage nur, daß ihr Martyrium wuchs, und mit aller Gewalt stritt sie gegen die Versuchung, sich selbst zu reinigen und ihre ganze Aufopferung dadurch illusorisch zu machen, daß sie die Schmach auf den zurückwarf, der jetzt mit Ehren von dieser Welt geschieden war und stumm in seinem Grabe ruhte. Der Pastor, der keine Ahnung von dem Kampf in ihrem Innern hatte, gab den Versuch, sie weich zu stimmen und zum Geständnis ihrer Reue zu bringen, nicht auf. Er fuhr deshalb in einem freundlicheren Tone fort:
Du mußt dein Herz nicht verschließen. Du darfst dir nicht, weil du vielleicht einen festen Glauben hast, einbilden, daß du besser als die anderen bist, die hier, von der irdischen Gerechtigkeit verurteilt, sitzen. Der Hochmut des Glaubens ist das schlimmste von allem. Du sollst auch wissen, daß die Langmut deines Mannes dein Gewissen noch weiter belastet hat. Seine letzten Worte, die er dir sandte, waren: »Sage ihr, daß ich ihr vergebe«.
Es war, als berste bei diesen Worten eine harte Schale um Frau Bruhns Herz. Sie hatte sich in die strafenden Worte finden können, die sie ihrem Gefühl nach nur hoben, ihre aristokratisch-stolze Denkungsart konnte und wollte aber keine sie demütigende Verzeihung hinnehmen. Nach langer Einsamkeit saß sie hier einem Manne gegenüber, von dem sie am wenigsten von allen für herzlos oder heuchlerisch gehalten sein wollte. Es überkam sie eine unbezwingliche Lust, sich in seinen Augen zu reinigen, einem einzigen Menschen gegenüber das Geheimnis zu verraten, das sie mit so großer Seelenstärke vor der Welt bewahrt hatte, und ein einzigesmal das Wort auszusprechen, das sie sich selbst hundertmal wiederholt hatte: Ich bin unschuldig!
Der lange zurückgedrängte Schmerz brach sich plötzlich Bahn, die Tränen rollten in dicken Tropfen an ihren Wangen nieder und gaben ihrer Seele Linderung. Der Pastor betrachtete sie fast mit Wohlgefallen.
Sie blickte durch einen Tränenschleier in sein gutmütiges Antlitz mit den milden, blauen Augen und fragte:
Wollen Sie das Geheimnis einer Gefangenen entgegennehmen und wollen Sie mir versprechen, daß Sie es als Ihr eigenes bewahren werden?
Das verspreche ich dir. Obgleich unser Glauben keine Beichte kennt, kannst du dich mir ruhig anvertrauen. Mein Amtsgelübde birgt dir dafür. Allerdings kann ich nichts verschweigen, was gegen mein Gewissen streitet.
Frau Bruhn atmete tief auf, und während es schien, als wälze sie eine schwere Last von sich, an der sie schon lange Zeit getragen hatte, sagte sie:
Ich habe den »Seehof« nicht angezündet.
Das hast du nicht getan? rief der Pastor erstaunt aus und blickte sie fest an. Er wußte nicht, ob er hier einem dieser garnicht seltenen Fälle gegenüberstand, daß ein vollständig geständiger Sträfling plötzlich seine Unschuld beteuert.
Du hast es nicht getan? Wer war es denn? Frau Bruhn überlegte lange, und es war, als tobe ein heftiger Kampf in ihrem Inneren. Dann sagte sie schließlich:
Er war es!
Der Pastor runzelte die Stirn und blickte sie streng an. Dieses Geständnis machte auf ihn einen häßlichen Eindruck.
Weißt du auch, was du sagst? Du, die die Erste sein sollte, die das Andenken ihres Mannes in Ehren hält, du schleuderst eine entehrende Anschuldigung gegen ihn, und hierzu bedienst du dich gerade des Augenblicks, in dem du erfährst, daß der Tod ihn für ewig stumm gemacht hat!
Ja, ich bedaure schon, daß ich so schwach war, einem Drange nachzugeben, dem ich Monate hindurch widerstanden habe. Ich habe eine größere Aufgabe auf mich genommen, als ich durchzuführen vermag. Heute mußte ich mich jemandem anvertrauen.
Sprichst du wirklich die Wahrheit, so sollst du es nicht bereuen, daß du nicht länger gegen die Lüge zu streiten vermagst, selbst wenn du den Weg in der besten Absicht gewandert bist. Ist es wahr, was du sagst, so kannst du dich mir ruhig anvertrauen, und ich werde dich trösten, und dir behilflich sein, deine schwere Last zu tragen. Es gibt keinen wirklichen Verdienst, keinen wirklichen Lohn ohne in der Wahrheit.
Das ist richtig, sagte Frau Bruhn ernst, und in ihrer Stimme lag eine überzeugende Kraft, die dem Prediger zeigte, daß er es wenigstens mit keiner Heuchlerin zu tun hatte. Die Einsamkeit ist aber doch imstande, das Gehirn der Gefangenen derartig zu verwirren, daß sie selbst an ihre eigene Unschuld glauben.
Erzähle mir alles, vom ersten Anfang an, sagte er freundlich. Er traute sich eine genügende psychologische Beobachtungsfähigkeit zu, um die Wahrheit des Berichtes, wenn er als gesammeltes Ganzes vorgetragen wurde, beurteilen zu können.
Frau Bruhn, die nach dem ersten schweren Geständnisse wieder vollständig Herr ihrer selbst war, sprach langsam und deutlich:
Schon lange ahnte ich, daß die Verhältnisse meines Mannes traurig waren, wie seine Sachen aber eigentlich standen, wußte ich nicht. Denn er sprach mit mir nie über geschäftliche Angelegenheiten.
An dem Tage, als das Feuer auf dem »Seehofe« ausbrach, ging ich am Nachmittage in die Rollkammer, in der das Feuer aller Wahrscheinlichkeit nach ausgekommen ist. Kurz vorher hatte ich meinen Mann in gleicher Richtung gehen sehen. Ich fand die Tür zu der Kammer offen, was mich in Erstaunen versetzte. Als ich dort eintrat, merkte ich einen starken, durchdringenden Geruch und suchte nach der Ursache desselben. Eine Petroleumflasche war zwischen den Steinen in der Rolle zerbrochen. Ich nahm an, daß einer der Leute die Flasche vielleicht oben auf die Rolle gestellt und dort umgeworfen habe. Während ich die Mädchen wegen dieser Unordnung zur Rede stellen wollte, schien es mir, als wenn sich oben auf dem Boden, zu dem eine kleine Stiege führte, etwas rühre. Ich fragte mehrere Male: »Ist dort jemand?« erhielt aber keine Antwort.
Mir wurde ganz unheimlich zu Mute. Ich verließ die Rollkammer, schloß die Tür hinter mir zu und wollte mit meinem Manne sprechen. Etwa eine Viertelstunde später kam Bruhn zurück. Er befand sich in stark nervöser und erregter Stimmung, und ich durfte ihm nicht erzählen, was ich gesehen hatte, da ich fürchtete, daß er den Leuten gegenüber zu heftig werden würde, was häufig, wenn er ärgerlich war, vorkam. Er sprach davon, daß er ausreiten und einen Brief besorgen wollte, und da ich inzwischen meine Angst vergessen hatte, ermunterte ich ihn hierzu. Er ging sofort auf meinen Vorschlag ein und hat auch im Verhör ausgesagt, daß ich ihm geraten habe, sein Pferd satteln zu lassen.
Einige Stunden später stand der ganze Hof in hellen Flammen. Die eben genannten Einzelheiten, die ich anfänglich gar nicht beachtet hatte, formten sich nun bei mir zu einem bestimmten Verdacht, daß Bruhn selbst das Feuer angelegt habe. Sein ganzes Benehmen vor und nach dem Brande bestärkte mich in meiner Ahnung. Er verdiente allerdings direkt bei dem Brande nur wenig, wir hatten aber aus besseren Zeiten und Erbschaften eine ganze Menge Kostbarkeiten, Silberzeug, Gemälde, ein bedeutendes Weinlager und vieles mehr, das Bruhn sonst niemals freihändig verkauft hätte. Das erhielten wir leidlich gut bezahlt, und mein Mann hatte, was für ihn die Hauptsache war, wenige Wochen nach dem Feuer eine nicht unbedeutende Summe baren Geldes in Händen. Ich merkte denn auch bald, daß unsere Verhältnisse sich besserten, und dies bestärkte gleichfalls meinen Verdacht und ließ ihn bis zur Gewißheit steigen, als ich erfuhr, daß der Richter auf Grund seines Verhörs Bruhn verhaftet hatte.
Einige Male im Laufe der Jahre hatte ich das Wort auf der Zunge, das eine Erklärung bringen sollte. Jedesmal fürchtete ich aber eine Aussprache, und die Wahrheit, die möglicherweise unser Zusammenleben für immer vernichtet und mich zur Mitschuldigen gemacht hätte, blieb verborgen.
Du hättest versuchen sollen, die Erkenntnis der Wahrheit zu erreichen. Das hätte vielleicht manches Mißverständnis gespart.
Ich durfte nicht. Ich war meiner Sache fast sicher, und als die Nachricht, daß die Untersuchungskommission geschickt werde, uns erreichte, wuchs meine Vermutung zur völligen Gewißheit, namentlich als ich merkte, daß auch meine Tochter instinktiv ihren Vater im Verdacht hatte.
Wie fürchterlich muß dieser Geist des Argwohns gewesen sein, der auf eurem Hause lastete und eure Gemüter gefangen hielt!
Ja, er war fürchterlich. Er kam aber erst dann zur vollen Entwickelung, als der Kriminalrichter sich in der Gegend zeigte.
Der Prediger sprach lange eindringlich mit der Gefangenen über diese Dinge, und er kam nach und nach zu dem Schlusse, daß er es mit einem ehrlichen Geständnisse zu tun hatte. Sein Ton Frau Bruhn gegenüber veränderte sich darauf unmerklich Schritt für Schritt, bis er sie schließlich mit »Sie« anredete.
Wie kamen Sie aber nur zu dem Entschluß, die Schuld auf sich zu wälzen? Einen so schicksalsschweren Gedanken faßt man doch nicht ohne gewichtige Gründe.
Die hatte ich auch.
Welches waren denn Ihre Gründe?
Erstens wußte ich, daß Bruhn, der ein sehr cholerisches Temperament besaß, eine längere Haft nicht ertragen hätte. Sie würde ihn im Laufe kurzer Zeit vollständig gebrochen haben. Jedesmal, wenn er einer Erkrankung wegen ans Bett oder nur ans Zimmer gefesselt war, gebärdete er sich so ungeduldig und so erregt, daß es nicht mit ihm auszuhalten war. Für mich hat die Einsamkeit nie etwas Abschreckendes gehabt. Im Gegenteil betrachtete ich es oft als eine Art Ruhe und Erholung, wenn die andern in Gesellschaft fuhren und ich allein zu Hause bleiben durfte. Ich wußte daher, daß ich die Strafe, die einer solchen Selbstanzeige folgte, überwinden würde.
Sie hatten aber noch andere Gründe, sagten Sie?
Ja, wenn Bruhn verurteilt worden wäre – und ich war davon überzeugt, daß ein Mann, wie der Kriminalrichter Thingstedt, ihn zu einem Geständnis gebracht hätte – so würde der »Seehof« gänzlich dem Verfall anheimfallen. Ich konnte allerdings meine Pflicht auf dem Hofe tun, von dem eigentlichen landwirtschaftlichen Betriebe hatte ich aber keine Ahnung. Der zweite Gedanke war, daß wir, wenn Bruhn der Täter war, wahrscheinlich die Versicherungssumme zurückzahlen mußten, und dieses dürfte trotz unserer heutigen, besseren Verhältnisse wohl sehr schwer werden.
Der Gedanke war moralisch jedenfalls strafbar.
Das weiß ich, und deshalb beklage ich mich auch nicht über meine Strafe.
Es war indessen nicht nur Bruhns, sondern in erster Linie meines Kindes wegen, daß ich die Schuld auf mich nahm, fuhr Frau Bruhn fort. Ich sah ein, daß mein Geständnis allen Schein der Wahrheit für sich hatte, da ich angeben konnte, wie das Feuer entstanden war. Da ein Mann wie der Kriminalrichter meiner Erklärung keinen Zweifel entgegensetzte, stieg meine Annahme zur festen Ueberzeugung, daß Bruhn selbst es gewesen war, der das Feuer angelegt hatte, denn ich hatte ja so weit wie möglich versucht, gerade dem Geständnisse vorzugreifen, das er ablegen würde. Hätte man ihn aber verurteilt, so wäre die Schande in noch höherem Grade über die Familie gekommen. Jetzt konnte er mit freier Stirn unsere Tochter in die Welt hinausführen. Er hatte einen guten Namen und war sehr beliebt; sobald die wirkliche Schuldige gefunden war, würde er überall mit doppelten Ehren empfangen werden und sein makelloser Name würde auf die Tochter übergehen, die dann auch freie Hände hatte, den Mann zu heiraten, den sie liebt und von dem sie geliebt wird. Sie kennen ihn. Er ist der Sohn des Obersten Moe.
Frau Bruhn sah nach dieser eingehenden Erklärung einen Augenblick schweigend da.
Der Pastor betrachtete sie aufmerksam. Die Energie dieser Frau imponierte ihm. Schließlich sagte er:
Es ist nicht die Aufgabe der Menschen, die Vorsehung zu spielen. Sie haben mit gewaltsamer Hand in den Gang der Begebenheiten eingegriffen. Wer weiß, wie der Allmächtige die Verhältnisse entwickelt hätte, wenn Sie alles in seine Hand gelegt hätten. Wir sind allesamt so kurzsichtig, und man irrt sich nur zu leicht, wenn man glaubt, daß man die Gedanken anderer durchschaut und ihre Herzen erforscht hat. Vielleicht haben Sie in Blindheit gehandelt, doch ich will Sie nicht verurteilen. Sicher ist es jetzt das Beste, daß Sie wieder mit Ihren Gedanken allein sind. Da ist so manches, worüber Sie sich noch klar werden müssen, und vergessen Sie in erster Linie nicht, sich alles dasjenige in Ihr Gedächtnis zurückzurufen, was zur Verteidigung des Mannes führen kann, den Sie jetzt anklagen. Denn es steht geschrieben: ›Richtet nicht, damit Ihr nicht gerichtet werdet‹, und weil man selbst von anderen abgeurteilt wird, hat man noch kein Recht über andere zu richten. Die Lüge ist eine gefährliche Waffe selbst im Dienste des Guten. Gehen Sie jetzt. Wir sprechen später weiter.
Der Geistliche klingelte, und der Aufseher trat ein.
Frau Bruhns Gefühle waren sehr gemischte, als sie den Rückweg in ihre Zelle antrat. Sie fühlte sich plötzlich gleichzeitig leichter und schwerer ums Herz.
In ihrem selbstsicheren Sinne waren Zweifel an der Echtheit ihres Märtyrertums erwacht.