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Dem Gutsbesitzer Bruhn wurden die beiden Stunden, die er im Gerichtsgebäude zubringen mußte, außerordentlich lang.
Bald dachte er an seine Familie, bald an Freunde und Bekannte, die sicher jetzt schon wußten, daß er verdächtig war, bald tauchte aber auch die Hoffnung in ihm auf, daß er vollständig gereinigt aus dem Verhör herausgehen würde.
Endlich erschien die Erlösung. Es kam ihm aber vor, als habe er den ganzen Tag auf dem Gerichte zugebracht, und dabei war die Uhr erst fünf. Als er den Gerichtssaal betrat und das Antlitz des Kriminalrichters betrachtete, fand er, daß dieses' noch finsterer als vorher dreinschaute.
Das Verhör nahm sofort seinen Anfang.
Sie waren also nicht zu Hause, als das Feuer ausbrach.
Nein!
Sie wissen ja, daß dies gewissermaßen ein Alibi ist. Sie wissen wohl aber auch, daß ein solches Alibi manchmal den Verdacht noch verschärfen kann?
Der Gutsbesitzer antwortete nicht. Die Worte des Kriminalrichters erschienen ihm mehr als ein Vorwurf.
Drei Stunden vor dem Brande ritten Sie fort. Der Brief, sagen Sie, eilte. Nicht wahr?
Wie ich bereits erwähnte, benutzt man auf dem Lande gern die Gelegenheit, um einige Meilen zu reiten. Die Bewegung tut gut, und ich reite als alter Kavallerist selbstredend leidenschaftlich.
Der Brief hatte also Eile.
Jawohl!
Sie sagten vorher, daß es sich in ihm um den Ankauf einer Mähmaschine handle.
Ja!
Es handelte sich aber um noch mehr.
So–o?
Ja – so–o–o! Es drehte sich auch um eine Kreditbewilligung.
Der Gutsbesitzer blickte mit einer Miene auf, als sei er im höchsten Grade erstaunt. Er antwortete aber nicht.
Der Kriminalrichter fuhr fort:
Ich habe durch einen Beamten Einsicht in Ihren Brief an den Kopenhagener Agenten der Woodschen Fabrik nehmen lassen und soeben telegraphisch einen Bescheid bekommen, der leider nicht zu Ihren Gunsten spricht und der mir nicht gestattet, Sie auf freien Fuß zu setzen. Es ist sehr traurig, daß Sie nicht die Wahrheit, wenigstens nicht die volle Wahrheit gesprochen haben. In dem Briefe, den Sie an den Agenten schrieben, war allerdings von dem Ankauf der Maschine die Rede, gleichzeitig baten Sie aber, wovon Sie hier trotz der Wichtigkeit dieser Tatsache nichts erwähnten, um Stundung des Betrags bis zum August, da Sie zu dieser Zeit sicher zahlen könnten. Mit welchem Gelde wollten Sie den Betrag bezahlen?
Ich kann hierauf nur dasselbe antworten, was ich schon einmal gesagt habe. Ich glaubte das Geld aus der Ernte zahlen zu können, und ich lebte nun einmal der Hoffnung, daß sich meine finanzielle Lage schließlich bessern würde.
Diese Ihre Hoffnung hatte aber gar keinen Halt. Richtig ist dagegen, daß Sie Ihre Schuld an den Woodschen Agenten zur festgesetzten Zeit beglichen. Es geschah aber mit dem Gelde, das Sie für den Brandschaden erhielten. Nicht wahr?
Ja, das ist richtig. Der Umstand aber, daß ich gerade dieses Geld dazu benutzte, kann mich doch unmöglich verdächtig machen.
Ja, das tut es sogar in sehr hohem Grade. Sie befanden sich in der Tat zu der Zeit, als Ihr Hof in Flammen aufging, in einer äußerst mißlichen Lage.
Eine tiefe Röte legte sich auf die Stirn des Gutsbesitzers. Es war aber schwer festzustellen, ob sie sich vom Aerger oder einer gewissen Selbsterkenntnis herschrieb.
Ich hing aber doch so sehr an dem alten Hofe, kam es undeutlich von seinen Lippen.
Offenbar kam Ihnen aber die Versicherungssumme, die Sie einzig und allein aus der drückenden Not erretten konnte, gleichfalls durchaus gelegen.
Der Gutsbesitzer antwortete nicht. Der Richter kam so oft zu Kommentaren, gegen die er als Angeklagter schwer etwas einwenden konnte.
Weshalb, fuhr der Richter fort, sagten Sie nicht schon früher, daß der Brief an den Agenten eine Bitte um Kreditbewilligung enthielt? Sie mußten sich doch klar machen, daß ich dem Inhalte des Briefes näher auf den Grund gehen würde. Glaubten Sie, daß ich mich mit einem kurzen Bescheide begnügen würde, mache ich den Eindruck auf Sie, daß ich ein Mann bin, der auf halbem Wege stehen bleibt?
Nein, antwortete der Gutsbesitzer, und in seinem Tone lag eine Bestätigung, die beinahe schmeichelhaft klang.
Nun ja, sagte der Richter etwas freundlicher und vertraulicher, weshalb sagten Sie dann nicht früher, wie die Sache zusammenhängt?
Herr Richter, der Brief fängt erst jetzt an, für mich eine Rolle zu spielen. Hätte ich meinen Hof angezündet und hätte ich diesen Brief für nicht ganz gleichgültig, sondern für gefährlich gehalten, so hätte ich mir seinen Inhalt sicher tief in mein Gedächtnis eingeprägt, sodaß er mir sofort wieder eingefallen wäre. So war mir der ganze Zusammenhang nicht mehr erinnerlich, und erst als ich vorhin mit meinen Gedanken allein war, fielen mir die Nebenumstände ein. Ich wollte sie Ihnen bereits mitteilen, als Sie selbst davon anfingen.
So so. Nun, da sehen wir doch, daß die Einsamkeit einen guten Einfluß auf Ihr Gedächtnis ausgeübt hat. Die Untersuchungshaft ist ja auch zum großen Teil dazu da, daß der Verhaftete die richtige Muße findet, um sich ausschließlich mit der vorliegenden Frage zu beschäftigen. Sie dürfen nicht glauben, daß sie in böser Absicht über sie verhängt wird. Sie allein kann Sie ganz von dem Verdachte reinigen und jede Möglichkeit abschneiden, daß etwaige sonstige Indizien durch Vermittelung der Angehörigen oder Gutsleute aus dem Wege geschafft werden.
Somit bin ich also verhaftet? fragte der Gutsbesitzer, und in seiner Stimme lag eine vollständige Ruhe.
Ja, das werden Sie.
Dann liegt meine Sache in Ihrer Hand, Herr Richter. Ich bitte Sie, alles aufzubieten, um Klarheit zu schaffen. Für mich gibt es jetzt nur eine Rettung, und sie besteht darin, daß Sie den wirklichen Schuldigen finden.
Bei den letzten Worten war der Gutsbesitzer stark erregt.
Sie bedürfen der Ruhe, um sich die ganze Sachlage und alle Einzelheiten gründlich zu überlegen! Damit klingelte der Kriminalrichter und übergab den Gutsbesitzer dem eintretenden Gerichtsdiener.
Gestatten Sie nicht, daß ich meine Familie benachrichtige? fragte der Gutsbesitzer.
Das werde ich besorgen! entgegnete der Richter.
Kann es nicht in schonenderer Weise geschehen?
Ich werde die nötige Rücksicht wahren.
Der Gutsbesitzer verließ in Begleitung des Dieners den Gerichtssaal. Sein Blick war feindlich, fast böse, seine Haltung aber gerade und sein Gang ruhig.
Der Diener, dessen Antlitz von Fett und Alkohol glühte, führte den Gutsbesitzer Bruhn die Treppe zu einer der Zellen im ersten Stockwerk hinauf. Der Rittmeister war oft im Amtsgericht gewesen, er kannte die Örtlichkeiten, es schien ihm aber, als sähen sie heute anders als sonst aus. Seine Augen waren starr, und er ging wie im Traum, während er dem Uniformierten folgte, dessen komische Seiten diesmal keinen Eindruck auf ihn machten. Dem Beamten wurde der Gang sichtbar schwer. Als ehemaliger Unteroffizier hatte er vor dem Rittmeister immer eine hohe Achtung gehabt und war fest davon überzeugt, daß der fremde Richter mit dieser Verhaftung einen Mißgriff machte.
Die Zelle war finster und schmutzig. Die Fenster waren vergittert, die Wände gekalkt, und die ganze Einrichtung bestand aus einem Tisch, einer Bank und einer gegen die Wand zusammengerollten Matratze.
Der Gutsbesitzer blickte im Raum umher und sagte:
Hier soll ich bleiben?
Der Diener antwortete mit einem Achselzucken; es war, als wolle er sich entschuldigen.
Glauben Sie nicht, daß es mir gestattet ist, einen Brief an den Oberst Moe zu schreiben und ihn zu bitten, daß er den Meinen Nachricht gibt?
Ein fast schmerzlicher Ausdruck wurde auf dem Antlitze des dicken, jovialen Dieners sichtbar. Es war, als fühle auch er sich von der Erniedrigung getroffen, die man dem Manne zuteil werden ließ, der in den Augen aller Kameraden so hoch gestanden hatte.
Ich kenne ihn ja auch nur wenig, sagte er unsicher.
Mit »ihn« meinte er immer den Kriminalrichter, den er selbst nun einmal nicht leiden konnte.
Würden Sie ihn nicht fragen?
Ich will es versuchen, sagte er.
Darauf verschwand er, nachdem er den Schlüssel im Schloß umgedreht hatte, sodaß ein heiserer, knackender Laut entstand, der dem Gutsbesitzer als ein Grabgesang bei der Bestattung seiner bis dahin makellosen Ehre erschien.
Der Verhaftete war mitten in der Zelle stehen geblieben. Er hatte Lust, auf den Markt hinauszuschauen, wo das Leben sich frei und ungebunden bewegte; er fürchtete aber, daß jemand ihn von unten sehen und erkennen könnte, obgleich er sehr wohl wußte, daß niemand die blassen Gesichter zu unterscheiden vermochte, die sich hinter den schmutzigen, vergitterten Fenstern zeigten.
Die Schrecken der Einsamkeit überfielen ihn, und er dachte mit Grauen daran, daß er vielleicht monate-, ja vielleicht jahrelang in dieser Verlassenheit leben sollte, in der die wenigen Minuten schon einen tiefen Eindruck auf ihn machten. Die verborgensten Gedanken seines Lebens tauchten in ihm auf und wuchsen zu riesengroßen Schreckensbildern mit vorgestreckten drohenden Händen. Selbstmordgedanken überfielen ihn, er wies sie aber sofort zurück. Seine Natur war zu gesund und zu stark, um zu unterliegen, und er setzte sich fast zufrieden auf die Bank mit dem Bewußtsein, daß er den ersten Angriff der Verzweiflung über sein Geschick überwunden hatte.
Inzwischen war der Diener wieder unten im Gerichtssaal angelangt und war stramm militärisch an der stehen geblieben.
Was wollen Sie? fragte der Kriminalrichter.
Der Herr Rittmeister läßt fragen, ob es ihm nicht gestattet sei, einige Worte an den Herrn Oberst Moe zu schreiben und den Herrn Oberst zu bitten, daß er die Herrschaften auf »Seehof« von der Verhaftung in Kenntnis setzt.
Nein, antwortete der Kriminalrichter, wie kommen Sie übrigens dazu, daß Sie sich zu derartigen Botendiensten hergeben?
Der Diener erklärte, daß er als alter Soldat die höchste Achtung vor dem Herrn Rittmeister habe.
Der Kriminalrichter wollte barsch antworten, besann sich aber doch plötzlich eines anderen und sagte:
Lassen Sie ihn schreiben. Man weiß nicht, wozu es gut ist.
Er reichte dem Diener Papier, ein Kuvert und einen Bleistift. Dieser nahm das ihm Uebergebene und verschwand damit aus dem Saale.
Eine halbe Stunde später erschien er wieder und überreichte dem Kriminalrichter den Brief. Dieser legte ihn neben sich und verabschiedete den Diener. Dann sagte er zu dem Protokollführer: Der Arrestant hat den Brief geschlossen, Er denkt wohl, daß ich ihn ungelesen aus den Händen gebe. Wer weiß, ob er sich in seiner Aufregung nicht vergaloppiert hat. Damit öffnete er den Brief vorsichtig mit einem Papiermesser und las:
»Lieber Freund!
Ein großes und ungeahntes Unglück hat mich betroffen. Du wirst es vielleicht schon erfahren haben. Ich bin wegen Verdachts der Brandstiftung verhaftet.
Habe die Güte und begib Dich möglichst schnell nach dem Seehof hinaus und teile meiner armen Frau und meiner Astrid das Geschehene so schonend wie möglich mit.
Ich lege die Zukunft in die Hand der Vorsehung. Mag kommen was da will, ich rechne auf Dich und Deine Freundschaft, und ich hoffe, daß Du für mich tun wirst, was in Deinen Kräften steht, und daß keinen Augenblick ein Zweifel an meiner Unschuld in Dir auftauchen wird.
Mit den herzlichsten Grüßen und in der festen Hoffnung, daß die entstandenen Mißverständnisse sich bald aufklären werden, bin ich Dein tiefgebeugter, treuergebener Freund
Alfred Bruhn.«
Der Kriminalrichter blieb einen Augenblick nachdenklich sitzen. Dann reichte er den Brief dem Referendar und ließ ihn den Inhalt lesen.
Ja, ja, sagte er, als dieser fertig war, was soll man davon halten? Haben wir es hier mit einem Heuchler oder einem ehrlichen Manne zu tun?
Ich glaube – mit einem ehrlichen Manne.
Mein Bester, sagte der Richter in familiärem Tone und lachte. Eine solche Auffassung macht Ihrem guten Herzen alle Ehre. Für einen Menschenkenner halte ich Sie aber nicht. Wäre es nach Ihnen gegangen, so hätten wir sie alle zusammen, auch selbst in den Fällen laufen lassen, wo das Belastungsmaterial erdrückend war. Zum Kriminalisten haben Sie kein besonderes Talent. Sie müssen zur Zivilabteilung zurück.
Dann schloß er den Brief und klingelte. Der Diener erschien und erhielt das Schreiben zur sofortigen Besorgung an den Adressaten. Darauf band der Kriminalrichter die Akten zusammen und sagte:
Es war ein anstrengender Tag. Es wird jetzt Zeit, daß man zu Tische kommt.
Darauf ging er.
Draußen wandte er sich zu seinem Protokollführer um und sagte:
Es tut mir leid, daß ich Sie heute noch einmal belästigen muß. Sie müssen aber diese Nacht um zwölf Uhr wiederkommen. Ich möchte dann noch einige der hartgesottenen Sünder vornehmen. Ein solches Nachtverhör hat schon manchem die Zunge gelöst.