Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
Ende Juni 1870 war die Untersuchungskommission in dem Distrikte eingetroffen, zu dem der »Seehof« gehörte, und hatte sich in der Kreisstadt niedergelassen, deren Behörden die hohen Herren aus der Hauptstadt mit saurer Miene empfingen.
Anfänglich hörte man von der Untersuchungskommission so gut wie gar nichts, und der erste Schreck verzog sich allmählich.
Der gefürchtete Kriminalrichter, den das Ministerium mit der Untersuchung beauftragt hatte, war ein Mann Ende der Vierziger. Er war groß, kräftig, mit einem angenehmen, fast gemütlichen Äußern. In der Stadt wußte er sich sehr beliebt zu machen. Er hatte bei den Kollegen und sonstigen Honoratioren Besuch gemacht und war ein gern gesehenes Mitglied der Gesellschaft geworden. Auf seinen vielen, langen Spaziergängen in der Umgegend kehrte er hier und da ein und unterhielt sich dann in der gemütlichsten Weise mit jedermann. Allmählich gewöhnten sich die Leute derartig an den Verkehr mit ihm, daß sie ihm offen und frei ihre Ansichten sagten und ihm das mitteilten, was er wissen wollte.
Eines Tages verbreitete sich plötzlich das Gerücht, daß mehrere Verhaftungen vorgenommen seien. Man erzählte sich, daß der Bauer Ola Hansen, dessen Gehöft im vorigen Frühjahr abgebrannt war, mitten in der Nacht aus dem Bette geholt und in die Stadt gebracht sei. Ebenso war es dem Schmied Peter Petersen ergangen, bei dem es vor mehr als fünf Jahren gebrannt hatte. Peter hatte im Kruge die Bekanntschaft eines fremden Seemanns gemacht, der eben aus China heimgekehrt war und die wunderbarsten Sachen von seinen Reisen zu erzählen wußte. Der Fremde hatte viel Geld bei sich gehabt und hatte ein Glas nach dem anderen kommen lassen, bis Peter redselig geworden war und sich ihm anvertraut hatte. Schon am frühen Morgen, als Peter seinen Rausch noch nicht ausgeschlafen hatte, waren die Gerichtsdiener aus der Stadt gekommen und hatten den nichts ahnenden Schmied verhaftet. Der Fremde soll gar kein Seemann, sondern ein Kopenhagener Kriminalbeamter gewesen sein.
Eine wunderbare Angst und Unruhe bemächtigte sich der ganzen Gegend. Alle diejenigen, bei denen es in den letzten zehn Jahren gebrannt hatte, fühlten sich unsicher. Keiner traute dem anderen, keiner wagte ein offenes Wort zu sprechen, und zahllose anonyme Verdächtigungen liefen bei der Kommission ein. Diese setzte aber ihre Arbeit fort. Der Kriminalrichter Thingsted war in rastloser Tätigkeit und es war seinem Eifer auch schon gelungen, einige Schuldige derartig zu überführen, daß sie ihrer gerechten Strafe nicht entgingen. Am Abend nach getaner Arbeit ging er in den Klub oder in Gesellschaft. Auch bei dem Oberst Moe, den er von früher kannte, hatte er Besuch gemacht, und dieser hatte ihn zu einem der kleinen Herrenmittage eingeladen, die der Oberst jährlich mehrmals veranstaltete.
Zu diesen ergingen immer elf Einladungen, sodaß die Gesellschaft mit Einschluß des Wirtes aus zwölf Personen oder drei vollzähligen L'hombre-Tischen bestand. Der Oberst besaß nämlich nur drei Spieltische mit den dazu gehörigen sechs silbernen Leuchtern. Der Rittmeister Bruhn durfte als ältester Freund des Kommandeurs in keiner Gesellschaft fehlen, die dieser veranstaltete, und so wurde er denn auch zu dem bevorstehenden Diner erwartet.
Der Oberst hatte seine alte Haushälterin in sein Arbeitszimmer gerufen und mit ihr die Speisekarte besprochen. Sie war schon im Begriff sich zu entfernen, als er beiläufig bemerkte, daß er den Kriminalrichter Thingsted eingeladen, und dieser zugesagt habe.
Was, den Herrn Kriminalrichter haben der Herr Oberst eingeladen?
Warum sollte ich ihn nicht einladen?
Ja – aber der Herr Gutsbesitzer Bruhn ist doch auch gebeten.
Nun, natürlich –
Ja – ich meine nur –
Was meinen Sie?
Ob es geht – er und der Herr Kriminalrichter zusammen.
Warum sollte es nicht gehen?
Es hat ja auch auf »Seehof« gebrannt, und –
Der Oberst warf ihr einen vernichtenden Blick zu, infolgedessen die alte Person vollständig die Fassung verlor und mit Tränen in den Augen davoneilte.
Als die Tür sich hinter ihr schloß, verschwand das Zornige im Gesichte des Obersten und machte einer tiefen Trauer Platz. Er mußte es sich gestehen, daß er, obgleich Bruhn sein bester Freund war, obgleich er persönlich auf seine Ehrenhaftigkeit geschworen hätte, einen Augenblick im Zweifel gewesen war, ob er ihn – seit Jahren zum ersten Mal – nicht einladen sollte. Daß der Rittmeister schuldig sein könne, daran dachte er natürlich nicht. Trotzdem! Es war nicht zu vermeiden, daß die Unterhaltung sich auch den vielen Brandschäden und der damit verbundenen Untersuchung bemächtigte, und da konnte leicht das eine oder andere Wort fallen, das den Freund verletzen mochte.
Einen Augenblick später wurde er noch ernster. Ein eigenartiger Gedanke packte ihn. Wenn seine Wirtschafterin, die das Pulver nicht erfunden hatte, schon solche Schlüsse zog, wieviel schlimmer würden schlechtere, rachsüchtige Menschen denken, und war der Verdacht erst geweckt, so war unter den obwaltenden Verhältnissen leicht zu fürchten, daß die Untersuchungskommission sich auch mit dem Brande auf »Seehof« beschäftigen und den Freund in eine häßliche, peinliche, sein Ansehen schädigende Untersuchung ziehen würde.
Er strich sich mit der Hand über die Stirn und richtete sich stramm auf. Pfui, sagte er zu sich selbst, woher kommen nur diese unschönen Gedanken. Bruhn ist Gast meines Hauses und er wird schon durch sein Auftreten jeden Verdacht, wenn ein solcher überhaupt besteht, mit Stumpf und Stiel ausrotten.
Er schrieb die Einladung und gab sie mit einem festen Blick seiner Haushälterin zur Weiterbesorgung. Sie nahm sie mit niedergeschlagenen Augen und ohne ein Wort zu sagen entgegen.
Als Gutsbesitzer Bruhn zur Mittagszeit auf »Seehof« die Einladung erhielt, hatte er schon in der Stadt mit dem Obersten darüber gesprochen. Er schnitt das Kuvert auf und legte es auf, seinen Schreibtisch. Seine Gattin fragte ihn, was der Brief enthalte.
Es ist nur eine Einladung von Moe, antwortete er. Er sagte mir bereits in der Stadt davon.
Du nimmst sie wohl an?
Ja – selbstredend!
Sagte er, wer sonst noch kommt?
Es sind sonst lauter alte Bekannte. Nur dieser – Thingsted, du weißt, der Kriminalrichter, ist auch gebeten.
Er fühlte selbst, daß etwas Gezwungenes, etwas Fremdes in demselben Augenblick in seine Stimme trat, indem er diesen Namen nannte, und das ärgerte ihn.
Frau Bruhn antwortete nicht. Sie saß lange schweigend da, und ihre wunderbaren suchenden Augen streiften im Zimmer umher. Hin und wieder öffnete sie den Mund, als wolle sie etwas sagen. Sie brachte aber keinen Ton hervor.
Endlich kam es heraus:
Mir schien es, Bruhn, als wenn du diese Nacht hustetest. Du solltest vorsichtig sein.
Die Bemerkung sollte unbeabsichtigt klingen, sie war hier aber so wenig am Platze, daß der Gutsbesitzer unwillkürlich seine Gattin anblickte, die gleichzeitig die Augen niederschlug, während die Blicke beider sich für einen Augenblick trafen, wie der Stahl den Feuerstein.
Inwiefern meinst du das? sagte er.
Ich meine, daß du dich auf dem Rückwege in der Nacht leicht erkälten kannst.
Glaubst du? antwortete er, und in seinem Tone lag ein beißender Spott. Du warst überhaupt, in letzter Zeit so auffallend besorgt um meine Gesundheit. Ängstige dich nur nicht.
Eine leichte Röte glitt über das Antlitz der Hausfrau, und sie räusperte sich wieder, als wolle sie etwas sagen. Sie fand aber die rechten Worte nicht, und so schwiegen beide. Ihre Augen, die sonst einen so scharfen, durchdringenden Glanz hatten, wurden feucht und mild; und ihr Blick ruhte fast liebkosend auf ihrem Mann, als wollte sie ihn ihres versteckten Verdachtes wegen um Verzeihung bitten. Die Sache, die das Herz beider bewegte und die sie jahrelang vergeblich bestrebt waren, in einem vertraulichen Augenblick miteinander in der Weise zu besprechen, daß keiner von ihnen verletzt wurde, wäre jetzt mit einem einzigen liebevollen Milden Worte zu erledigen gewesen.
Der Gutsbesitzer Bruhn hatte aber keine Gelegenheit gehabt das zu beobachten, was im Herzen seiner Gattin vor sich ging. Er war in seine eigenen Gedanken versunken, und als er sich plötzlich mit einer energischen Anstrengung von ihnen freimachte, erhob er sich mit einer ungeduldigen Bewegung und sagte:
Speisen wir nicht bald?
Frau Bruhns Augen wurden wieder ganz kalt und glanzlos. Sie stand gleichfalls auf, während sie in trockenem Tone sagte:
Es wird gleich angerichtet.
Astrid wurde zu Tisch gerufen, während der Mahlzeit herrschte aber eine unheimliche Stille. Weshalb nicht gesprochen wurde, wußte niemand, den Eltern fiel aber nichts ein, worüber sie sich hätten unterhalten können. Die Tochter merkte dies, und es war, als sei ihr die Kehle zugeschnürt.
Nach dem Mittagessen legte der Gutsbesitzer Bruhn sich auf das Sofa und zündete seine Pfeife an. Kurz darauf rief er:
Astrid, sollte die Mutter wohl Lust haben, ein Stündchen spazieren zu fahren?
Astrid ging und kam bald darauf mit dem Bescheide zurück: Mama dankt vielmal. Sie hat keine Zeit.
Darauf rauchte der Gutsbesitzer weiter. Dabei biß er aber fortwährend auf das Mundstück, ein klarer Beweis dafür, daß er tief nachdachte, und daß seine Gedanken ihn ärgerten.
Als er zum Diner in die Stadt fuhr, befand er sich in der allerbesten Laune. Er war so vergnügt, wie der alte Kutscher ihn nie gesehen hatte, und dieser hatte doch schon als junger Dragoner in seiner Schwadron gedient. Der Gutsbesitzer hatte sich aber auch vorgenommen, das Haus seines Freundes in der heitersten Stimmung zu betreten.
Je übermütiger er aber wurde, desto mehr schien es ihm, als wenn eine unbestimmte, drohende Gefahr sich ihm nähere und sich auftürme, um in nicht gar zu ferner Zeit über ihn hereinzubrechen und ihn zu zerschmettern.
Dieses Gefühl wurde er auch während des ganzen Abends nicht los. Es wollte ihm scheinen, als seien alle so besonders rücksichtsvoll zu ihren als ruhten die Augen der alten Freunde so teilnehmend auf ihm, als wollten sie jeden Augenblick sprechen und ihn ihres Mitleids versichern. Am liebsten hätte er selbst das Wort ergriffen und das Mißliche seiner gegenwärtigen Lage auseinandergesetzt. Damit hätte er aber vielleicht den Kriminalrichter gekränkt und die im übrigen muntere Stimmung verdorben. Das durfte er seinem liebenswürdigen Wirte nicht zuleide tun. Als dieser ihm in später Stunde das Geleit zum Wagen gab und ihm zum Abschiede die Hand reichte, wollte es ihm scheinen als läge in dem langen, festen Händedruck des Freundes ein Wohlwollen, das ihm gerade in diesem Augenblicke peinlich und störend war.
Auf dem Wege zum »Seehof« lehnte er sich im Wagen zurück und rauchte seine Havanna. Der Tabak wollte ihm aber nicht munden, und wenn er jetzt an den verlebten Abend zurückdachte, der ihm wie im Traum erschien, machte er es sich klar, daß er außer den gewöhnlichen Höflichkeitsformeln kein einziges Wort mit dem Kriminalrichter gewechselt hatte. Die übrigen Gäste hatten es verstanden, sie auseinander zu halten, indem sie die Aufmerksamkeit des einen oder anderen von ihnen in Anspruch nahmen. Ein inneres Gefühl sagte ihm, daß dies absichtlich geschehen war.
Sollte wirklich ein Verdacht auf ihm ruhen?
Der Gedanke brachte ihn außer Fassung. In seiner heftigen Erregung riß er das Wagenfenster so kräftig nieder, daß es in tausend Stücke zersplitterte. Es kümmerte ihn dies aber nicht, er sehnte sich nach der frischen, kühlenden Luft und steckte seinen heißen, fiebernden Kopf in den dichten, feinen Sommerregen hinaus.
Während der darauffolgenden Tage war er zugeknöpfter und wortkarger als sonst, und infolge davon ruhte eine stille, gedrückte Stimmung auf dem ganzen Hofe, schwerer und unheilverkündender, als je zuvor an dieser Stelle, wo niemand die Macht, die Fähigkeit und das Verständnis hatte, ein erlösendes Wort zu sprechen.
Inzwischen erfuhr man, daß der Kriminalrichter fortwährend neue Verhaftungen vornehmen ließ. Jedesmal, wenn dies geschah, hatte der Gutsbesitzer das Gefühl, als sähen die Leute ihn jetzt anders als sonst an, und als sprächen sie in einem ganz anderen, vorsichtigeren Tone, der verborgene Gedanken in sich barg. Bei einzelnen schien er sogar eine gewisse Schadenfreude zu spüren. So schärft der Argwohn das gegenseitige Beobachtungsvermögen und bringt es oft auf dunkle, krumme, geheimnisvolle Wege.
Am ersten September kam der Gutsherr müde vom Felde heim, wo die Leute mit dem Pflügen und Säen beschäftigt waren. Das Wetter war frisch und angenehm. Er war den ganzen Vormittag auf den Beinen gewesen und freute sich auf das Mittagessen. Nach Tische wollte er sich hinlegen und ein Stündchen schlummern.
Während er die steinerne Treppe hinaufschritt, trällerte er eine lustige Melodie vor sich hin. Draußen im Gange, in dem Schränke, Tische, Schirmständer und allerlei andere Gegenstände umherstanden, entledigte er sich der hohen Feldstiefel und zog ein Paar leichte Hausschuhe an. Dann begab er sich in sein Arbeitszimmer. Auf dem Schreibtische lag die Zeitung. Er ließ sie einstweilen liegen. Zum Lesen war er zu müde und deshalb warf er sich auf sein Chaiselongue.
Etwas später hörte er Schritte auf der Treppe, die nach oben führte. Er kannte die Schritte.
Astrid! rief er und wiederholte den Ruf, da sie ihn scheinbar nicht gehört hatte. Die Schritte kehrten um und kamen wieder die Treppe herunter. Kurz darauf trat Astrid ein.
Der Vater nickte ihr freundlich zu.
Wünschest du etwas, Vater?
Ach, bitte, sieh einmal nach, ob etwas Wichtiges in der Zeitung steht.
Astrid nahm das Blatt auf und sah es durch. Dabei hielt sie die Zeitung in die Höhe, um ihr Gesicht zu verbergen, das sich plötzlich mit einer starken Röte bedeckte.
Nein, Vater, es ist nichts darin, was dich interessieren könnte, sagte sie schnell und erhob sich. Ich habe auch so wenig Zeit. Mama erwartet mich in der Küche. Ich soll ihr helfen.
Damit verschwand das junge Mädchen lautlos aus der Tür.
Der Vater blieb noch einige Augenblicke liegen und blickte ihr nach. Dann versuchte er von seinem Platze aus die Zeitung zu fassen. Anfänglich glückte es ihm nicht. Schließlich erwischte er aber eine herunterhängende Ecke, und zog so die ganze Zeitung über den Fußboden zu sich heran.
Die Tochter schien recht zu haben. Auf den beiden ersten Seiten war nichts von Belang. Auf der dritten wurde aber plötzlich seine Aufmerksamkeit gefesselt. Er richtete sich im Sofa auf und las jetzt Zeile für Zeile, während er die Stirn runzelte und ein ärgerlicher, halb verächtlicher Zug um seinen Mund spielte.
Es war ein gegen die Tätigkeit der Untersuchungskommission gerichteter Artikel. Er war in vagen, vorsichtigen Worten gehalten, sagte aber doch gerade heraus, daß es allgemein auffalle, wie die Tätigkeit des Herrn Kriminalrichters sich scheinbar nur gegen den kleinen Mann, aber nicht gegen die Mitglieder höherer Stände richte. Am Schlusse forderte der Einsender »Gleiches Recht für alle«.
Obgleich Bruhn sich nicht verhehlen konnte, daß der Artikel in gewisser Weise berechtigt war, so faßte er diese Worte doch als eine direkte Beschuldigung auf. Sein Antlitz wurde purpurrot, und er wollte schon zur Feder greifen, um eine Gegenerklärung niederzuschreiben. Indessen besann er sich eines andern und wurde ruhiger. Doch war er während der ganzen Mahlzeit in der allerschlechtesten Laune.
Als sie noch bei Tische saßen, trat das Dienstmädchen ein und meldete den Dorfschulzen, der den Herrn sprechen wollte. Er habe erklärt, daß er nicht eintreten möge, da seine Stiefel schmutzig seien. Der Gutsbesitzer ging hinaus, um nach seinem Anliegen zu fragen. Bei der Begrüßung wollte es ihm scheinen, als verstecke sich in den Augen des Bauern eine gewisse Schadenfreude, als dieser ihm ein großes amtliches Schreiben überreichte.
Der Gutsbesitzer entfaltete es. Der Brief enthielt eine Vorladung vor die Untersuchungskommission für den nächsten Tag. Bruhn verlor keinen Augenblick seine Fassung. Er war schon längst darauf vorbereitet, daß sich der Kriminalrichter auch mit seinem Falle beschäftigen würde. Und der Schulze sollte der Gemeinde nicht erzählen können, daß er, der alte Soldat, sich fürchte. Ins Speisezimmer mochte er aber nicht zurückkehren. Seine bisherige Müdigkeit war wie weggeblasen. Er mußte wieder in die freie Luft hinaus und sich dort ordentlich auslaufen.
Schnell zog er seine langen Feldstiefel an, griff nach Hut und Stock und trabte auf das Feld hinaus. Auf dem Hofe wußten aber alle, weshalb der Dorfschulze bei dem Gutsherrn gewesen war. Man frischte wieder alte Erinnerungen auf und erneuerte die alten Vermutungen. Aus den Scheunen und Ställen drangen die Verdächtigungen zu den Mädchen in die Küche, und im Speisezimmer saßen die Hausfrau und Astrid beim Kaffee und konnten nicht begreifen, weshalb der Gatte und Vater nicht zurückkehrte.
Erst spät am Abend fand dieser sich wieder ein. Sein Antlitz war ruhig, seine Haltung frei und seine Stimme fest. Er küßte Astrid, bevor sie sich auf ihr Zimmer begab, und während er ihr in die Augen sah, als wolle er etwas darin lesen, strich er ihr mit der Hand über das weiche, krause Stirnhaar.
Dann begab er sich in sein Schlafzimmer und legte sich sofort zur Ruhe. Einige Augenblicke später hörte seine Gattin ihn fest und ruhig schlafen, während sie selbst ganz still, ohne sich zu rühren, dalag und leer in das Dunkel hinausschaute, das ihr Auge nicht zu durchdringen vermochte.