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Zehntes Kapitel.

Am folgenden Tage sandte der Kriminalrichter einen Kriminalbeamten nach dem »Seehof« hinaus. Dieser vernahm die Gutsleute, die nicht daran glauben wollten, daß die gnädige Frau den Hof angesteckt hatte. Je mehr sie aber darüber nachdachten, desto klarer wurde ihnen, daß die stille Frau immer so etwas Eigenartiges an sich gehabt habe, daß man wohl an ihr zweifeln konnte.

Einige der Leute meinten auch, sich zu erinnern, daß sie mehrere Stunden vor dem Ausbruch des Feuers die Frau Rittmeister in der Nähe der Rollkammer gesehen hätten. Keinem war dies aber besonders aufgefallen. Daß das Feuer dort entstanden sei, schien allen zweifellos zu sein. Auch wußten sie, daß in der Rollkammer Petroleum aufbewahrt wurde und daß oben auf dem Boden viel altes brennbares Material gelegen hatte.

Der Kriminalbeamte kehrte denn auch mit dem Bescheid zurück, daß Frau Bruhns Geständnis ohne Frage der Wahrheit entspräche.

Inzwischen hatte der Richter Oberst Moe bitten lassen. Der alte Soldat erschien in kühler, strammer Haltung. Sein Herz war nicht ganz frei von Bitterkeit dem Manne gegenüber, der so vielen Kummer über das Haus seines besten Freundes gebracht hatte.

Der Kriminalrichter empfing ihn mit ausgesuchter Höflichkeit und in bester Laune. Von dem Polizeimann war keine Spur zurückgeblieben. Er bat den Obersten Platz zu nehmen, setzte sich selbst ihm gegenüber, sodaß nur die Schranke sie trennte, und leitete das Gespräch damit ein, daß er den alten Militär fragte, ob er Nachricht von seinem Sohne habe.

Nein! Er habe lange nichts von ihm gehört.

Nach der ziemlich kurzen Antwort entstand eine kleine Pause.

Darauf fragte der Kriminalrichter plötzlich:

Nun, was sagen Sie zu der Geschichte?

Geschichte! wiederholte der Oberst, den der leichte Ausdruck für die ihn so nahegehende, unendlich traurige Angelegenheit verdroß.

Ich meine die Bruhnsche Sache. Sie sind ja ein langjähriger Bekannter der Familie, und meiner Ansicht nach dürfte es auch im Interesse Ihrer Freunde liegen, wenn ich einmal Ihre Ansicht höre.

Meiner Ansicht nach ist Rittmeister Bruhn über jeden Verdacht erhaben.

Der Täter ist er wohl nicht. Der Meinung bin ich auch. Trotzdem ist meine Pflicht, zu untersuchen, ob hier nicht gemeinschaftlich nach einem wohl überlegten Plane gehandelt wurde, wenngleich ich auch dieses nicht annehme.

Ein Ausdruck des Unwillens zog über das Gesicht des Obersten. Der Kriminalrichter merkte es und sagte lächelnd:

Meine Tätigkeit scheint Ihnen nicht zu gefallen.

Nein, antwortete der Oberst bestimmt.

Da sind Sie, Herr Oberst, nicht der einzige. Auf Anerkennung darf man in meiner Stellung auch nicht rechnen.

Gegen Ihre Stellung habe ich gar nichts. Nur die Art, wie Sie Ihres Amtes walten, gefällt mir nicht.

Ich tue nur meine Pflicht.

Vielleicht. Es kommt mir aber vor, als wenn Sie sie als eine Art Sport betrachten, als wenn Sie sich jedesmal freuen, wenn Sie eine Spur gefunden haben.

Jeder Mensch hat in seiner Wirksamkeit einen größeren oder kleineren Kreis, in dem er ohne Rücksicht nur dem Ziel, d. h. demjenigen nachgeht, was er seine Aufgabe nennt, und hieraus entsteht eine gewisse Standesmoral. Der Rechtsanwalt verteidigt seinen Klienten auch in dem Falle, wenn er ihn für schuldig hält, der Journalist führt seine Angriffe auch dann, wenn er weiß, daß sie schmerzen, und ein alter Soldat, wie Sie, tritt unter die Fahne und richtet seine Waffe gegen ihm vollständig fremde Mitmenschen ohne Rücksicht darauf, daß er in Hunderte von Familien Unglück und Trauer trägt. Nur durch diese Schlußfolgerung bei jedem Einzelnen in der Ausführung seiner Aufgabe, sowohl bei den Angreifern, wie bei den Angegriffenen, bei den Klägern wie bei den Verteidigern, kommt das richtige Gleichgewicht heraus.

Der Richter blickte den alten Oberst fast triumphierend an, während dieser, der mehr mit dem Herzen als mit dem Verstände an dieser Stelle war, vergeblich nach einer geeigneten Erwiderung suchte. Sein Gefühl trieb ihn aber zu einem neuen Vorwurf.

Meiner Ansicht nach leidet aber das Rechtsbewußtsein mehr, wenn ein Unschuldiger bestraft wird, als wenn zehn Schuldige frei ausgehen. Ich halte es für unrichtig, wenn man, um dem Gesetze Achtung zu verschaffen, mit Netzen durch das Land zieht, deren Maschen so eng gezogen sind, daß außer den wirklich Schuldigen auch noch solche Leute ins Elend gebracht werden, die nur ein ganz loser Verdacht trifft.

Kommen wir zur Sache, sagte der Kriminalrichter, der einsah, daß er auf diese Weise nicht zum Ziele kam, wie denken Sie also über Herrn und Frau Bruhn?

Daß er unschuldig ist, halte ich für durchaus sicher. Habe ich ihn auch nur einen Augenblick im Verdacht gehabt, so leiste ich ihm im Herzen Abbitte.

Es freut mich, daß Sie so über den Herrn denken. Wie steht es aber mit der Frau?

Sie kenne ich schon aus meiner ersten Leutnantszeit. Damals schwärmte ich für sie.

So so, Herr Oberst! Dann sind Sie ja in diesem Falle kein ganz einwandsfreier Zeuge, scherzte der Kriminalrichter.

Mag sein, meinte der Oberst mit einem schwachen Lächeln, das aber gleich wieder verschwand. Ich kann es indessen nicht glauben, daß sie wirklich die Täterin ist.

Sie hat es ja selbst gestanden, sich selbst der Gerechtigkeit überliefert.

Ja, das hat sie allerdings getan. Halten Sie es aber nicht für möglich, daß sie an Pyromanie leidet? Ihre Augen sind mir immer so eigentümlich, zeitweise fast unheimlich vorgekommen:

Der Richter blickte den Oberst an und sagte:

Das habe ich auch bemerkt. Jedenfalls werde ich diesen Punkt in Erwägung ziehen, antwortete er, schon um dem Obersten, der sichtlich bewegt war, Trost zu spenden.

Vielen Dank! sagte der Oberst, während er sich erhob.

Jetzt will ich Sie nicht länger aufhalten, entgegnete der Kriminalrichter, der gleichfalls aufgestanden war. Entschuldigen Sie die Umstände, die ich Ihnen verursacht habe, Herr Oberst.

Damit folgte der Richter dem alten Militär bis an die Tür und verabschiedete sich dort von ihm.

Darauf wurde Frau Bruhn aus der Untersuchungshaft vorgeführt. Sie wiederholte ihr Geständnis Punkt für Punkt. Und da aus dem Verhör auch kein einziger Verdachtsmoment dafür herauskam, daß sie in Uebereinstimmung mit ihrem Manne gehandelt hatte, wurde sie bald wieder entlassen und der Gutsbesitzer, Rittmeister Bruhn, heruntergeholt.

Die kurze Haft hatte ihn schon stark mitgenommen. Sein Wesen war still, sein Blick scheu und von der sicheren Haltung, mit der er nach seinem letzten Verhör den Saal verlassen hatte, war nur noch wenig zurückgeblieben. Sein starkes Temperament vertrug die Einsamkeit nicht, an die seine Gattin sich so leicht gewöhnt hatte.

Der Rittmeister erwartete offenbar eine Reihe neuer Fragen, eine Reihe neuer Vorwürfe und Verdächtigungen, und er hatte sich vorgenommen, alles ruhig über sich ergehen zu lassen.

Desto erstaunter war er, als der Kriminalrichter ihm mit größter Liebenswürdigkeit entgegentrat.

Erinnern Sie sich, daß ich Ihnen im ersten Verhör sagte: Ihre Verhaftung ist das beste Mittel, um Ihre Unschuld an den Tag zu bringen?

Jawohl, sagte der Rittmeister unsicher. Eine unbestimmte Hoffnung begann in seinem Gesichte aufzuleuchten.

Ihre Unschuld ist bewiesen!

Der Gutsbesitzer sank überwältigt auf die Bank nieder.

Sie ist bewiesen!

Ja!

Aber wodurch? Haben Sie den Schuldigen gefunden?

Es ist ja nicht nötig, daß ein Schuldiger da ist.

Nein, das ist nicht nötig. Der Verdacht wird also auch ferner auf mir sitzen bleiben?

Nein, wie ich Ihnen sage. Sie werden vollständig gereinigt aus diesem Saal hervorgehen. Wie, werde ich Ihnen später sagen, augenblicklich kann ich Ihnen den Zusammenhang nicht näher erklären.

Es herrscht also kein weiterer Verdacht gegen mich?

Nein.

Der Gutsbesitzer Bruhn erhob sich. Sein Blick leuchtete, und die Röte schoß in seine bleichen Wangen. In seiner Stimme lag ein überströmendes Wohlwollen, und sein Herz klopfte, als wollte es vor Glück zerspringen.

Danke, sagte er, danke, und verzeihen Sie, wenn ich in dem Glauben, daß Sie mir Unrecht tun wollten, irgendwie hart gewesen bin. Ich begreife es jetzt, daß Sie, der Sie mich nicht kannten, mir anfänglich mißtrauten. In der Tat sprach ja der Schein gegen mich. Seien Sie überzeugt, daß ich Ihnen nichts nachtrage.

Der Gutsbesitzer Bruhn trat an die Schranke und streckte seine Hand aus.

Nehmen Sie meine Hand. Nie zuvor war ich so glücklich. Ich durfte ja nicht hoffen, daß das Mißverständnis, so schnell aufgeklärt würde, und ich bin überzeugt, daß ich dies in erster Linie Ihrer unermüdlichen Arbeit zu verdanken habe.

Der Kriminalrichter hatte sich schon etwas von der Schranke entfernt und dem Gutsbesitzer halb den Rücken zugekehrt.

Allem Anschein nach hatten die Worte einen großen Eindruck auf ihn gemacht, er tat aber, als beachtete er die hingestreckte Hand nicht, und deshalb zog der Gutsbesitzer sie nach kurzem Stutzen wieder zurück.

Sie sind frei, sagte der Richter kurz.

Der Gutsbesitzer starrte ihn einen Augenblick an.

Danke, sagte er darauf ebenso kurz und verließ den Gerichtssaal. Diesmal grüßte der dicke Gerichtsdiener ihn mit sichtlicher Freude.

Der Gutsbesitzer begab sich graden Wegs zum Kaufmann. Die Bekannten, die ihn trafen, grüßten ihn mit tiefer Ehrerbietung, die deutlich zeigte, daß er ein Mann war, der sich vollauf die bürgerliche Achtung wieder erobert hatte. In ihrem Wesen lag aber trotzdem etwas, das auf ein gewisses, ihm unverständliches Beileid schließen ließ.

Als er auf dem weiten Hofplatze des Kaufmanns anlangte, sah er, daß sein Korbwagen noch in der Remise stand. Dies machte ihn förmlich glücklich. Man war also von seiner Unschuld im voraus überzeugt gewesen und hatte geglaubt, daß er in kurzem wieder auf freien Fuß gesetzt würde. Sonst hätte man den Wagen doch nach Hause geschickt.

Er ahnte nicht, daß der Wagen eine andere hierher gebracht, die er zwei lange Tage vergeblich erwartet hatte.

Der Stallknecht, der aus seiner Kammer trat, war ganz starr, als er des Gutsbesitzers ansichtig wurde. Er hatte auf die gnädige Frau gewartet. Indessen sagte er nichts, sondern fragte nur, ob er anspannen solle.

Natürlich, erklärte der Rittmeister munter, ohne auf die Verlegenheit des Knechtes zu achten. Meinst du nicht, daß ich schon lange genug fortgewesen bin?

Ja-a! sagte der Knecht, der nicht weiter zu fragen wagte.

Der Rittmeister gab dem Knechte einen Taler Trinkgeld und sprang in den Wagen, während der Knecht ihm die Zügel reichte und ehrerbietig die Mütze zog. In dem Augenblick, als das Fuhrwerk aus dem Hofe rasselte, erschien der Kaufmann in der Ladentür. Als er den Rittmeister sah, verbeugte er sich, mit der Hand grüßend, und erhielt als Gegengruß ein munteres Winken mit der Peitsche.

Das Pferd, das merkte, daß es nach Hause ging, setzte sich in scharfen Trab, und der Wagen jagte mit lautem Gepolter über das holperige Straßenpflaster am Amtsgericht vorbei, hinaus auf die weiche Landstraße.

Der Gutsbesitzer ließ das Pferd ruhig laufen und lehnte sich selbst gemütlich im Wagen zurück. Dann zog er sein großes Zigarrenfutteral heraus, das man ihm bei seiner Freilassung mit den anderen ihm abgenommenen Gegenständen wieder ausgeliefert hatte, und zündete eine Zigarre an. Es schien ihm, als sei seit dem letzten Male eine Ewigkeit vergangen, daß er sich den Genuß von Tabak gestattet hatte, und tritt vollen Zügen sog er ihn zusammen mit der frischen Luft ein.

Die Freiheit ist doch das Beste, was der Mensch besitzt, und man schätzt sie erst, wenn man auch nur kurze Zeit ohne sie gelebt hat.

Der Gutsbesitzer Bruhn fuhr die Allee hinauf, die nach dem Seehofe führte. Als der Wagen in den Hof einschwenkte, gab es einen allgemeinen Aufstand. Man hörte Türen auf- und zuschlagen und sah überall an den Fenstern die Köpfe der neugierigen Bewohner. Der Stallknecht nahm schweigend die Zügel entgegen und grüßte mit einem verlegenen Seitenblick. Der Gutsbesitzer beachtete dies nicht weiter. Er sprang aus dem Wagen und eilte die große steinerne Treppe hinauf. Kaum hatte er die oberste Stufe erreicht, als die Tür sich öffnete und Astrid heraustrat. Sie war blaß und sah sehr angegriffen aus. Ihre Augen ruhten fragend und suchend auf ihm.

Er nahm ihren Kopf zwischen seine Hände und küßte sie auf die Stirn.

Mein liebes, gesegnetes Kind, es muß eine harte Probezeit für dich gewesen sein, jetzt ist aber alles wieder gut; besser, als es je vorher war. Der häßliche Verdacht, der auf uns geruht hat, ist jetzt ganz entfernt, und er wird sich nie wieder gegen uns erheben.

Astrid brach bei den Worten des Vaters in ein krampfhaftes Schluchzen aus und eilte vor ihm in das Innere des Hauses.

Nun, nun, mein Kind, wein' dich nur aus. Die Tränen werden dein Herz erleichtern. Ich verstehe es sehr wohl, daß deine Gefühle dich überwältigen und daß du ihnen Luft machen mußt.

Astrid blieb mit den Händen vor dem Gesichte stehen.

Wo ist deine Mutter? fragte der Gutsbesitzer, während er seinen Mantel ablegte und ihn an den Riegel hing.

Astrid antwortete nicht.

Der Gutsbesitzer blickte empor. Eine fürchterliche Ahnung bemächtigte sich seiner und machte seinen ganzen Körper erstarren.

Wo ist deine Mutter? wiederholte er und griff nach der Hand der Tochter.

Es kam immer noch keine Antwort.

Ist sie krank? Ist was geschehen? So antworte mir – im Namen des Himmels. Sie ist doch nicht tot?

Astrid warf sich an die Brust des Vaters, während sie laut schluchzte, als müsse ihr das Herz zerspringen.

Die grenzenlose Erregung der Tochter gab dem Gutsbesitzer seine alte Ruhe und Bestimmtheit wieder, und der ehemalige Offizier sagte in befehlendem Tone:

Astrid, ich verlange von dir, daß du meine Frage beantwortest.

Die Tochter blickte mit roten, verweinten Augen auf, und während sie mit aller Gewalt die Tränen zurückhielt, sagte sie kaum hörbar:

Die Mutter hat es getan.

Die Knie wankten unter dem vielgeprüften Manne, er sagte aber kein Wort. Entsetzt starrte er vor sich hin und sank schlaff auf einem im Flure stehenden Gartenstuhl nieder. Sprachlos, von der fürchterlichen Botschaft der Worte überwältigt, blieb er sitzen. Er wagte nicht zu fragen, und vor ihm kniete Astrid mit den Händen vor den Augen, den Kopf in seinen Schoß versteckt, und schluchzte in unsagbarem Schmerz.


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