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Am 23. Mai 1866 brannten das Herrenhaus und die Wirtschaftsgebäude des »Seehof« gänzlich nieder.
Drei Stunden vor Ausbruch des Feuers hatte der Besitzer, Rittmeister Bruhn, sein Reitpferd satteln lassen. Als er fortritt, war die Uhr halb neun. Vorher war er den ganzen Tag überall auf dem Hofe, in Scheunen und Ställen und den übrigen Wirtschaftsgebäuden tätig gewesen.
Bevor er in den Sattel stieg, steckte er einen Brief in die innere Tasche des Reitjacketts, sprach mit dem Stallknechte und sagte, daß der Brief eile und daß er ihn persönlich zur Post befördern wolle.
Ungefähr vier Stunden später kehrte der Gutsbesitzer zurück, sein Pferd war in Schweiß gebadet, er hatte dem Tier derartig die Sporen gegeben, daß das Blut förmlich herausquoll.
Der Hof stand in lichten Flammen. Der Reiter galoppierte zwischen den alten rasselnden Spritzen und Wassereimerschlitten hindurch, sprang atemlos vom Pferde und teilte seine Befehle nach rechts und links aus. Das Feuer hatte sich bereits bis zum Wohnhause ausgedehnt, dessen Dach in hellen Flammen stand, und sandte mächtige knitternde Feuergarben in die dunkle Sommernacht hinaus.
Die erste Frage des Gutsherrn war, ob irgend ein lebendes Wesen in Gefahr sei. Der Inspektor berichtete, daß die gnädige Frau und das Fräulein Tochter noch rechtzeitig aus ihren Betten und, wenn auch notdürftig bekleidet, in Sicherheit gebracht worden seien. Auch die Pferde und das Vieh seien gerettet.
Die Züge des Gutsbesitzers, die etwas abgespannt und nervös erschienen, wurden ruhiger. Mit Eifer beteiligte er sich an der Löscharbeit, munterte die Leute auf, die an den trockenen, undichten Pumpwerken standen, und dankte den Nachbarn für die Hilfe und den Beistand, die sie ihm leisteten..
Indessen war alle Mühe vergebens. Das Feuer hatte an den alten Gebäuden so reichliche Nahrung gefunden, und alles Rettungsmaterial war in einer so hoffnungslosen Verfassung, daß in der frühen Morgenstunde nur noch ein rauchender Trümmerhaufen zurückblieb. Hier und da stand noch ein schwankender Giebel mit weiten, kahlen, von schwarzverkohltem Holzwerk umrahmten Fensteröffnungen, gelegentlich blickte auch wohl ein verrosteter eiserner Ofen oder ein Stück weißer Mauer zwischen rauchenden Planken hervor, über deren glimmendes Feuer das Wasser hinwegrieselte und es mit siedendem, zitternden Laute löschte.
Im Hofe lagen Möbel und Stühle und zwischen ihnen in wirrem Durcheinander. Porzellan, Glas, Betten, alte Zeitungen, Bücher und Küchengerätschaften. Man hatte alles gerettet, was man in die Hände bekam, gleichgültig, ob es Wert hatte oder nicht, und ebenso rücksichtslos hatte man es von sich geworfen, mochte es in tausend Stücke zerbrechen oder im Falle andere Gegenstände zerschlagen. Es war das Bild eines wilden, planlosen Eifers, sich nützlich zu machen. In den klaren Strahlen der Sommersonne glich das Ganze einem alten Trödlerlager, in dem man nur selten einen Gegenstand von einigem Werte findet.
Als alle Hoffnung, noch etwas zu retten, aufgegeben war, nahm Bruhn die wiederholte Einladung eines seiner Nachbarn an und fuhr mit ihm auf dessen Hof, um dort einige Stunden zu ruhen. Vorher sah er sich noch nach Frau und Tochter um, die beim Schullehrer Unterkunft gefunden und sich von dem ersten Schreck des nächtlichen Ereignisses leidlich erholt hatten. Doch schon am nächsten Morgen war er wieder auf der Brandstelle. Er rief seine Leute zusammen und forschte sie nach der Entstehung des Feuers aus. Aber niemand konnte ihm Aufschluß geben.
Nur der Wächter meinte, daß er am späten Abend den Kettenhund bellen gehört und gesehen habe, wie sich eine Gestalt in der Nähe des Wirtschaftsgebäudes, in dem das Feuer ausgebrochen war, umherbewegte. Als er näher kam, sei sie plötzlich seinen Augen entschwunden. Seiner Ansicht nach müßten es Landstreicher gewesen sein, die das Feuer entweder aus Rache angelegt oder aus Unvorsichtigkeit verschuldet hätten.
Der Gutsbesitzer war derselben Meinung. Es hatten sich in letzter Zeit in der Gegend so viele Bettler und allerlei Leute umhergetrieben, die schon jetzt Arbeit zur Ernte suchten. Der Inspektor hatte viele von ihnen fortgewiesen. Erst am Tage vorher hatte er zwei höchst bedenklich aussehende Individuen mit Gewalt vom Hofe entfernt, da sie gutwillig nicht gehen, wollten.
Die Auffassung, daß der Gutshof von Landstreichern angezündet worden sei, wurde denn schließlich auch von allen geteilt, und als der Amtsgerichtsrat zur Mittagszeit mit seinem Protokollführer angefahren kam, um den Tatbestand festzustellen, waren sich die Gutsleute darüber einig, daß hier Brandstiftung vorlag.
Da kein schützendes Dach zu finden und das Wetter schön war, wurden ein Sofa und einige Stühle um einen Tisch in die Mitte des Hofes gestellt, und hier fand der Termin statt.
Der Amtsgerichtsrat war ein großer, stattlicher Mann mit einem etwas strengen und befehlenden Äußern, die Würde war aber mehr äußerlichen und gewohnheitsmäßigen Charakters, in Wirklichkeit war er die Liebenswürdigkeit und das Wohlwollen selbst. Er und seine Familie hatten so manche frohe Stunde auf dem idyllischen »Seehof« verlebt, der hoch oben auf einer Anhöhe mit prachtvoller Aussicht auf das Meer lag. Wie oft hatten er und der Gutsbesitzer auf der weinumrankten luftigen Veranda gesessen, von der nur noch ein paar rauchende Pfeiler übrig waren, und dort in heiterem Gespräch ihren Wein oder Grog getrunken, während die Damen drinnen im Wohnzimmer plauderten, in dem immer eine so eigene anheimelnde Gemütlichkeit herrschte. Ein Gefühl von Wehmut ergriff ihn, wenn er dieses Bild der Zerstörung betrachtete und den müden, niedergeschlagenen Ausdruck seines Freundes sah, der von dem plötzlichen, unerwarteten Unglück herrührte, das sein altes Heim im Laufe weniger Stunden der Erde gleich gemacht hatte.
Während Tisch und Stühle zurecht gestellt wurden, trat er an den Gutsherrn heran und reichte ihm teilnehmend die Hand.
Wie geht es?
Danke, lieber Freund. Ich weiß es kaum selbst. Ich befinde mich wie im Traum. Der Schlag kam zu unerwartet und zu überwältigend. Daß ich dieses erleben muß! Der liebe, alte Hof, der so viele schöne Erinnerungen in sich barg.
Wie ich höre, waren Sie nicht zu Hause, als das Feuer ausbrach?
Ich war in die Stadt geritten, um einen Brief zur Post zu bringen, den ich noch mit dem ersten Zug weghaben wollte.
An wen war der Brief?
An wen der Brief war? fragte der Rittmeister fast verwundert und blickte den Amtsgerichtsrat erstaunt an. Seinem Gefühle nach lag in der Frage etwas Inquisitorisches.
Er war an den Kopenhager Agenten der Wood'schen Maschinenfabrik.
War er eilig?
Bruhn blickte scharf zur Seite und antwortete:
Ja – insofern, als es sich um den Kauf einer Mähmaschine handelte. Da die Ernte ja kurz vor der Tür ist, lag mir sehr daran, zum Abschluß zu kommen.
Der Amtsgerichtsrat, der den Blick, mit dem der Rittmeister seine Antworten begleitete, gesehen hatte, fügte in fast jovialem Ton hinzu:
Lieber Freund, Sie dürfen mich nicht mißverstehen. Als Beamter ist es meine Pflicht, Sie rücksichtslos auszufragen.
Also mich in ein Verhör zu nehmen?
Jawohl! erklärte der Amtsgerichtsrat, der unter den gegenwärtigen Umständen nur zu gut die Erregtheit seines Freundes begriff. Um das Peinliche der augenblicklichen Lage zu verwischen, fragte er:
Wie findet sich Ihre Frau Gemahlin in das Unvermeidliche?
Sie ist merkwürdig ruhig. In letzter Zeit war ich sehr nervös und litt an Schlaflosigkeit. Deshalb ermunterte sie mich gestern zu dem Ritt. Sie meinte, daß die Bewegung mir gut tun würde, und daß ich, da der Brief eilte, das Nützliche mit dem Angenehmen verbinden könne. Auf ihr Zureden machte ich mich auf den Weg. Hätte ich es nicht getan, so wäre das Unglück vielleicht nie geschehen, jedenfalls aber eingeschränkt worden. Es ist mir unfaßlich, wie das Feuer so schnell um sich greifen konnte. Schon eine halbe Meile von hier sah ich auf dem Rückwege in der Ferne einen hellen Schein. Anfänglich hielt ich ihn für die eigenartige Röte, die wir in unserer Gegend im Frühling so oft haben, ich war aber noch nicht lange geritten, als es mir klar wurde, daß es eine Feuersbrunst sein mußte. Ich dachte aber immer noch nicht an die Möglichkeit, daß das Feuer auf dem »Seehofe« sein könne, plötzlich packte mich aber ein eigenartiges Angstgefühl. Ich gab meinem Pferde die Sporen und sprengte davon, was das Zeug halten wollte. Je näher ich kam, desto mehr bestätigte sich meine fürchterliche Ahnung. Ich sah, wie das Feuer an Ausdehnung gewann und das eine Gebäude nach dem andern ergriff, während ich untätig durch die Nacht dahinsprengte, die von dem rötlichen Schein immer klarer und klarer wurde. Es war ein entsetzlicher Ritt.
Der Gutsbesitzer war, von Anstrengung und Gemütsbewegung überwältigt, in einen alten hohen Lehnstuhl zurückgesunken, der zufällig mitten auf dem Hofe stand.
Der Amtsgerichtsrat hatte die Hand auf seine Schulter gelegt und sagte:
Verlieren Sie nicht den Mut, lieber Freund. Das Unglück, daß einem Menschen Haus und Hof abbrennen, hat schon viele vor Ihnen betroffen. Versichert sind Sie doch wohl?
Ja, natürlich, antwortete Bruhn.
Nun, da danken Sie Gott, daß kein Menschenleben verloren ist, und daß Ihre Frau und Tochter keinen Schaden gelitten haben.
Das tue ich auch, lieber Freund, antwortete der Gutsbesitzer, während er gedankenvoll vor sich hinstarrte. Wäre bei dem Feuer jemand um das Leben gekommen, – die nervöse Bewegung über den Augen kam wieder zum Vorschein, – so hätte ich mich, glaube ich, selbst in die Flammen gestürzt und mich von ihnen verschlingen lassen.
Das Unglück hat Sie überspannt gemacht, Bruhn. Die Hauptsache für Sie ist, daß Sie jetzt zur Ruhe kommen, sagte der Richter.
In diesem Augenblick meldete der Gerichtsdiener, daß alles zur Abhaltung des Termins fertig sei.
Der erste Zeuge war der Gutsbesitzer, Rittmeister a. D. Bruhn. Er machte in ausführlicher Form dieselbe Aussage, die wir aus seinem Privatgespräch mit dem Amtsgerichtsrat kennen.
Darauf wurden die Gutsleute, jeder einzeln, vernommen, die Aussagen waren verwirrt und wenig aufklärend. Alle waren sich aber darüber einig, daß das Feuer im nordöstlichen Teile des einen Wirtschaftsgebäudes ausgebrochen war.
Der eine erklärte, daß er gesehen habe, wie das Feuer plötzlich aus dem Dache herausgeschlagen und darauf geschwind wie eine Katze an der First entlang gelaufen sei, ein anderer, daß es wie ein Blitz gegangen sei und daß das ganze Gebäude schon in Flammen gestanden habe, ehe man überhaupt etwas zur Rettung tun könnte.
Der Wächter, der früher das Bellen eines Hundes gehört und eine sich umherschleichende Gestalt gesehen haben wollte, mußte jetzt, da seine Beeidigung in Aussicht stand, die Wahrheit sagen und eingestehen, daß er geschlafen habe und erst von dem Lärm und der plötzlichen Unruhe auf dem Hofe erwacht sei.
Der Inspektor erklärte, daß er früh zu Bett gegangen sei und daß er von dem Feuer erst durch die Leute erfahren habe, die ihn geweckt hätten. Er sei sofort nach dem Spritzenhause geeilt, um die Löschapparate in Ordnung zu bringen. Deshalb habe er keine Zeit gehabt, sich um die Entstehungsursache des Feuers zu kümmern.
Darauf wurde das Verhör geschlossen und eine Lokalbesichtigung vorgenommen. In dem Wirtschaftsgebäude, in dem das Feuer ausgebrochen war, hatten sich unter anderem die Rollkammer, der Holz- und Torfstall befunden. Darüber lag ein Lattenboden mit einer Luke. Diese stand nach Aussage der Leute in der Regel offen und führte nach einem Düngerplatz hinaus, der vom Wege nur durch ein schmales Stück Kartoffelland, einen Zaun und einen Graben getrennt war. Und an der Luke stand oft eine kurze Stiege, auf der der Knabe, der den Göpelgang beaufsichtigte, zu sitzen pflegte.
Da das Verhör keine weiteren Aufklärungen zutage förderte, nahm man an, daß der eine oder andere durch die Luke auf den Lattenboden gekrochen sei und sich dort zum Schlafen niedergelegt habe. Entweder habe er nun in böswilliger Absicht den Hof in Brand gesteckt oder er habe durch Fahrlässigkeit, vielleicht durch eine brennende Pfeife oder ein Streichholz, das Unglück verschuldet und sei dann aus Angst vor der Strafe davongelaufen.
Unmittelbar nach dem Schlusse des Termins fuhren die Gerichtspersonen in die Stadt zurück.
Auf dem Hofe wurde unter Leitung des Inspektors und des Gutsbesitzers, der jetzt vollständig ruhig war, mit den Aufräumungsarbeiten begonnen. Um Mittag kamen der Versicherungsinspektor und der Agent der Versicherungsgesellschaft und taxierten den Schaden, der auf 47 000 Kronen 1 dänische Krone = Mark 1,12. festgesetzt wurde.
An demselben Nachmittag telegraphierte das Amtsgericht an den Kopenhagener Agenten der Wood'schen Maschinenfabrik und fragte an, ob er gestern einen Brief des Gutsbesitzers Bruhn auf Seehof erhalten habe und welchen Inhalts der Brief gewesen sei.
Die Antwort lautete, daß ein solcher Brief eingetroffen sei und daß es sich um den Ankauf einer Mähmaschine handle.
Daraufhin stellte das Gericht die Untersuchung ein. Die Gendarmen hielten am nächsten Tage einige Vagabunden an, die ohne Erwerb umherstreiften und ihr Wanderbuch nicht in Ordnung hatten. Die Leute konnten aber ihr Alibi nachweisen.
Damit verging einige Zeit. Einzelne Gerüchte tauchten hier und da auf, nahmen aber keine festen Formen an. Allmählich verstummten sie ganz, und als der nächste Sommer ins Land kam, lag ein neuer, hübscher »Seehof« hoch oben auf der Höhe mit herrlicher Aussicht auf das Wasser, und der Wind, der darüber hinstrich, drehte lustig die blank vergoldete Wetterfahne, die auf der höchsten Spitze des einfachen aber geschmackvollen Herrenhauses angebracht war.