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Der Oberst Moe hatte Astrid in einer eigenartigen Gemütsstimmung zurückgelassen. Während draußen alles blühte und grünte, war es, als ob befreiende Ahnungen in ihrer Seele erwachten, als wenn die Sonne der Hoffnung und des Glücks wieder hinter den Wolken hervorschaute, die so lange ihren Himmel verdunkelt hatten.
Und dieses Gefühl des Wohlbehagens ließ eine zarte Röte hinter dem weißen Teint ihrer Wangen hervorschießen und gab ihren Augen eine Tiefe und einen Glanz, welcher der zarten Jungfrauengestalt einen eigenartig feinen Liebreiz verlieh.
In dieser frischen Frühjahrsstimmung, die neue Hoffnungen in ihrer Seele erweckte und den lange entbehrten Schimmer von Rosenrot über den Horizont der Zukunft zu decken schien, war Astrid in den Garten hinausgetreten. Die Bäume standen im ersten grünen Blätterschmucke, der alte Kastanienbaum begann sein Laub zu entfalten, und die Maiglöckchen breiteten ihre weißen Blumen wie glänzenden Schnee über den frühlingsschwarzen Erdboden aus. Oben auf dem Hofe war es still, beinahe wie ausgestorben.
Plötzlich ertönte das Rasseln eines Wagens über die steinerne Brücke, das eine allgemeine Bewegung unter den Bewohnern hervorrief. Denn seit langer Zeit waren keine Fremden auf dem »Seehof« gewesen.
Ein junger Mann sprang leicht und behende aus dem Mietsfuhrwerk. Sein Wesen war gewandt und ungezwungen, sein Anzug kleidsam und einfach, wie man ihn trägt, wenn man viel unterwegs ist. Der Stallknecht grüßte sichtlich erfreut.
Guten Morgen, Herr Leutnant. Ich hätte den Herrn Leutnant beinahe gar nicht wieder erkannt.
Guten Morgen, Jens, antwortete Holger Moe. Nun, hier steht wohl alles noch beim Alten?
Der Stallknecht drehte verlegen die Mütze zwischen den Fingern und blieb die Antwort schuldig. Holger Moe beachtete dies nicht, er hatte auch keine Antwort auf seine Frage erwartet, denn er fuhr gleich fort:
Der Herr Oberst ist wohl hier? In der Stadt traf ich niemand zu Hause.
Ja, der Herr Oberst wohnt jetzt ganz hier draußen, antwortete der Stallknecht.
Wohnt er hier? sagte der Leutnant erstaunt.
Ja, antwortete der Stallknecht. Der Herr Oberst wohnt hier schon seit dem Tode des Herrn Rittmeisters.
Der Herr Rittmeister ist tot?
Ja-a. Wußten der Herr Leutnant es nicht?
Nein, es ist merkwürdig, daß ich nichts davon erfahren habe. Ist die gnädige Frau zu Hause?
Die gnädige Frau? fragte der Stallknecht und blickte den Offizier erstaunt an. Nein, die gnädige Frau ist nicht zu Hause. Herr Leutnant werden ja drinnen alles erfahren.
Holger Moe wußte nicht, was er hiervon halten sollte. In Gedanken versunken schritt er über den weiten Hofplatz. Die Mitteilung von dem Ableben des Gutsbesitzers hatte einen tiefen Eindruck auf ihn gemacht. In fröhlicher Stimmung, mit einem Gefühle der Zufriedenheit darüber, daß er wieder zu Hause war und wieder die alten, lieben Gesichter sehen würde, war er heimgekehrt, und nun mußte ihn nicht nur diese Trauerbotschaft treffen, sondern er hatte auch das unbestimmte Gefühl, als wenn noch weitere trübe Nachrichten ihn erwarteten. Sein erster Gedanke galt Astrid. Sie war es, die ihn hierhergezogen hatte. War ihr etwas zugestoßen?
In diesem erregten Gemütszustände schritt er um das Wohnhaus und trat durch eine Seitenpforte in den Garten. Er wollte das Schicksal und den Zufall entscheiden lassen, wem er zuerst begegnete.
Während er auf den alten, bekannten Steigen dahinschritt, schien es ihm, als sei hier alles so eigentümlich öde und ausgestorben. Ihm wurde ganz sonderbar zumute. Ueberall herrschte Totenstille, und er verglich unwillkürlich seine eigene Stimmung mit derjenigen, die den Ritter gepackt haben mußte, als er in das Schloß des schlafenden Dornröschens eindrang.
Holger Moe schritt an der Veranda vorbei und quer über den großen Rasen mit der hohen Flaggenstange, an der die rot-weiße Flagge nicht wie sonst wehte. Wie sehr hätte er sich gefreut, wenn die heimatlichen Farben ihn hier begrüßt hätten.
Das Wetter war hell und klar, die Sonne strahlte in ihrem ganzen Glanz, Bäume und Pflanzen atmeten einen köstlichen Wohlgeruch aus, und eine leichte Brise zitterte durch das zarte frische Laub. Der Sommer hatte sich noch seinen jungfräulichen Liebreiz bewahrt.
Holger Moe atmete mit Wohlbehagen die reine Luft ein, während er seinen Weg durch den Garten fortsetzte. Alles stand, wie er es verlassen hatte, und es kam ihm vor, als sei er erst wenige Tage von dieser Stelle fortgewesen, die er ein ganzes Jahr nicht gesehen hatte.
Während Holger Moe in die Allee einbog, die auf die Höhe führte, stand er plötzlich der Geliebten gegenüber. Das Zusammentreffen war für beide überwältigend.
Er war ja im Grunde genommen vorbereitet. Indessen hatte er es nicht erwartet, sie so zu treffen, wie sie ihm im schwarzen Kleide mit Blumen in den Händen entgegentrat. Es war fast, als wandere sie auf einem Friedhofe. Ohne ein Wort zu sagen, blieb er stehen. Auch auf sie mußte das plötzliche Wiedersehen desjenigen, mit dem sich ihre Gedanken in der letzten Zeit so viel beschäftigt hatten, fast wie eine Vision wirken. Aber sie war seit ihres Vaters Tode vollständig von der Welt abgesperrt und hatte sich daran gewöhnt, mit den ehemaligen Bekannten nur in Gedanken zu verkehren. Als sie ein Antlitz sah, mit dem sich ihre Phantasie so häufig beschäftigte, vergaß sie ganz, daß sich seit ihrer Trennung die Verhältnisse verändert hatten, und mit dem Ausbruch einer frohen Überraschung eilte sie ihm entgegen und drückte ihm mit überströmender Herzlichkeit die Hand. In demselben Augenblick war es aber fast, als wenn sie sich schäme, daß sie ihren Gefühlen einen so starken Ausdruck gegeben hatte, und während das Blut ihr zu Kopfe stieg, schlug sie die Augen nieder und fing an, ihre Hand zurückzuziehen. Holger Moe hielt sie aber fest, und während er Astrid zärtlich anblickte, sagte er:
Dein Verlust war ja unendlich groß.
Ja-a, sagte Astrid, die nicht wußte, wie weit Holger Moe über die Vorgänge unterrichtet war, die sich während seiner Abwesenheit auf dem »Seehof« abgespielt hatten.
War der Vater lange krank?
Nein, er starb ganz plötzlich.
Und wie geht es der Frau Mama?
Holgers Frage kam so eigentümlich heraus. Er war sich noch nicht klar darüber, ob er das alte vertrauliche Du gebrauchen oder sich des formellen Sie bedienen sollte.
Als er von der Mutter sprach, blickte Astrid ihn mit einem traurigen Ausdruck an, während Tränen in ihre Augen traten.
Ist etwas geschehen? Sie ist doch nicht auch tot?
Nein, es ist noch schlimmer!
Schlimmer! rief der Leutnant im höchsten Erstaunen aus.
Ja, ich will das Ganze lieber gleich erklären, obgleich es für mich unendlich traurig ist, bei diesen Erinnerungen zu weilen. Aber gerade heute kann ich es besser als je vorher, denn es ist, als wenn ein kleiner Strahl von Hoffnung in meine Seele gefallen wäre!
Es ist also ernst?
Ja, sehr ernst.
Sie begann langsam den Weg entlang zu schreiten, während er neben ihr herging. Er schien größer geworden zu sein, sich entwickelt zu haben, mit breiteren Schultern und kräftigerem Schnurrbart. Er hatte etwas Männlicheres bekommen. Es entstand eine lange Pause, Astrid wurde es schwer, den Anfang zu dem traurigen Romane zu finden, in den sie ihn jetzt einweihen wollte.
Während sie sprach, beobachtete er sie aufmerksam. Er bewunderte die Ruhe, mit der sie bei jeder Kleinigkeit weilte, die Seelenstärke, die sie entfalten mußte, um sich in einem solchen Gewitter von Unglück aufrecht zu erhalten. Er merkte, daß sie sich zu einem reifen Weibe entwickelt hatte, für Augenblicke fand er dann aber im Ausdruck der Augen und in der Stimme dieselbe einnehmende Milde, in deren Schein Astrid ihm in dem Jahre seiner Abwesenheit erschienen war.
Wie stark die Erzählung ihn auch ergriff, so konnte er sich doch nicht verhehlen, daß der Bericht fast befreiend auf ihn wirkte. Er war darauf vorbereitet gewesen, daß sie ihm von einer anderen Wahl, einer anderen Neigung sprechen würde, und tatsächlich war es ausschließlich eine selbstaufopfernde Rücksicht auf ihn, seine Stellung und seinen Namen, die Astrid den verhängnisvollen Brief diktiert hatte, der ihn ein ganzes Jahr von der Heimat ferngehalten.
Es war, als finde er plötzlich den Ton aus früheren Tagen wieder.
Aber weshalb vertrautest du mir nicht an, was dein Herz bedrückte? Weshalb ließest du mich reisen, statt mich, als das Unglück eintraf, an deine Seite zu rufen?
Als ich das letztemal mit dir sprach, hatte ich ja nur bange Ahnungen, die ich nicht verraten durfte, wenn ich nicht einen Schatten auf meine Eltern werfen wollte.
Als es aber geschah?
Ja, an dem Abend, als es geschah, war ich von Trauer und Schande so überwältigt, daß mir eine Verbindung zwischen uns unmöglich erschien, und während das eine Unglück dem andern folgte, hörte ich, daß du gereist warst. Was dich dazu bewog, das Vaterland zu verlassen, wurde mir nicht klar. Ich hatte dir deine volle Freiheit wiedergegeben, und ich besaß kein Recht, dir darüber Vorwürfe zu machen, daß du sie benutztest. Erst viel später erfuhr ich von deinem Vater, daß du von den hiesigen Vorgängen nichts wußtest. Ich wollte dir dann schreiben.
Warum tatest du es nicht?
Teils, weil ich ja nicht wußte, ob mein Brief dich treffen würde, und teils, weil …
Astrid hielt inne.
Und teils, weil …?
Weil es mir vorkam, daß ein solcher Brief eine Aufforderung an dich sein würde, zu der ich mich weder entschließen wollte noch konnte.
Und weshalb wolltest du es nicht? sagte der junge Offizier und schlang seinen Arm um die Geliebte, ohne daß sie ihm Widerstand leistete. Du wußtest ja, daß eine solche Aufforderung für mich das Liebste von allem sein würde.
Sie blickte dankbar zu ihm auf, und er drückte mit der einen Hand ihren Kopf gegen seine Wange und küßte sie auf die Augen.
Vergiß jetzt allen Schmerz. Du hast schon viel zu viel geweint. Von heute an besteht zwischen uns kein Mißverständnis mehr. Du hast jetzt mich, der dich schützen und dir zur Seite stehen wird.
Astrid machte sich aus seinen Armen frei und sagte:
Nein, Mißverständnisse bestehen zwischen uns nicht mehr, und ich danke dir von ganzem Herzen, daß du mich in so treuer Erinnerung bewahrt hast. Eine Verbindung zwischen uns ist aber heute ebenso unmöglich wie bisher, jedenfalls vorläufig.
Was meinst du damit? fragte er, erstaunt über die kalten Worte, die ihm so unerwartet kamen, da er doch fest darauf gerechnet hatte, daß das alte Vertrauen sich zwischen ihnen Bahn brechen würde.
Ich meine, daß du als Offizier mich nicht heiraten kannst. Deine Frau muß einen makellosen Namen haben, und das ist der meinige nicht. Ich weiß, daß meine Mutter sich zum Teil aus Rücksicht auf mich zu dem fürchterlichen Entschlusse verleiten ließ, alle Schuld auf sich zu nehmen. Sie tat es, um unseren Namen zu retten, ich kann aber nicht finden, daß er früher gereinigt ist, als bis die ganze Sache klar liegt und der Beweis geliefert wird, daß meine beiden Eltern vollständig unschuldig sind.
Du bist zu stolz, Astrid, ebenso wie deine Mutter. Du demütigst dich nach außen, nur um dich in deinen eigenen Augen zu heben.
Das meinst du vielleicht in diesem Augenblick. Ich habe aber lange, lange Zeit über die Sache nachgedacht, und ich bin mir darüber klar geworden, daß ich meinen Mann nicht der Gefahr aussetzen will, daß über ihn und seinen Namen Schande kommt.
Aber selbst in dem Falle, daß eins deiner Eltern schuldig ist, so hast du doch nicht das Recht, dir selbst ein solches Opfer aufzuerlegen. Wozu diese Selbstpeinigung? Das Schicksal spielt uns oft hart genug mit. Und ebenso wie dir deine Selbstachtung über alles geht, muß dir die Ueberzeugung genügen, daß dein Vater und deine Mutter unschuldig sind.
Das ist mir persönlich auch genug. Es reicht aber nicht aus, um meine Zukunft an die eines anderen zu binden.
Was denkst du aber zu tun?
Ich denke, daß es uns mit gemeinsamen Kräften gelingen wird, nicht nur die Unschuld meines Vaters nachzuweisen, sondern auch festzustellen, daß das Geständnis der Mutter unrichtig ist.
Selbstredend werden wir hier Klarheit zu schaffen suchen. Das verspreche ich dir, sagte Holger eifrig, aber, fügte er langsam hinzu, es wird nicht ganz leicht sein, weil die Sache schon zu sehr verfahren ist.
Vielleicht sind wir schon jetzt einen Schritt weiter. Dein Vater ist gestern zu dem Kriminalrichter Thingstedt gereist und will ihm den wahren Zusammenhang der Sache erklären. Der Richter ist streng und rücksichtslos, aber ich glaube auch, daß er ausgeprägt gerecht ist. Nimmt er die Sache von neuem in die Hand, so hoffe ich, daß sie eine andere Wendung bekommen wird.
Laß uns also einstweilen die Rückkehr des Vaters abwarten, sagte Holger Moe, aber versprich mir schon jetzt, daß du nicht unbedingt auf deinem Beschlusse verharren und daß du ihn aufgeben willst, sobald wir zu einer überzeugenden Wahrscheinlichkeit von der Unschuld deiner Eltern gekommen sind, von der ich ebenso überzeugt bin wie du, da dein Vater für mich stets der Inbegriff aller Ehrenhaftigkeit war.
Ich danke dir für deine Worte, sagte Astrid mit Wärme. Ich kann dir in dieser Beziehung aber kein bindendes Versprechen geben. Wir müssen sehen, wie sich die Verhältnisse entwickeln und das Beste hoffen.
Ja, ja, antwortete Holger, der in dem Augenblick nicht weiter in Astrid dringen wollte. Warten wir die Rückkehr meines Vaters ab. Wann glaubst du, daß er kommen wird?
Vielleicht schon mit dem Mittagzuge, spätestens aber heute abend.
Wenn Papa mit dem Mittagszuge kommt, muß er bald hier sein. Falls du noch Vorbereitungen zum Mittagessen treffen willst, werde ich so lange hier bleiben und in Gedanken einmal alles durchfliegen, was du mir eben erzählt hast.
Astrid winkte ihm, ohne etwas zu sagen, freundlich zu. Er blieb einen Augenblick stehen und blickte ihr nach. Dann setzte er sich nieder und starrte über das Feld hinaus. Im klaren Sonnenlicht zeichnete die Stadt in der Ferne ihre Häuser hin, die von dem schlanken Kirchturm überragt wurden. Eine leichte Müdigkeit überfiel ihn, während er tiefer und tiefer in das wirre Labyrinth seiner eigenen Gedanken eindrang.
Und dann ereignete sich für ihn das, was plötzlich jedem Menschen zustoßen kann. Es schien ihm, als habe er diesen Augenblick schon einmal in seinem Leben durchlebt, als habe er hier an derselben Stelle unter denselben Bedingungen gesessen. Dieser eigenartig lebhafte, sich wiederholende Gedanke ergriff ihn mit mächtiger Gewalt und gestaltete alles in ihm so merkwürdig klar, und es wollte ihm scheinen, als höre er Stimmen und als sähe er Menschen von dem letzten Male, da er hier saß. Die Umgebungen, in die er sich plötzlich versetzt sah, das altbekannte Heim, die Erinnerung unmittelbar nach den neuen Eindrücken waren es, die das Bild mit einer überraschenden Deutlichkeit entstehen ließen.
Es schien ihm, als höre er wieder das schnelle Klappern von Holzschuhen auf dem Steinpflaster. In diesem Klappern, das sich vom Wirtschaftshofe näherte, prägte sich eine gewisse Furcht aus. Plötzlich verstummte der Laut, als wenn der Besitzer der Holzschuhe von dem Blick oder der Stimme eines Verfolgers an die Stelle gebannt sei, und leichtere Schritte folgten.
Da wurde eine kläglich wimmernde Stimme hörbar, als wenn ein Mensch in seiner Herzensangst für sein Leben bäte, und es ertönten harte, drohende Worte, bis alles still wurde. Dann hörte er, wie der Laut von vier Füßen wieder in der Richtung nach dem Wirtschaftshofe verhallte.
Holger Moe saß ganz still, ohne sich zu rühren, als fürchte er, durch eine Bewegung die Erinnerung zu zerstören, die mit einer eigentümlichen Klarheit in ihm auftauchte. Er spannte sein Gehirn bis zum äußersten an, um sich das Gehörte Wort für Wort ins Gedächtnis zurückzurufen.
Es war eine harte, grobe Stimme gewesen, die gesagt hatte:
Nun, kannst du es wieder vor Geschwätzigkeit nicht aushalten? Ich sehe es dir an, du alter Esel. Wage aber nur, ein einziges Wort zu verraten, so zerbreche ich dir alle Knochen in deinem sündhaften Leibe.
Nein, nein, ich werde schon schweigen, ich meine aber nur, daß es eine große Sünde ist.
Meinst du? Derartige dumme Gedanken mußt du dir abgewöhnen, denn sonst werde ich dir dies Messer zwischen die Rippen jagen, daß dir für alle Zeiten deine Schwatzhaftigkeit vergeht. Du weißt, daß ich nicht mit mir spaßen lasse. Danach richte dich!
Dies war der Sinn der Worte.
Sie waren jedenfalls zu der Zeit, als die Kriminalkommission erwartet wurde, durch die Angst und Unruhe eingegeben worden, die sich der ganzen Gegend bemächtigt hatte. Stille Zeugen hatten ihre Sprache wieder erhalten, die durch Ueberredungen oder Drohungen zum Schweigen gebracht werden sollten, alte Gewissensskrupel waren von neuem aufgetaucht und sollten mit List und Gewalt unterdrückt werden.
Für den Leutnant, der als Fremder hier hereinkam und dessen Auge deshalb ungetrübt war, erschien es plötzlich als unbedingt sicher, daß die Eheleute Bruhn unschuldig waren, und daß die Unterredung, die er vor einem Jahre noch für eine einfache Streitsache angesehen hatte, ihm durch die Vorsehung als Schlüssel für die Lösung der ganzen traurigen Angelegenheit gesandt worden sei.
Er hatte unbedingtes Vertrauen zu seinem eigenen klaren Urteil, und mit dem Eifer und der Freude, die ein befreiender Gedanke im Augenblick seiner Entstehung erzeugt, erhob er sich und eilte durch den Garten. Er hatte ganz vergessen, daß Astrid ihn rufen wollte, sobald der Vater eingetroffen oder das Mittagessen fertig wäre. Ersteres war jedenfalls nicht der Fall, und Astrid hatte wohl noch in der Wirtschaft zu tun. Deshalb entschloß er sich, sich noch etwas im Garten zu bewegen.
Der Spaziergang genügte, um ihm den ersten Rausch der Begeisterung zu nehmen. Sein gesunder Sinn sagte ihm, daß er vorsichtig zu Werke gehen müsse, wenn er nicht alles verderben und falsche Hoffnungen wachrufen wollte. Langsam schritt er wieder der Anhöhe zu, und hier gewann er seine alte Ruhe wieder.
Er blieb etwa eine halbe Stunde sitzen, während er genau überlegte, wie er die Sache am besten anfassen sollte, und offenbar gefiel ihm sein eigener Plan, denn er zündete sich eine Zigarette an und stieß voller Wohlbehagen den Rauch von sich in die frische, klare Luft, wo die ersten Mücken zu summen begannen. Schließlich begab er sich in das Haus.
Der Oberst war noch nicht heimgekehrt, und der Leutnant und Astrid nahmen allein das Mittagsmahl ein, während er ihr von seinen Erlebnissen im Auslande und im Kriege erzählte. Obgleich seine Ausführungen das junge Mädchen in hohem Grade interessierten, konnte sie sich seiner guten Laune wegen eines drückenden Gefühls nicht erwehren. Sollte er sich wirklich bei ihrer Weigerung darüber gefreut haben, daß er durch sie seine volle Freiheit erhielt?
Als der Oberst am Abend müde und niedergeschlagen durch den ungünstigen Verlauf seiner Reise heimkehrte, wurde er über das Wiedersehen des Sohnes sichtlich erfreut.
Bis tief in die Nacht blieben sie in ernstem Gespräch zusammen, und als sie sich schließlich zur Ruhe begaben, war der Oberst froh und glücklich, über die Art, wie der Sohn die Mitteilungen auffaßte, die er ihm ein ganzes Jahr hindurch sorgfältig vorenthalten hatte. Der Oberst sah in seinem Sohne nur den edlen Charakter, der die Geliebte der Sünden ihrer Eltern wegen nicht im Stiche läßt. Er wußte weder etwas von Astrids Weigerung noch von dem neuen Kampfe, den Holger Moe vorbereitete, um sie zu gewinnen.