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Droben in seiner einsamen Sennhütte auf dem Berg beim Dorfe Ober-Peischlag saß Anton Wallner und horchte auf den Sturm, der diese Nacht so furchtbar heulte und tobte, daß die Hütte zitterte und krachte, und er keine Ruhe fand auf seinem Strohlager. Er hatte sich seine Lampe angezündet und saß, den Kopf in die Hand gestützt, sinnend neben dem Brettertisch, und überdachte traurig seine trostlose Zukunft. Wie lange sollte er hier noch ausdauern in seinem offenen Grabe? Wie lange sollte er noch wie ein wildes Thier umhergehetzt werden von Berg zu Berg? Wie lange noch in Eis und Frost ein müßig nutzloses Leben führen, den Elementen Preis gegeben, und immer in Sorg' und Angst um das elende ärmliche Leben?
Das überlegte und fragte er sich, und ein tiefer Ingrimm faßte seine Seele, und Thränen bittern, zornigen Schmerzes traten in seine Augen, nicht über sich, aber über das Elend seines Vaterlandes.
Wofür leide ich denn, wofür habe ich denn gekämpft und mein Leben gewagt? Wofür haben wir All' unser Blut vergossen und sind unsere Brüder auf dem Schlachtfeld gestorben? Das Vaterland ist doch nicht gerettet, der Franzose hat uns doch besiegt, und unser Kaiser hat uns doch preisgegeben! Brave Landesvertheidiger waren wir, und jetzt nennt man uns Verbrecher, das Vaterland haben wir retten wollen, und jetzt nennen sie uns dafür Aufrührer und Rebellen. Der Kaiser schenkt uns fort wie ein Stück Ding und achtet nicht, was er uns versprochen und zugeschworen hat, und der Franzos macht eine Hetzjagd auf uns, als wären wir Dieb' und Mörder! Und Du duldest es, Herrgott da droben? Du – Horch, klang's da nicht wie ein Schrei? Ist das der Wind, der so laut an meine Thür klopft?
Er sprang auf, und faßte nach seinem Stutzen, und zog den Hahn auf, und legte an auf die Thür.
Es rüttelte wieder an der Thür, es war sicher nicht der Sturm, der so gleichmäßig pochte und hämmerte. Nein, nein, es war der Feind! Er hatte ihn ausgespäht, er hatte seine Spur entdeckt, er kam ihn zu fangen!
Ich will mein Leben theuer verkaufen, murmelte Anton Wallner ingrimmig, den Stutzen an die Schulter legend, den Ersten, der da herein kommt, und der die Thür öffnet, den schieß' ich nieder, dann schlag' ich mich durch mit meinem Gewehr, und –
Vater, rief's da draußen, Vater, mach' auf!
Herr, mein Gott, murmelte Wallner, war's nit, als ob's mich da rief wie mein Liesel? Aber das ist ja nit möglich, das kann ja nit sein, sie kann nit hinauf, der Sturm würd' sie umbringen, und –
Vater, lieber Vater, mach' doch auf, rief's wieder draußen, und rüttelte an der Thür.
Wallner legte den Stutzen hin, und sprang zur Thür hin. Mög' der liebe Gott mich beschützen, wenn sie mich betrügen, aber ich denk', es ist die Liesel!
Nun riß er die Thür auf, und der Tyrolerbub stürzte herein, und sprang an seinen Hals, und umklammerte ihn fest mit seinen Armen, und küßte ihn mit seinen erstarrten Lippen, und flüsterte: mein Vater, Gott sei's gelobt, ich bin bei Dir!
Es ist die Liesel! rief Wallner mit weithinschallender Stimme. Sie ist zu mir kommen durch Nacht und Sturm! Es ist mein Mädel, mein herzlieb Mädel! Oh, Du mein' Herzensfreud', wie hast Du's thun können, wie war's nur möglich in der fürchterlichen Nacht? Kein Mann hätt's wagen mögen!
Aber ich wagt's, Vater, denn ich bin Dein Kind, und, ich lieb' Dich!
Du liebst mich, und ich dank' Gott, rief er, sie zärtlich und angstvoll an sich pressend, dank' Gott, daß er Dich errettet hat, und –
Seine Stimme brach und erstickte in Thränen, und er wehrte ihnen nicht. Er weinte laut und bitterlich, und Elise weinte mit ihm, und Beide wußten sie's nicht, ob sie vor Freude, ob sie vor Schmerz weinten.
Aber Elise war's, die sich zuerst ermannte. Vater, sagte sie, sich rasch von seiner Brust emporrichtend, der Feind ist Dir auf der Spur, und morgen in der Frühe wollen die Franzosen den Berg hier besetzen, um Dich einzufangen. Darum bin ich heraufgekommen, denn Du mußt fliehen, gleich jetzt in dieser Stunde.
Fliehen, rief er schmerzlich. Wie kann ich's? Der erste bairische oder französische Grenzwächter, dem ich begegne, und der mich nach einem Paß fragt, nimmt mich gefangen. Ich hab' ja keinen Paß!
Hier ist der Paß, sagte Elise freudig, ihm das Papier darreichend. Der Siebermeier schickt ihn Dir.
Der brave Freund! Ja, das ist Hülf' in der Noth. Nun will ich's mit Gott versuchen, zu fliehen. Du, mein Liesel, kehr' heim zu der Mutter, und grüß' sie viel tausend Mal, und so wie ich in Sicherheit bin, laß ich von mir hören.
Ich muß mit Dir gehen, Vater, sagte Elise lächelnd. Der Paß lautet für den Teppichhändler Siebermeier und seinen Buben. Nun siehst wohl, herzlieber Vater, der Bub', das bin ich, und so wander' ich mit Dir und flieh' mit Dir!
Nein, rief ihr Vater entsetzt, nein, nimmermehr thust das, Liesel. Ich muß über die Berg' und Felsensteg' wandern, durch Schnee und Eis, über steile Abgründe, und auf Wegen, die nur die Gemsjäger wandern. Es wär' Dein Tod, Liesel, wenn Du mitgingst.
Und wüßt' ich's gewiß, daß es mein Tod wär', Vater, so ging ich doch mit Dir, sagte Liesel freudig. Du kannst nit ohne mich fliehen, und ich hab's Leben gar nit lieb, wenn's Dir nit nützen kann, lieb Vater mein. So sprich nit mehr darüber, und verwehr's mir nit, denn wenn Du mich verstößt, so hilft's Dir doch nit, ich lauf' doch hinter Dir her, und kein Weg ist zu steil, den ich nit wandern könnt', wenn ich Dich vor mir seh'. Komm' also, lieb Vaterle, besinn' Dich nit länger, komm' mit Deinem Buben! Ohne mich kannst nit fliehen, so laß es uns denn frohen Muthes zusammen versuchen.
Nun ja denn, mein lieber, braver Bub', ich muß Dir wohl Deinen Willen thun, rief Wallner, sie innig umschlingend. Sollst mit mir wandern, sollst Deinem Vater das Leben retten, und gar schön wär's, wenn der liebe Gott es zuließ, daß ich meiner Liesel das Leben zu verdanken hätt'.
Komm' nun, komm', Vaterle, jede Minute Verzug macht die Gefahr größer.
Ich komm' schon, Liesel! Will nur den Hahn am Stutzen erst in Ruh' bringen, und die Pulvertasch' umhängen.
Das Gewehr darfst nit mitnehmen, und die Pulvertasch' auch nit. Bist jetzt nicht mehr der tapfere Commandant vom Salzburgischen, bist der Teppichhändler Siebermeier, ein gar friedliebender Mann, der nit mit dem Stutzen und der Pulvertasch' auf die Wanderschaft geht.
Hast Recht, Liesel. Aber es ist gar hart, so ohne Waffen fliehen zu müssen, sich nit einmal vertheidigen zu können, wenn der Feind uns angreift! Und nimmer kann ich meinen lieben Stutzen den Franzosen als Beute lassen, sie dürfen ihn nicht finden, wenn sie hier hinauf kommen. Ich weiß einen Felsenspalt hier nah' bei der Hütt', da trag' ich ihn hin, und verberg' ihn bis auf bessere Zeiten. So komm' nun, Liesel, und mit Gott laß uns versuchen, dem Feind' zu entfliehen!
Er warf seinen Mantel über, nahm den Stutzen, und Beide schritten sie hinaus aus der Hütte.
Der Morgen begann zu dämmern, schon flogen einzelne rosige Streifen vom Osten daher, und leis hauchten die Spitzen der Gletscher sich an mit röthlichem Schimmer. Elise sah es, aber sie freute sich dies Mal nicht der majestätischen Schönheit des Sonnenaufgangs, er machte ihr Herz nur trübe und schwer, und während ihr Vater sorgsam seinen Stutzen in der Felsspalte versteckte, schaute Elise angstvoll umher, und murmelte leise: in der Frühe des Morgens wollten sie aufbrechen. Der Morgen ist da, die Sonn' ist aufgegangen, und jetzt werden sie schon unterwegs sein, ihn zu fangen!
Nun komm', sagte der Vater, zu ihr zurückkehrend, wir haben heut' eine weite Wanderschaft, müssen heut' über die Alpenweg' und Jägersteige bis hinauf zum Isel-Tauerkamm. Da bleiben wir im Wirthshaus die Nacht, dann geht's in der Früh weiter, und will's Gott, sind wir dann in drei Stunden über die österreichische Grenz'!
Und in rüstigem Schritt, Hand in Hand, wanderten sie den Berg hinunter in den Wald hinein.
Nichts regte sich um sie her, kein Laut unterbrach die friedliche Stille der erwachenden Natur, nur der Wind heulte und pfiff und machte die Aeste der Bäume knarren. Die Sonne war immer höher emporgestiegen und warf schon ihre goldenen Glanzlichter durch den Wald.
Ich wollt', wir wären erst hier hindurch, und könnten wieder hinauf zur Höh', sagte Anton Wallner leise. Wir mußten hinab, um den Abgrund und die steile Felswand zu umgehen, nachher steigen wir wieder aufwärts, und bleiben oben auf der Höh'. Aber wenn uns hier die Soldaten aus Windisch-Matrey begegnen, so sind wir verloren, denn die kennen mich und glauben nimmer an meinen Paß.
Der liebe Gott wird geben, daß sie uns nit begegnen, seufzte Liesel, und eilte schneller vorwärts. – Lange wieder blieben sie stumm, und stumm blieb auch Alles um sie her. Auf einmal zuckten sie Beide zusammen, denn Beide hatten sie ein Geräusch gehört, das Geräusch, wie von schweren Fußtritten und klirrenden Waffen.
Sie waren eben durch eine weite baumleere Lichtung des Waldes dahin geschritten, und standen jetzt wieder am Dickicht, neben welchem eine kleine Kapelle mit dem Bildniß des Gekreuzigten sich befand. Nun schauten sie zurück.
Der Feind! der Feind! schrie Anton Wallner, auf die Soldaten hindeutend, die so eben drüben aus dem Wald hinaustraten. Liesel, wir sind verloren! Ach, und ich hab' nit einmal mein Gewehr! Ich muß mich fangen lassen ohne Widerstand!
Nein, wir sind noch nit verloren, Vater, schau' die Kapell'. Sie haben uns vielleicht noch nit gesehen. Rasch hinein! Unterm Altar ist Platz für uns Zwei!
Ohne ihrem Vater Zeit zu einer Antwort zu lassen, sprang Elise in die Kapelle, und verschwand hinter dem Altar. In einer Secunde war Wallner bei ihr, und dicht aneinander gekauert, Hand in Hand, mit angehaltenem Athem, erwarteten sie den Feind.
Jetzt vernahmen sie annäherndes Geräusch, rasche Fußtritte, laut rufende Stimmen. Sie kamen näher und näher, nun waren sie dicht bei der Kapelle.
Es war eine bairische Patrouille, und die beiden Versteckten konnten daher jedes Wort verstehen, was sie zu einander sprachen, und jedes Wort erfüllte sie mit Entsetzen. Die Baiern hatten sie gesehen, sie waren überzeugt, daß sie in der Nähe sein mußten, sie ermahnten einander zum eifrigen Suchen, und sprachen von dem Lohn, der ihrer wartete, wenn sie den Anton Wallner fänden.
Hochklopfenden Herzens, besinnungslos fast vor Angst und Pein, lagen die Beiden unter dem Altar; Elise, mit zitternden Lippen ein Gebet murmelnd, Anton Wallner seine Hand zur Faust zusammenpressend, fest entschlossen, sein Leben theuer zu verkaufen, sich und sein Kind zu vertheidigen bis auf den letzten Blutstropfen.
Nun kamen die Feinde ganz nahe, – nun waren sie in der Kapelle, dicht schon beim Altar. – Leichenbleich, halbtodt vor Entsetzen, lehnte Elise ihr Haupt an ihres Vaters Schulter.
Nun stießen sie an die geschlossene Vorderseite des Altars, er gab einen schweren, harten Ton, denn die Flüchtlinge füllten die Höhlung aus.
Da drinn sitzt Niemand, denn der Altar ist nit hohl, sagte einer der Soldaten. – Nun entfernten sich die Schritte vom Altar, und bald ward Alles still in der Kapelle. Draußen nur noch vernahm man Schritte und Stimmen, auch diese entfernten sich mehr und mehr, und kein Laut unterbrach mehr das Schweigen.
Unbeweglich, lauschend, hochklopfenden Herzens kauerten die Flüchtlinge noch immer hinter dem Altar. Durften sie es wagen, hervorzukriechen? War's vielleicht nicht eine Kriegslist vom Feind, daß er sich still verhielt? Hatten die Soldaten vielleicht die Kapelle umstellt, und warteten nur auf ihr Hinaustreten?
Sie harrten und lauschten stundenlang, aber die gebückte, zusammengekauerte Stellung machte ihr Blut erstarren, ihre Glieder steif, ihren Kopf schwer.
Vater, ich kann's nit mehr ertragen, murmelte Elise, lieber sterben, als noch länger hier bleiben.
Komm', mein Liesel, sagte Wallner, sich aufrichtend und über den Altar springend, komm'! Ich mein' auch, es ist besser zu sterben, als sich so wie ein Dieb zu verstecken.
Sie reichten einander die Hand, und traten aus der Kapelle, scheu und bang nach allen Seiten umherblickend. Aber Alles blieb still, Nichts regte sich.
Sie sind fort, wahrhaftig, sie sind fort, sagte Wallner vergnügt. Nun gilt's, mein Mädel, nun wandern wir zur Höh' hinauf, hier hinter der Kapelle geht der Fußsteig hinauf, in zwei Stunden sind wir droben, und wenn wir nit ausgleiten, und von dem Steg' in den Abgrund hinunter fallen, und wenn keine Lawin' uns verschüttet, und der Sturm uns nit die Besinnung nimmt, daß wir erstarren vor Kält', so denk' ich, werden wir zum Abend auf dem Isel-Tauerkamm sein, und droben im Wirthshaus wollen wir nachten. Die heilige Jungfrau mög' sich unserer erbarmen!
Und die heilige Jungfrau erbarmte sich der kühnen Wanderer, sie ließ sie über Abgründe auf schwindlichem Steg hinüber gelangen, sie behütete sie, daß sie nicht versanken in den unsichtbaren, mit Schnee verhüllten Felsspalten und Gruben, sie ließ sie den hier und dort hinunterstürzenden Lawinen glücklich entgehen, und behütete sie vor dem Tod des Erfrierens.
Todesmatt, erschöpft von der langen Wanderung, von Kälte und Hunger, hatten sie endlich am dämmernden Abend das Wirthshaus auf dem Isel-Tauern erreicht, und traten in die untere Gaststube ein.
Niemand war da, als der Wirth, ein finsterblickender, mürrischer Mann, der mit mißtrauischem Aug' die Eintretenden betrachtete.
Als die beiden Wanderer, kaum im Stande, ein Wort zu sagen, sich auf der Bank am schmalen Tisch niederließen, trat der Wirth zu ihnen.
Ich darf Niemand herbergen, ohne seinen Paß zu sehen, sagte er. Es läuft allerhand flüchtiges Gesindel hier herum, und möcht' sich verbergen vor den Baiern, die heut' die ganze Gegend abpatrouilliren. Gebt mir also Euren Paß!
Wallner reichte ihm das Papier schweigend hin. Der Wirth las es mit Aufmerksamkeit, und schien prüfend die Beiden mit dem Signalement des Passes zu vergleichen.
Hm! sagte er, der Teppichhändler und sein Bub', das stimmt schon, aber wo ist denn der Pack mit den Teppichen?
Anton Wallner schrak leicht zusammen, dann faßte er sich, und sagte ruhig: Die Teppiche sind alle schon verkauft, wir kehren leer heim nach Windisch-Matrey.
Ei schaut, was Ihr Glück habt, lachte der Wirth, gestern Morgen seid Ihr, wie's der Paß sagt, erst auf die Wanderschaft gegangen, und heut' ist schon Alles verkauft. Nun, da verdenk' ich's Euch nit, daß Ihr heimkehrt, Ihr habt ja Nichts zu fürchten von den Baiern und Franzosen. Euer Paß ist ja in Ordnung.
Und da er's ist, so gebt Ihr uns wohl ein Nachtquartier, sagte Wallner, und vor allen Dingen etwas zu essen und zu trinken.
Sollt Alles haben, das heißt, so viel ich geben kann. Bin ganz allein hier droben, hab' Nichts als ein Stück Schinken, Käs' und Brod, und dazu ein Glas Wein. Was das Nachtlager anbetrifft, so müßt Ihr hier auf der Bank schlafen. Betten hab' ich nit.
Ist auch nit nöthig, gebt nur Etwas zu essen, sagte Wallner, und legt ein wenig mehr Holz auf in dem Kamin, damit unsere Glieder durchwärmen.
Der Wirth warf mürrisch einige Holzscheite und etwas Reisig auf, daß das Feuer hoch aufflackerte, dann holte er seine Eßwaaren herbei, und schaute schweigen, eine Zeitlang zu, wie die Wanderer mit regem Appetit zu essen begannen.
Auf einmal kam er rasch zu ihnen, setzte sich ihnen gegenüber auf die Bank, und zog ein Papier hervor. Nun will ich Euch einmal Etwas vorlesen, sagte er. Es waren heut' bairische Soldaten hier, die haben mir eine neue Verordnung gegeben, und mir bei Todesstrafe befohlen, daß ich mich darnach richten sollt'. Hört einmal.
Und mit lauter, höhnischer Stimme las er: »Kund und zu wissen sei hierdurch Jedermann in Deutsch- und Welsch-Tyrol, daß ein Jeder von Euch, der es wagen sollte, den Ober-Commandanten der Salzburger, Anton Wallner, genannt Aichberger, oder seine zwei Söhne zu beherbergen, oder mit Speise und Trank zu erquicken, dessen ganzes Vermögen soll confiscirt und Haus und Hof der Erde gleich gemacht werden.« Loritza. 130.
Habt Ihr's gehört? fragte der Wirth, als er zu Ende gelesen.
Ja, sagte Wallner vollkommen ruhig, aber was geht's uns an.
Ich will Euch sagen, was es Euch angeht! Ich glaub', Ihr seid der Anton Wallner, und das da ist einer von Euren Söhnen!
Anton Wallner lachte. Wahrhaftig, sagte er, wenn ich der Wallner wär', da würd' ich nit so dumm sein und mich sehen lassen vor allen Leuten. Ich mein', der hält sich oben versteckt in den Bergen bei Windisch-Matrey. Aber ich muß ihm wohl ähnlich sein, denn Ihr seid nit der Erste, der mich für den Anton Wallner hält. Und daß der Bub' da nit ein Sohn vom Anton Wallner ist, das will ich Euch, wenn Ihr's verlangt, aus das Crucifix beschwören.
Na, 's ist schon gut, ich glaub' Euch schon, brummte der Wirth. Jetzt geht zur Ruh', da habt Ihr Jeder ein Kissen, um den Kopf darauf zu legen, und nun gute Nacht, ich will auch auf meine Kammer gehen und schlafen.
Er nickte ihnen mürrisch zu, und verließ rasch das Zimmer.
Liesel, meinst, daß wir Dem trauen können? fragte Wallner leise.
Elise antwortete nicht, sie winkte nur ihrem Vater zu, leise auf den Zehen schlüpfte sie durch das Gemach nach der Thür hin, und legte lauschend ihr Ohr an dieselbe.
Eine Pause trat ein. Dann hörte man draußen die Hausthür knarren.
Vater, flüsterte Elise, zu Wallner hinstürzend, er ist fortgegangen, um die Soldaten zu holen. Ich hab' gehört, wie er über den Flur zur Hausthür hinging, und sie aufthat. Er ist fortgegangen, und uns hat er hier eingeschlossen.
Eingeschlossen? schrie Wallner, und sprang nach der Thür hin, und rüttelte an ihr mit Riesengewalt, aber das Schloß gab nicht nach, die Riegel schoben sich nicht zurück.
Es ist umsonst, umsonst, rief Wallner, wüthend mit dem Fuß stampfend, die Thür bleibt verschlossen, wir sind gefangen, denn kein anderer Ausweg ist da!
Doch, Vater, da ist das Fenster, sagte Elise. Komm', wir müssen da hinaus!
Aber hast nit gesehen, Liesel, daß das Haus an einem Abhang lag, und eine Trepp' zur Hausthür führt? Wenn wir hinaus springen, fallen wir wohl zwanzig Schuh tief hinab.
Aber drunten liegt viel Schnee, und wir fallen weich. Ich spring' voran, Vater, folg' mir nur gleich.
Und Elise verschwand im Fenster. Wallner wartete einige Minuten, dann folgte er ihr.
Glücklich kamen sie hinab, der weiche Schnee machte den tiefen Sprung ungefährlich, sie rafften sich schnell wieder empor, und so rasch sie ihre müden Füße tragen konnten, eilten sie vorwärts.
Es war ein kalter, finsterer Abend. Der Mond, der die vorige Nacht so hell geleuchtet, war heute von schweren Wolken verhüllt, der Sturm trieb Massen von Schnee daher, und pfiff heulend über die weite Schneeebene hin.
Aber muthig und unverzagt schritten die Wanderer vorwärts. – Da auf einmal ward's lebendig hinter ihnen, da sah man Fackeln aufleuchten, sah bei dem Schein derselben Soldaten in bairischer Uniform.
Sie stürzten vorwärts mit wildem Fluchen und Schreien, an ihrer Spitze der Wirth, der sie herbeigeholt.
Aber vorwärts auch, gehetzten Rehen gleich, sprangen Wallner und Elise. Der Athem ging keuchend aus ihrer Brust hervor, der Wind schnitt ihnen in's Gesicht, ihre Füße bluteten, aber vorwärts ging es dennoch, vorwärts! Nur ward die Entfernung zwischen ihnen und ihren Verfolgern immer kürzer. Jene, mit Fackeln versehen, sahen ihren Weg und die Spuren der Flüchtigen im Schnee, diese rannten hinaus in die düstere Nacht, nicht sehend, wohin sie ihre Füße trugen, und ermattet schon von der langen Wanderung des Tages.
Immer kürzer ward die Entfernung zwischen den Verfolgern und den Verfolgten, kaum noch zwanzig Schritte trennten sie von einander, schon streckten die Soldaten die Hände aus, um sie zu packen. Da, in diesem Moment der höchsten Gefahr, fuhr der Sturmwind mit Heulen und Pfeifen heran, trieb ganze Wolken von Schnee vor sich her, löschte die Fackeln der Soldaten, und hüllte Alles in tiefe Finsterniß ein.
Zu gleicher Zeit vernahm man den Freudenschrei der Fliehenden, den Wuthschrei ihrer Verfolger.
Unaufhaltsam, die Augen schon gewöhnt an die Finsterniß, eilten Wallner und Elise vorwärts, die Soldaten folgten ihnen, aber geblendet von der Dunkelheit, den Weg nicht sehend, und sich einander anrufend, um sich nicht von einander zu verlieren.
Dieses Rufen war eine neue Sicherung für die Fliehenden, denn es gab ihnen die Richtung an, in der sie fliehen, in der sie dem Feinde ausweichen mußten.
Endlich ward das Rufen schwächer, vereinzelter, endlich verstummte es ganz.
Langsamer setzten die Fliehenden ihren Weg fort, aber sie durften doch nicht ruhen, nicht still stehen in der kalten, düstern Nacht, denn der Sturm würde sie erstarrt, die Kälte sie getödtet haben.
Sie sprachen nicht, sie schritten nur vorwärts, mit keuchendem Athem, Hand in Hand. – Auf einmal schimmerte aus der Ferne, wie ein Stern, ihnen ein Licht entgegen. Dort mußte also ein Haus stehen, dort waren Menschen.
Rüstig schritten sie weiter, und das Licht kam näher und näher, jetzt sahen sie schon das Haus, aus dessen Fenster es hervorleuchtete. Nun standen sie vor dem Hause, neben dem hochaufgerichtet ein Pfahl sich erhob.
Herr Gott! rief Anton Wallner, ich glaub', das ist ein Grenzpfahl, und wir sind auf österreichischem Gebiet!
Er klopfte hastig an die Thür, sie ward aufgethan, und die beiden Wanderer traten ein in das kleine, warme, behagliche Zimmer, in welchem ein Mann in Uniform, der am Tisch saß und sein Nachtmahl verzehrte, sie empfing.
Anton Wallner ging gerade zu ihm hin, und deutete auf seine Uniform.
Ihr tragt österreichische Uniform? fragte er.
Ja wohl, Mann, das thue ich, sagte der Gefragte lächelnd.
Und wir sind hier auf österreichischem Gebiet?
Ja wohl! Hier am Hause steht der Grenzpfahl, und hier ist die österreichische Mauth.
Anton Wallner schlang seinen Arm um Elisen's Nacken, und sie umfassend, sank er nieder auf die Kniee, und die hellen Thränen stürzten ihm aus den Augen, während er mit lauter, freudiger Stimme rief: Herr Gott im Himmel, ich danke Dir!
Elise sägte Nichts, aber ihre Thränen sprachen für sie, und das Lächeln, mit dem sie erst zum Himmel und dann zu ihrem Vater hinschaute.
Der Mauthbeamte hatte sich erhoben und stand, von unwillkührlicher Rührung ergriffen, neben den Knieenden.
Mann, wer seid Ihr denn? fragte er. Und warum weint Ihr und dankt Gott?
Wer ich bin? fragte Wallner, sich erhebend und Elise mit sich emporziehend. Ich bin Anton Wallner, und das da ist mein Liesel, mein Kind, die mich errettet hat von den Baiern! Der liebe Gott –
Mehr sagte er nicht, – schwankend lehnte er sich fester auf Elisen's Schulter und taumelte dann besinnungslos zur Erde nieder.
Elise warf sich mit einem lauten Angstschrei über ihn. Er ist todt, jammerte sie, er ist todt!
Nein, er ist nicht todt, sagte der Beamte, die Aufregung, die Anstrengung hat ihm die Besinnung genommen. Er wird schon wieder erwachen und sich erholen. An guter Pfleg' soll's dem Anton Wallner bei mir nit fehlen.
Er hatte richtig prophezeit. Anton Wallner erwachte wieder, und schien sich unter der guten Pflege seines neuen Wirthes und seiner Elise zu erholen.
Zwei Tage blieben sie in dem Grenzhaus; die Kunde von der Anwesenheit Anton Wallner's verbreitete sich schnell ringsum in der Gegend, und die Gutsbesitzer eilten herbei, den tapferen Tyroler Helden und seine muthige Tochter zu sehen, und Beiden ihre Dienste anzubieten.
Sie hatten nun nicht mehr nöthig, zu Fuß zu wandern. Wohin sie kamen, standen die Equipagen der Gutsbesitzer bereit, überall empfing man sie mit lautem Jubel, begrüßte man sie als Tyrols Helden. Ihre Reise nach Wien war ein fortgesetzter Triumphzug, eine Kette von Freuden und Liebesbeweisen.
Aber inmitten aller dieser Triumphe blieb Anton Wallner schweigend, theilnahmlos und in sich gekehrt, und wenn er zuweilen aus seinem dumpfen Hinstarren empor schrack, und sah, mit welchem Schmerzensausdruck Elisen's Auge auf ihm ruhte, dann versuchte er wohl zu lächeln, aber das Lächeln erstarb auf seinen zitternden Lippen.
Ich glaub', ich werd' sehr krank werden, sagte er matt. Der Kopf schmerzt gar gewaltig, und all' meine Gliedern zittern. Bin zu lang' oben in der Kält' in der Sennhütt' gewesen, und die vielen Strapazen vorher, und die Aufregung, der Kummer und Schmerz, das Frieren und Hungern, und dann jetzt das viele Laufen. – Ach Liesel, Liesel, ich werd' krank! Herr Gott, wenn ich nun stürb', und ließ Dich allein in der Fremde zurück! Nein, nein, ich will nicht krank werden, ich hab' kein' Zeit dazu! Hörst Du's, mein Herrgott da droben, ich will nit krank werden, denn's Liesel darf nit allein bleiben! Nein! Nein! Nein!
Und er drohte mit den Fäusten zum Himmel empor, und schrie und weinte, und sprach Worte ohne Zusammenhang und Sinn.
Er hat das Nervenfieber, fürchte ich, sagte der Baron Engenberg, der in seiner Equipage Wallner und Elise die letzte Station nach Wien hingeleitete. Es wird nöthig sein, den Kranken sogleich in ein Krankenhaus zu fahren.
Kann ich da bei ihm bleiben und ihn pflegen? fragte Elise, ihre Thränen zurückdrängend.
Gewiß können Sie das!
Dann wollen wir ihn in ein Krankenhaus bringen, sagte sie ruhig. Er wird sterben, aber ich werde es sein, die ihm die Augen zudrückt! –
Und Elise war es, die ihrem Vater die Augen zudrückte. – Das hitzige Nervenfieber, das Anton Wallner's Körper durchraste, brauchte nicht gar lange Zeit, um den Tod herbeizurufen.
Schon fünf Tage nach seiner Ankunft starb Anton Wallner im Krankenhause zu Wien, am funfzehnten Februar 1810.
Viele Menschen geleiteten ihn zur Gruft, viele Menschen kamen, um Elise Wallner, das Tyroler Heldenmädchen, zu sehen. Aber Elise wollte Niemand sehen. Sie barg sich scheu in dem Zimmer, das man ihr im Krankenhause eingeräumt, und nur der Priester, der ihrem Vater die letzte Oelung ertheilt, nur den sprach sie, und betete mit ihm.
Am Tage nach dem Begräbniß aber sandte der Kaiser Franz einen seiner Kammerherren zu Elisen, und ließ ihr anbieten, sie solle in Wien bleiben, er wolle die Sorge für ihre Zukunft übernehmen und sie belohnen für Das, was ihr Vater gethan. Auch hatte der Kammerherr den Auftrag, Elise zu ihm zu führen, damit er ihr persönlich danken und ihr Muth einsprechen könne.
Elise schüttelte ernst ihr Haupt. Zu danken hat der Kaiser mir nicht, sagte sie, denn für ihn hab' ich ebenso wenig gethan, als er für Tyrol gethan hat. Muth einsprechen kann er mir nicht, denn den kann nur der liebe Herrgott mir geben, und für meine Zukunft sorgt der auch. Ich kann den Kaiser nicht sehen, denn mein Herz ist voll Trauer. Wollt Ihr mir aber so viel Geld geben, Herr, daß ich rasch nach meinem lieben Tyrol zurückkehren kann und zu meiner lieben Mutter, so nehm' ich's an, und dank' Euch dafür. Ich muß zur Mutter, und mit ihr weinen, und meine liebe Heimath und die lieben Berg', die müssen mich trösten!
Sie können reisen, sobald Sie wollen, sagte der Kammerherr. Der Kaiser hat sich für Sie verwandt, und für Sie, im Fall Sie zurückkehren wollen, diesen Sicherheitsschein ausgewirkt. Niemand wird Sie beunruhigen, und unbehindert können Sie mit den Ihrigen in Ihrem Hause leben.
Wenn der Kaiser das für meinem Vater gethan hätte, was er für mich thut, so wär' mein Vater nicht gestorben, sagte Elise ernst, indem sie das Papier annahm. Jetzt bedarf er keines Kaisers mehr! Er ist bei Gott, und ich wollt', ich wär bei ihm da droben! Aber ich darf meine Mutter nicht verlassen, ich muß sie trösten, und bei ihr bleiben, so lange es Gott gefällt! Elise Wallner kehrte nach Windisch-Matrey zurück und lebte dort still und eingezogen mit ihren Erinnerungen und ihrem Gram. Sie verheiratete sich niemals. Als ihre Mutter gestorben war, gab sie den Bitten Joachim Haspinger's nach und kam zu ihm. Der frühere Kapuziner erhielt das Ordinat und ward Pfarrer in Jetelsee, später in Traunfeld. Elise lebte als seine Adoptivtochter bei ihm, und war noch bei ihm, als er 1856 in Salzburg starb. Siehe: Joachim Haspinger, von Schallhammer. S. 134.